Feuilletonbeilage der„ Deutschen Freiheit“* Sonntag, den 1. Oktober 1933* Ereignisse und Geschichten
Der Reichsbischof
Das Ende einer Kirche
Organisatorisch gesehen, ist der rasche Zusammenschluß der deutschen evangelischen Landeskirchen zur Reichskirche eine Glanzleistung. Sachlich bedeutet die Art, wie er sich vollzog, das schimpfliche Ende des lezten Restes von Christentum in dieser Kirche.
Als vor über 400 Jahren die deutschen Fürsten und Herren, alten wie neuen Glaubens, festlich zusammensaßen, um die teuflische Marterung der gefangenen aufständischen Bauern als köstliches Schauspiel zu genießen, da handelten sie im Sinne Luthers , der in seiner Schrift wider die aufrühre rischen Bauern zu predigen", die Obrigkeiten zu jeder Art Gewalt und Greueln aufgestachelt hatte. So büßten die Bauern, daß fie Luthers Lehre von der christlichen Freiheit und seiner ersten bauernfreundlichen Schrift getraut, daß fie unter Berufung auf das Evangelium Menschenrecht und be= scheidenen Lohn ihrer harten Arbeit gefordert hatten.
Die Kirche, die Luther als Empörer gegen Rom und Verbündeter firchengutlüsterner weltlicher Herren ins Leben rief, war von Anfang an unfrei, ein Stück fürstlicher Verwaltung, der die Lehre vom unbedingten Gehorsam auf weltlichem Gebiet ebenso tief eingeprägt war wie der Haß gegen die„ Hure Vernunft "( Luther ) auf geistlichem. Die römische Kirche wollte den Staat beherrschen- die lutherische wurde ein Werkzeug der Obrigkeit, der zahllosen FürstenPäpstlein, die es in Deutschland gab. So hat sie jede Freveltat der herrschenden Schichten gutgeheißen: Bauernlegen und Totmarterung von Jagdfrevlern, Spießrutenlaufen der Soldaten und Eroberungskriege waren ihr Ausfluß göttlichen Willens. Jeden Versuch zum Schuße der niedergetretenen Volksrechte brandmarkte sie als Auflehnung gegen den Willen Gottes. Ausnahmegesetz und Brotzoll wurden ge= segnet, die internationale christliche Friedenspredigt umge= fälscht in eine national- militaristisch verengte, die in Gefallenenfeiern Stimmung machte für neuen Krieg.
So kam es, daß nicht nur die theoretischen Freidenker mit der Kirche brachen, daß alle frei und sozial Gesinnten aus ihr flüchteten. Der letzte Versuch eines religiösen Sozialismus wurde von der Kirche niedergetrampelt. Sie predigten den Armen und speisten mit den Reichen.
Nun hat diese Entwicklung ihr Ende erreicht. In Witten berg , wo neulich Hitler als zweiter Luther gepriesen wurde ( mit mehr Recht, als jene, die ihn damit zu ehren dachten, einsahen), ist ein Militärbeamter, der Wehrfreispfarrer Müller, als Reichsbischof verkündet worden. Natürlich einstimmig, wie heute alles ge= schieht, nachdem man den etwas sozialeren Bodelschwingh zur Strecke gebracht und seine Freunde hinausgedrängt hatte. Nur das Feuerwerk hat dieser Naziparade gefehlt. Der neue Reichsbischof suchte es durch Gedankenbliße zu ersetzen. Wie er vor kurzem die christliche Friedenspredigt auf den " Frieden mit Gott "( und Krieg mit seinen Geschöpfen!) verengert hatte, suchte er jetzt die göttliche Schöpfung aller Menschen mit dem größenwahnsinnigen UebermenschenAriertum in Einklang zu bringen.
Die Gefangenen
" 3wei Rassen gibts die eine wird mit Sporen, mit Sätteln wird die andere geboren."
