DAS BUNTE BLATT

NUMMER 82-1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

SAMSTAG, DEN 23. SEPTEMBER 1933 198

Enota od galeodiebus C., od polisduotolino

Helen Person

Seit vielen Wochen stehen die fre

Seit vielen Wochen

stehen die französischen Marokkotruppen wieder einmal in schweren und erbitterten Kämpfen mit Berberstämmen im südlichen Atlasgebirge. Die Eingeborenen leisten todesmutigen Widerstand und kämpfen mit dem letzten Tropfen Blut für ihre Freiheit und Unabhängigkeit. In der marokkanischen Hauptstadt Rabat ist in den letzten Tagen allerdings die Nachricht eingetroffen, daß sich der Scheit Ou- Jbn- Scaunt mit 106 Familien seines Stammes irzwischen bedingungslos unterworfen habe, obgleich er noch bis vor kurzer Zeit den Widerstand gegen die fremden Ein­dringlinge auf Leben und Tod gepredigt hat. An seiner Seite hat in diesem Kampf als eigentliche Triebkraft seine Lieb­lingsfrau gestanden, die eine Engländerin namens Helen Person ist.

Im Jahre 1920 unternahm Miß Helen Person, die Tochter eines vermögenden englischen Kaufmannes aus West­Bormwel, anläßlich eines Besuches auf den marrokkanischen Niederlassungen ihres Vaters einen Ausflug in das südliche Atlasgebirge, von dem sie nicht mehr zurückkehrte. Nach wochenlangen eifrigen Nachforschungen erhielt plötzlich ihr Vater einen Brief seiner Tochter, in dem sie ihm erklärte, daß sie die europäische Zivilisation hasse und inzwischen ihr wahres Glück an der Seite des Berberscheits Du- Jbn- Scaunt gefunden habe.

Tatsächlich hatte sich der Scheik in das schöne junge Mädchen, das er auf einem Streifzug gefangengenom men hatte, verliebt, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, die Europäerin nur als Pfand für ein hohes Lösegeld zu betrachten. Das Romantische an diesem Vorfall ist die Tat­sache, daß seine Liebe nicht unerwidert blieb und daß auch Helen Person an dem stattlichen, kühnen Berberführer Ge­fallen fand. Nach kurzer Zeit gab sie seinem Liebeswerben nach, heiratete ihn nach mohammedanischem Ritus, trat

Beduinen unter Süfirung einer Engländerin

selbst zum Islam über und zog als Lieblingsfrau in den Harem des Scheits ein. Sie hat dem Berberfürsten im Laufe der Jahre vier Söhne geschenkt, die sie alle in einem glühenden Haß gegen Europa und die westliche Zivilisation erzog.

Widerstand bis zum letzten

Schon im spanischen Riffrieg während der Jahre 1925 und 1926 ist Helen Person die Seele des Widerstandes gegen die Eroberungspläne der Spanier gewesen, und sie war es, die die zurückweichenden Berber, nicht zuletzt durch ihr Vorbild, zur Wieder aufnahme des Kampfes angefeuert hat. Auch an den Kämpfen gegen die Franzosen soll sie hervor­ragenden Anteil genommen haben, indem sie ihrem Gatten mit Rat und Tat und mit ihren Kenntnissen als Europäerin zur Seite stand. Sie soll sogar vorübergehend für ihren schwerverwundeten Mann das Oberkommando über den Stamm innegehabt und dabei mit außergewöhnlichem Ge­schick gegen die an Zahl überlegenen Feinde operiert haben. Sie konnte diese schwierige Aufgabe, den Widerstand bis zum äußersten zu organisieren, deshalb mit Erfolg durchführen, weil ebenso wie der Scheit auch der ganze Stamm in Ver­ehrung zu ihr aufblickte und sich ihrem Willen und ihren Befehlen widerspruchslos und freudig unterwarf.

Nun hat sich also der Scheif anscheinend doch von der Aus­sichtslosigkeit weiteren Widerstandes gegen die französische Uebermacht überzeugt und bedingungslos seinen Frieden mit den Eroberern geschlossen. Die Meldung aus Rabat von der Unterwerfung des Scheifs erwähnt jedoch mit feiner Silbe, was aus der weißen Amazone im Lager der Berber geworden ist. Hat auch sie den Kampf aufgegeben? Oder ist sie sich treu geblieben?...

