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Fretkell

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 80-1. Jahrgang

Saarbrücken , Donnerstag, 21. Sept. 1933

Chefredakteur: M. Braun

Man vernichtete die Griechen durch Griechen. Nun zerstört man dié Deutschen durch Deutsche . Es finden sich Nieder­trächtige genug. Doch vielleicht ist nur in der Zerstörung Hoff­

nung.

Seume .

Der Weltsturm gegen Deutschland

Die Blockade der deutschen Wirtschaft durch die Schuld der Hasardeure des dritten Reiches"

Deutsches Schicksal

London , 20. Sept. Auf einer Konferenz, die in Cam­ bridge stattfand, erklärte Sir Arthur Samuel , Mitglied des Unterhanses und ehemaliger Staatssekretär der Finanzen: Es ist unwahrscheinlich, daß Deutschland nach den Erfah= rungen, die wir mit dem Transfer- Moratorium gemacht haben, noch Zeit unseres Lebens Geld in England, Frank: reich oder den Vereinigten Staaten aufnehmen kann. Deutschland muß seinen eigenen Hilfsquellen und seinem Schidsal überlassen werden."

Die Einkreisung

Der Weltboykott gegen Deutschland setzt sich allmählich überall mit einer starken Vehemenz durch. Es ist ein Irrtum, wenn behauptet wird, daß die Boykottstimmung abgeflaut ist. Gewiß, die Wirkungen sind nicht sofort zu spüren. Weder im Ausland noch gar in Deutschland selbst. Die Zeitungen im Reich dürfen nichts davon schreiben, daß der 1. April, der Judenboykott, Deutschland für 8 Milliarden Aus­

landsaufträge gekostet hat; sie dürfen ihren Lesern nicht mitteilen, daß es keinen Pelzhandel in Leipzig mehr gibt, daß innerhalb von 14 Tagen der ganze Handel von Rußland und Kanada über Paris und London geleitet wurde und der Umsagentgang für den Lammfellhandel 750 000 Pfund, für den Edelpelzhandel fast 8 Millionen Pfund be­trägt, daß Hamburg kein Welthafen mehr ist, weil das Aus­land keine deutschen Spediteure mehr in Anspruch nimmt, sondern lieber über Gdingen transportiert, daß 5 Millionen Registertonnen auf Transporte warten und die Passagier­dampfer zu 60 Prozent eingestellt sind, daß ausländische Frachten nicht mehr der deutschen Reichsbahn anvertraut werden, wodurch im Monat Mai schon 17,5 Millionen Mark Frachtausfall entstanden, daß die deutsche Industrie heute über viele stornierte Auslandsaufträge verfügt, daß sie das restliche Rohmaterial aufarbeitet und die Fertigfabrikate zu Schleuderpreisen im Ausland anbietet, daß die inner­deutsche Kauftraft infolge des finkenden Lohnniveaus ständig abnimmt und daß von manchen nicht einmal mehr die Kar­toffeln und die Mehlsuppe, die infolge der Lebensmittel­Autarkie in Deutschland Mehrheitskost wurden, gekauft wer den können.

Die Anstrengungen, die man in Deutschland macht, um Devisen hereinzubekommen und sich durch sie die notwendigen Rohstoffe zu beschaffen, sind fantastisch. Die Schleuderpreise follen die ausländischen Kunden locken. Hamburger Spedi­teure bieten heute schon Eisenbahntarife an, die eben­so billig wie die Wassertarife sind. Die noch vorhande­nen Fertigfabrikate kann man durchschnittlich um 30 Prozent unter dem Weltmarktpreis kaufen. Wie lange? Bis sich das Ausland gegen das Dumping wehrt oder Reste aufnimmt. Und dann?

Man muß sich persönlich davon überzeugt haben, wie tief schon der Boykott deutscher Waren und Arbeit bis in das fleinste Neft eindringt, um zu wissen, welch furchtbarer Schlag gegen das Deutschland von heute geführt wird. Ob in Spanien oder Griechenland , in Ungarn oder Rumä­ nien , von Frankreich , England und Amerika ganz zu schwei­gen, in Polen , Jugoslawien oder der Tschechoslowakei , über­

