Deutsche   Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit" Donnerstag, den 21. Sept. 1933* Ereignisse und Geschichten

solgtumbt

HIDI Gesang der Landsknechte

Santander Lehrer hüben- Lehrer drüben

Zwei bedeutsame Lehrerorganisationen nahmen Stellung zu der drohenden Kriegsgefahr.

Das französische   Syndikat der Lehrer, in dem der größte Teil der französischen   Volksschullehrer organisiert ist, faßte in seiner letzten Generalversammlung in Paris   den Beschluß, in verstärktem Maße in den Kindern den Geist des Friedens zu erziehen und sie gegen den Krieg mit allen Mitteln ein­zunehmen. Sie beschlossen, wenn trotz alledem der Krieg aus­brechen sollte, mit den organisierten Arbeitern zusammen seine sofortige Beendigung durch den Generalstreit zu erzwingen. Es ist selbstverständlich, daß die reaktionäre Presse, insbesondere das Journal" und der Temps", den Lehrern Mangel an vaterländischer Gesinnung vorwerfen und daß sie von der Regierung verlangen, die Lehrer zu maßregeln. In diesem Zusammenhang weist der Temps" auch auf die 150 000 Lehrer des Deutschen Lehrervereins" hin, der sich ohne jeden Widerstand dem Nationalsozialismus angepaẞt hätte.

Auch Herr Wolf, der Führer des Deutschen Lehrer vereins, hat einmal mit Lapierre, dem Führer des französischen   Syndikats der Lehrer, sich für den Weltfrieden und für eine Erziehung im Sinne des Weltfriedens ein­gesetzt. Herr Wolf ist heute der Lakai des Herrn Schemm, des Apostels des Hasses und der Untermenschlichkeit. Aber der französische   Sozialist Lapierre ist trotz aller Anfeindung und aller Schmähung nicht nur der Vertrauensmann der französischen   Lehrerschaft, sondern zu gleicher Zeit der tapfere Rämpfer für Freiheit und Weltfrieden geblieben.

Im gleichen Sinne eines aktiven Kampfes für den Frieden sprach sich die bedeutsame internationale Vereini= gung der Lehrer( Federation internationale des associations d'instituteurs) in Santander in Spanien   aus. Diese Tagung war durch 22 europäische, 7 amerikanische und durch die afrikanischen und australischen Lehrerorganisationen be­schickt. Der Deutsche   Lehrerverein, der unter der

Reichsführung von Herrn Schemm steht, wollte zwar auch an der Tagung teilnehmen, aber die Versammlung hat es einstimmig abgelehnt, eine nationalsoziali= stische 3wangsorganisation auf der Tagung zuzulassen.

Die Engländer zeigten Herrn Rosenberg die kalte Schulter, die Internationale der Lehrer weist Herrn Schemm die Tür. Was sollten auch Herr Schemm und seine Freunde auf einer Tagung machen, die dem Sinn nach folgende Resolution beschlossen hat:

Die Konferenz von Santander stellt fest, daß trotz des feierlichen Versprechens während des Krieges feine positive Maßnahme einer allgemeinen Entwaffnung getroffen wor= den ist und keinerlei wirksame Friedensgaran­tien geschaffen wurden. Nach wie vor können die Regie­rungen noch den Krieg als Hilfsmittel ihrer Politik be­nußen. Angesichts der drohenden Kriegsgefahr

erklären die angeschlossenen Lehrerorganisationen ihren Willen zum Frieden und ihre aktive Propagierung der Ent­waffnung. Sie verlangen, daß die angeschlossenen Organi­sationen ihren Kampf für den Frieden zusammen mit allen Arbeiter- und Friedensorganisationen zu führen haben und daß sie sowohl mit den politischen Parteien als mit den Regierungen für eine gleichzeitige, fortschreitende und kon­trollierte allgemeine Entwaffnung kämpfen sollen. Sie ver­langen das Verbot der privaten Herstellung von Waffen und fordern das obligatorische internationale Schiedsgericht und die Anwendung des moralischen und wirtschaftlichen Boy­fotts gegen alle die Länder, die sich den Entscheidungen des internationalen Schiedsgerichtes nicht fügen.

