DAS BUNTE BLATT
NUMMER 86-1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE
Korruption
Von Akos Molnár
Mr. Black war Kaugummihändler in einem entlegenen Städtchen der Vereinigten Staaten . Der Unglücksmensch war arm, er lebte mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn zusammengepfercht in einem bescheidenen Häuschen, hatte einen alten Fordwagen und ein Sparkassenbüchlein über insgesamt zweitausend Dollar, mit einem Wort: er war arm. Seine ganze Hoffnung bildete sein Onkel, der Präsident der Oil Trust Limited, der im fernen Neuvork thronte und nicht die geringste Neigung verriet, durch seinen Tod dem Neffen zu einer großen Erbschaft zu verhelfen. Er unterstützte ihn auch nicht, warf die das Elend des Neffen schildernden Briefe ungelesen in den Papierkorb, war vom Scheitel bis zur Sohle ein grausamer Herr: der reichste Mann der Welt.
Einmal befand er sich zufällig in der Gemarkung des Städtchens, wo sein Neffe wohnte, auf der Jagd, und während er sich auf seinen Stock stüßte, bemerkte er, daß längs des Stockes in einem dicken Strahl Petroleum hervorquoll. Er sagte darüber zu niemanden ein Wort, bat um einen Kork, den er, wie er schlau erzählte, von seiner Feldflasche irgendwo verloren habe. Er stopfte das mit dem Stock gebohrte Loch zu, brach die Jagd ab, kaufte sofort das ganze Gebiet auf und schickte ein Heer von Leuten hin, das an seiner statt Jagd machen sollte, aber nicht auf kompakte Tiere, sondern auf flüssiges, verschlafen glucksendes PetroIeum. Binnen kurzer Zeit entstand eine funkelnagelneue Stadt an Stelle des alten Städtchens. Rechtsanwälte, Banfen, Wirtshäuser, Schmuggler, Matrikelführer, Hebammen und selbstredend auch Kaugummihändler tamen in Schwärmen, angelockt von dem himmlischen Zauberduft des Petroleums. und Mr. Black erflehte von seinem mächtigen Verwandten, der seine Residenz ebenfalls hierher verlegt hatte, er möge einen Befehl erlassen, demzufolge sämtliche Angestellten des Trusts bei ihm, Mr. Black, ihren Kaugummi Laufen müßten: als Gegenleistung würde der Cäsar zehn Prozent des Ertrages erhalten.
Auf diese Weise ging endlich auch Mr. Blads Sonne auf. Die auf das bescheidene Sparkassenbuch eingezahlte Summe stieg dermaßen, als würde sie das ständige Fieber der sich waag- und senkrecht unablässig ausbreitenden Stadt ver=
Doch fand zu dem Vizepräsidenten, der ein intimer Freund des Präsidenten war, ebenfalls auf der Basis von zehn Prozent, auch der Kaugummihändler Mr. White eine nützliche Verbindung, und so kam es, daß sich alsbald zwei Kaugummihändler des Städtchens in die Arbeiter und Angestellten des Trusts teilten. Mr. Black beschwerte sich bei seinem mächtigen Verwandten, der aber auf dem Gebiet fleinerer Finanzangelegenheiten gewissen Gegenseitigkeitsprinzipien huldigt und seinen„ rechten Händen" nicht gern auf die Finger klopfte.
Er nannte seinen Neffen einen seelenlosen Nimmersatt, beschimpfte ihn wegen seines häßlichen Brotneides und warf ihn aus seinem, einem Wintergarten ähnlichen Privatbüro mit der Frage hinaus:„ Wohin kämen wir, wenn jeder nur an seine eigene Tasche dächte?" Das Anwachsen der Nullen ging in einem langsameren Tempo weiter, und über Mr. Blacks Häuschen, das inzwischen zu einer Höhe von zehn Stockwerken aufgeblüht war, breitete sich eine düstere Stimmung.
Mr. Yellow, der dritte Kaugummihändler, blieb ebenfalls nicht untätig. Die traditionellen zehn Prozent ebneten ihm den Weg zur Gunst des Vizepräsidentenstellvertreters, und alsbald wandten sich die beiden unversöhnlichen Feinde Mr. Black und Mr. White Arm in Arm mit ihrer Beschwerde an den Vizepräsidenten und nachher an den Präsidenten selbst, jedoch vergeblich. Um derlei Kleinigkeiten kümmerten sich die beiden Führer" nicht, dazu war ihnen ihre Zeit zu kostbar.
