DAS BUNTE BLATT

NUMMER 83 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

Landesverräter...

Hans Baumer findet in seinem Briefkasten wieder mal schreist du...?! Du...?! Wer hat die Separatisten ein Nazi- Flugblatt. Die ersten Zeilen springen ihn an: Der Sozialdemokrat Baumer lebt noch. Vergeßt nicht, Baumer ist einer der gefährlichsten Landesverräter Rhein­lands..." Seine Frau fommt hinzu, nimmt ihm das Blatt aus der Hand und zerreißt es. Schon wieder bin ich Landesverräter," sagt er, und Bitternis fließt in sein Lächeln. Weil vor zehn Jahren unter meiner Führung die Separatisten aus dem Rheinland verjagt worden sind, weil ich die Arbeiterschaft unserer Bewegung gegen die Separa­tisten zum Kampf geführt habe, deshalb bin ich für die Braunen heut Landesverräter..." So danken sie es dir," sagt die Frau." Ich mußte es damals tun. Diese Separa­tisten stritten nicht für eine Idee: französische kapitalistisch interessierte Kreise hatten sie bestochen; Lumpen und Ver­brecher waren es zu einem großen Teil. Und unsere Pflicht war es, gegen sie zu stehn." Die Frau fühlt, der Mann ist im Recht, und sie bleibt still. Dann aber mahnt sie: Und heute mußt du vor denen fliehen, die sich brüsten, allein gute Deutsche zu sein. Geh aus dem Haus, Mann, eh' es zu spät ist. Geh zu Frizz, da bist du am sichersten. Die SA. hat die Macht. Früher fonnten wir über solche Flugblätter lachen und rasch zur Tagesordnung übergehn. Aber jetzt-" Ich weiß," sagt Hans Baumer, und doch bleibe ich hier, Frau...

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Er blieb in seiner Wohnung, der Arbeitersekretär Hans Baumer. Und zwei Stunden später fuhr eine SA.- Bande vor sein Haus. Sechs Burschen schleppten ihn in ein Auto. Die Frau flehte sie an. Jene lachten, demolierten Möbel, schmissen Bücher aus dem Fenster, Iteßen mancherlei in die eigene Tasche wandern. Ueber der Stadt lag ein klarer Frühlingsabend. Langsam fuhren sie, im Sprechchor Landesverräter!" brüllend. Leute auf der Straße sahen sich das Schauspiel amüsiert an. Arbeiter gingen vorbet, schauten fort, ballten die Faust in der Tasche.

Im vornehmen Bürgerviertel steht das Hitlerhaus. Dort­hin brachten sie Hans Baumer. Sie prügelten ihn in den Keller. Sie warfen ihn zu Boden und traten ihn mit Füßen. Sie fommandierten: Das Horst- Wessel- Lied singen, du Schwein!" Unter dem Gegröl Achtzehnjähriger muß sich der alte Kämpfer Hans Baumer an die Kellerwand stellen. Vor ihm in einer Reihe die faschistischen Helden. In unge­zügeltem Sadismus spielen die Kerle mit ihrem Opfer. Dies ist ihre Taktik: entehren und schänden... Aus tiefer Qual schreit Hans Baumer auf:" Erschießt mich doch!" Onein, sie erschießen thn nicht, noch nicht. Noch ist das Spiel nicht beendet.

Hans Baumer vermag nicht mehr klar zu sehen. Alles um ihn verwirrt sich und sinkt in schweren Nebel. Mit letter Anstrengung versucht er, seine Beiniger zu erkennen. Wie aus drückendem Traum reißt er die Augen auf und richtet den Blick auf jene, die sich grenzenlos zu vergnügen scheinen. An einem schon älteren Mann bleibt der Blick haften. Dieser Mann hat scheinbar die organisatorische Leitung und bestimmt mit großem Talent Art und best­mögliche Anwendung der Foltermethoden. Er brüllt seine Burschen an: Nan an den Lumpen Baumer! Versucht mal, ob thr tüchtig spucken könnt!" Hans Baumer versteht nicht, was jener da mit gieriger Stimme brüllt. Aber seine Augen können sich nicht von ihm abwenden. Jenem fällt es endlich auf. Was guckst du mich so an, Dreckschwein, du?!" fnarrt er. Da lösen sich Worte aus Baumers Kehle. Sie purzeln übereinander, jagen sich aus seinem Mund: Landesverräter

Sontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  Beim Fahren mußten je dret abwechselnd die Fahne halten, und das war feine Kleinigkeit. Unser Wimpel glich weniger einer Fahne als einem Segel, das im Sturm um den Mastbaum schlägt. Es mußte weithin auffallen. Jeden falls sahen wir die überraschten Gebärden der Cafoni, die gruppenweise in den Feldern arbeiteten und Frauen, die niederknieten und sich befreuzten.

