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Deutsche Stimmen

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Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"* Samstag, den 23. September 1933 Ereignisse und Geschichten

Ein

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Schulz ist am Werk Im heutigen Deutschland

Gleichgeschaltetes Volksbüchereiwesen

Der Verband für Volfsbüchereiwesen hat in seiner Gesamtheit bei der Reichsleitung des Kampfbundes für deutsche Kultur den Antrag gestellt, sich als solcher dem Kampfbunde anschließen zu dürfen". Wenn er sich an­schließen darf, ist damit vorläufig ein ruhmvolles Rapitel deutschen Bildungswesens geschlossen. Man fann nur ahnen, wie die Nazis in den Volksbüchereien gehauft haben müssen, bis der Verband sich entschloß, so demütig zu Kreuze zu friechen. Was mit dem Verband geschehen wird, steht noch nicht fest. Seine beiden Zeitschriften efte für Büchereiwesen" und Bücherei und Bildungs­pflege" werden jedenfalls eingestellt. Die Schulen des Verbandes werden verringert und neu geregelt werden. Das Ziel der Umorganisation ist eine Durchkreuzung der verantwortlichen volkspädagogischen Arbeit durch unverant­wortliche Stellen in Zukunft unmöglich zu machen".

Wenn man hört, wie die Büchereien von Menschen ge= prüft wurden, die durch kein Wissen beschwert, über das Ver­brennen von Büchern zu entscheiden hatten, wie sie mit sel­tenen Bilderwerken umgingen und etwa eine Monogra­phie über Rubens als unsittlich der Ver­nichtung überlieferten, dann versteht man einen führenden Volksbildner, der einem Freund ins Ausland schreibt:" Ich war zu schwach, um mich zu wehren; ich empfand nur die Schande, mit diesen Barbaren zum gleichen Volk zu gehören."

Der Polizeipräsident in Gera gab einem schnell gleich geschalteten Dr. Kurt Schulz, der in seinen fünfund­zwanzig Lebensjahren nichts weiter geleistet hatte, den Auf­trag, eine Kommission zur Ueberprüfung von Büchereien usw. zusammenzustellen, die ihre Aktion" mit folgendem Polizeiauftrag durchführte: Herr... wird in Durchführung der Verfügung des Thüringischen Ministeriums des Innern III P vom 23. 5. 1933 im Interesse der sittlichen Erneuerung des deutschen Volkes beauftragt zu überprüfen, ob in den im Stadtfreis Gera befindlichen Kiosken, Zeitungsständen, Mietbüchereien, Buchhandlungen usw. Schriften, Abbildungen und Darstellungen ausgestellt, zum Verkauf feilgehalten oder sonst verbreitet werden, die unzüchtigen Inhalt haben, in fittlicher Beziehung Anstoß erregen oder eine Gefahr für die öffentliche Ordnung( marristisch, antireligiös und der­gleichen) bieten. Der Inhaber dieses Ausweises ist im Rahmen seines Auftrages befugt, die erforderlichen Maßnahmen nach§§ 32, 33 der Landesverwaltungsordnung durchzuführen. Thüringisches Polizeipräsidium." Die Para­grafen, auf die hier Bezug genommen werden, ermächti­gen den Besizer eines solchen Wisches, tedes

Buch, das ihm nicht gefällt, furzer Hand za beschlagnahmen. Kurt Schulz rühmt sich, daß alle Maß­nahmen der Konfistationszettelbesitzer auch gegen die ein­gehenden Proteste in vollem Umfange aufrecht erhalten wurden". Dabei ist bis heute das von den Zettelbefizern be­schlagnahmte Material nicht geprüft worden. Nach eigener Angabe des Kurt Schulz ist es zu umfangreich; Herr Schulz

verweist darauf, daß etliche Pornografien ebenfalls beschlag­nahmt wurden. Wenn man aber im Buchhändlerbörsenblatt liest, daß im dritten Reich" auch Balzac zu den Pornografen gehört, dann muß man die Schauer, die dem fünfund= zwanzigjährigen Sittenschnüffler über den Rücken gelaufen sind, nicht allzu ernst nehmen. Nach den Verbots­listen, die nahezu täglich im Börsenblatt veröffentlicht wer­den, kann man sich nun vorstellen, wie die Voltsbüchereien nach der Untersuchung durch so einen Schulz aussehen.

