DAS BUNTE BLATT
NUMMER 79= 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE
Der Angler
Unter der Brücke am Quaderkai steht ein Mann und angelt im Kanal. Auf der Brücke lehnen Menschen, beugen sich über das Geländer und starren auf den Schwimmer an der Angelschnur, der reglos auf dem trüben Wasser schwimmt. Sie vergessen Arbeit, Zeit und Ziel und konzentrieren die ganze Aufmerksamkeit auf den Fisch, der gefangen werden soll.
Aus der Gruppe der Zuschauer löst sich Herr Maronnet, ein dicklicher Mann, steigt die Steintreppe zum Kai hinab und gesellt sich zum einsamen Angler.
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Was machen Sie eigentlich?"
Ich fische."
Wissen Sie überhaupt, ob in dem Kanal Fische sind?" „ Warum sollten hier keine Fische sein?"
" Dafür kann es viele Gründe geben. Sie glauben, in fedem Wasser müssen Fische sein. Da irren Sie sich. Haben Sie zum Beispiel schon in der Wasserleitung Fische gesehen?" „ Herr, der Kanal ist doch keine Wasserleitung!"
,, Gut. Aber ich meine, da ja beide Wasser führen, die Wasserleitung und der Kanal, bloß mit dem Unterschied, daß..."
Mich interessiert dieser Unterschied nicht."
„ Er würde Sie schon interessieren, wenn Sie statt aus der Wafferleitung, aus dem Kanal Wasser trinken müßten. Aber, um auf die Fische zurückzukommen: auch im Toten Meer sind keine Fische, weil Sodom und Gomorra drin ertrunken find."
Was haben Sodom und Gomorra mit dem Kanal zu tun?"
„ Glauben Sie, in diesem Kanal ist noch niemand ertrunken?"
Der Angler wendet dem Herrn Maronnet brüst den Rücken und zieht die Angel aus dem Kanal.
Was machen Sie jetzt?"
Einen neuen Köder aufspießen, weil ihn die Fische weggefressen haben."
" Den müssen noch lange feine Fische weggefressen haben. Das ist ein ganz falscher Schluß. Da habe ich mir einmal ein Stück Kalbsnierenbraten aufgehoben. Als ich nachts nach Hause komme, war der Kalbsbraten fort. Ich machte meiner Frau einen Standal wegen ihrer Lieblosigkeit und reichte die Scheidungsklage ein. Sechs Tage später erkrankte ich, fam ins Spital und mein Magen wurde ausgepumpt. Was fand man darin? Den Kalbsbraten. Ich hatte also ganz vergessen, daß ich ihn selbst gegessen hatte und zog die Scheidungsklage zurück."
" Sie werden doch nicht glauben, daß ich den Röder selbst von der Angel weggefressen habe, he?" „ Nun, das meine ich gerade nicht. Fische?"
Sehen Sie denn
" Nein. Aber der Schwimmer an der Angelschnur fühlt sie. Sehen Sie, wie er zuckt?"
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" Das brauchen keine Fische zu sein. Nicht überall, wo etwas zuckt, sind Fische dabei. Da täuschen Sie sich großmächtig.- Da bin ich einmal auf der Straßenbahn ge= standen, auf der vorderen Plattform. Sie müssen wissen, ich stehe immer auf der vorderen Plattform, wenn ich auf der Straßenbahn fahre, denn ich lasse mir gern die frische Luft um die Ohren schlagen. Da fühle ich, wie meine Uhr zuckt. Sie zuckt noch einmal und noch einmal. Mehrmals hat sie gezuckt. Ich denke schon, sie ist verrückt geworden. Dann hat sie sich aber beruhigt."
Was war mit ihr?" Weg war sie."
Sontamara
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" Berardo wird noch verrückt," sagte sie zu mir, der wird noch schlimmer enden als sein Großvater. Heute nacht hat er fein Auge zugetan, nicht eine Minute lang. Gegen zwet Uhr ist er aufgestanden. Ich sagte zu ihm: Es ist Zeit für den Fucino. Er: Ich gehe nicht in den Fucino. Ich: Wohin gehst du? Er: Nach Cammarese. Ich: Und warum gehst du nach Cammarese, wenn es im Fucino Arbeit gibt? Er: Weil man dort mehr verdient. Ich sage: Wann hast du dich je ums Geldverdienen gekümmert? Aber er ist ohne weitere Erflärung weggegangen..."