Beim Einfahren in das erste Dorf forderte uns der Chauf­feur auf:

" Singt das Lied!"

" Welches Lied?" fragten wir.

,, Beim Passieren jeden Ortes sollen die Bauern begeistert die Nationalhymne singen! lautet meine Instruktion," ant­wortete der Lenker des Autos.

Wir fannten aber keine Nationalhymne und waren außer­dem viel zu beschäftigt, die Fahne des San Rocco hochzu­halten.

Auf der Hauptstraße begegneten wir andern mit Gafoni beladenen Kamions, zahlreichen zweirädrigen Herrschafts­wagen, Automobilen, Motorrädern und Fahrrädern, die auch alle in der Nichtung gegen Avezzano   fuhren.

Ueberall erregte unser weiß- blauer Riesenwimpel zuerst Staunen und dann endloses Gelächter. Die Fahnen der anderen waren schwarz, nicht größer als ein Taschentuch und Hatten in der Mitte einen Schädel zwischen vier Knochen, wie man das an Telegrafenstangen sieht mit der Aufschrift: Achtung, Todesgefahr. Die unsere brachte uns gleich beim Einfahren in Avezzano   in Verlegenheit. Mitten in der Straße stießen wir auf eine Gruppe junger Leute im schwarzen Hemd, die auf uns wartete und uns sofort auf­forderte, das Banner wegzubringen. Weil wir kein anderes Abzeichen hatten, lehnten wir das ab. Nun wurde das Kamion gestoppt und die jungen Leute versuchten, uns den Wimpe mit Gewalt zu entreißen. Aber wir, unterwegs schon durch die, höhnischen Witze von allen Seiten gereizt, gerieten in Wut und so kam es, daß etliche der schwarzen Hemden

geführt vor zehn Jahren, wer wollte Rheinland   losreißen, wer...? Gegen wen habe ich damals um Deutschlands  willen fämpfen müssen..?! Gegen dich! Und du schreist Landesverräter...?!" Hans Baumer wankt einen Schritt vorwärts, auf ienen zu. Die andern stehn da mit dummen Glohaugen. Sie wundern sich, daß ihr Führer sich nicht vom Platz rührt. Reiner jagt ein Wort. Sie wissen nicht, was sich denn so plößlich gewandelt hat. Dumpf ahnen sie Zusammenhänge, ahnen nun, wer sie führt, wer ihnen den Befehl gegeben, Baumer zu be­schimpfen, zu prügeln, zu schänden. Der ehemalige Separatistenhäuptling kämpft für Deutschlands   Ehre. Der ehemalige Separatistenhäuptling steht Hans Baumer gegenüber, wie vor zehn Jahren... Sie hören die Worte Baumers:" Gegen uns hast du damals die Separatisten geführt, gegen unsere Arbeiterschaft, gegen Deutschland  ..! Und Landesverräter begeiferst du mich...?!" Die Hitler­földner hören das wilde Kreischen ihres Führers", der wie toll mit den Händen herumfuchtelt. Er schreit sie an: Ihr verweigert mir den Gehorsam?" Sie antworten nicht. Hans Baumer und der Separatistenhäuptling stehen sich gegen­über. Baumer versucht, seine Rechte zu erheben. Blut tröpfelt zu Boden. Unermeßlicher Schmerz verbrennt ihn. Die Burschen sehen ihren Führer den Revolver aus der Tasche ziehen, und Sekunden später knallt es. Hans Baumer fällt zusammen. Der Führer lacht kurz auf. Dann sagt er, wieder beruhigt zu seinen Leuten: Ihr habt mir eben den Gehorsam verweigert, Jungs. Ich wills mal gut sein lassen. Daß mir das aber nicht wieder passiert, verstanden?" Jene gloßen dumm, sagen nicht ja, sagen nicht nein... Und zum Schluß fügt der Mann hinzu: Schafft das da jetzt fort. Jns Leichenschauhaus! Auf der Flucht erschossen..." End­

SONNTAG, DEN 24 SEPTEMBER 1933

Auch für ifin kein Slatz Der Traum des Negers

Ein Neger tritt in eine Kirche in Neuyork und bittet den Küster, ihm einen ständigen Sitzplatz anzuweisen, wie ihn die anderen weißen Kirchenbesucher hätten.

Der Küster:" Unmöglich! Die Kirchenbesucher würden Anstoß nehmen, neben Ihnen zu sitzen!"