Das ist nun das Ende der deutschen evangelischen Kirche . Sie findet fein Wort gegen die Unterdrückung vieler Millionen Deutscher , gegen die boshafte Zutodmarterung von Zehntausenden. Der Geist der Propheten, die freilich Juden waren, ist in ihr erstorben. Es lohnt von nun an nicht mehr, von ihr zu reden. Es ist ein Stück Nazitum mehr. Wenn der Hitler- Göße in Staub zerfällt, wird man auch seine Baals- Pfaffen auf den Düngerhausen der Geschichte werfen! Sistoricus.
e...
Zu welchen Verstiegenheiten heute die Apologeten des Faschismus in Deutschland gelangen, dafür ist ein Aufsatz von Richard Eckstein in der September- Nummer der Zeitwende" ein bemerkenswertes Beispiel. Es heißt darin:
Wir empfinden die Wirtschaftsverfassung des„ korporativen Staates" als protestantisch und luthe risch. Der Protestantismus lutherischer Prägung verzichtet ja bewußt auf ein Wirtschaftsprogramm und auf eine wirtschaftliche Ideologie und Utopie. Der einzige
Frage an den Leser i
Ob sich Gott die Erde so gedacht hat, als er sie aus lauter Nichts gebant, als er Tier und Mensch ans Lehm gemacht hat, frage ich Sie, lieber Leser, laut. Mächtiger Hand erschuf er Park und Wiese, formte er die Ufer blauer Seen; dachte er hierbei schon an die Krise, und daß Tausende jetzt stempeln gehn?
Ob sich Gott die Erde so gedacht hat, als sein Geist den Kreislauf ihr ersann? Ob er es mit Absicht so gemacht hat, daß es mancher nicht ertragen kann? Schuf er auch des Stahlwerts Kapitäne und den Mörder, der uns niederhaut, da er Wölfe schuf und die Hyäne, frage ich Sie, lieber Leser, laut.
Ob sich Gott die Erde so gedacht hat, die nun munter um die Sonne rollt, die er einst aus lauter Nichts gemacht hat, mit Maschinen, Feldern, Erzen, Gold? Ob er uns vielleicht nicht gar verlacht hat, als er dieses Wahnsinnswerk geschaut, das der Mensch aus dieser Welt gemacht hat, frage ich Sie, lieber Leser, laut.
Grundſay, den Luther für die Wirtschaftsbeziehungen auf Die Deitte Reichspost
stellt, ist der der Billigkeit, der Angemessenheit von Leistung und Lohn. Alles andere überläßt er der 3wedmäßigkeit und der freien, aus den Notwendigkeiten und Möglichkeiten sich entwickelnden Gestaltung. Alle anderen geistigen Bewegungen das Schwärmertum, der Katholi zismus, auch das Reformiertentum, erst recht aber der Marxismus und am deutlichsten der Bolschewismus- haben einen von vornherein fest liegenden Plan der Wirtschafts- und Sozialgestaltung. Sie alle leben in der Fiktion, daß es eine bestmögliche Wirtschaft gebe, eine Art Reich Gottes in der Wirtschaft, das nach einem besonderen Rezept verwirklicht werden könnte. Diese Ideologen haben letztlich zu der heillosen Verwir rung der Wirtschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts geführt. Mussolini , der katholische Italiener, hat zum erstenmal ob bewußt oder unbewußt, wissen wir nichteine Wirtschafts- und Arbeitsverfassung im Sinne des deutschen Reformators geschaffen."
Jeder Saß ein tiefsinniger Unsinn. Wer den Ratholizismus kennt, der weiß, daß gerade ihm ein von vornherein festgelegter Wirtschafts- und Gesellschaftsplan fehlt. Weit stärker hat sich der Protestantismus mit bestimmter Wirtschaftsaufstellung vermählt. An der Schwelle der modernen Gesellschaft steht neben dem Kapitalismus der Calvinismus . Dieser Eckstein bemüht sich vergeblich, als architektonische Zierde der Wissenschaft Geltung zu erlangen.
Aber noch viel hübscher ist sein Vergleich: Mussolini gleich Luther , Man hätte ihn gleich zum deutschen Reichs= bischof wählen sollen, statt den Umweg über Wehrkreispfarrer Müller zu wählen.
Ohne Anklage in den Keckern Hitler- Deutschlands!