Ein Reuter­

der im Sattel bleiben will

Der Führer des neuen Deutschland , Adolf Hitler , hat auf dem Reichsparteitag in Nürnberg vor aller Welt das fulturpolitische Programm des Deutschen Reiches verkündet. Die Kultur des Volkes und ihre Pflege wird nicht mehr als nebensächlich betrachtet; sie bildet vielmehr die Voraus­setzung und Grundlage eines machtvollen staatlichen und eines blühenden wirtschaftlichen Lebens der Nation. Die Nürnberger Proflamation des kulturellen Wollens der Reichsregierung bietet die feierliche Bestätigung und Krönung einer ganzen Reihe von Aeußerungen führender Männer des neuen Systems während der letzten Monate."

Im gleichen Sinne aber, wie bisher jede wahre Volks­bildung oppositionell war und offen und versteckt im Kampf mit den die Zeit beherrschenden Mächten lag, ebensosehr muß in einem autoritär geführ= ten Boltsstaat die Voltsbildungsarbeit grundsätzlich posi= tiv sein, d. h. muß sein ein Erziehungs- und Bildungs­instrument in der Hand der politischen Führer des Reiches."

" Die gegebenen Fachberater sind hier die beruflich tätigen Schrifttumpfleger, die Volksbibliothekare. Sie müßten für das Büchereiwesen in den Arbeitslagern ebenso zur Ver­fügung stehen können wie den NS. - Pressewarten und dem NS. - Lehrerbund, der sich der Jugendschrift­frage annehmen will. Besonders wichtig dürfte eine Ver­bindung der Beratungsstellen mit den Landesstellen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda sein, da niemand verkennen wird, daß das Buch ein ganz wesentliches Instrument der nationalen Erziehung und Auf­flärung sein wird."

Diese Zitate stammen aus einem Aufsatz des städtischen Büchereidirektors Dr. Rudolf Reuter( Köln ) über Aufgaben der Volksbüchereien"( Kölnische Zeitung ", 20, September). Warum wir sie, troß ihrer Belanglosigkeit,

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Im Deutschland von heute stirbt es sich leicht an Stahlrutenhieb und Revolverschuß. So wird für manchen Deutschen erreicht, daß er nicht mehr stempeln gehen muß. Bom Kirchhof zur Stempelstelle der Weg ist weit und währt eine Ewigkeit. Der Betrieb auf dem Kirchhof ist rasch und reg und für Trauer und Weinen bleibt wenig Zeit.

Auf Deutschlands Straßen- wozu und warum? macht mancher Mann manchen für immer stumm. Und das alles, damit der branne Mann dem deutschen Volk diktieren kann.

Im Deutschland von heute lebt es sich schwer, es teilen Fabrikherr und Bank den Raub, ein Arbeiterleben wiegt nicht mehr

als von Thyssens Schuhen der Straßenstaub. Der Geldherr, der Junker, der Baltenbaron, fie führen hente für sich den Staat. Herunter mit Stempelgeld und Lohn! ist des britten Reiches" erste Tat!

Auf Deutschlands Straßen wozn und warum? macht mancher Mann manchen für immer stumm. daß für Kirdorf und Thyssen der braune Mann als Kaiserersatz diftieren kann.

Im Deutschland von hente, in jeder Nacht, an Strakeneden, im Arbeiterhaus, fämpft Deutschlands Werkvolf die schwere Schlacht um Lebensfreiheit und Zukunft aus.

Es geht nicht so leicht, wie der Thnsen meint, und schwerer als Junker und Bonkherr glaubt. Erkennet genan den tückischen eind:

den Krifennrofitler, der uns beraubt.

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Auf Deutschlands Straßen- wozu und warum?- macht mancher Mann manchen für immer stumm. Und das alles. damit der branne Mann dem deutschen Volk diktieren kann.

Im Deutschland von hente, ansammengedrängt hinter Gitter und Stacheldraht; gepeiticht, aeföpft und aufgehängt: das ist unsrer Ankunft Saat.

Es dauert nicht lang und sie ist gereift und die Freiheit wird strahlend erstehn und die Ketten der Mörder sind abgestreift und wir merden zur Ernte aehn!