Doch der Schwarze läßt sich durch diese Ablehnung nicht abschrecken, er trägt sein Anliegen dem Pfarrer vor. Dieser erwidert: In die Kirche fönnen Sie ja fommen, so oft Ste wollen, aber einen Sitzplatz fann ich Ihnen nicht anweisen, die Gemeinde würde Anstoß nehmen."

Der Neger geht traurig fort, doch nach kaum acht Tagen spricht er schon wieder bei dem Pfarrer vor. Der empfängt ihn etwas ungnädig und ungeduldig mit den Worten: Was wollen Sie denn schon wieder? Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich Ihnen feinen Platz geben kann in meiner Kirche." Der Neger erwidert demütig: Ich wollte Ihnen nur sagen, Herr Pfarrer, daß ich auf den Platz verzichte. Ich habe in der vergangenen Woche zu Gott   gebetet und Gott gefragt, was ich tun sollte. Da ist Gott   mir erschienen und hat mir gesagt, ich solle ruhig auf den Platz verzichten, denn auch für ihn sei in dieser Kirche schon seit langer Zeit kein Platz mehr übrig."

Zehntausend

fund für Schach

Zur Förderung der Schachspieles unter der Jugend durch Veranstaltung regelmäßiger Wettkämpfe hat der englische  Brauer Sir William Dupree ein Legat in Höhe von zehn­tausend Pfund ausgesetzt. In seinem Testament erklärte Dupree, der sich aus kleinsten Anfängen zum Millionär emporgearbeitet hatte, daß er seine Erfolge im Leben dem Schachspiel verdanke, bei dem er Geduld und Voraussicht gelernt habe.

lich rühren sich die Burschen, bemühen sich, den zerfesten Lachen nicht verfernen

Leichnam des Hans Baumer fortzubringen. Der Mann steckt sich behaglich eine Zigarre an und belehrt seine Leute: Seht euch das Stück Vich gut an, Jungs. So enden Landes= verräter!" Dann sieht er auf seine Uhr. Es ist etwas spät geworden. Seine Braut erwartet ihn sicher schon im Deutschen   Haus. Und weil der Mann, obwohl nicht mehr ganz jung, vollkommener Kavalier ist, beeilt er sich. Allzeit hat er für preußische Pünktlichkeit und Disziplin geschwärmt, yor zehn Jahren bei seinen Separatisten- Trupps und jetzt bei seinen SA.- Formationen... Hans Hassel.

An die Empfindsamen

Weichheit ist gut an ihrem Ort, Aber sie ist kein Losungswort,

Kein Schild, feine Klinge und kein Griff; Kein Panzer, fein Steuer für dein Schiff. Du ruderst mit ihr vergebens. Kraft ist die Parole des Lebens: Kraft im Zuge des Strebens, Krast im Wagen, Kraft im Schlagen, Kraft im Behagen, Kraft im Entsagen, Kraft im Ertragen,

Kraft bei des Bruders Not und Leid Im stillen Werke der Menschlichkeit.

. Friedrich Theodor Vischer  ( Lyrische Gänge")

im Staub der Straße grau wurden. Eine brüllende Menge sammelte sich rund um unser Auto. Viele Schwarzhemden waren darunter, aber auch vie's Cafoni aus den Nachbar­dörfern, die uns erkannten und uns mit Geschrei begrüßten. Wir standen auf dem Kamion, still um die Fahne geschart, entschlossen, feine weiteren Beleidigungen zuzulassen. Plötz­lich sahen wir die dicke, schwitzende und schnaubende Gestalt des Kanonikus Don Abbacchio mit einigen höheren Cara­binieri in der Menge auftauchen und feiner von uns zweifelte, daß er als Priester die Verteidigung San Roccos übernehmen würde. Das Gegenteil geschah. Glaubt ihr, wir haben hier Fastnacht?" begann Don Abbacchio gegen uns loszulegen. Sicht eure Einigung zwischen Kirche und Staat so aus...: Wann werdet ihr Fontamaresen endlich mit diesen Provokationen und Pöbeleien aufhören?"

Ohne zu mudsen, überließen wir den Schwarzhemden unseren Wimpel. Wenn ein Pfarrer San Rocco verriet, warum sollten dann wir ihm die Treue halten, noch dazu mit dem Risiko, unsere Rechte auf den Fucino zu schmälern? Man führte uns auf den Hauptplatz von Avezzano   und mies uns hinter dem Gerichtsgebäude eine schattige Ecke an. An anderen Gebäuden lehnten andere Gruppen von Cafoni. Zwischen den einzelnen Haufen waren Patrouillen. Gara­binieri- Stafetten per Rad fuhren über den Platz. Kaum war ein neues Auto angekommen, die Cafoni ausgestiegen, so wurden sie von den Carabinieri an eine für sie bestimmte Stelle geführt, aber immer so, daß sie von den anderen ge­trennt blieben.