Begegnung mit der Vergangenheit

Ein sehr peinliches Erlebnis hatte dieser Tage die ehe­malige Königin Helene von Rumänien, als sie unerwartet in einem der großen Filmstudios in Shepperton bei London erschien, um den Aufnahmen als Zuschauerin beizuwohnen. In ihrer Begleitung befanden sich ihre beiden Schwestern, die Prinzessin Helena , die Prinzessin Aspasia von Griechen­land und einige Mitglieder der Londoner Gesellschaft. Man hatte sie hierher geführt, da gegenwärtig Szenen zu einem Film über das rumänische Königshaus gedreht werden, die, mie man vermutete, die Königin interessieren dürften. Man hatte aber versäumt, die Filmgesellschaft von dem bevor­stehenden Besuch in Kenntnis zu setzen, so daß gerade Auf­nahmen gemacht wurden über gewisse intime Vorgänge zwischen dem ehemaligen Gatten und seiner Geliebten, die einmal überaus wesentlich für die Scheidung des Königs­paares geworden waren.

Als die Königin Helene mit ihrem Gefolge das Atelier betrat, ließ der Regisseur selbstverständlich die Aufnahmen sofort abbrechen. Die nichtsahnenden Gäste drangen jedoch so energisch auf ihre Fortsetzung, daß sich der Aufnahmeleiter, der die Katastrophe kommen sah, schließlich nach einigem Zögern bereit erklärte, das Signal zum Weiterspielen zu geben. Die Szene zeigte den König Carol II. im intimen Zusammensein mit seiner Geliebten, der rothaarigen Barbara Villiers, der späteren Gräfin Castlemaine. Die schöne Frau wickelte Wolle auf, die der König hielt. Dieser starrte sie unverwandt an, fiel dann auf die Knie

Sontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE Die Erde

Mitte Juni ging das Gerücht, die Vertreter der Cafont aus der Marsica sollten zu einer Versammlung nach Avezzano einberufen werden, um Beschlüsse der neuen Re­gierung in Rom über die Frage des Fucino anzuhören.

Diese Nachricht machte auf uns den größten Eindruck, denn die früheren Regierungen hatten schon das Vorhandensein einer solchen Frage verneint. Seitdem es keine Wahlen mehr gab, war davon selbst bei den Advokaten unserer Gegend, die früher viel darüber gesprochen hatten, nicht mehr die Rede gewesen. Daß in Rom eine andere Regierung herrschte, war außer Zweifel, denn seit längerer Zeit hörte man dar­über reden. Dies schien ein Beweis dafür, daß ein Krieg stattgefunden hatte oder stattfand. Denn nur ein Krieg ver­jagte die alten Regierenden und setzte neue ein. So hatten bei uns die Bourbonen die Spanier ersetzt und die Piemon­tesen die Bourbonen. Aber in Fontamara wußte man noch nicht genau, woher die neue Regierung kam und aus welcher Nation die neuen Herren stammten. Das gehörte eben zu den Dingen, die sich in der Stadt ereigneten...

Angesichts jeder neuen Regierung kann ein Cafone nur sagen: Gott beschütze uns!" Es ist wie im Sommer, wenn Wolfen am Himmel stehen; da kann man auch nicht wissen, ob sie Regen oder Hagel bringen. Solches steht bei Gott . Immerhin schien es uns großartig, daß ein Vertreter der neuen Regierung auf Du und Du mit den Cafoni reden wollte.

,, Man kehrt zu den alten Gewohnheiten zurück," schnarrte Generale Baldissera immer wieder, wo es zwischen den Hütten der Cafoni und dem Königshaus auch nicht den Wald von Kasernen, Unterpräfekturen, Präfekturen gab, wo die Regierenden sich einmal im Jahr als Arme verkleideten und auf die Märkte zogen, um die Beschwerden des Volkes anzu­hören... Später kamen die Wahlen und damit der Ab­grund zwischen Cafoni und Regierenden. Aber jetzt, wenn es

Deutschifandlied in lateinisɗfi

Der Kölner Pfarrer, Professor Baron von Capitaine, hak " Deutschland , Deutschland über alles" ins Lateinische übertragen. Die Uebersetzung ist stellenweise, wie sich schon aus dem Anfang Tu Germania cor mundi, Es et eris quod eras" ergibt, sehr frei, während die dritte Strophe mit den Worten Unitas, ius ac libertas Pro Germana patria" sich wieder eng an das Original anschließt. Als vierstimmige Chorkomposition des Professors Josef Schwarz ist diese Lateinische Fassung vor kurzem öffentlich gesungen worden

