Feuilletonbeilage der„ Deutschen Freiheit"* Freitag, den 22. September 1933* Ereignisse und Geschichten
Weh Dic, daß Du ein Enkel bist" So sangen sie- so siegten sie
Die Sippschaftstafel droht
In einer Versammlung in Weimar machte der Präsident des Thüringischen Landesamtes für Rassenwesen, Dr. A st e I, Ausführungen zur Frage des Stammbaumes, der Nachfahrentafel usw. Er erklärte, daß die Sippschaftstafel, die aus den vier Großeltern und deren sämtlichen Nachkommen bestehe, allen anderen Tafeln vorzuziehen sei. Eine Ahnen- und Sippschaftstafel zu führen, werde in Zufunft allen zur Pflicht gemacht werden.
Von jedem Volksgenossen werde aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ahnentafel verlangt werden, die bis zurfranzösischen Revolution zurüdreichen müsse. Diese Tafel sei für die Vererbungsberatung sehr wichtig. Dadurch werde es unmöglich sein, daß jemand, ohne daß er es wisse, einen Judenmischling heirate.
Dieser Raffe- Astel ahnt nicht, welche Bombe er in den Hegehof der deutschen Rasse geworfen hat. Die Unzucht vergangener Generationen, die Mischlingssehnsucht des verweichlichten 19. Jahrhunderts, der goldumzackte Ehehimmel und der jähe Seitensprung sie haben gemeinsam den nordischen Samen in die Ackerfurche minderrassiger Geschlechter geworfen. Die Sippschaftstafel wird es erweisen. Jest geht es nicht nur um die jüdische Großmutter. Jest wird die Blutprobe ausgedehnt auf Urväter mit der Allongeperücke, die nicht ahnten, welchen Schlag es für ihre Urenfel bedeuten könnte, als sie die Kraft ihrer Lenden nicht der Vererbungsberatung unterwarfen.
Getretener Quack
In Velhagen und Klasings Monatsheften erfreut der Leibdichter des„ dritten Reiches", Hanns Johst , den Spießbürger durch ein Zwiegespräch, das er mit Hitler tätigte. Der große Osaf verbreitet sich darin über die„ Einheit von Bürger und Arbeiter". Das Niveau des ganzen Quarkes ist zu ersehen an der hohlen Geschwollenheit des Tones, mit dem beide drauflos reden, wobei der große Osaf den Vogel abschießt. Wir geben hier nur einige Blüten wieder:
„ Ein Teil der bürgerlichen Welt und bürgerlichen Weltanschauung liebt es, als völlig uninteressiert am politischen Leben angesprochen zu werden..."
" Jeder Deutsche, ob er will oder nicht, ist durch seine Eingeburt in das deutsche Schicksal, durch sein Dasein repräsentative Daseinsform eben dieses Deutsch land . Ich hebe mit diesem Grundsaß jeden Klassenkampf aus den Angeln..."
... und zweitens bin ich niemals unter dem Aspekt des Bürgerlichen zu verstehen..."
„ Dieser Adelsbrief allein vereidigt den Soldaten wie den Bauern... auf die einzig mögliche Blickrichtung aller deutschen Zielstrebigkeiten: auf die Nation..."
Wird die Sippschaftstafel auch den Führern zur Pflicht gemacht? Wenn ja, dann dämmert uns Schreckliches. Die Juden, die schon mit den Römern kamen, als die heutigen Beherrscher des„ dritten Reiches" noch in östlichen Gefilden den Auerochs jagten, entdecken oft mit Entsetzen, daß in den Gesichtern ihrer heutigen Bedrücker mosaische Linien ihr Spiel treiben frivole Fronien, wie sie die Weltgeschichte liebt.
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besonders
Der berühmte Heidelberger Internist Prof. Dr. KrehI, Ritter des Pour- le- merite( Friedensklasse), einer der ersten Kliniker Deutschlands , hat fürzlich in Heidelberg eine Rede
So steht die Sturmkolonne zum Massenkampf bereit Erst müssen Juden bluten, erst dann find wir befreit.
Der Jude triegt' nen Schrecken, er macht den Geldschrank auf, Adolf Hitler macht die Rechnung. mit dem Pistolenlauf.