all ist von der Bevölkerung mit dem Boykott begonnen wor­

den. Es gibt Kinder, die sich scheuten, einen Bleistift deutschen Fabrikats zu kaufen. Ich habe es in einem kleinen Ort der Slowakei erlebt, daß die Leute für viele Artikel lieber mehr bezahlen, als die billigeren deutschen Waren zu nehmen, daß man nicht nur nichts kauft, was deutschen Ursprungs ist, sondern daß man sich auch weigert, die eigenen Produkte an Teutsche zu verkaufen. Man will nichts mit einem Land zu tun haben, das alles, was es an Geist und an Kultur be­saß, ausstößt und es durch ungeist, Roheit und Brutalität, mit einem nationalen Mäntelchen umhüllt, ersetzt. Auch mit gefälschten Export- und Arbeitslosenziffern läßt sich die wirt­schaftliche Katastrophe nicht aufhalten. Dabei spielt die Wäh= rungsfrage, die innere Inflation, die geringste Rolle. Sie ist nur Begleiterscheinung, die zu Preiserhöhun­gen im Inland führt, ohne daß mit den Löhnen Schritt ge­halten werden kann.

Die zweite Weltblockade, die jetzt gegen Deutschland ges führt wird, hat eine abermalige Unabhängigmachung von vielen deutschen Produkten, die bisher das Ausland im portieren mußte, zur Folge,

So macht sich Amerika von den JG.- Farben unabhängig. So erstehen in der Tschechoslowakei Bleistiftfabriken. In Budapest , Wien und Prag beginnt man mit der Film­produktion in erhöhtem Maße, da deutsche Filme vom Publikum sabotiert werden. Landwirtschaftliche Maschinen­fabriken und Elektrizitätswerte baut man in Spanien und Rumänien . Die Länderbehörden unterstützen die Neu­schaffungen eigener Industrien, helfen, den deutschen Handel nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und kulturell zu schneiden.

Schon einmal hat man in Deutschland erlebt, was es heißt, auf sich allein angewiesen zu sein. Man weiß noch genan, wie der Hunger wütete, wie die Ersatzwaren nicht genügten, die allernotwendigsten Bedürfnisse zu befrie: digen. Dabei war die wirtschaftliche Lage damals noch um vieles besser als heute. Keine Millionenheere von Ar­beitslosen standen herum. Die Fabriken arbeiteten noch mit Hochdruck.

Nun wird Deutschland vom Ausland zur Autarkie ge­zwungen werden. Man verzichtet auf den Export nach Deutschland freiwillig. Herr Hitler und seine Freunde fönnen sich zu diesem Erfolg" gratulieren. Er bringt die

Gefahr des Untergangs des Reiches, das sie vorgeben, so heiß zu lieben. Das betrogene Volf aber wird vielleicht zu spät erkennen, daß es auf Schwindler hereingefallen ist. Wenn Herr Hitler denkt, durch Beschäftigung d deutschen Rüstungsindustrie der autarkischen Wirtschaft Auftrieb ver­leihen zu können, so wird er bald eines Besseren belehrt werden. Mit welchem Geld will er Rohstoffe kaufen? Die innere Inflation bedeutet doch nur ein Hinauszögern des Zusammenbruchs, und das Ausland nimmt vorläufig nur deshalb keine Kenntnis vom Notendruck, weil es hofft, seine in Deutschland investierten Gelder doch irgendwie

noch retten zu können.

Es ist offensichtlich, daß die verantwortlichen Stellen in Deutschland wieder einmal die ganze Welt in die Schranken fordern. Diesmal nicht mit den Waffen in der Hand, sondern mit der bedeutend gefährlicheren Waffe der Wirtschaft.

Hasardeure können fein gewagteres Spiel treiben, als es jetzt die Hitler, Göbbels , Göring und Konsorten tun, Be laden mit der Verantwortung für ein 60- Millionen- Volt, das sie in wenigen Wochen in der Welt unmöglich machten, wollen sie ihren Willen um jeden Preis durchsetzen. Sie haben den Boykott gegen Zivilisation und Kultur in Szene gesetzt, nun müssen sie den Boykott für Zivilisation und Kultur über sich ergehen lassen, nun müssen sie mit ihrer ,, Autarkie" und ihrem Terror einen Verzweiflungskampf kämpfen, dessen furchtbare Kosten leider vom deutschen Volke getragen werden.

Keine Steuersenkung!

Der hochkapitalistische Generalrat der Wirtschaft ist in Berlin zusammengetreten. Das Reichskabinett hat ihm Vors schläge über wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen unterbreitet, die offensichtlich auf neue Massenbe= lastungen hinauslaufen. Die nationalsozialistische Presse hat bis in die legten Tage von Steuersenkungen, namentlich für die Hauszinsstener fantasiert. Nun wird amtlich erklärt, daß alle Meldungen über Steuers senkungen und dergleichen in vollem Um= fange unrichtig sind." fange unrichtig sind." Es seien aber Steuers korrekturen" nicht ausgeschlossen. Diese Korrekturen" können natürlich auch nach oben gehen. Der Hauptzweck des Gesamtplanes sei Arbeitsbeschaffung, organische Zinssenkung und grundsägliche Sanierung der Gemeindefinanzen. Vor fichtig wird hinzugefügt, natürlich könne, nicht von heute auf morgen" Aenderung geschaffen werden.