Radiosender auf dem Rücken

Ein neuartiges Hilfsmittel für den Presseberichterstatter wurde von der United Pre ß konstruiert und erstmals in Chikago mit ausgezeichnetem Erfolg angewandt. Es besteht aus einem kleinen radiotelefonischen Sender, den der Bericht­erstatter selbst oder eine Hilfskraft, auf den Rücken ges schnallt, leicht mit sich tragen fann. Alles, was zum Sender gehört, ist in einem Kasten untergebracht; Drahtleitungen aller Art sind überflüssig, so daß sich der Berichterstatter voll­kommen frei bewegen kann. In der Praxis wurde der neue Sender zum erstenmal bei einer Sportveranstaltung der Athletischen Union der Vereinigten Staaten in Chikago aus­probiert. Der Reporter sah aus unmittelbarer Nähe den Kämpfen zu und gab seine Kampfschilderung radiotelefonisch an den Ferndrucker weiter, der neben dem Tische der Kampf­leitung aufgestellt war. Noch bevor die offiziellen Zeit­nehmer die Kampfleitung erreichen konnten, um ihren Be­richt zu erstatten, hatte bereits der Pressebericht den Tisch der Kampfleitung verlassen. Der etwas über 30 Pfund schwere Sender verbraucht nur 2 Watt und arbeitet auf Ultrakurzwellen. Er hat eine Reichweite von ungefähr neun Kilometer. Man wird ihn dort vorteilhaft anwenden kön nen, wo man Telefonleitungen aus technischen Gründen oder wegen der Kürze der Zeit nicht anlegen fann.

und umarmte sie, indem er seine Lippen auf ihr Haar preßte. Das dritte Reich" im Witz

Die zärtlichen Worte, die er flüsterte, konnten von den Zu schauern nicht verstanden werden.

Die Königin sprang, ohne die Beendigung der Szene ab­zuwarten, auf, Regisseur, Schauspieler und Begleiter in heller Bestürzung zurücklassend. Man fand sie, einer Ohn macht nahe, in ihrem Auto. Ihre Begleiter erklärten auf teilnehmende Fragen, daß sie mit niemandem ein Wort sprechen dürfe, um die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit nicht auf sich zu lenken. Sollte dies doch geschehen, so würden ihre Bezüge vom rumänischen Staat gesperrt werden.

Jürische Steuermafinung

Steuerzahlen ist ja nirgends in der Welt ein großes Ver­gnügen. Aber Steuern schuldig bleiben war bisher gewisser­maßen ein Vergnügen. Die modernisierte Türkei will jedoch auch mit dieser leßten Freude des Staatsuntertanen energisch aufräumen. Die türkische Regierung wird in der nächsten Zeit einen Geseßentwurf verabschieden, der vorsieht, daß vor dem Hause säumiger Zahler sechs Trommler täglich eine Stunde lang trommeln sollen solange, bis der Schuldner gezahlt hat. Ob auch die unschuldigen Nachbarn des Säumigen wegen der ausgestandenen Ohrenqualen Schadenersatzansprüche haben, ist in dem Gesetzentwurf nicht

enthalten.

wahr ist, was man sagt, kehrt man zu den alten Gewohn­heiten zurück, von denen man nie hätte lassen sollen." Michele Zompa nährte die gleiche Hoffnung.

Eine aus Wahlen hervorgegangene Regierung ist immer den Reichen unterworfen, die die Wahlen machen," sagte er. Die Herrschaft eines einzelnen aber jagt den Reichen Angst ein... Kann es zwischen einem König und einem Cafoni Eifersucht oder Neid geben? Das wäre zum Lachen. Aber zwischen einem König und dem Prinzen Torlonia ist das schon möglich."

Die Hoffnung, bei einer neuen Aufteilung des Fucino auch ein Stück Land zu bekommen, hielt Berardo zurück, den andern zu widersprechen, wie es seine Gewohnheit und sein Laster war.

" Jede Regierung ist aus Dieben zusammengesetzt," murmelte er bloß, für die Cafoni ist es besser, daß sie sich nur aus einem Dieb zusammensetzt als aus 500.... Denn ein großer Dieb, wie groß er auch sei, verzehrt immer weniger als 500 ausgehungerte, kleine Diebe... Wenn sie neuerdings den Fucino aufteilen, muß Fontamara seine Rechte geltend machen..."

An einem Sonntagmorgen erschien in Fontamara ein Last­auto; der Wagenführer forderte alle Cafoni, die mit nach Avezzano wollten, zum Einsteigen auf und versicherte, daß die Fahrt umsonst sei. Das Lastauto war über und über mit Fahnenstoff geschmückt; die Behörden hatten es geschickt, so kostete es auch nichts.