Nach kurzer Zeit schimpften Mr. Black, Mr. White und Mr. Yellow gemeinsam über den vierten Kaugummihändler. Mr. Brown, dem es gelungen war, den Privatsekretär des Präsidenten für sich einzuspannen. Nunmehr grasten vier das Feld ab, bis eines Tages auch der fünfte, Mr. Red, erleuchtet wurde. Kaum hatten sie sich von ihrer, mit Verbitterung vermischten Ueberraschung erholt, als bei einer allgemeinen Verteuerung von zehn Prozent sämtliche Kaugummihändler der Stadt auf gleiche Weise die Arbeiter und Angestellten des Trusts beliefern durften.
Und an einem schönen Sommerabend schleuderte Mr. Black empört seine Müße auf den Boden.
„ Unerhörte Korruption," fluchte er, während die Sonne ihre letzten goldenen Strahlen gerecht verteilend langsam unterging.
( Berechtigte Uebertragung aus dem Ungarischen von Stephan J. Klein.)
zeichnen. Die Nullen drängten sich darin bereits Hals über Ruf in die Zeit
Kopf, doch befand sich der Wertmesser, damit kein Mißverständnis aufkomme, links von den Nullen, und in der Garage standen steben verschiedenfarbige Rolls- Royce- Wagen, für jeden Tag der Woche einer, denn es machte Mr. Black über alle Maßen nervös, jeden Tag denselben Wagen benüßen zu müssen. Mr. Black erhöhte zwar den Preis seiner Waren um zehn Prozent, damit er den an den Präsidenten zu zahlenden Anteil einbringe, doch schmerzte ihn das Herz um die armen Angestellten des Trusts, die wohl zähneknirschend, aber dennoch bei ihm ihren Kaugummi fauften, obgleich sie diesen nützlichen und wichtigen Artikel überall sonst in der Stadt billiger bekommen hätten. Der Schmerz seines Herzens wurde ausschließlich dadurch gemildert, daß die übrigen Kaugummihändler das Nachsehen hatten. Wohl fanden sich unter den Arbeitern und Angestellten des Trusts Rebellennaturen, die sich um den höchsten Befehl nicht scherten und ihren Kaugummibedarf anderweitig deckten, aber Mr. Blacks Detektivs waren nicht müßig und packten erbarmungslos beim Schlafittchen jene Aufrührer, die, wenn sie seither nicht gestorben sind, für ihre Verbrechen auch heute noch im Gefängnis des Trusts schmachten.
Sontamara
21
Fünf Lastautos, die nach Fontamara kamen. Aber gleich darauf tauchte noch eines auf. Und dann noch eines. Und dann noch eines. Und dann noch ein anderes. Und dann konnte man sie nicht mehr zählen. Waren es zehn? Fünfzehn? Zwölf? Die Tochter des Cannorazzo schätzte sie auf hundert, aber, die Tochter des Cannorazzo fonnte nicht zählen. Schon war das erste Auto bei der letzten Kurve vor Fontamara an= gelangt und das letzte noch am Fuß des Hügels. So viele Autos hatten wir noch nie gesehen. Niemand von uns hatte je gedacht, daß es überhaupt so viele Kamions geben könnte. Das ungewöhnte Rattern der Motoren hatte die ganze Bevölkerung von Fontamara, das heißt die Frauen und die Greise, die nicht in den Fucino gegangen waren, auf den fleinen Platz vor der Kirche gelockt. Jeder deutete das unerwartete und plötzliche Erscheinen so vieler Fahrzeuge auf Jeine Art.
„ Ein Pilgerzug, es ist ein Pilgerzug." schrie die Sorcanera. " Jebt pilgert man nicht mehr zu Fuß, sondern im Auto. Es ist ein Pilgerzug zu unserem San Rocco..."
„ Es ist ein Automobilrennen," sagte Pasquale Cipolla, der als Soldat in der Stadt gewesen war, es ist eine Wette, wer am schnellsten fahren kann. In der Stadt sind jeden Tag solche Wetten..."