Die Nachricht von Berardos Aufbruch nach Latium verbreitete sich unter den Cafoni wie ein Lauffeuer und erregte Staunen. Ein Cafone, der taglöhnert, war zwar keineswegs verpflichtet, in seiner Gemeinde zu bleiben, wenn er anderswo mehr verdiente. Auch dann nicht, wenn es mehr Arbeit gegeben hätte, als es tatsächlich gab. Daher waren wir sehr überrascht, als Berardo am gleichen Abend wieder nach Fontamara zurückkehrte.
Wir standen zu viert oder fünft mitten auf der Straße, Marietta und Generale Baldissera waren auch dabei und sprachen gerade von ihm. Als er so plößlich wieder da war, glaubten wir zuerst, die Nachricht seines Weggehens sei ein Wiz gewesen, aber dann bemerkten wir, daß er ein Hemd anhatte, den Sonntagshut auf dem Kopf und ein Bündel unter dem Arm.
Warum war er dann aber wiedergekommen? Sein Bericht flang sehr verwirrt.
Ich stand auf dem Bahnhof und hatte schon mein Billet. Da erschien eine Patrouille Carabinieri, begann von allen den Ausweis zu verlangen und nach dem Grund der Reise zu fra gen. Ich habe sofort die Wahrheit gesagt und die war, daß ich in Cammarese arbeiten wollte. Sie antworteten:„ Gut, haft bu den Ausweis?"" Was für einen Ausweis?"" Ohne Ausweis wird nicht gearbeitet!" Aber was war das für ein
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Von Ter Boll
Zum Teufel! Warum hat sie gezuckt?"
,, Weil ein Dieb sie herausgezogen hat. Sie sehen also: es war fein Fisch bei der Uhr, weil sie gezuckt hat, sondern ein Dieb. So kann das auch bei Ihrem Schwimmer der Fall sein."
" Herr, in diesem Kanal gibt es keine Diebe!"
„ Sagen Sie das nicht! Ueberall gibt es Diebe, aber nicht überall Fische. Fragen Sie nur den Wachmann da oben auf der Brücke. Wozu stünde er denn auf der Brücke, wenn es auf der Brücke feine Diebe geben würde? Oder in der Oper? Am Fußballplatz? In der Bank? Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß es in der Oper, am Fußballplaz oder in der Bank Fische gibt?"
Aber...
"
„ Sehen Sie! Also mit Ihren Fischen da im Kanal ist das so eine Sache. Angenommen aber, es sind welche drin, wie wollen Sie sie herausbekommen?"
Indem ich sie mit der Angel herausziehe." Buerst müssen sie aber doch anbeißen!" Natürlich."
„ Haha! Und wissen Sie denn so sicher, daß sie auch anbeißen werden? Ich stehe schon so lange da und noch keiner hat angebissen. Wissen Sie denn, was die Fische gern essen?" Regenwürmer."
" Regenwürmer find nicht jedermanns Sache. Soviel ich weiß, essen nur Chinesen Regenwürmer."
„ Herr, das sind doch Fische und keine Chinesen!" „ Einerlei. Manche Fische bevorzugen Fliegen, andere Engerlinge. Oder Mücken. Wir Menschen essen doch auch nicht alle Rindfleisch. Es gibt welche, die Kröten essen, habe ich mir sagen lassen, andere lieben Austern oder ziehen Froschschenkel vor. Regenwürmer müssen also nicht gerade immer das Richtige sein. Ich würde an Ihrer Stelle es mit etwas anderem versuchen. Zum Beispiel mit Fliegen." Meinen Sie?"
Natürlich. Fette, dicke Fliegen." „ Ich habe aber keine."
" Die muß man eben fangen. Regenwürmer muß man doch auch fangen. Stellen Sie einige Fliegenfänger auf. Zuerst fangen diese die Fliegen und Sie fangen dann mit diesen Fliegen die Fische. Das ist doch die klarste Sache der Welt. Pst! Junge! Komm herunter! Der Herr braucht zehn Fliegenfänger!"
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Während der Junge dem Angler die Fliegenfänger verkauft, steigt Herr Maronnet schnaufend die Steintreppe zur Brücke hinauf und sagt befriedigt zu einem der Zuschauer: „ Man muß doch den Jungens ein Geschäft verschaffen in dieser schweren Zeit!" Und geht befriedigt nach Hause.
Ein Theaterstück, das den Namen„ Napoleon " führt, wird zur Zeit mit großem Erfolg in zahlreichen Städten Chinas gespielt. Allerdings entspricht die Darbietung, die von einer chinesischen Truppe veranstaltet wird, so wenig dem historischen Vorbild, daß man in Frankreich über diesen Erfolg nicht allzu sehr erbaut ist. Der Napoleon mit Schlitzaugen trägt die Uniform eines amerikanischen Generals, faut wacker Kaugummi, trinkt Whisky und telefoniert unausgesetzt mit seinen Generalen und Ministern. Die Szene, die am tiefsten ergreift, stellt dar, wie Napoleon seinem Sohne, der dort Aiglon heißt, auseinanderseßt, warum er sich von Josephine , seiner Mutter, trennen mußte.