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Auf Deutschlanda Straßen wozu und warum?- macht moncher Mann heute noch manchen stumm, daß die Freiheit ersteht für den Arbeitsmann und nicht länger diftiert der branne Mann! Wenzel Sladek.

abdrucken? Dr. Reuter war bis zum Ende der Partei Bor- ,, Himmliche Rosen

fizzender der Kölner Zentrumsorganisation und Mitglied des großen Parteivorstandes. Seinen Posten verdankt er sozialdemokratischen Stimmen. Nie hat man erkannt, daß er früher im Kampf mit den die Zeit beherrschenden Kräften" gelegen hat. Er war begeisterter Demokrat, stand auf dem linken Flügel der Partei, war ein Freund Brünings und ein erbitterter Gegner Papens. Jest zitiert er gesinnungs­treu Hitler und Göbbels . Nicht nur das: er bekennt, daß er schon immer"- und so weiter.

Die Behebung der Keise

Eine Reihe mehr oder minder hervorragender Persönlich keiten des öffentlichen Lebens hatte die Freundlichkeit, uns auf die Frage: Wie stellen Sie sich die Ueberwindung der Krise vor?" folgende Antworten zu erteilen:

Franz Josef Pletschenmeier, Ronjunkturritter des Kruckenkreuzes Erster und Zweiter Klasse:

Ja früher, das waren halt noch andere Zeiten! Zehn Kreu­zer hat ein Gulasch gekostet, und jeder hat sein Backhendel im Topf gehabt. Und warum? Weil es damals keine Mar­risien gegeben hat, sondern nur Deutschmeister, Mistbauern, Schuster buben, Wäschermadeln und einen guten alten Herrn in Schönbrunn . Der österreichische Mensch muß voll und ganz aufblühen, dann kann die Wirtschaft wieder mit Gut und Blut eingedenk der Lorbeerreiser an denselben hinauf­wachsen. Mit der Wiedereinführung der alten ruhm- und sternbedeckten Uniform ist ein vielversprechender Anfang ge­macht worden. Schreiten wir vorwärts auf dieser Lokalbahn, zurück in die gute alte Beit!

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im irdischen Leben"... K. k. k.

Unter diesem Titel schreibt die Wiener Zeitung ": Es war einmal eine Zeit, da kämpften die Frauen aller Länder, auch die deutschen Frauen, leidenschaftlich um die Gleich­berechtigung mit den Männern. Und als die Frauen auf der ganzen Linie gesiegt hatten, da kam eine Partei und erflärte: Weg mit der Frau aus dem öffentlichen Leben!" Die deutsche Frau soll f. f. f.!, das heißt, fochen und Kinder friegen". Und begeistert liefen die Frauen dieser Partei zu und halfen ihr zum Siege. Da wurden alle Frauenverbände

Eine Rundfrage mit der nationalsozialistischen Frauenschaft gleichgeschaltet.

alle Berichte über die Krise tonfiszieren; dann wird sie zu existieren aufhören.

Handelskammerrat Philipp Schmuser. volkswirtschaft­licher Sachverständiger, Präsident der Liga zur Bekämpfung der Krise:

Die Krise ist der Ausdruck der verringerten Mehrein­nahmen der überwiegenden Mehrheit eines Bruchteiles aller. Troßdem obliegt es uns, Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, im richtigen Augenblick den Höhepunkt des Tiefstandes in seiner ganzen Tragweite zu erblicken. Es be­steht kein Zweifel, daß die Krise, die jetzt aufscheint, einer­seits sowohl als auch andererseits, im Hinblick auf die zu­fünftige Vergangenheit, in der wir uns momentan bewegen, den größten Eindruck zu hinterlassen die Tendenz hat. Wie die Krise selbst behoben wird, das wird allerdings die Zu­die Krise selbst behoben wird, das wird allerdings die Zu­funft lehren. Günther.

Siegwart Drittreich( recte Drcal), Vertreter deut- Er sieht so aus...

scher Belange:

Die Krise ist eine jüdische Erfindung und fann daher nur von Adolf Hitler überwunden werden. Am besten wäre es, wenn man alle deutschen Volksgenossen dazu brächte. bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit rise verrede!" zu rufen. Einstweilen muß man aber trachten, die Krise durch Konzen­trationslager und Feuerwerke so weit einzudämmen, daß wenigstens die Führer von ihr verschont bleiben, um uns aus ihr herausführen zu können. Heil!