Das Geratter der Autos wurde immer lauter und eindringlicher. Jetzt fam noch das wilde Geheul der Leute auf den Autos dazu. Bis plötzlich das Prasseln schnell aufeinanderfolgender Schläge und das Klirren des Kirchenfensters unsere Neugierde in Panik verwandelte.„ Sie schießen! Schießen gegen uns! Schießen auf die Kirche. Schießen..."
„ Zurück, zurück," schrie Generale Baldissera uns Frauen zu. Burück, sie schießen ja!"
„ Aber wer schießt denn eigentlich? Und warum schießen sie? Und warum schießen sie gegen uns?"
Jahrhundert, das wir find, Jahrhundert, daß wir bauen. Du Zeit der Wende, bittere, unsere Zeit, Du unser Geist und Atem, Bild und Kleid, Wir stehn zu Deinem strengen Dienst bereit Jahrhundert, daß wir sind, Jahrhundert, daß wir banen. Werkmeister des Jahrhunderts, ewige Kolonnen, Bauleute wir und das Gerüst der Welt, Pflüger und Pflugschar, Ackergrund und Feld, Das Frucht und Saat, in seinen Furchen hält, Werkmeister des Jahrhunderts, ewige Kolonnen. Soldaten des Jahrhunderts, du Armee der Erde, Vom Tag gebunden, doch vom Geist entbrannt, Gebeugten Rückens, doch zum Licht gewandt, Seid Ihr zu einem Ziele angespannt, Soldaten des Jahrhunderts, du Armee der Erde. Für uns Gefallene, ihr Toten des Jahrhunderts, Erschlagene in namenloser Nacht,
Gefangene, vom Haß des Feinds bewacht: Es kommt ein Tag, da wird das Werk vollbracht, Bom Sturm der Kommenden, den Siegern des Jahrhunderts. Friz Brügel,
Warum aber Krieg? Warum denn Krieg gegen uns?" ,, Es ist Krieg," wiederholte der Generale. Krieg, Gott allein weiß warum."
" Wenn Krieg ist, muß man die Litaneien für den Krieg beten," entfuhr es Teofilo, dem Kakristan, und er begann auch gleich:„ Regina pacis, ora pro nobis."
Aber eine neue Salve durchlöcherte die ganze Kirchenfront und überschüttete uns mit Kalf. Die Litanei wurde abge= brochen. Alles was da geschah, war völlig sinnlos. Krieg? Aber warum Krieg? Giuditta Scarpone übergab sich. Wir standen wie eine verschreckte Ziegenherde um sie herum. Jede schrie anderen Unsinn. Nur Generale Baldissera wiederholte unentwegt:
" Da kann man nichts machen, das ist Krieg, das ist der Krieg. Da kann man nichts mehr sagen, das ist Krieg, Schicksal. Wenn der Krieg kommt, kommt er so."
Maria Vincenza Viola schlug das einzig Richtige vor: „ Läuten wir die Glocken. Wenn das Dorf in Gefahr ist, muß man die Glocken läuten. Als Anno 60 die Piemontesen kamen, läuteten die Glocken die ganze Nacht."
Aber Teofilo konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, so elend war er. Er gab mir den Schlüssel. Elvira und ich stiegen in den Turm, um zu läuten. In der Nähe der Glocken aber zögerte sie und fragte:
,, Sat es je Kriege gegen Frauen gegeben?" „ Ich habe nie davon gehört."
,, Also geht es nicht gegen uns, sondern gegen die Männer." fügte Elvira hinzu. Wenn sie nur uns Frauen finden, werden sie wieder abziehen, wie sie gekommen sind; aber wenn sie die Männer treffen, wird es ein Blutbad geben... Das gibt dann Krieg. Es ist besser, keinen Alarm zu schlagen. Wenn wir Sturm läuten, werden die Männer glauben, es brennt, werden heimrennen und werden mit den andern zusammenstoßen."
Sie dachte an Berardo. Ich dachte an Mann und Sohn. So blieben wir im Glockenturm, ohne die Glocken anzurühren. Von hier aus sahen wir die Autos am Eingang von Fontamara Halt machen.
Eine große Zahl bewaffneter Leute stieg aus. Eine Gruppe blieb neben den Kamions stehen, die andern gingen in der
Krieg, Krieg," wiederholte Baldissera, das ist Krieg." Richtung der Kirche vor.