Zufällig waren nur unser zehn zu Hause, denn die anderen waren schon zur Arbeit gegangen. Im Sommer, wenn es viel zu tun gibt, hat uns die Kirche immer von der Sonn­tagsruhe befreit. Niemand konnte von der neuen Regierung verlangen, daß sie das wisse oder daß Ende Juni die Ernte einsetzt. Wie soll auch eine Stadtbehörde ahnen, in welcher Jahreszeit geerntet wird. Trotzdem waren wir selbst bei Verlust eines Arbeitstages- bereit, an einer Versammlung teilzunehmen, in der sich die Frage des Fucino entscheiden mußte.

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Wir Fontamaresen hatten seit langem das Recht zurück­verlangt, den Fucino selbst zu pachten, aber die Verwaltung Torlonia hatte das stets abgelehnt und vorgezogen, das Land an Aerzte, Advokaten, Lehrer und reiche Bauern zu geben, die uns darauf arbeiten ließen. So hatten wir zu hoffen

Streit bei Hindenburg

Im Vorzimmer des Reichspräsidenten im Neudeder Schloß. Oskar, der Sohn Hindenburgs, und der Junker v. Oldenburg- Januschau führen ein aufgeregtes Gespräch. Schließlich ruft der Januschauer empört aus: Ja, sagen Sie einmal, wer ist denn hier eigentlich der Reichspräsident? Sie oder ich?"

Ein neuer Cäsar

Baldur v. Blutrach, Amtswalter der NSDAP., wird von der Parteileitung zur Gleichschaltung des Reichsverbandes unabhängiger Afademiker fommandiert. Nach getaner Arbeit prahlt er im Freundeskreis: Ich komme mir wie Cäsar vor!" Nanu?"-" Ich fam, SA. und siegte."

Greuelpropaganda

Ein Arbeiter, der sich den Arm gebrochen hat und ihn deswegen in der Schlinge tragen muß, geht im Zentrum von Berlin spazieren. Plötzlich stürzt ein SA.- Mann auf ihn zu und brüllt, indem er auf den Verband zeigt: Mensch, wenn du nicht augenblicklich mit der Grenelpropaganda da aufhörst, kommst du noch heute ins Konzentrationslager!"

aufgehört, selbst Stücke des Fucino zu bekommen. Es war vns nichts anderes übrig geblieben, als die berühmte Ent­eignung abzuwarten, von der Don Circostanza so oft, beson­ders am Vorabend der Wahltage, gesprochen hatte. " Der Fucino muß dem gehören, der ihn bebaut!" das war Don Circostanzas ewiges Lied.

Der Fucino sollte also jetzt dem Prinzen Torlonia, den reichen Bauern, den Advokaten und anderen Unzuständigen weggenommen und denen übergeben werden, die ihn be­bauten, das heißt den Cafoni. Daher hatte sich unser bei der Nachricht, daß in Avezzano die Aufteilung des Fucino statt­finden sollte und daß die neue Regierung eigens das Kamion nach Fontamara geschickt habe, weil sie wollte, daß die Cafoni endlich ihren Anteil erhalten sollten, eine große Aufregung bemächtigt. Die wenigen in Fontamara anwesenden Cafoni bestiegen daher das Lastauto, ohne irgendeine weitere Er­klärung zu verlangen. Es waren: Berardo Viola, Antonio Zappa, Teofilo della Croce, Baldovino Sciarappa, Sim­plicius, Jacobo Losurdo, Pontius Pilatus und sein Sohn, Andreas Corporale, Raffaele Scamorza und ich. Vor dem Wegfahren fragte der Wagenführer: Und der Wimpel?!"

" Welcher Wimpel?" staunten wir.

" Jede Bauerngruppe muß unbedingt einen Wimpel haben, lautet meine Instruktion."

Aber was ist das, der Wimpel," fragten wir. Der Wimpel ist die Fahne," erklärte er.

Wir wollten bei der neuen Regierung keine schlechte Figur machen und besonders nicht bei der Versammlung, die über den Fucino entscheiden sollte. Daher folgten wie Teofilos Vorschlag und nahmen die Fahne des San Rocco mit. Mit Hilfe Raffaele Scamorza ging der Sakristan in die Kirche - den Kirchenschlüssel hatte er sowieso in Verwahrung-, um das Banner zu holen; als ihn aber der Chauffeur einen 15 Meter langen Baum mit einer riesigen weiß- blauen Fahne anschleppen sah, darauf San Rocco mit dem ihm die Wunde leckenden Hund, wollte er ihn hindern, diese auf das Auto zu schaffen. Wir hatten in ganz Fontamara keine andere Fahne und so gelang es der Beharrlichkeit Berardos, dem Wagenführer die Erlaubnis zum Mitnehmen unserea Wimpels abzulocken.

( Fortsetzung folgt.)