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Nummer 81

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Freihei

1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, 22. Sept. 1933

Chefredakteur: M. Braun

Man muß nicht alles aufrüh­rerisch sein lassen, was die Blut- 14 hunde aufrührerisch schelten. Denn damit wollen sie aller Welt das Maul und die Faust binden, daß sie niemand weder mit Pre­digen strafen noch sich mit der Faust wehren soll und sie ein offenes Maul und eine freie Hand behalten.

Martin Luther .

Reichsgericht hat begonnen

Der erste Prozeßbericht aus Leipzig

Der Beginn des Prozesses gegen die angeblichen Reichs­tagsbrandstifter in Leipzig zeigt eine Monstreschau aller­ersten Ranges. Die Anklageschrift umfaßt 35 Bände. Dieser gewaltige Umfang beweist, daß der Oberreichsanwalt Wer­ner sich nicht auf die Untersuchung der eigentlichen Tat be­schränkt, sondern daß der Hauptzweck des Prozesses nicht ein juristisches Urteil, sondern eine politische Demonstration ist. Es soll mit allen Mitteln vor der Welt der Beweis geführt werden, daß Deutschland am 27. Februar unmittelbar vor einer fommunistischen Revolution gestanden und Europa in Hitler und Göring die Retter vor dem Bolschewismus dank­bar zu grüßen hat. Darum hat man, was ein ungewöhnlicher Vorgang ist, auch Vertretungen verschiedener ausländischer Staaten eingeladen.

Selbstverständlich ist der Andrang von Journalisten und Zuhörern außerordentlich groß. Niemals sind bisher bei einem Prozeß vor dem Reichsgericht soviele Pressekarten aus­gegeben worden. Dußente Fernsprechzellen wurden für die Berichterstattung im Hause eingebaut. Ein Teil des Prozes­ses soll durch Rundfunk übertragen werden, ein Beweis mehr für die rein propagandistischen Absichten.

Umfassende Sicherheitsmaßnahmen sind getroffen. Die Füh­rung des Prozesses liegt in den Händen des Senatspräsiden= ten Bünger. Das schon jetzt für das Gebäude des Reichs­gerichtes bestehende Fotografierverbot wird streng­stens gehandhabt werden. Jeder Besucher der Verhandlung muß sich am Eingang einer genauen Durchsuchung nach Waffen unterziehen lassen.

Für die Dauer des Prozesses ist der Luftraum über der Stadt Leipzig zum Luftsperrgebiet erklärt worden. Das Ueberfliegen ist nicht nur strafbar, sondern würde auch mit den schärfst n Mitteln verhindert werden, um die öffent­liche Sicherheit zu gewährleisten.

Das äußere Bild

Dem Prozeß wohnen ebenfalls Frau Torgler und ein Stiefbruder van der Lubbes, T. C. Peute, bei. Die Zu­schauerpläße im Saal und auf der Empore sind im Nu besetzt, ebenfalls die Pressepläße. Beim Richtertisch, aber auch in der gegenüberliegenden Zuschauerempore find Telefone, Film­apparate und mächtige Scheinwerfer eingebaut. Alle Tische find mit grünem Tuch bespannt. Vor dem Platz des Vor­fizzenden des Oberreichsanwaltes, der Angeklagten und der Berteidiger find in flachen Köpfen Mikrofone montiert. Wenige Minuten vor 9 Uhr flammen die Scheinwerfer auf. Durch eine kleine Tür links neben dem hufeisenförmigen Tisch des Gerichtes erscheinen die Angeklagten: Zunächst der Holländer van der Luppe in blauer Gefängniskleidung mit Fesseln an den Händen, der in der ersten Reihe zu den Presseplätzen hin Plaz nimmt. Rechts und links von ihm fitzen ein Polizei- und ein Justizwachtmeister, neben ihm fist Ernst Torgler , der nicht gefesselt ist und seinen Zivil­anzug trägt. Ebenso sind die Bulgaren in ihrer Zivilkleidung erschienen. Während van der Luppe vor sich hinstarrt, sehen die anderen Angeklagten im Saal umher.

Vor den Angeklagten haben inzwischen die Verteidiger Plaz genommen, das ständige Mitglied der Anwaltschaft beim Reichsgericht Seuffert, vor dem Hauptangeklagten van der Lubbe, Rechtsanwalt Dr. Sack vor Torgler und Dr. Teichert vor dem Bulgaren , die in der zweiten Reihe der Angeklagtenbank untergebracht sind. Dann betritt der Ober­reichsanwalt in weinroter Robe den Saal, dem in schwarzer Robe Oberlandesgerichtsdirektor Parrisius assistiert. Durch eine hinter dem Richtertisch gelegene Tür, auf die fofort alle Scheinwerfer gerichtet werden, betritt der Gerichtshof um 9.10 Uhr den Saal, an der Spize Senatspräfident Dr.

