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Fretheil

Nummer 791. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, 20. Sept. 1933

Chefredakteur: M. Braun

Verglichen mit unsern erstaun­lichen Fortschritten in den physi­kalischen Wissenschaften und ihrer praktischen Anwendung, bleibt unser System der Regie­rung, der administrativen Justiz, der Nationalerziehung und unsre ganze soziale und moralische Or­ganisation in einem Zustande der Barbarei.

Wallace.

Hessens Staatspräsident gestürzt!

Reichsstatthalter Sprenger enthebt den Staats- und Ministerpräsidenten Dr. Werner seines Postens

Aus dem Gebiete des Reichsstatthalters Sprenger sind uns wiederholt Berichte über schwere Kämpfe in der NSDAP . zu­gegangen. Die Richtigkeit dieser Briefe, von denen wir auch heute wieder einen veröffentlichen, wird nun durch den Sturz des hessischen Staats- und Ministerpräsidenten Dr. Werner bestätigt. Die amtliche Meldung lautet:

Der Reichsstatthalter in Hessen , Gauleiter Sprenger, hat den hessischen Staatsminister Prof. Dr. Werner seinem

präsidenten und die Ereignisse um den Gauleiter und hessischen Statthalter Sprenger haben eine weitgreifende Verbitterung erzeugt.

Um Torglers Kopf

Das Österreichische Rätsel

feine Stelle tri meter Gyntinens zum Staatsminister und an. Der Kommandeur der Meichswehr rill quit hitt Das

Ernennung

Vorsitzenden der Landesregierung der seitherige Staats­sekretär der hessischen Landesregierung Philipp Wilhelm Jung .

Dr. Werner ist zurückgetreten, weil er es ablehnt, weiter mit einem Manne von der geringen Qualität Sprengers zu­sammenzuarbeiten, und weil er die Cliquenwirtschaft in der Personalpolitik Sprengers mißbilligt. Das gestürzte hessische Staatsoberhaupt ist einer der ältesten Vorkämpfer der völ­tischen Idee in Deutschland . Er gehörte schon als einer der wenigen völfisch- antisemitischen Abgeordneten dem Vorkriegs­Reichstag an und hat seine Position jahrzehntelang auch in den Stürmen dieser jüngsten Monate bewahrt. Als Mann von einer gewissen geistigen Kultur und ritterlicher Kampfes­meise mußte er mehr und mehr in Gegensatz geraten zu den Knoten, die jetzt in Deutschland das Volk unterdrücken. Werner fügte sich ihnen nicht. Er wagte, um nur ein Bei spiel anzuführen, der Witwe des vor einiger Zeit verstorbe­nen sozialdemokratischen Staatspräsidenten Ulrich ein Bei leidsschreiben zugehen zu lassen und diesen Brief zu ver­öffentlichen.

Das Verhältnis der SA. zur Reichswehr , das schon immer recht gespannt war, weist gleichfalls teine Besserung Bericht über den Londoner Prozeß Seite 3 auf. Ein fleines Ereignis mag hier Zeugnis ablegen: Als vor einiger Zeit die Marburger Jäger durch ihre Garnisonstadt marschierten, schloß sich ihnen unauf­ritt zurück und for= derte den Führer der SA. auf, das Nachmaschieren zu unter­lassen. Seine Aufforderung war vergeblich. Wenige Mis nuten später ließ der Führer der Reichswehr seine Truppe halten, ritt wieder auf den SA. - Befehlshaber zu und er­flärte ihm: Ich gebe Ihnen zwei Minuten Zeit, Ihre Ab­teilung von der Reichswehr zu lösen. Kommen Sie dieser Aufforderung jezt nicht nach, dann lasse ich das Bataillon Kehrt machen. Die Folgen haben Sie sich zuzuschreiben. Die SA. hielt es für geratener, sich seitwärts in die Büsche zu schlagen.