Jedermann wird zugeben, daß auf einer Konferenz, die solche Beschlüsse faßt, eine Gesellschaft wie der gleichgeschal­tete Deutsche   Lehrerverein nichts zu tun hat.

Ec Er kann ihn nicht leiden

Im Mai warfen fohlende Studentenhorden Werke von

zu erklären? Vermutlich würde er sich schütteln, wollte man

Uns lassen eure Klagen falt Um die zerschlagenen Rechte. Wir kennen nur das Wort Gewalt, Das klirrend durch die Straßen hallt; Wir dulden nur noch Knechte.

Wir schlagen gerne Juden tot Und foltern Sozialisten.

Wir rauben ihnen Heim und Brot Und lachen über ihre Not, das Wir National- Dadisten! dit

Und wenn das Land in Blut ertrinkt, So wird uns das nicht stören. Der Klageschrei, der zu uns dringt, Ist Festmusik, die lieblich klingt, Und die wir gerne hören.

Die Dinte wider das Blut Hans Reimann   auf dem Index

Liberator.

Claude Arets, des bekannten Genfer   Schriftstellers Roman Ariane" wurde verboten. Ebenso die Lieder der Bilitis" von Pierre Louys  . Pierre Louys  , vor vielen Jahren gestorben, ist einer der bedeutendsten modernen Ly­riker Frankreichs  . Einzelne der Lieder der Bilitis" hat Richard Dehmel   übersetzt. Weiter wurden verboten: die Zeitschrift Kultur- Fronten", Kopenhagen  , und das­" Katholische Kirchenblatt" für das Bistum Berlin  , Ausgabe E, Nr. 35.( Deutsches Kriminalpolizeiblatt Nr. 1643.) Hans Reimanns Roman: Arthur Sünder. Die Dinte wider das Blut", Verlag Paul Stegemann, Hannover  , ist ebenfalls verboten.( Deutsches Kriminalpolizeiblatt Nr. 1641.)

*

Immer wieder die Beweise für die vollkommene Humorlosigkeit der braunen Machthaber. Reimanns Satire auf Dinterschen Rassenwahnwiz tut ihnen weh, ob­wohl sie zehn Jahre vor Antritt der Nazi- Herrschaft ge­schrieben wurde. Der Ungeist Metternichs denkt aus dem sturen Polizeikopf- vor hundert Jahren wie heute.

Heinrich Mann  , Döblin  , Feuchtwanger  , Tucholsky  , Renn, dieses Ansinnen an ihn stellen. Psychologie? Pfui, Teufel Horst- Wessel- Lied in der Schweiz  

Stefan Zweig  , Brecht und anderen auf die Scheiterhaufen. Die Dichter gingen es blieben dilettantische Schreiber­linge. Was und wie schreiben sie? In der Münchner Illustrierten Presse" betrügt z. B. einer mit Namen Bade die Leser unter der Ueberschrift Die SA. er­

über diese morbide Neigung liberalistischen Literatentums! Bade will nicht und damit fertig!

obert Berlin  ". Nicht nur, daß er den unbegründeten Hitler, der Hellseher

Eindruck zu erwecken versucht: die SA.   habe im offenen Kampf die Reichshauptstadt erobert- Bade macht es sich auch auf andere Art leicht. Da läßt er einen arbeitslosen Proleten durch die Straßen bummeln, vorbei an pracht­vollen Läden, in denen prachtvolle Dinge ausgestellt sind, die er sich niemals hatte kaufen können und die er niemals wird kaufen können". Bade beobachtet den Proleten und stellt fest:

Beicht verstimmt wird er höchstens, wenn er einen ge­lassenen Blick in die vornehmen und luxuriösen Lokale wirft, in denen schon um diese Tageszeit Gestalten herum­fizzen, die ihm zum Kotzen sind. Er hat sich niemals um die Judenfrage gefümmert, sie war ihm schnuppe. Aber ein übles Gefühl steigt bisweilen in ihm hoch, wenn er diese oftjüdischen Gesichter sieht. Er kann sich dieses Gefühl nicht erklären und er will es sich auch nicht erklären, er tann sie nicht lei­den und damit fertig."