FREITAG, DEN 29 SEPTEMBER 1933
Ein Massenstart von Motorbooten
In Middletown ( USA .) fand kürzlich ein Motorbootrennen des Staates Connecticut statt, bei dem Hunderte von Motorbooten gleichzeitig abgelassen wurden. Den Zuschauern bot sich so ein imposantes Bild, als sie plötzlich den ganzen Seee mit einer unübersehbaren Zahl von Motorbooten aller Größenklassen übersät sahen.
Tote können auferstehen
Eine amerikanische Filmgesellschaft dreht jetzt einen Film, in dem auch der frühere Präsident Woodrow Wilson zu sehen und zu hören sein wird. Dieses Wunder kommt fo zustande: Der Filmschauspieler, der die Rolle Wilsons spielt, spricht eine Rede, die der Präsident seinerzeit gehalten hat. nach, wobei aber nicht seine Stimme auf den Filmstreifent kommt, sondern seinen Mundbewegungen die echte Stimme Wilsons untergeschoben" wird, die die Tonmirer von einer Schallplatte abnehmen. Wilsons eigene Stimme wird also im Tonfilm zu hören sein.
Ein Automat verkauft auf Kredit
In einigen amerikanischen Bahnhöfen sind Automaten angebracht worden, die Papierhandtücher zum Preise von ein Cent abgeben. Das wäre weiter nicht verwunderlich. Wodurch sich aber dieser Automat von allen anderen unterscheidet, ist, daß er zuerst das Handtuch abgibt und erst nachher den Einwurf der Münze verlangt. Die Mehrzahl der Menschen ist ehrlich," sagte der Konstrukteur, und damit scheint er auch recht zu behalten. Denn soweit sich jetzt übersehen läßt, sollen die Einnahmen zu den verkauften Handtüchern in einem ganz guten Verhältnis stehen.
Die Leute zu unseren Füßen hatten ihre Friedenslitaneien. wieder aufgenommen. Teofilo della Croce sagte die Anrufung und die andern antworteten im Chor:„ Ora pro nobis!" Auch Elvira und ich knieten im Glockenturm und flüsterten:„ Ora pro nobis!" Nachdem das getan war, stimmte Teofilo die Litanei gegen Unglück an:
A morte perpetua.
Libera nos, Domine...
Im gleichen Augenblick ergoß sich die Kolonne der bewaffneten Männer laut heulend, Gewehre schwingend über den Play. Ihre Zahl entsetzte uns. Instinktiv zogen Elvira und ich uns in eine Ecke des Turmes zurück, so daß wir, ohne gesehen zu werden, alles sehen konnten.
Es mochten an die 200 Männer sein. Außer den Musketen hatten sie im Gürtel Dolche stecken. Alle trugen das schwarze Hemd. Wir erkannten nur die Landjäger und den Oberstraßenwärter Philippo den Schönen; aber auch die andern schienen uns nicht fremd und kamen nicht von weit her. Es waren zum Teil Cafoni, aber von jenen ohne Land, die zu den Herren in Dienst gehen, wenig verdienen und von Diebstahl und Kriecherei leben. Zum Teil waren es auch fleine Händler, wie man sie auf den Märkten sieht, auch Teller= spüler der Wirtshäuser, Frisöre, Privatkutscher und fahrende Musiker. Träge Leute, bei Tag ohne Mut, Speichellecker der Großen unter der Bedingung, die Kleinen unbehelligt drangsalieren zu dürfen. Skrupellose Leute. Verfluchte Leute. Leute, die schon einmal bei uns gewesen waren, um uns die Wahlverordnungen zu bringen und heute kamen sie und brachten uns den Krieg. Diebe und Vagabunden, die man da= mit beauftragt hatte, Ordnung und Eigentum zu verteidigen. ohne Treue, Leute ohne Familie, ohne Ehre, Treulofe Arme Feinde der Armen.
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Ein kleiner, rundlicher Mann, mit der Trikolore um den dicken Bauch führte sie an und neben ihm stolzierte Philippo der Schöne.
,, Was erzählst du da?" fragte das Männchen mit der Binde den Sakristan Teofilo.
" Ich bitte um den Frieden." antwortete der Vertreter der Kirche.
" Den sollst du gleich haben!" grinste der Dickbauch und gab Philippo dem Schönen ein Zeichen.