In der NSDAP . find zahlreiche Marristen organisiert. Ich habe neulich herzlich gelacht, als ich zu einem Vortrag in verschwiegenem Kreis aufgefordert wurde und bei meiner Ankunft lauter uniformierte Nazis vorfand. Auf meine erstaunte Frage, was das bedeuten solle, wurde ich aufgeflärt: es waren lauter ehemalige Sozialdemokraten, die sich hier als lofal führende Nationalsozialisten marxisti sche Auffassungen beibringen ließen und sie diskutierten!

Im Reich des Gauleiters und Reichsstatthalters Sprenger, im eigentlichen Hessen- Darmstadt , ist auch allerlei gefällig. Das Neueste ist hier, daß der berüchtigte Verfasser des Bor­heimer Dokuments, der seitherige Landespolizeipräsident von Hessen , Dr. Best, seit einiger Zeit abgesägt ist. Ueber den eigentlichen Grund ließ sich noch nichts feststellen.( Siehe un­Sondermeldung hierzu! Die Red.) Jedenfalls ist Herr Best seit einigen Tagen nicht mehr aktiv und von der politis schen Bildfläche verschwunden.

Das nationalsozialistische Gaupresseamt begründet den Sturz Werners damit, daß das Ministerium aus Vereinsere fachung und Sparsamkeit in Zukunft nur mit einer Person besetzt sein solle. Aber warum ist denn diese eine Person nicht der bisherige Staats- und Ministerpräsi­dent? Warum mußte der Staatssekretär Jung an seine Stelle treten? Die amtliche Antwort lautet, weil er im Gegensatz zu Dr. Werner Frontsoldat war. Der wahre Grund ist, daß die diktatorische Parteiherrschaft jede aufrechte Persönlichkeit brechen muß.

,, Unter der Decke"

Man muß hier leben, um die Tragödie des Volkes und die Komödie, die die Beherrscher von Volk und Staat täg­lich aufführen, ganz erfassen zu können. Zwar fann man nur ein Teilgebiet übersehen, aber die Kenntnis der In­terna ist dank eines unterirdischen Informationsdienstes doch so vorzüglich, daß ein Urteil wohl möglich erscheint. Und da läßt sich eines vorweg feststellen:

Wenn sich Hitler und seine Unterbefehlshaber nicht mit Gewalt und Terror an der Macht hielten, wären sie vom Zorn des Volkes schon längst beseitigt.

Darüber kann eine noch so glänzende Veranstaltung, kein Fest, teine Fahnenweihe, keine Redeflut, nichts hinweg­täuschen. Würde das nationalsozialistische System der Be­völkerung gestatten, sich zu äußern, würde heute etwa eine Volksabstimmung stattfinden, Hitler würde die Basis seiner Macht sofort verlieren. Aber die Herren wissen das und gerade um deswillen unterbinden sie jede derartige Meinungsmöglichkeit!

Das Schichial geht doch seinen Gang, der Weg ist nur liegt dem aufmerksamen Beobachter die Aufzeichnung der

weiter, die Entladung gewaltsamer. In der Zwischenzeit ob­

großen und fleinen Ereignisse.

Wir hier in Hessen- Nassau und Hessen- Darmstadt sind wiederholt in den Kreis des öffentlichen Interesses ge= rückt worden. Betrachen wir, wie es heute um dieses Gebiet steht:

3unächst wirtschaftlich: Saison und zeitbedingte Kon junktur haben eine vorübergehende Besserung bewirkt, die

bereits wieder im Abflauen begriffen ist. Die Arbeiter­schaft wurde in weitgehendstem Umfange entrechtet, die Mittelschichten einengenden Vorschriften unterworfen, die Bauern zu Dingen gezwungen, die ihnen nicht passen, die sie ablehnen und erbittern.