Wenn der Sturmsoldat ins Fener geht, ja dann hat er frohen Mut,
denn wenn das Judenblut vom Messer sprigt, dann gehts noch mal so gut.
Ladet die blanken Gewehre, ladet sie mit Pulver und Blei, schießt auf die jüdischen Hunde, nieder mit der Judentyrannei.
gehalten, in der er ausdrücklich erklärte, daß der heutige Bier her, Bier her...!
Stand der Wissenschaft irgendeine positive Stellungnahme zum Rassenproblem nicht zulasse; irgend ein Urteil, insbesondere auch über die ungünstige Entwicklung der Rassenminderung in Deutschland , läßt sich, wenigstens auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen, nicht abgeben.
Selbst die italienische Presse macht sich über die Wichtigkeit, mit der das Rasseproblem in Deutschland behandelt wird, luftig. Der„ Popolo d'Italia", das Organ Mussolinis, bringt einen ablehnenden Artikel über die Behandlung des Rassenproblems in Deutschland ; dieser Artikel macht die Runde durch die ganze italienische Presse, die den Inhalt stark unterstreicht.
SA. Marschlied.
Der knorrig- deutsche Verlag Knorr und Hirth fün digt im„ Börsenblatt für den deutschen Buchhandel" zwei deutsche Werke an: einen„ Deutschen Schulkalender" und einen Deutschen Bierkalender". Ueber den Kalender für die Jugend des dritten Reiches" schreibt die Zeitschrift Nationale Erziehung":
Der Deutsche Schulkalender entwirft in Rück- und Ausschau ein stolzes Bild der neuen deutschen Schule. Mit Deutschlands Erneuerung hingegen beschäftigt sich in stolzer Rück- und Ausschau der Deutsche Bierkalender, über den die Zeitschrift Bolt und Heimat" schreibt:
Der Deutsche Bierkalender ist so recht geeignet, einmal vor Augen zu führen, was für ein wichtiger Faktor das Bier im Leben der Völker zu allen Zeiten gewesen ist und was für eine große Rolle es gerade in der Gegenwart spielt.
Das dritte Reich", im Münchner Hofbräufeller mit braunem Saft getauft, findet also wieder der Weg zum Urquell seiner Kraft zurück.
Seit Hitlers Memoirenbuch weiß man, daß dieser Desterreicher ein schauderhaftes Deutsch schreibt. Aber das Deutsch des Oberdemagogen hat sich seitdem wesentlich verschlechtert. So verquollen sprechen Leute, die mehr sein wollen als sie find, die nichts zu sagen haben und lügen. Kein geraber Mensch kann solche Säße von sich geben. Daneben war selbst Wilhelm II. mit all seinem Getöne ein Muster von Klarheit. Das Bild von dem Grundsaß, der jeden Klassenfampf aus den Angeln hebt, sollte sich kein Wigblatt entgehen lassen. Und diese aufgeblasenen, leeren, undeutschen Geschwollenheiten werden heute en masse durch Rundfunk und Presse auf das Volk losgelassen!
des Oberdemagogen hat sich feitdem wesentlich verschlechtert. Das abgelehnte Nazi- Buch
Unter allen Stolzen halte ich die Nationalstolzen sowie die Geburts- und Adelsstolzen für die größten Narren. Was ist eine Nation? Ein großer ungejäteter Garten oll Kraut und Unkraut. Wer wollte sich dieses Sammelplatzes von Torheiten und Fehlern sowie Vortrefflichkeiten und Tugenden ohne Unterscheidung annehmen! Herder.
Theaterdichter, die erlaubt sind
Zuerst ist in diesem Zusammenhang das vom Propagandaministerium lebhaft geförderte Schauspiel„ Grenze" von Felix Lütgendorf zu nennen. Es behandelt die Polenfage und kommt in Leipzig in Uraufführung heraus. Hanns Heinz Ewer& hat zusammen mit Paul Beyer seinen HorstWessel- Roman" bearbeitet. Vom Reichsminister Dr. Göb bels selbst bringt das Berliner Komödienhaus den„ Wanderer". Otto Pa u st beschäftigt sich in zwei Stücken mit der Gegenwart; in Weg in den Morgen" und in„ Ein paar Frontkämpfer", die durch die Nachkriegszeit auseinandergebracht wurden und jetzt wieder durch den nationalsozia listischen Gedanken vereint sind. Von Christian Hilfer bringt voraussichtlich Frankfurt a. D. den Braunen Soldaten". 2. Auch Gerhart Pohl !