Bünger, alle in der roten Robe mit dem weißen Bäischen

Die Zuschauer erheben sich von ihren Pläßen und grüßen den Gerichtshof mit erhobener Rechte. Der Prozeß um die Reichstagsbrandstifter, auf den die ganze Welt mit Spannung gewartet hat, hat seinen Anfang genommen.

Um 9.15 Uhr erscheint das Gericht unter Führung des Se­natspräsidenten Dr. Bünger im Saal. Prozeßbeteiligte und Publikum erheben sich von den Pläßen und begrüßen das Ge­richt mit dem deutschen Gruß. Senatspräsident Dr. Bünger eröffnet die Verhandlung und führt einleitend aus:

Das ungeheure Ausmaß des Ereignisses, das den Hinter­grund dieses Verfahren bildet, hat dazu geführt, daß der Ge­genstand der Untersuchung in der Presse aller Länder leiden­schaftlich mit einer alle anderen Geschehnisse zeitweise über­ichattenden Eindringlichkeit behandelt worden ist. Man hat sich vielfach bemüht, das Ergebnis des noch schwebenden Verfahrens vorwegzunehmen. In einem solchen Verfahren und am wenigsten mit einer vorgefaßten Meinung einzu­greifen ist bisher nie üblich gewesen. Nicht nur in der deutschen sondern auch in der Justiz anderer Länder. Das zur Entscheidung berufene Gericht kann dieser Streit der Meinungen nicht berühren. Nur was in diesem Saale zur Verhandlung kommt, nicht was von unberufener Seite außerhalb geschieht, hat für die deutsche Rechtsprechung Be­deutung.

Das Bild der Verhandlung, fuhr der Senatspräsident fort, zeigt schon, daß die Oeffentlichkeit nicht nur Deutschlands ohne jede Beschränkung zugelassen ist. Ich brauche nicht her= vorzuheben, daß die Verteidigung der Angeklagten dem deutschen Recht und dem Brauch entsprechend unbedingt frei ist. Wenn Stimmen laut geworden sind, welche die Ab­lehnung der Zulassung ausländischer Verteidiger einer schweren Kritik unterzogen, so muß ich darauf hinweisen, daß nach dem deutschen Gesetz die Zulassung ausländischer Ver­teidiger nur eine Ausnahme darstellt und daß das deutsche Gericht keine Veranlassung sah, im Rahmen seiner unbe­schränkten Ermessensfreiheit auch Gesuche zu genehmigen, die nach seiner Ueberzeugung nicht ausschließlich den Interessen der Angklagten zu dienen bestimmt waren, sondern nicht frei waren von dem Gedanken der Aussaat und Förderung von Mißtrauen gegen die souveräne deutsche Gerichtsbarkeit.

Das Gericht tritt dann in die Verhandlung ein. Der Präsident ruft die aus der Untersuchungshaft vorgeführten Angeklagten auf, die nacheinander aufstehen. Der Ange­flagte Torgler verbeugt sich dabei vor dem Gericht. Weiter werden die Verteidiger und die beiden Dolmetscher für die holländische und bulgarische Sprache aufgerufen. Als Sachverständiger ist zunächst nur Geheimer Medizinalrat Dr. Bonnhöfer anwesend.

Von den 120 Zeugen sind zum ersten Verhandlungstage nur sechs geladen, einige Polizisten und Hauptwacht meister, sowie ein Wohlfahrtspfleger. Sie werden auf die Bedeutung des Eides hingewiesen und dann vorläufig wieder entlassen.

Präsident Bünger teilt noch mit, daß etwa vom 11. Oktober ab die Verhandlungen im Reichstagsgebäude in Berlin stattfinden. Im übrigen erklärt er noch, daß das Reichs: gericht immer ruhig, sachlich und ohne Störung und auch ohne Aufregung verhandelt ha be.

Er hoffe, daß auch diesmal dieser Brauch beobachtet werde Er hoffe, daß auch diesmal dieser Brauch beobachtet werde und daß keine Unzuträglichkeiten vorkommen. Vor dem Reichsgericht verhandelte Prozesse seien immer mehr oder weniger bedeutsam und würden troßdem sachlich durchge= führt. Er erwarte, daß auch keine Aeußerung der Billigung oder Mißbilligung, auch nicht der Verwunderung gehört würden. Schließlich bringt der Präsident noch den Wunsch zum Ausdruck, daß zwischen den Verhandlungspausen der Saal nicht verlassen werde.