Politisch liegt nur eine scheinbare Festigung der Macht vor. Unter der Decke wühlt es und gärt es. Uebergriffe der verschiedensten Art haben eine enorme Spannung erzeugt. Nach außen erscheint vieles gut und einheitlich, im Innern aber sieht es ganz anders aus. Tausende heben die Hand zum Hitler- Heil und sind im Innern überzeugte Marristen. Wiederum Tausende jubeln den Fahnen zu und machen es wie der Jlbeshäuser Papagei, d. h., sie denken sich ihr Teil! Die personellen Maßnahmen in Hessen- Nassau haben viel böses Blut gemacht. Die Bestellung des Rumpenheimer Prinzen zum Oberpräsidenten von Kassel hat keine politisch­positive Bedeutung für das System Göring auszulösen ver­mocht, der Wechsel in dem Amte des Frankfurter Polizei­

Noch eine andere politisch interessante Persönlichkeit in Hessen ist derzeit nicht aktiv: Herr Pfarrer Knab in Mainz- Gustavsburg . Herr Knab, ein alter Nationalsozialist, hatte sich vor einiger Zeit wegen der Saufgelage des Reichs­statthalters Sprenger beschwerdeführend an Hitler gewandt. Wie man vertraulich erfuhr, wurde Sprenger zwar gerüffelt und steht auch nicht mehr sicher, Pfarrer Knab aber wurde wegen seiner Kühnheit gemaßregelt und diszipliniert! Mannesmut im dritten Reich" nicht hoch im Kurz, wenn er sich gegen einen der Machthaber Hitlers wendet!

Die Verhaftungen und Mißhandlungen gehen im ganzen Bezirk weiter. Täglich wird die Vernichtung des Kommu nismus gemeldet, täglich werden aber auch neue Kommus nisten und Sozialdemokraten verhaftet.

Durch Meineide und sonstige falsche Bekundungen erlangte " Beweise" genügen der Justiz, um linksstehende Männer auf Jahre in Zuchthaus und Gefängnis zu schicken, nach wie vor werden Existenzen vernichtet und Greuel verübt, um die SA. in ununterbrochener Dressur auf den Inneren Feind" zu halten. Die Bevölkerung schweigt und beißt die Zähne auf einander. Sie bereitet im stillen die Wendung vor und sie blickt über die hermetisch abgesperrten deutschen Grenzen in der Hoffnung, daß von dort der Anstoß zur Befreiung der deutschen Menschheit komme oder doch tatkräftige Hilfe, in dem Augenblick, auf den Millionen warten!

Auch Polizeipräsident Best abgesägt

Der seitherige Landespolizeipräsident von Hessen , der Ver­fasser des bekannten Borheimer Dokuments", Dr. W. Best, wurde vor einigen Tagen zur Disposition gestellt.

Als Grund wurde bekannt, Dr. Bests Frau, Hilde geb. Regner, habe sich in dem jüdischen Hutgeschäft Nathan in

Mainz einen Hut käuflich erworben. Das gehe in der Fa­milie eines so führenden Nationalsozialisten nicht an. Besser milie eines so führenden Nationalsozialisten nicht an. Besser informierte Kreise glauben jedoch an diese Begründung, so interessant sie an sich ist, nicht. Sie nehmen vielmehr an, daß gewisse Akten aus dem Vorleben des Dr. Best in die Hände seiner einflußreichen Feinde innerhalb der NSDAP . gefallen sind und daß die so enthüllten Tatsachen Herrn Best das Genick gebrochen haben.

Die Eigenschaften des zunächst in der Versenkung Ver­schwundenen lassen jedoch den Schluß zu, daß die national­sozialistische Bewegung auf die schäßenswerte Kraft" nicht auf die Dauer verzichten wird. Herr Best hat sich immerhin als ein erfindungsreicher und rücksichtsloser Terrorist im Sinne seines Herrn und Meisters erwiesen. Wir glauben, dem verdienten" Manne noch an anderer Stelle zu be­

gegnen.

C

Dieser Auffag wurde geschrieben, ehe der öfters reichische Bizefanzler Winkler die vielbeachtete Grazer Rede hielt, wie er sich in Fragen des ständischen Aufbaues Oesterreichs wesentlich von der Haltung des Bundeskanzlers Dollfuß abhob. In allem Grundsäglichem ändert sich in der Bes urteilung der österreichischen Vorgänge dadurch nicht das geringste.