Balthasar Bodenständinger, vierstöckiger Haus­besizer:

Es gibt nur eine Rettung: steigern und noch einmal stei­gern! In dieser Beziehung war der Hausbesiz schon seit jeher zielweisend. Wenn alle Menschen ihre Einfünfte ver­dreitausendfachen so wie wir Hausherren, könnte man ver­trauensvoll einer fünfzehntausendfachen Zukunft entgegen­blicken. Und noch eines: solange diese roten Gemeindebauten die Wirtschaft beunruhigen, wird kein Geld ins Land tom­men, weil es fürchten muß, in Beton versteinert zu werden. Kurz und gut, weg mit dem Mieterschutz! Dr. Adalbert Rotstifter, Zenfor:

Der Mensch leidet nur dann unter einer Sache, wenn sie ihm zu Bewußtsein kommt. Man muß daher ganz einfach

Probe aus dem gleichgeschalteten Roman Aufbruch zu Hitler " von Georg Lahme:

Ein Bild des Führers bringt Wilhelm nach Hause. Ueber dem Sofa hängt ein kleines Brett, auf dem die Uhr steht. Unter diesem Brett muß es hängen. Die Mutter hat nichts dagegen, daß die Hoffnung Wilhelms im Zentrum des Blickfeldes der Küche hängt. Wenn der Vater nichts dagegen sagt, denkt fie. Der Vater kommt nach Hause, sieht das Bild da hängen und schweigt. Er sieht so aus, als ob er uns helfen könne," sagt er zu Wilhelm, der ihn nach seinem Urteil fragt. Und der wird

Da sah die deutsche Frau, daß es in den anderen Verbänden noch etwas anderes gebe als f. f. f. Da liefen sie in Scharen aus der nationalsozialistischen Frauenschaft davon und traten den anderen Verbänden bei, so daß der Reichsinnenminister den anderen Verbänden verbieten mußte, neue Frauen­ortsgruppen zu gründen. Da kam des Weibes echte Natur wieder zum Durchbruch und die deutsche Frau schrie: ,, Unsere Parole heißt K. K. K.! Aber das heißt nicht ,, kochen und Kinder friegen", sondern Kampf. Keile, Krach!".

,, Staatsfeindliches" Glockenspiel?

Folgendes hat sich beim Staatsaft Görings in Potsdam zugetragen, wenn man dem Bericht des gleichgeschalteten " B. T.", Nr. 436, vom 16. September Glauben schenken darf:

Und dann begeben sich Göring mit dem Oberbürger­meister und seiner Begleitung und den Geistlichen an die Ruhestätte Friedrich des Großen, wo der Ministerpräsident einen Lorbeerkranz mit roter Schleife niederlegt.

Der Lorbeerkranz des Minister präsidenten trägt auf der Schleife die Inschrift: Preußens großem König, Feld­herrn und Staatsmann in Ehrerbietung und unauslösch­licher Treue der preußische Ministerpräsident." Wiederum Glockengeläute: le 6' immer Treu und Redlichkeit..."

Da hat wohl das Glockenspiel den Brandstifter vom Reichstag erkannt? Reichstag erkannt? Ja, ja! Wenn Menschen schweigen, werden Glocken läuten!

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Ein ganz sanfter Heß

helfen," behauptet Wilhelm mit einem solchen Vertrauen ,,, O diese Töne!" daß der Vater wünscht, sein Sohn möge recht behalten. Er ist Deutschlands leßte Hoffnung," erklärt Wilhelm weiter. " Von wem sollen wir denn noch etwas erwarten, wenn Adolf Hitler auch versagen sollte?"

Ja, ja, er sieht so aus... Nämlich der deutsche Spießer. der sieht tatsächlich so aus, nämlich daß er von sich selber nichts erwartet, aber seinen ganzen Glauben an einen ihm unbekannten Menschen heftet, dessen fotografische Heldenpose ihm imponiert. Weil der so aussieht, als ob er uns helfen fönnte". Hätte Georg Lahme eine Satire auf den Hitler­glauben schreiben wollen, er wäre eine Nummer. So aber war es nur eine unfreiwillige Selbstenthüllung der deutschen Spießerseele...

Denn Völker, welche die innere Ordnung sichergestellt haben und die in großem Stile aufbauen, wünschen vielleicht den Frieden für weiteren Aufbau heißer und ehrlicher als andere Völker, denen das Festhalten am liberalistischen System immer neue Krisen bringt, deren Arbeitslosenziffern unentwegt weitersteigen und bei denen nach alter Regel die Gefahr wächst, daß sie eines Tages von den inneren Schwierigkeiten abzulenken versuchen durch außenpolitische Abenteuer." Wer, bitte? Der Stellvertreter des Führers der NSDAP. , Rudolf Heß , im Münchener Braunen Haus beim Empfang der 400 Jungfaschisten.