Der Präsident vereidigte dann die beiden Dolmetscher für die holländische und bulgarische Sprache. Die Dolmetscher stellen nach Befragen der Angeklagten fest, daß van der Lubbe wenig Deutsch versteht, Dimitroff und Popoff noch weniger und Taneff überhaupt nicht.

Nachdem die Dolmetscher den Angeklagten furz den In­halt der einleitenden Ansprache des Vorsitzenden übersetzt haben, wird der Eröffnungsbeschluß verlesen. Danach werden sämtliche Angeklagten beschuldigt, durch ein und dieselbe fort­gesezte Handlung zum Teil gemeinschaftlich es unternommen zu haben,

die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern. Es wird ihnen also Hochverrat vorgeworfen. Die Reichstags­brandstiftung ist nach dem Eröffnungsbeschluß begangen wor­den in der Absicht, durch diesen Brand begünstigt, einen Auf­ruhr zu unternehmen. van der Lubbe wird außerdem Brand­ stiftung im Wohlfahrtsamt Berlin- Neukölln, ferner die des Rathauses und des Stadtschlosses vorgeworfen. Auch diese Brandstiftungen sollen in der Absicht begangen worden sein, einen Aufruhr zu unternehmen. Die Straftaten fallen nicht nur unter das Strafgeset, sondern für die Beurteilung der Angeklagten wird auch die Verordnung des Reichspräsiden­ten zum Schuße von Volk und Staat und das neue Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe herangezogen.

Van der Lubbe spricht deutsch

Der Vorsitzende weist dann darauf hin, daß der Angeklagte van der Lubbe, nachdem er das Verteidigungsangebot des Holländischen Rechtsanwaltes Pauwels erhalten hatte, eine schriftliche Erklärung abgegeben hat, die folgendes besagte: Ich wünsche feinen Verteidiger; ich will mir die Sache auch nicht noch einmal überlegen. Ich bleibe vielmehr endgültig dabei, daß ich keinen Verteidiger haben will. Senatspräsident Bünger bittet, den Angeklagten van der Lubbe zu fragen, eb er diese Erklärung freiwillig abgegeben hat. Van der Lubbe bejaht es. Rechtsanwalt Dr. Seuffert stellt fest, daß van der Lubbe seine Erklärung am Montag erneut abge= geben hat, ebenso als Rechtsanwalt Stomps mit einem An­trage an den Angeklagten herantrat.

Senatspräsident Bünger erklärt darauf: Ich stelle gegen: über Nachrichten, daß diese Erklärung des Angeklagten tünstlich herbeigeführt worden sei unter einem gewissen Zwang, fest, daß nach den eigenen Erklärungen des Ange: flagten dies nicht der Fall ist, sondern daß es sich um eine freie Erklärung des Angeklagten handelt, der gesagt hat, er wolle überhaupt nicht verteidigt sein.

Als dann zur Vernehmung des Angeklagten van der Lubbe über seine Personalien geschriten wird, läßt dieser durch den Dolmetscher mitteilen, daß er auch ohne den Dolmetscher mit dem Gericht selbst verkehren könne. Der Angeflagte nimmt darauf unmittelbar vor dem Richtertisch Aufstellung und

wird von dem Vorsitzenden befragt. Van der Lubbe gibt seine Antworten mit ganz leiser Stimme und ist außer vom Ge­richtstisch kaum im Saale vernehmbar. Selbst der Ober­reichsanwalt, der seinen Platz unmittelbar neben dem Ge richtstisch hat, bittet den Angeklagten, lauter zu sprechen, da auch er ihn faum verstehen könne.

Aus der Vernehmung ergibt sich, daß der Vater des Ange flagten Kaufmann ist. Einen Teil seiner Jugend hat der Angeflagte in einer Erziehungsanstalt verbracht. Er hat die Volksschule besucht, und erklärt, daß er ein guter Sch it= Ier gewesen sei. Er erlernte das Maurerhandwerk und ist auch als Maurer tätig gewesen, ohne daß es zu einem festen Arbeitsverhältnis gekommen wäre. Etwa im Jahre 1928 er­litt er einen Unfall, bei dem ihm Kalk in die Augen spritzte. Seit dem Unfall bezog van der Lubbe eine Rente von sieben Gulden. Im Dezember 1918 ist er zum ersten Male in Deutschland gewesen. Später ist er dann nach Holland zurück­gekehrt und hat auch einmal Frankreich besucht.