Ausweis? Es war unmöglich, eine richtige Erklärung zu bekommen. Sie ließen mir das Geld für das Billet zurückgeben und schoben mich zur Station hinaus. Da kam mir die Idee, bis zur nächsten Station zu Fuß zu gehen und dort den Zug zu nehmen. Kaum hatte ich meinen Fahrschein, waren auch schon wieder zwei Carabinieri da. Wohin gehe ich? fragte ich mich. Nach Cammarese zur Arbeit! Sie haben mir befohlen: „ Her mit dem Ausweis!"" Was für einen Ausweis? Was hat es denn mit diesem Ausweis?"" Ohne Arbeitsausweis darf man nicht arbeiten", sagten sie, so steht es im neuen Reglement für Wanderarbeiter." Ich habe versucht, sie zu überzeugen, daß ich nicht als Wanderarbeiter nach Cammarese ginge, sondern nur um zu arbeiten. Es war jedoch umsonst.„ Wir haben unsere Verordnung. Ohne Arbeitsausweis können wir feinem Arbeiter, der in ein anderes Gebiet will, erlauben, einen Zug zu besteigen." Sie haben mir das Geld für das Billet zurückgegeben und mich aus der Station herausbugsiert. Aber die Geschichte mit dem Arbeitsausweis wollte mir nicht in den Kopf. Ich ging in eine Wirtschaft und begann mit denen, die da waren, ein Gespräch.„ Der Arbeitsausweis?" „ Wieso weißt du denn nicht, was ein Arbeitsausweis ist?" sagte ein Fuhrmann zu mir. Während des ganzen Krieges hat man doch von nichts anderem als von Ausweisen gespro chen!" Und so bin ich wieder hier nach einem verlorenen Tag....
Berardos Bericht interessierte Generale Baldissera am meisten, denn plößlich zog er ein gestempeltes Zirkular aus der Tasche, das er mit der Post bekommen hatte: „ Auch hier ist vom Ausweis die Rede." Tatsächlich sprach man darin von einem Ausweis. Die Handwerker- Vereinigung, Seftion Leder- Verarbeitung, Provinz Aquila, forderte Gnerale Baldissera energisch auf, sich mit einem Schusterausweis zu versehen.
,, Elvira hat auch einen ähnlichen Brief erhalten," fügte Marietta hinzu, sie ist ganz aufgeregt zu mir gekommen, ich solle ihr erklären, worum es sich handele; aber ich habe nur das Eine verstanden, daß es keine freie Arbeit mehr gibt. Alle Vorfahren von Elvira sind Färber und Weber gewesen, und niemand hat sie je gestört, jetzt aber haben sie ihr geschrieben, daß sie, wenn sie ihren Beruf weiterhin ausüben
MITTWOCH, DEN 20. SEPTEMBER 1933
Die sieben Sofiwaben
Ein heiteres Stück ereignete sich dieser Tage in einem schwäbischen Dorf. Als einige Regelbrüder sich auf dem Heimweg befanden, bemerkten sie durch ein Scheunendach eine auffallende Helle. Gleich rief einer:„ Baim Taifel, do brennt's, sehn s' die Helle durch das Schlanzel raus!" Die Rollen wurden rasch und kurz entschlossen verteilt. Einer rannte zum Meßner, um Sturm zu läuten, der andere weckte den Feuerwehrkommandanten und holte den Schlüssel zum Sprißenhaus. Zwei zogen den Schlauchkarren heraus und rannten mit der Sprize in ihrem Eifer so rasch davon, daß sich beinahe noch ein Unglücksfall ereignet hätte. Ein weiterer weckte die Bewohnerin des brennenden Hauses, eilte die Treppe hinauf, riß das schlummernde Kind aus seinem Bettchen, packte es in Windeln und Teppiche ein und rettete es ins Freie. Inzwischen kam im Feuerwehranzug und Helm, einen Schlauchfarren mitschleppend, der Kommandant dazu. Kurz entschlossen riß er die Scheunentür auf und stieg mit Todesverachtung die Leiter hinauf, um nach dem Brandherd zu sehen. In halber Höhe wurde ihm der Weg durch die aufgespeicherte Strohmasse versperrt. Ein hinzugekommener Feuerwehrmann kletterte an der anderen Seite empor. Als er den Brand sah, rief er den ängstlich Harrenden zu, fie möchten einmal den Lichtschalter abdrehen, wodurch der Brand sich leichter löschen ließe... Nun ist durch das entschlossene Handeln der wackeren Schwaben nachgewiesen worden, daß man elektrisches Licht auch ohne Feuerwehrsprize löschen kann.