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In die vorletzte" Vergangenheit gehen sehr viele: z. B. der Verfasser der„ Marneschlacht " Paul Josef Cremers mit einem Separatistendrama, Harry H. Fest mit„ Versailles , der Geschichte eines Friedensvertrages", Gerhart Pohl mit einer Komödie„ Kuhhandel", einem Korruptionsstück, das in Schlesien spielt und das die Deutsche Bühne Breslau uraufführen wird.
Gerhart Pohl war bis zur nationalen Revolution" linksradikal, was ihn nicht hinderte, vielfach sozialdemokratische Hilfe zu erbitten und anzunehmen. Vor drei Jahren schrieb er ein Stüd zur Verherrlichung Rosa Luxemburgs... 8.„ Genius im Labyrinth" Georg Kaiser
Ein Schauspiel von Hans v. 3 wehl befaßt sich mit dem „ Aufruhr in Flandern ", ein anderes Stück mit unserer ewigen Tragödie". Das erste zeigen erstmalig Kassel und Freiburg i. Br., das letzte Liegniß. Von Heinrich Welder fommt ein Schauspiel Feind im Blut". Das Stadttheater Würzburg bringt die" Schwimmende Insel", ein Kriegskindermärchen des im Weltkrieg gefallenen Walter Flex zur Uraufführung. Herbert Roden hat ein großes Werk um Richard Wagner geschrieben,„ Genius im Labyrinth", das das Schauspielhaus Bremen erworben hat. In dieser Verbindung kann man vielleicht auch des früheren Berliner Filmkritikers Roland Schacht„ Madame Steinheil" aufzählen. Georg Kaiser hat sich einen Offizier aus dem Weltkrieg" als Helden ausgesucht.
4. Serie der Historie
Historische Stücke aus älterer Zeit, aber unter ausdrücklicher Betonung des Zusammenhangs mit der Gegenwart", wird man mehrere sehen können. Es wären da zu erwähnen: " Thomas Paine " von Hanns Jobst, ferner eine Neubearbeitung von Guzzkows Des Königs jüngster Rekrut" von A. Andermann, dann vor allem von Paul Gurf „ Heinrich IV. "( Erfurt ), eine Wiederauffrischung von Böt" Heinrich IV. "( Erfurt ), eine Wiederauffrischung von Böttichers König", zweiter Teil seines Friedrich- des- GroßenDramas( Staatstheater Berlin ), das Werk des Schweizers,
Gottlieb Heinrich Heer,„ Ein König ein Mensch"( St. Gallen), das die Ermordung Heinrichs IV. durch Ravillac in zeitgemäßer Weise abhandelt; ferner von Hermann Heinz Ortner ein Bauernausstandsdrama mit dem Titel„ Stefan Faddinger"; übrigens schrieb auch Billinger ein neues Stück dieser Art,„ Die Erbin". Von Richthofen fommt in Berlin der Staatskanzler" heraus; gemeint ist
Hardenberg. Von Zickel v. Jahn wird ein großes vaterländisches Schauspiel aus der Zeit von 1813„ Jena " zur Uraufführung gelangen. Viel verspricht man sich von Uli Klimsch, dem Dichter des„ Ulrich von Hutten ", und seinem „ Kleists Tod". Auf Wilh. Biermanns, Empörung" setzt man ebenfalls viel Hoffnung. Heinrich Lilienfein zieht im Großen Karamann" eine Parallele zur Gegenwart
Die Bücherausfuhr soll zentralisiert werden
Da die Ausfuhr deutscher Bücher immer mehr zurückgeht, beabsichtigen die Nazi, durch eine zentralisierte Propaganda für das Nazibuch im Ausland zu werben. Die Buchhändler in der Tschechoslowakei , Desterreich und der Schweiz werden mit Mißtrauen betrachtet; man erwägt, die Auslieferungen zu sperren und nur durch eine Monopolfirma durchführen zu lassen, damit so die Kontrolle erleichtert werde. Dieses Monopol soll die Koehler und Volckmar A. G. u. Co. erhalten. Besonders vertrauenswürdige Firmen sollen Monopole für einzelne Länder erhalten, das heißt, sie werden mit der Naziagitation in einzelnen Ländern betraut. Das Sortiment Voß soll Rußland , die G. A. von Halem A. G.. soll Südamerika , die Firma Krafft und Drotleff A. G. in Hermannstadt (!) foll Rumänien zugewiesen bekommen. Der braune Imperialismus greift also zielbewußt alle Länder und Völker an.