Senatspräsident Dr. Bünger

Der Vorsitzende im Reichstagsbrandprozeß

Ein kleiner, rundlicher Herr, macht er in dem roten Talar feine allzu gute Figur. Er ist kein Nationalsozialist, eher kann man ihn als einen lezten Manchesterliberalen be­zeichnen. Jahrelang war er Mitglied der Deutschen Volks­ partei , die im Jahre 1926 ihn in das sächsische Kabinett Held als Justizminister entsandte.

Bünger war schon frühzeitig in den Justizdienst einge­treten. In seinen jungen Jahren amtierte er als Staats­anwalt in Frankfurt am Main . Die mit ihm zu tun hatten, sagen ihm nach, daß man nicht behaupten fönne, er besize jene Forschheit, die den Staatsanwälten des wilhelminischen Zeitalters und auch jetzt des dritten Reiches" das Gesicht geben. Mit peinlicher Genauigkeit achtete er darauf, daß die durch die Strafprozeßordnung gestellten Kautelen erfüllt werden. Sein juristisches Können war über dem Durchschnitt, und so stieg er vom Staatsanwalt über den Landgerichts­direktor und Oberlandesgerichtsdirektor zum Senatspräst­denten am Leipziger Reichsgericht.

Als das kleine Land Mecklenburg - Strelit seine große Sen­sation hatte, weil strifte Unterlagen dafür vorlagen, daß der polnische Landarbeiter Jakubowski am 15. Februar 1926 zu Unrecht hingerichtet wurde, berief man Bünger zum Gutachter in diesem verzwickten Fall. Die Täter hatten vor der Polizei im tai 1928 ein Geständnis abgelegt, aber der Oberstaatsanwalt Müller meinte, sie hätten sich geirrt, und sie wurden entlassen. Bünger fand die sorgsam gesichteten Spuren vollkommen verschüttet. In monatelanger Arbeit versuchte er diesen Kriminalfall zu rekonstruieren und er­stattete sein Gutachten, das die Neuaufrollung des Falles Jakubowski forderte. Forderte, weil er Zweifel an der Schuld Jakubowskis hatte.

Die geheimrätliche provinzielle Atmosphäre Leipzigs tat ihm wohl. Er war ein geachteter und umgänglicher Mann. Im Deutschen Haus in Leipzig konnte man ihn, wenn er amtierte, fast täglich mit seinen Reichsgerichtsräten sehen, und die Fama erzählt, daß Bünger ein sehr gemütlicher Mann sein könne.

Am 3. November 1932 eröffnete Bünger den Wiederauf­nahmeprozeß gegen den wegen Landesverrats zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilten Oberlagerverwalters Walter Buller­jahn. Vier Wochen konnte man hier Bünger bei den Ver­handlungsführung beobachten. Einmal schien es so, als ob er mit allen Mitteln auf die erneute Verurteilung Buller­jahns hinsteuere. Aber der Schein trog. Mit großer Pein­lichkeit und großer Ausdauer ließ er den Prozeß abrollen. Die Verteidigung, die in den ersten Tagen gehemmt schien, konnte sich frei entfalten. Und Bünger fannte bei der Ver­handlungsführung keine Rücksicht, er suchte nur das Recht.

Eine Begebenheit wird erzählt, die für die Beurteilung dieser Persönlichkeit wesentlich erscheint. Die Oberreichs­anwaltschaft hatte für Bullerjahn erneut 12 Jahre Zucht­haus beantragt. Das Gericht hatte sich zu stundenlangen Be­ratungen zurückgezogen. Oberreichsanwalt Werner wünschte Bünger zu sprechen. Er ließ sich bei ihm unter allerlei Vor­wänden melden, aber Bünger ließ ihm zweimal sagen, daß er während der Beratung für ihn nicht zu sprechen sei.

Dieser Mann kann nicht danach beurteilt werden, daß er Angebote ausländischer Juristen, die Angeklagten zu ver­teidigen, abgewiesen hat. Aber wenn er die Zivilcourage ge­habt hat, Bullerjahn freizusprechen, trotz des starken Druckes, obwohl Herr Major Himmler als Sachverständiger des Reichswehrministeriums diesen Freispruch für unmöglich hielt, so möchte man hoffen, daß Bünger in dem kommenden schwierigsten Prozeß seines Lebens nur der Stimme des Rechts folgen wird. Würde Bünger aber nur ihr Gehör zu schenken, brauchen, so dürfte man um das Schicksal der An geklagten nicht besorgt sein