Oben und unten
Zu einem bekannten Züricher Warenhausbesitzer, der durch seine sarkastischen Bemerkungen bekannt ist, fommt ein Geschäftsfreund aus Deutschland mit dem Ansuchen, ihm mit einigen Hunderttausenden unter die Arme zu greifen. Es entwickelt sich folgender Dialog:
A.„ Können Sie sich ja lebhaft vorstellen, daß ich mein gutes Geld in Unternehmungen nach Deutschland stecke! Ausgerechnet nach Deutschland!"-
B. Na, erlauben Sie mal, Deutschland ist doch im Aufstieg und im übrigen wissen Sie so gut wie ich, daß wir ungeheure Schäße unter dem Boden haben, Eisen, Kohlen, Kali...!"
A.„ Meine Sorge- was tu' ich damit!"...
B.„ Na, das sollte Ihnen doch allerhand Garantie sein und außerdem haben wir oben Hitler , Göring , Göbbels !" A.„ Wissen Sie was, das Geschäft können wir machen." B." Na, sehn Sie. Jezt kommt das Vertrauen!"
A.„ Ja, kommen Sie wieder, wenn die ganze Geschichte umgekehrt liegt."
Ladien nicht verfernen
Das junge Huhn
Wirtin: Wie ist das junge Huhn? Ich hab's nicht gern geschlachtet!"
Gast:„ Aus welchem Grunde? Sie sind wohl zusammen aufgewachsen?" ( Fliegende Blätter ".)
Nicht schwindelfrei
Dachdecker zum Kollegen:„ Ich habe meine Braut aufgeben müssen. Sie tanzte so gern, und ich werde dabei doch immer schwindlig." („ Journal".)
Ein Gemütsmensch
„ Das ist doch unerhört! Deine Frau geht jeden Tag mit dem jungen Mann aus und du sagst gar nichts!"
" Man muß sich einer Neigung nicht widersetzen. Ich werde mir nächstens einige Lotterielose kaufen."( Journal".)
wolle, eine Steuer zahlen und sich einen bestimmten Ausweis verschaffen müsse..."
Das Zusammentreffen der in Fontamara angekommenen Rundschreiben mit den Erlebnissen des Berardo brachten mich auf die Vermutung, daß es sich um einen Witz handeln müsse: " Was hat denn die Regierung mit den Schuhmachern und Färbern zu schaffen? Was gehen sie die Cafoni an, die auf der Arbeitssuche von einer Provinz in die andere ziehen? Die Regierer haben an anderes zu denken," sagte ich,„ das sind doch Privatangelegenheiten. Nur in Kriegszeiten kommt es zu solchen Eingriffen. Jezt aber haben wir doch Frieden..."
" Was weißt denn du?" unterbrach mich Generale Baldiffera, was weißt denn du, ob wir Krieg oder Frieden haben?"
Diese Frage beeindruckte alle.
Wenn die Regierung Ausweise einführt, so heißt daß, daß wir Krieg haben," fuhr in düsterem Tone der Generale fort. ,, Gegen wen denn Krieg?" fragte Berardo, ist es denn möglich, daß Krieg ist, ohne daß man etwas davon erfährt?" " Was weißt denn du?" begann der Generale wieder ,,, was willst denn du davon wissen, du dummer Cafone ohne Land. Die Cafoni führen nur den Krieg, die Städter aber erklären ihn... Als der letzte ausbrach, wußte auch niemand in Fon tamara, gegen wen es ging. Pontius Pilatus verbohrte sich, es wäre gegen Menelit, Simplicius behauptete gegen die Türken und erst viel später erfuhr man, daß es gegen Trento und Triest war. Aber es gab in der Weltgeschichte auch Kriege, von denen keiner je verstanden hat, gegen wen sie eigentlich waren. Ein Krieg? Aber ein Krieg ist eine so komplizierte Angelegenheit, daß ein Cafone fie nie begreifen wird Der Cafone sieht einen winzigen Teil des Krieges, zum Beispiel die verschiedenen Ausweise, und das macht ihm Eindruck. Der Städter sieht einen viel größeren Teil, die Kasernen und die Munitionsfabriken. Der König sieht sein ganzes Land. Nur Gott steht alles."
" Hör schon auf damit! Den Arbeitsausweis, nimmst du den?", fragte ich Baldiffera.
Nehmen? Ich werde ihn nehmen," antwortete er.„ Aber zahlen? Zahlen werde ich ihn nicht,"( Fortiebung folgt