Ein Offizier ritt auf einem schönen schwarzen Pferd hin und her.

Gleich darauf erschien eine Stafette und gab der Patrouille einen Befehl.

Von jeder Patrouille löste sich ein Carabinieri und über­brachte uns den Befehl. Er lautete:

,, Es ist gestattet, sich auf die Erde zu setzen."

Wir setzen uns hin. Nach einer Stunde ritt eine Staf­fette vorbei. An einer Ecke erschien eine Gruppe höherer Beamter. Die Carabinieri befahlen:

Aufstehen, aufstehen!... Laut schreien: Es leben die Podesta! Die ehrlichen Beamten!... Es leben die Beamten, die nicht stehlen!"

Wir sprangen auf die Füße und schrien laut: Es leben die Podesta! Die ehrlichen Beamten!

Schadenfroh

Sie haben Ihr Portemonnaie verloren?" Ja gestern." Haben Sie sich sehr geärgert?"

" Ich weniger. Aber sicher der, der es gefunden hat." ( Neue J. 3.")

Der fleine Chemifer

Also, Kinder, merkt ench: Edelmetalle rosten nicht! Nennt mir welche!"

Gold!" Richtig!"

Silber!"

,, Richtig weiter?"

Da rust ein Knirps von der letzten Bank: Alte Liebe. Herr Lehrer!"

( Deutsche Wochenzeitung für die Niederlande")

Die Anspruchslose

,, Also, Gerti, der junge Herr Zucker ist wirklich ein reizen­der Gesellschafter! Du glaubst gar nicht, wie unterhaltend er reden kann!"

" So? Wovon spricht er denn?" " Bon mir!"

Die Erklärung

( Ric et Rac")

Mein seit zehn Jahren verschollener Neffe wollen Sie sein? Sie sehen ganz anders aus, Sie Schwindler!" ,, Ganz richtig, Onkel! Ich war doch damals weggegangen, um ein anderer zu werden."

Es leben die Beamten, die nicht stehlen!..." Unter den Beamten, die nicht stehlen", war der Im­presario der einzige, den wir erkannten. Nachdem die nicht stehlenden Beamten sich entfernt hatten, konnten wir uns mit Erlaubnis der Carabinieri wieder auf die Erde setzen. Nach einigen Minuten verursachte eine neue Staffette eine noch lebhaftere Bewegung:

Aufstehen!... Aufstehen!..." riefen uns die Carabinieri zu. Noch lauter rufen: Es lebe der Präfekt!" Wir sprangen auf die Füße und schrien lauter:" Es lebe der Präfekt!" Der Präfekt fuhr in einem feinen Auto an uns vorüber Dann setten wir uns mit Erlaubnis der Carabinieri auf die Erde.

Kaum hingesetzt, ließen uns die Carabiniert wieder auf­stehen:

Schreit, so laut ihr fönnt: Es lebe der Minister!" Im gleichen Augenblick erschien ein großes, von vier Rad­fahrern begleitetes Automobil, fuhr wie ein Blizz über die Straße und wir schrien so laut als irgend möglich: Es lebe der Minister! Er lebe!..."

Dann setzten wir uns mit Erlaubnis der Carabinieri wieder hin. Die Patrouillen lösten sich ab, sie wollten essen. Auch wir öffneten unsere Säcke und verzehrten unser Brot. Gegen zwei lihr wiederholte sich das Spiel: uerst fuhr der Minister zurück, dann der Präfeft, dann die Beamten, die nicht stehlen". Jedesmal mußten wir aufstehen, schreien und begeistert sein.

Zum Schluß hieß es:

Jezt seid ihr frei!... Ihr könnt gehen!..." Das aber mußten uns die Carabinieri zweimal sagen. Das Fest ist aus!. Ihr könnt nach Hause gehen oder Avezzano   ansehen. Aber ihr habt nur eine Stunde Zeit. Dann müßt ihr weg sein..."

Und der Minister? Und die Frage des Fucino?" fragten wir. Aber niemand hörte mehr zu.

Schließlich fonnten wir nicht ohne irgendeinen Beschluß und ohne irgend etwas begriffen zu haben wieder heimgehen. " Folgt mir," sagte Berardo, der sich in Avezzano   aus­fannte.

Wir famen an das Portal cines über und über mit Fahnen bedeckten Palastes.

( Fortsetzung folgt.)