DAS BUNTE BLATT

NUMMER 78- 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS BEILAGE

Ein unvergeßlicies Erlebnis

Der recht monotone Vergnügungsfalender des Bades D. wies eine angenehme private Bereicherung auf.

Ein Hypnotiseur war eingetroffen, ein Mann von be­deutendem Ruf, von dessen Talenten sich die Fachleute staunenerregende Dinge erzählten.

Er wohnte im Majestic", hatte ausgesprochene Groß­mannsallüren, sparte nicht mit fürstlichen Trinkgeldern und galt, schon der vorher bezeichnenden Umstände wegen als ungeheuer reich.

Sonst lebte er exklusiv zurückgezogen, eine Diskretion des Lebenswandels, die den Neiz seiner Persönlichkeit bei den neugierigen Kurgästen nur erhöhen konnte.

Es wäre wohl nie zu dem hypnotischen Galaabend mit neuartigen Experimenten" gekommen, wenn nicht der Manager des Hypnotiseurs, ein kleiner, sehr beweglicher Herr, der auch in der Sommerfrische nicht die Hand von Geschäften lassen konnte, die Sache arrangiert hätte.

So stieg denn der denkwürdige Abend, der die einschlä­fernden musikalischen Ereraitien der Kurtapelle aufs ange nehmste unterbrach, bei gepfefferten Eintrittspreisen im bichtgefüllten großen Kurhaussaal. Als der Hypnotiseur, der einen ungemein klangvollen Namen trug, erschien, ging ein Raunen ehrfürchtigen Staunens durch die Reihen. Der be= beutende Mann sah allerdings auch bedeutend genug aus.

In einem astetischen Gesicht, dem eine tiefe, fast frankhafte Blässe das Gepräge gab, leuchteten zwei dunkelbraune Augen in düsterem, unheimlich suggestivem Glanz.

Meine Damen und Herren-" begann der Hypnotiseur mit einem tiefen, unverkennbar fremdländischen Ton­fall, ich weiß, daß ich einem verwöhnten Badepublikum nicht die üblichen Experimente der landläufigen Hypnose vorsezzen darf. Ich habe heute abend weit mehr vor! Ich will nämlich zum ersten Male ein Experiment ausprobieren, deffen Meisterung mir erst in diesen Tagen unter schwersten Mühen gelungen ist. Nichts fällt dem Menschen in den Schoß Hören Sie bitte gut zu:

Mein Experiment beabsichtigt, Ihre Seelentemperatur zu einer noch nie dagewesenen Höhe emporzutreiben und in Ihnen ein Glücksgefühl von unaussprechlicher Intensität zu erzeugen.

Diese grandiose Steigerung Ihres Gefühllebens wird, so hoffe ich, für Sie alle ein unvergeßliches Erlebnis sein!

Konzentrieren Sie sich bitte auf das Wort Mais mischung". Jawohl, Maismischung". Denken Sie unaus­gesetzt an dies prosaische Wort, das eigentlich ein Doppel­wort ist, mag es Ihnen auch noch so sinnlos erscheinen In atemloser Stille, fiebernd vor Erwartung, saßen die Kurgäste da.

H

Bitte das Licht auslöschen!" rief der Hypnotiseur. Das Experiment begann. Es war so dunkel im Raum, baß man nicht die Hand vor den Augen sehen konnte. Durch den Saal tönten unablässig wandernde Schritte; es war der Hypnotiseur, der durch die Stuhlreihen ging, um seinem Experiment Nachdruck zu verleihen.

Einige Teilnehmer an der Seance, meistens Frauen, wim­merten leise vor Aufregung.

Minuten wurden zu Ewigkeiten. Immer noch er­tlang der ruhelos wandernde Schritt des bedeutenden Mannes.

Eine stickige Welle von Atem und Schweiß zog durch den Saal.

Plötzlich brach die Wanderung des Hypnotiseurs ab. Wei­tere fünf Minuten verstrichen.

Fontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE Wenn ihn jemand fragte:

Und jetzt, wo uns der Impresario das Wasser stehlen will, follen wir nicht verhandeln?"