Wien , 17. September. Seit Engelbert Dollfuß , Desterreichs Bundeskanzler, Mussolini plötzlich besucht hat, gehen in Desterreich felt­same Dinge vor. Immer deutlicher zeigt es sich, daß Mussolini dem österreichischen Kanzler die Erlaubnis ge­geben hat, einen Faschismus eigener österreichischer Prä gung zu installieren. Die österreichischen Faschisten haben vom großen Bruder in Berlin gelernt: Sie feiern Feste wie den Katholikentag, der so einseitig faschistisch- politisch war, daß ein tschechisch- klerikaler Ehrengast mit seiner Enttäuschung über die seltsame Spielart des österreichi­schen Katholizismus nicht zurückhielt; sie haben weiter den Rundfunk in ihre Gewalt gebracht und nügen ihn schrankenlos für ihre Propaganda aus und schließlich regieren sie mit Notverordnungen, die zu erlassen ihnen nur der nackte Bruch der Verfassung gestattet.

All das ist nur aus außenpolitischen Gründen möglich geworden; innenpolitisch herrschte in Desterreich in den letzten Wochen nach dem Verbot der Nazi Ruhe, wenn man von Demonstrationen wie Bemalen von Kirchen­wänden mit Hakenkreuzen und dergleichen absieht. Jns­besondere hat die Sozialdemokratie

eine nennens­

werte Kommunistenpartei hat es in Desterreich nie ge geben alles getan, um der Regierung ein Vorgehen gegen die braune Gefahr zu ermöglichen. In dieser Re­gierung aber figen seit langem Faschisten österreichischer Prägung, Heimwehrmänner, Angehörige jener Partei also, die am 13. September 1931 einen kläglichen Butsch versuch unternommen hatte. Die Heimwehrgruppe wurde von Jtalien gestützt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die aristokratisch- schwarzgelbe Heimwehr finanziell von Mussolini abhängig ist und daß nur durch sein Geld das Erscheinen der Heimwehrpresse, die niemand kauft, er­möglicht wurde. Bis zur Gewährung der Lausanner An­leihe durch Frankreich waren im Kabinett Dollfuß die französischen Einflüsse stark genug, die faschistischen Ele­mente der Heimwehr zu paralysieren und den Kanzler davon abzuhalten, einen entscheidenden Schlag gegen die Arbeiterbewegung zu führen.

- aus

Der Besuch des Kanzlers bei Mussolini hat alles ge­ändert. Frankreich schied- wenigstens vorläufig dem Spiel aus. International gesehen ist das ein kluger Schachzug der französischen Diplomatie: Denn damit ist Italien , der einzige Freund Hitler Deutschlands, gezwungen, die Gleichschal­tung Desterreichs im Sinne des Osafs zu verhindern. Den Preis zahlt die österreichische Ar­beiterbewegung; denn das Zurücktreten Frankreichs und die mächtige Stellung Italiens hat die Heimwehr , die an sich kaum eine Gefahr war, in unvorstellbarem Maß ge­stärkt.

Die Heimwehr darf es nun, gedeckt von Mussolini , wagen, nach dem totalen Staat" zu schreien. Die Stadt Wien , in der von Wahl zu Wahl die sozialdemokratische Majorität immer stärker wurde, soll ihrer freigewählten Stadtvertretung und ihres freigewählten roten Bürger­meisters beraubt und einem Regierungskommissar unter­worfen werden. Als Dollfuß zögerte, diesen Plan der Heimwehren durchzuführen, wollte man in der Nacht vom 13. auf den 14. September d as Rathaus mit Heim wehrmännern besezen. Da aber die Heimwehr bis in ihre höchsten Stellen hinauf übrigens ebenso wie die österreichische SA. mit sozialdemokratischen Spionen durchsetzt ist, erfuhr die Partei vom Borhaben der Heimwehr und konnte rechtzeitig Vorkehrungen treffen, die es den Faschisten rätlich erscheinen ließen, von ihrem Plan abzustehen. Es ist aber gar nicht zweifelhaft,