Ist das nicht entwaffnend einfach? Kann man dem er­dichteten Proleten böse sein? Man kann es nicht! Und der Dichter? Könnte er nicht den Versuch machen, uns das Ge­fühl seines Proleten beim Anblick der ostjüdischen Gesichter

Kurt- Eisner  - Worte

Der gewaltigste Feldherr. der genialste Schlachten denker ist der gemordete Märtyrer, der unsichtbar an der Spizze seiner Gläubigen marschiert."( 1890)

.. Wie wenig fennt man mein Wesen. Betrügen kann man mich freilich leicht. Aber nicht, weil ich aus leiden­schaftlicher Blendung die Menschen nicht sehe, wie sie sind ( meine fühle Ruhe in der Beobachtung der Menschen, die ich liebe, ist mir vielmehr oft selbst unheimlich), sondern weil es meine tiefste Weltanschauung ist, den Menschen und der Menschen natur solange zu ver­trauen, bis der Betrug nicht mehr zu ver bergen ist. Ich glaube an das Gute im Menschen und noch mehr an die schrankenlose Besserungsmöglichkeit das ist die Tragödie meines Lebens geworden, die ich doch nicht missen möchte...."( 1909)

Kriegsgedanken( 1915):

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Die Lüge der Lüge ist die Entrüstung über die Verlogen­heit der andern."

" Der Aberglauben, der den Kartenlegerinnen die Einsicht ins Schicksal anvertraut und honoriert, ist harmlos im Vergleich zu der Kraft des Wunders, sich aus Zeitungen aufzuklären, obwohl man doch weiß, daß sie aufhören würden zu erscheinen, wenn sie der Aufklärung dienen wollten....."

Mit eigenem Soldaten- Text

Hitler   läßt sich auf Seite 61 seiner Volksbibel Mein auf dem Tram fuhren, das Horst- Wessel- Lied, die deutsche Kampf" wie folgt vernehmen:

Ueberhaupt war die sittliche und sonstige Reinlichkeit dieses Volkes( er spricht von den Juden. d. V.) ein Punkt für sich. Daß es sich hier um keine Wasserliebhaber han­delte, konnte man ihnen ja schon am Aeußeren ansehen, leider sehr oft sogar bei geschlossenem Auge. Mir wurde bei dem Geruche dieser Kaftanträger später manchmal übel."

Hier überrascht nicht nur das unmögliche Deutsch. Sen­ſationeller noch ist das bisher viel zu wenig beachtete Ge­ständnis Hitlers  , daß er Hellfeber ist. Hanussens Ermordung erscheint plötzlich in ganz neuer Beleuchtung. Sollte der Volkskanzler die Konkurrenz gefürchtet haben? Oder drohte ihm Gefahr durch Berlins   bekanntesten Hell­seher? Die Geschichtsschreiber seien gebührend auf die hell­seherische Begabung des Führers aufmerksam gemacht. Wer in iugendlichem Alter schon bei geschlossenem Auge" sehen konnte, daß die Juden keine Wasserliebhaber seien, der konnte natürlich auch voraussehen, daß Hinden­ burg   ihn eines Tages berufen würde, um die Enthüllungen über den Osthilfestandal abzustoppen. Sieg Heil!

.... Als ich gestern nacht einsam durch die Stadt zum Hotel wanderte- am Landwehrkanal entlang über­fielen mich schwermütige Gedanken. Da beschloß ich, mich von ihnen zu befreien, indem ich sie Dir anvertraue. Es bedrängte mich eine trübe Ahnung, als ob sich mein Schick­sal bald vollenden könnte. Ich weiß, daß ich durch Gefahren wandere, die ich deutlich sehe, und gegen die ich doch blind sein will. Aber ich kann nicht anders. Ich könnte nie=

mals mehr frei atmen, wenn ich nicht jest persönlichen Verantwortung und Verpflichtung fann ich nicht mehr ausweichen- um meiner Sele willen. Aber ich gestehe: Ich bringe damit ein sehr schweres Opfer. Niemals war ich so innig und freudig ins Leben verflochten, wie in diesen Jahren: Ich hänge an Dir, an den Kindern, an der vielen Arbeit, die noch nicht getan, an den Gedanken, die in mir noch keimen, an dem Häuschen, in der Stille, an den Büchern. Dennoch muß ich mit all dem spielen. Ich sehe klar das Licht in der Finsternis, zu dem ich wan­dern muß. Ich kann nicht los davon. Aber dieser Weg wird mir nicht leicht, gerade jezt nicht, wo ich mich in der Blüte der Kraft unvollendet fühle.