Seine Antwort blieb immer die gleiche:

Legt ihm Feuer in die Gerberei und er wird euch be­dingungslos das Wasser zurückgeben; wenn er eure War­nung nicht versteht, legt ihm Feuer in seine Holzlager. Und wenn ihm das nicht genügt, sprengt ihm mit einer Mine die Ziegelbrennerei in die Luft. Und wenn er ein Idiot ist und immer noch nicht kapiert, brennt ihm nachts, wenn er mit Donna Rosalia schläft, die Villa nieder... Nur so werdet ihr das Wasser wieder bekommen. Wenn ihr es nicht tut, wird der Tag kommen, an dem der Impresario euch eure Töchter wegnimmt und sie auf dem Markt verkauft. Und er wird gut daran tun. Warum denn nicht?... Was sind sie schon wert, eure Töchter?..."

Dies war Berardo Violas bittere Lebensauffassung. Aber er folgerte so, weil er fein Land besaß, und das mußte ihm innerlich stark zusetzen. Er dachte wie einer, der nichts zu verlieren hat. Die Lage der übrigen Cafoni aber war anders.

Berardos Absicht, auszuwandern und nachher seine Ver­suche in den verschiedensten Berufen als Taglöhner, Holz­fäller, Kohlenbrenner , als Maurer- Handlanger zeigten deutlich, daß er im Grunde mit seiner Lage unzufrieden war. Ohne eigene Erde, daher geringer als die anderen Cafoni, hatte er kein Recht, zu verlangen, daß diese sich seiner Mei­nung anschlossen. So stieg die Verwirrung jedesmal, wenn er sich in unsere Angelegenheit mischte; kein vernünftiger Mensch hörte ihn an, nicht einmal, um ihm zu widersprechen ,, Generale Baldissera ausgenommen, der zwar immer ent­gegengesetzter Ansicht war, aber als Schuster überflüssige Unterhaltungen liebte.

Durch seine extravaganten Reden und mehr noch durch

Von Edmund Zimperlich

Im Saale machte sich eine leise Unruhe bemerkbar. Pscht!" zischten die Eifrigen, was wiederum unterdrücktes Richern hervorrief.

Nach einer Viertelstunde rief einer Licht, Mais­mischung" schrie ein anderer.

Die elektrischen Lampen flammten auf. Alles sah sich blöd blinzelnd an.

Wo war der Hypnotiseur? Der Hypnotiseur war ver­schwunden und mit ihm sein Manager. Allgemeine Ver­blüffung, die sich zur Panik steigerte, als eine ältere Dame hysterisch schrie: Mein Perlenkollier ist gestohlen!" " Und mir die Brieftasche!" brüllte ein Herr gleichsam als Echo.

Entsetzen packte die Kurgäste.

Die Damen nestelten verstört am Hals herum, die Herren griffen nach ihren Brusttaschen. Unter unbeschreiblichem Lärm zählte man 54 abhanden gekommene Portefeuille und 21 fehlende Perlenkolliers.

Polizei erschien und wurde von einem Schwarm fassungs. loser Menschen umringt.

Inzwischen suchten ein paar beherzte Männer das ganze Kurhaus nach dem fingerfertigen Hypnotiseur und seinem Manager ab.

Vergeblich, der Vogel war schon ausgeflogen.

" Ja," sagte der Polizeikommissar, wir haben es leider auch zu spät erfahren. Der Hypnotiseur ist ein berüchtigter Taschendieb und der Manager" sein Komplice.

Was aber das Experiment" angeht, es ist nicht bei Ihnen gestattet worden."

Aber in einem hat er recht gehabt"- murmelte ein Bestohlener in bitterer Selbstironie, dieser Abend wird gewiß uns allen ein unvergeßliches Erlebnis bleiben!"

Ja, wenn alle Richter.

Vor den Schranken eines Og for der Gerichtes stand ein fiebzehnjähriger junger Mann, der einen Selbstmordversuch

DIENSTAG, DEN 19. SEPTEMBER 1933

Quodlibet

So geht es in Schnügelpuzfingen, wo die Schnecken Bücher verschlingen, wo die Ochsen die Hymne singen:

siz

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Da ist der Esel Minister geworden, da grasen auf der Wiese Herden von Orden, da speist man gebratene Titel.

So geht es in Schnügelpuzfingen, wo die Schnecken Bücher verschlingen, wo die Ochsen die Hymne singen:

Da geht der Marder als Pfaffe herum, und macht die Gänse und Hühner dumm, das Kamel ist da Deputierter!