des Propagandaministeriums fiszt, erwarben Leipzig , Darmstadt und Frankfurt a. M. die Heimkehr des Matthias Bruck"; in Vorbereitung ist seine Botschaft der Madonna". Kurt Corrinth hat ein Volksstück„ Hallo! Nur Mut!" beendet, Otto Ernst Hesse eine Komödie " Frühling in Franken", Kurt Kluge , der Dichter von " Ewiges Volt", hat" Ausgrabungen der Venus"( eine Komödie) gemacht. Die große Chance" von Alfred Möller und Hans Lorenz erfreut sich der Annahme bei mehr als fünfzig Bühnen. Das Stadttheater Leipzig hat von F. A. Veyerlein sich( dem Schöpfer des„ Zapfenstreiches")" Sommer in Tirol" gesichert, Mar Dreyer wartet mit einer Komödie Windstärke 12" auf, Heinrich Jlgenstein hat ein Lustspiel„ Das Teufelsfinale" beendet, Sindbad hat unter dem Titel„ Was nicht in die Zeitung tommt" dramatische Reportagen zusammengestellt. Jakob Geis hat sich noch einmal den„ Kean" von Dumas vorgenommen. Von Gottfried Kölwel wird man ein Schauspiel„ Der Hoimann" sehen.
Dietrich Edart, der Freund Hitlers und Mitbegründer des„ dritten Reiches", wird zweimal uraufgeführt: in Leipzig die Renaissancekomödie Lorenzaccio" und ein Schwank„ Ein Kerl, der spekuliert". Von August Hin richs , dem erfolgreichen Dichter von„ Krach um Jolanthe" erwartet man ebenfalls eine Neuheit.
und beschreibt den Kampf zweier Raffen um das Sinnbild nicht Gleichgeschaltete
eines großen Gottes, den ihnen die Führer des Volkes vortäuschen.
5. Bon Hauptmann zu Dietrich Edart
In ganz ferne Zeiten geht Eberhard König mit seiner„ Trilogie", die Aachen angenommen hat. Wilhelm Schmidtbon bat um„ Dietrich von Bern " eine Ballade geschrieben. Viele Schriftsteller ziehen es freilich vor, nicht allzu sehr die Gegenwart zu betonen. Von Gerhart Hauptmanns Goldener Harfe" läßt sich aber sagen, daß es gana zeitabgewandt ist und die Liebe zweier Brüder zu einer Frau als Grundlage hat. Wilhelm v. Scholz hat bei den Staatstheatern Berlin und Dresden seine neue CalderonBearbeitung angebracht. Schönherr bereitet ein „ Passionsspiel" vor, von dem erfolgreichen Siegmund Graff , der jetzt übrigens in der Theaterabteilung
Unter Leitung von Manfred Fürst hat sich hier eine Gruppe deutscher Schauspieler, die sich nicht gleichschalten lessen wollten, zur Neuen Bühne, Paris , zusammengetan. Als erste Vorstellung findet am 25. September die deutsche Uraufführung von„ Francerie" von Paul Raynal , vom Autor des„ Grabmal des unbekannten Sol
daten" statt. Die deutsche Fassung stammt von Hans Adalbert von Maltzahn und trägt den Titel„ Die Marne ". Die Hauptrollen spielen Margarete Hrubry von den Reins hardtbühnen, Berlin , Walter Gynt vom Berliner Staatstheater und Max Fischer von den Münchener Kammerspielen. Die Gruppe hat aus Wien und London bereits Gastspieleinladungen erhalten.