In dieser Zeit, da Tausende und aber Tausende der besten Köpfe Deutschlands in den Konzentrationslagern eines Göring einem furchtbaren Schicksal entgegensehen, ist es sehr schwer, seine Stimme zugunsten eines einzigen zu erheben.
durch die fürchterliche Ungewißheit, in die man sein Schicksal hüllt, man will ihn zerbrechen, ohne ihn verurteilt zu haben.. ( Aus dem Aufruf".)
Im Falle Kurt Siller& muß es geschehen! Dieſer lautere Das sind heut Lehrerversammlungen
Schriftsteller, feiner Organisation Mitglied, Feind jeglichen Kompromisses, sitzt seit dem 14. Juli 1933, da er von neuem verhaftet wurde, in der von SA.- Leuten betrauten" ehemaligen Militärarrestanstalt auf dem Tempelhofer Felde. Dieses Gefangenenhaus war als solches bis vor kurzem ( vielleicht heute noch!) nicht einmal der Berliner Polizei bekannt. Die internationalen humanitären Verbände haben die Pflicht tenseits jeder politischen Stellungnahme zum Werke Kurt Hillers. alles zu versuchen, was auch nur zu einem Schimmer der Hoffnung auf die Befreiung Kurt Hillers berechtigt.
Ende März umzingelte Polizei Reinfeld in Holstein, das Gut des Generalmajors von Schönaich , und schleppte den mehr als 60 Jahre alten Mann in das Gefängnis, Alle Bemühungen, Schönaich aus der Haft zu befreien, sind bisher fehlgeschlagen. Schönaich , der ehemalige Soldat, wandelte sich zum Pazifisten. Durch die Schriften Friedrich Wilhelm Försters, mit dem ihn heute noch Freundschaft verbindet, kam er zur Deutschen Liga für Menschenrechte, dessen eifrigster Mitarbeiter er wurde.
Dieser angesehene Publizist tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft wird seit vielen Monaten in Schußhaft gehalten und der nackten Verzweiflung überantwortet, ohne bisher auch nur den Grund seiner Berhaftung erfahren zu haben und ohne vor ein ordentliches Gericht gestellt worden zu sein. Der Redakteur Walter Tschuppifaus Prag , jest in München , hat nichts getan, was nach geltenden Gesezen zur Zeit der Tat strafbar gewesen wäre. Man hat ihm auch nicht eine zeitlich begrenzte Strafe auferlegt, sondern peinigt ihn
Kenntnisse
nicht mehr wichtig
In der Obersteiner Turnhalle fand, so lesen wir in der gleichgeschalteten Presse, eine große Kundgebung des Birken felder NS. - Lehrerbundes statt. Als Hauptredner sprach Prof.
Wenzel Slader
s
Der deutsche Reichspoftminister hat einen Erlaß über die Militarisierung des Postpersonals herausgegeben,
Endlich werden die schlappen deutschen Briefträger eine zackige Haltung befommen. Nach den Postanweisungen pon Reichswehroffizieren müssen sie nun nicht nur expedieren, sondern auch ererzieren. Das Ganze ist natürlich eine Drucksache, der sich kein Beamter entziehen kann.
Beim Einlangen eines Postzuges wird Vergatterung ge blasen. Nun gehts mit klingendem Spiel zum Amt. Die Briefträger der Staatsautorität stehen bereits ausgerichtet da. Nachdem der Postoffizier die Front abgeschritten hat, werden die Briefe verteilt. Verdächtige Postfachen kommen zuerst zum Oberbrieföffner. Die Briefträger werden zum Zustelldienst abkommandiert und gehen im Stechschritt, jeder einzelne unter Führung eines Postforporals und begleitet von einem Posthornisten, in ihr Revier. Das Herannahen der Patrouille wird den Empfängern durch das Trompetensignal „ Trara, die Post ist da!" angekündigt. Auf den Befehl " Präsentiert den Brief!" wird die Post mit egaft militärtschen Bewegungen übergeben.
Aehnlich vollzieht sich das Ausheben. Bei jedem Briefkasten steht ein Wachtposten, der der anrückenden Entleerungsmannschaft in einem furzen Rapport die Anzahl der seit der letzten Aushebung eingeworfenen Briefe sowie allfällige verdächtige Beobachtungen meldet. Solche Mitteilungen führen dann dazu, daß die Boten neben der Post auch marxistische Zirkel ausheben. Selbstverständlich werden auch bei der Post nur eingeschriebene Mitglieder der NSDAP . refommandiert.