So geht es in Schnügelpuzfingen, wo die Schnecken Bücher verschlingen, wo die Ochsen die Hymne fingen:

Da ist den Vögeln das Singen verboten, Der Esel, der liefert ihnen die Noten, und danach dürfen sie piepen.

So geht es in Schnügelpukfingen, wo die Schneden Bücher verschlingen, wo die Ochsen die Hymne fingen:

Da hat der Löwe alleine Verstand, die Lerchen, die sind aus dem Reich verbannt, die Faultiere figen im Staatsrat. So geht es in Schnüßelpngfingen, wo die Schnecken Bücher verschlingen, wo die Ochsen die Hymne fingen:

Da hungern die Schaf und lassen sich scheren und erzeigen ihren Hütern viel Ehren, den Wölfen und den Hyänen.

So geht es in Schnügelpuzfingen, wo die Schneden Bücher verschlingen, wo die Ochsen die Hymne singen:

Ich wüßte der Dinge noch viel zu sagen, die in Schnügelpukfingen fich zugetragen, gar lächerlich über die Maßen!

Adolf Glaßbrenner ,

gemacht hatte und abgeurteilt werden sollte. Nach dem Motiv Lachen nicht verfernen

seiner Tat gefragt, antwortete er stockend: Seit Monaten finde ich keine Arbeit mehr und deshalb..." Daraufhin brach der Richter die Verhandlung ab und lud den Jungen zum Tee in seine Wohnung, um mit ihm seine Lebenslage zu besprechen. Da der Richter aus den Erzählungen des Jungen erkannte, daß es sich hier um das grausame Schicksal eines Strebsamen handelte, der arbeiten wollte, aber nicht fonnte, besorgte er ihm durch seine Fürsprache eine Stellung und vertagte den Prozeß auf ein halbes Jahr...

Das Sofiwalbennest als Sparkasse

Einige Schulbuben wollten dieser Tage in einem elsäs­fischen Ort Spaßen aus Schwalbennestern verjagen. Dabei machten sie eine merkwürdige Feststellung. Als sie nämlich mit einer Stange gegen das Nest stießen, fiel eine Reihe von Zwei- und Dreimarkstücken daraus zu Boden. Nanu, Schwalben sind doch keine Elstern? Steht die Zoologie Kopf?! Nein, ein alter Bauer hatte sich die Nester als Sparkassen gewählt und hier sein Silbergeld diebessicher" aufbewahrt. Er kam indes mit dem bloßen Schreck davon, denn die Buben gaben ihm sein Eigentum zurück.

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sein Beispiel hatte Berardo die Ansichten der gesamten fontamarefischen Jugend gewandelt.

Bisher hatte man in Fontamara niemals soviel Jugend­liche beisammen gesehen. Früher zogen die jungen Männer kaum hatten sie das 16. Jahr vollendet auf der Suche nach Arbeit los; der eine ging nach Latium , der andere nach Apulien , der Dritte nach Amerika ; viele ließen auf vier, sechs, ja sogar auf zehn Jahre eine Braut zurück und hei­rateten sie nach der Rückkehr, andere heirateten am Tage vor der Abreise und blieben nach der ersten Liebesnacht vier, sechs, ja zehn Jahre fort und bei der Rückkehr stand dann ein Heranwachsendes Kind vor ihnen, ja, es konnten sogar mehrere Kinder verschiedenen Alters sein. Aber das Aus­wanderungsverbot hatte die Reisen der jungen Leute un­möglich gemacht und so waren sie gezwungen, in Fontamara zu bleiben, wo die Arbeit für alle rar geworden war. Die Unmöglichkeit auszuwandern, hieß für sie die Unmöglichkeit soviel zu verdienen und zu sparen, daß sie wie ihre Väter kleine Grundbesitzer bleiben konnten, daß sie das winzige väterliche, von Schulden und Hypotheken angefressene Kapital erhalten, daß sie die nötigen Meliorationen durchführen und den Boden nach weniger primitiven Methoden kultivieren konnten. Es hieß, daß sie den toten oder alten Esel nicht durch einen jungen ersetzen, fein Schwein, keine zwei Ziegen, fein Ehebett erwerben konnten. Aber da sie jung waren, jammerten und klagten sie nicht und zeigten nicht einmal durch Worte, ob sie sich über die Härte ihres Schicksals klar waren. An den häufigen freien Tagen versammelten sie sich, stellten unter dem Einfluß dessen, der älter, aber weniger vernünftig war, sinnlose Dinge an und planten noch sinn­losere.