Alles in allem: Die in der Agitation immer angepriesenen Wunderrezepte fehlen. Das Regime bedeutet Einschränkungen und Belastungen auf der ganzen Linie, ohne daß auch nur der Schimmer von Aussicht auf Besserung vorhanden wäre.

So sehen sie aus!

Die Wirtschaftsberater des ,, Volkskanzlers"

Der in Berlin zusammentretende Generalrat der Wirts schaft", der Deutschland dem nationalen Sozialismus ents gegenführen soll, ist wie folgt zusammengesetzt:

9 Großindustrielle, davon 5 Vertreter industrieller Roh­stoffmonopole,

4 Bankiers,

2 Großagrariern und dem Herrn Ley, dem Führer der deutschen Arbeitsfront ", der bis vor mehreren Jahren in dem größten Chemietruft Deutschlands , der JG.­Farben- Industrie, tätig war und bei seinem Austritt hoch abgefunden wurde.

Die Großindustriellen verteilen sich auf 2 Vertreter des Stahlvereins,

1 Vertreter des Krupp- Konzerns,

1 Vertreter der Maximilianshütte( Pfalz )

1 Bertreter des Siemens- Konzerns,

1 Bertreter des Stalikapitals, 2017

1 Vertreter des Reedereitapitals,

2 Vertreter des verarbeitenden Industriekapitals. Unter den 16 Mitgliedern befinden sich: der Banfier und Staatskommissar Reinhart

mit 38 Aufsichtsratsposten der Schwerindustrielle Thyssen" 31 der Schwerindustrielle Vögler der Bankier von Find

der Elektro- Großindustrielle

Siemens

"

20 18

"

11

"

und schließlich Herr Krupp von Bohlen und Halbach, der Kanonenkönig Deutschlands .

Das ,, Krebsgeschwür"

Die Zersetzung in Hessen

Der Polizeidirektor von Offenbach teilt mit: In den legten Tagen wurden in Offenbach von unverantwortlicher breitet, die in ihrer Aufmachung frei erfunden sind und geeignet sind, eine Beunruhigung hervorzurufen. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich rücksichtslos und ohne An= lehen der Person, ihres Alters, ihres Ge schlechts und ihrer Stellung im öffentlichen Leben gegen diejenigen vorgehen werde, die derartige Ge= rüchte weiterverbreiten. Ich werde nicht dulden, daß sich das Krebsgeschwür einer zeriegenden Ge rüchtemacherei, die von feindlicher Seite ausgeht und von denjenigen, die ohne Stänkereien nicht leben zu können glauben, weiterverbreitet werden, ausbreitet. Personen, die auch nur im entferntesten an der Weitergabe solcher Ge: rüchte sich beteiligen, werden, selbst, wenn diese Personen den Zusah machen sollten, daß sie selbst nicht an diese Ge= rüchte glaubten, sofort festgenommen und in das Konzen trationslager übergeführt werden. Auch auf lang

Wilde Drohungen

jährige Partei angehörigkeit oder die Bekleidung einer Amiswalterstelle wird in diesem Falle von mir keine Rücksicht genommen werden, da alle Parteis genossen oder Amtswalter, welche sich an diesen Schwäßereien beteiligen, beweisen, daß sie troß ihrer lang= jährigen Parteizugehörigkeit und troß ihrer Amtswalters tätigkeit noch nicht die nötige Reise besigen, sonst müßten fie die Schädlichkeit derartiger Schwägereien für die Bewegung erkennen; solche Schwäger bedürfen daher dringend der Ers ziehung durch das Konzentrationslager."

Die Pressestelle der Polizeidirektion gibt hierzu bekannt, daß bereits gestern auf Anordnung des Herrn Polizei: direktors eine der Personen, die sich an solchen Schwägereien beteiligte, der Helmut Müll merstadt, der seit 1981 Mits glied der NSDAP . ist, verhaftet wurde. Weitere Verhaftungen stehen bevor.

Diese aufgeregte Rundgebung bestätigt die Zuverlässigkeit der Berichte, die wir aus besonderer Quelle über Hessen veröffentlichen konnten.