das täte, was ich für meine Pflicht halte. Dieser

Das wollt ich Dir einmal sagen! Diese Zeilen sollen Dich nicht ängstigen, es liegt ja nichts Greifbares vor mir, nur jene nächtliche Ahnung von Wesenlosem. Aber es soll mich nicht überraschen, bevor ich Dir einmal gebeichtet. Sei fröhlich und voll Zuversicht- wie ich auch- trotz allem...."

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Im Jahre 1933 wird das Grab Kurt Eisners   von der Aus einem Briefe vom 10. Januar 1918 aus Berlin  ( vor herrschenden Mörderclique geschändet und seine Mörder herrschenden Mörderclique geschändet und seine Mörder werden geehrt. seiner Verhaftung):

Von verschiedenen Seiten werden wir, so lesen wir in der Basler National- Zeitung", darauf aufmerksam ge­macht, daß letzten Sonntag beim Einrücken Soldaten, die nationalsozialistische Hymne, sangen. Auch wir haben von unserm Fenster aus jene schöne Melodie vernommen, dachten aber deshalb keinen Augenblick, daß unsre braven Füsiliere auch nur im Traume gleichgeschaltet seien. Zu einer Melodie, wenn sie sangbar ist, kann man die verschiedensten Texte singen. Das wissen die Hitlerleute selber am Besten, wenn sie beispielsweise den russischen Rotgardistenmarsch mit ab­geändertem Text anstimmen. Und was nun speziell das Horst- Wessel- Lied betrifft, so braucht man gar nicht einmal an eine der diversen Parodien zu denken, wie sie gelegentlich von Feinden des Regimes gesungen werden, z. B.: Die Fahne hoch! das Oel hat aufgeschlagen! Die Margarine kostet eine Mark und zehn. Es knurrt noch immer unser Proletariermagen, Von Sozialismus ist noch nichts zu sehn. Nein, viel eher dürfte es sich um das alte Volkslied han­deln, das schon zu der Melodie gesungen wurde, bevor Horst Wessel   auf der Welt war, und das, wenn wir uns recht erinnern, also lautet:

Es wollt' ein Mann in seine Heimat reisen, Er sehnte sich nach seinem Weib und Kind. Da mußt er einen finstern Wald durchstreifen, Bis plötzlich ihn ein Räuber überfiel.

Wie diese Räubergeschichte weitergeht und ob wirklich unsre Soldaten diesen Text oder einen andern singen, ent­zieht sich unsrer Kenntnis. Doch lassen wir uns gerne belehren.

Ufa kauft in Paris   Theater Filmpropaganda für Hitlerland

Die Hitler  - Regierung weiß, daß sie außerhalb Deutsch­ lands   auf kein anderes Gefühl stößt als auf Mißtrauen und Verachtung. Um diesen Wall der Feindschaft zu durchbrechen, verfällt sie auf abenteuerliche Mittel.

Wie die französische   Fachzeitschrift Cinema" mitteilt, ist kürzlich ein großes Pariser   Kino von der Ber= liner Ufa erworben worden.

Das soll jedoch, nach der gleichen Quelle, nur ein Anfang sein. Agenten der Naziregierung sind nach allen Großstädten Europas   entsandt worden, um den Kinomarkt zu studierent mit dem Ziel, geeignete Objekte anzukaufen. Für England allein ist die Anlage eines Kapitals von fünf Millionen Pfund vorgesehen, von dem man eine fünfprozentige Ver zinsung als angemessenes Ergebnis erwartet.

Englische Blätter erinnern in diesem Zusammenhang daran, daß Deutschland   seinen ausländischen Gläubigern un­geheure Summen schuldet. Die Gläubiger, meinen sie, würden wenig erbaut davon sein, wenn ihr Geld nun dazu verwendet werden sollte, die Filmpropaganda der Hitler  - Regierung im Ausland zu bezahlen.