Gut vorgebildet
Karo.
Oder: Wie wird man Rundfunkintendant?
Der bisherige fanfmännische Leiter des Norddeutschen Rundfunks, Direktor Gustav Grupe , ist toms missarisch zum Intendanten der Norddeutschen Rund f... f- GmbH. ernannt worden.
Intendant Grupe stammt aus Koppenbrügge. Nach Besuch der Oberrealschule trat er 1914 von der Schule aus als Kriegsfreiwilliger ein und nahm bis 1918 am Kriege teil. Er wurde dann Bankbeamter und später Rendant am Thalia Theater. Restlos stellte er sich als Nationalsozialist in den Dienst der Partelaufgaben; jetzt ist er Gauinspetteur der Gau inspektion IV, Hamburg .
Sth a de- Wörrsdorf über Aufbau und fünftige Notizen zur Zeit
Gestaltung des Schulwesens im neuen Deutschland . Die neue Schule unterscheide sich von der bisherigen dadurch, daß sie nicht nur Lehrplan, sondern auch ein Lehrzielt habe. Vorläufig seien für den Aufbau nur rohe Richtlinien vorhanden, und alle schöpferischen Menschen müßten den Weg bahnen helfen zur endgültigen Ausgestaltung. Den übrigen aber falle die Kleinarbeit des Erziehungswesens zu. Der fünftige Unterricht wird nicht mehr lediglich Vernunterricht sein, nicht mehr auf die unbedingte Eintrichterung von Kenntnissen bas Hauptaugenmerf richten, sondern sich gänzlich neu gestalten unter allmählichem Fortfall der Einteilung in Fächer. Er wird künftig aus vier Grundbetätigungen bestehen, eier, Spiel, Lehrgang und Arbeit. Wochenanfang und Wochenende, ebenso Tagesanfang und Tagesende sollen Feiern bilden, wenn auch nur kurze Minuten lang. Der Lehrgang dient der Vermittlung von Kenntnissen. Diesem Gebiet wird nicht mehr mie seither ein Vorrang eingeräumt. Die Kenntnisse waren vielfach nur Selbstzweck und für das Leben nußloser Ballast, mit dem der in die Welt tretende Schüler meist nicht viel an ingen konnte. Die interessanten Ausführungen wurden mit starkem Beifall aufgenommen und es schloß sich eine rege Aussprache an. Der Orchesterverein spielte noch den Marsch„ Adlerflug" von Blankenhurg und nach einem Sieg- Heil auf Reichspräsident und Reichskanzler schloß die Versammlung mit dem Absingen des Deutschland - und Horst- Wessel- Liedes...
Der Insel- Verlag hat die Schriften Martin Bubers , mit denen er bis in Hitlers Zeiten gute Geschäfte machte, abgestoßer und dem rein jüdischen Schockenverlag Berlin überlassen.
*
Der Theologe Friedrich Gogarten , der sich eine Zeitlang abseits hielt, gibt nun in einer eben erschienenen Schrift die erste theologisch begründete Deutung der These der Deutscher Christen".
*
Erich Czech Jochberg veröffentlicht eine„ Deutsche Ge schichte nationalsozialistisch gesehen". Der nationalsozialistische Seher stammt aus der Familie des berühmten tschechischen Dichters Svatopluk Ce ch. Das charakteristische Häkchen des Familiennamena hat er zu einem 3 aufgenordet.
*
Die Gleichheit vor dem Gesez wird nun auch in der Theorie aufgehoben:„ Eine völkische Strafzumessungslehre wird die Täter also nach ihrem Wert unterscheiden, den sie nach dem Leistungsprinzip als Glieb unseres Volkes für das Bolt besigen. Als härtestes Schicksal nächst der Todesstrafe trifft den Täter die Ausstoßung aus unserer Volksgemeinschaft, die Verbannung" ( Prof. Dr. Heinrich Drost, Zeitschrift für Politit, 5.)