Das Erstaunlichste war, daß Berardo, ein gesunder, robu­buster, junger, fast 30jähriger Mann, der weder Vater noch Mutter hatte, sich die häuslichen Dienste von der fast 90jäh­rigen Großmutter besorgen ließ, keine Anstalten zum Hei­raten machte. Früher war zwischen ihm und Elvira, der Färberin, Zuneigung erkennbar gewesen, und er hätte auch feine bessere Frau finden können. Aber nach dem Verlust seines Landes brach Berardo die Beziehungen ohne Erklä­rung ab. Fragte man ihn um Neuigkeiten über Elvira, brachte man ihn am sichersten in Wut. An den langen, arbeits­losen Winterabenden, an denen die Alten trinken und die

Ein Hörfehler

Nach dem Abendbrot schritt der Herr Staatsanwalt an der Seite seines Gastes durch seine Privatgemächer, stolz von der Architektur und dem eigenen Stil der Zimmer plaudernd. Vor einem großen Delgemälde blieben beide stehen. " Sehen Sie," sagte der Staatsanwalt, hier ist mein liebstes Bild, die Göttin der Gerechtigkeit: Nemesis!" D, vielen Danf, Herr Staatsanwalt!" sagte der Gast und ergriff mit beiden Händen die Rechte des Gastgebers. Ich nehme es gern! Ich lasse es gleich morgen früh ab­Holen!" ( Neue J. 3.".)

Grüne Jugend

" Dieser Papagei ist hundert Jahre alt, mein Herr!" Hm, für dieses Alter ist er aber noch reichlich grün!" ( Neue J. 3.") Gerettet Meine sämtlichen Hühner sind diese Nacht von Ein­brechern abgeschlachtet worden!"

" Und ihr scharfer Wachthund, der immer im Stall liegt?" " Der lebt noch!" Fliegende Blätter".)

Jungen lieben, diskutierte Berardo mit dem Generale Baldissera bis tief in die Nacht hinein über den Unterschied zwischen Städtern und Bauern, und über die drei Rechte, das Pfaffenrecht, das Herrenrecht und das Gewohnheitsrecht. Er schlug dabei mit der Faust so auf den Tisch, daß die ganze Wirtschaft der Sorcanera bebte; aber das ließ den alten Generale, Anhänger einer ewigen Ordnung", vollkommen kalt.

So hätte man glauben können, daß Berardo keinerlei An­spruch mehr auf Elvira machte; aber eines Tages, als sich die Nachricht verbreitete, sie sei vom Straßenwärter Filippo dem Schönen zur Frau begehrt worden, benahm sich Berardo wie ein wild gewordener Stier.

Er rannte in Filippos Haus, fand ihn nicht, hörte aber, daß er im Steinbruch sei, stürmte dorthin und fand ihn beim Kieshaufen beschäftigt. Ohne ihn auch nur zu fragen, ob er wirklich um Elvira geworben habe, packte er ihn, schleuderte bis endlich Arbeiter dem Aermsten zu Hilfe kamen. ihn wie einen Fezzen an die zehnmal auf den Kieshaufen,

Seit dieser Geschichte hatte sich kein neuer Bewerber um Elvira bemüht, aber Berardo seinerseits fuhr fort, sie zu meiden.

Als ich eines Abends aus dem Fucino zurückkam, versuchte ich ihn zum Sprechen zu bringen.

Elvira dürfte die 25 bereits hinter sich haben," sagte ich, ,, und das ist für unsere Gegend, wo die Mädchen doch vor 20 heiraten, schon zu viel. Ueberdies ist ihr Vater gelähmt und kann ihr weder beim Weben noch beim Färben helfen. Aber von allem anderen abgesehen, muß Elvira heiraten, denn sie braucht Hilfe fürs Haus..."

Berardo rührte sich nicht.

Wenn du dich nicht entschließt, sie zu heiraten," schloß ich, hat sie das Recht, einen anderen zu nehmen." Auf einmal wurde Berardo wild.

In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, sagte er nur: Laß das!"

Am nächsten Morgen, als ich mit ihm wie gewöhnlich in den Fucino gehen wollte, wartete ich vergeblich auf ihn. Ich ging zu ihm, um zu sehen, ob er noch schlafe. Ich fand nur die Alte, ganz aufgeregt.

Bortfegung folgt!