DAS BUNTE BLATT

NUMMER 88= 1. JAHRGANG

TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

Die Hinrichtung

" Das ist ja entfeßlich," sagte der als Hilfsbeamter bei der Staatsanwaltschaft tätige junge Assessor und strich mit nervös zitternder Hand über das aufgeblätterte Aftenstück. Küm­merliche Indizien, nichts als fümmerliche Indizien. Und dazu diese Prozeßatmosphäre. Wissen Sie denn überhaupt, ob da nicht vier Unschuldige hingerichtet werden?"

" Sie scheinen schlechte Nerven zu haben, Herr Kollege," fagte der Oberstaatsanwalt Richter fühl und sah den grübeln­den Affeffor ein wenig beluftigt an. Sie passen wirklich schlecht in unsere Zeit. Sie sind unvorsichtig, mein Lieber! Bei mir macht das ja nichts aus, aber hüten Sie sich vor Spigeln. Da fißt einer schneller in der Tinte, als er es fe geträumt hat! Staatsräson, bester Assessor! Abschreckung des Untermenschentums!

Wieder vier..." murmelte ein Hafenarbeiter und zer­brach einen Löffelstiel in der harten, verarbeiteten Hand. Heute und morgen, und wie lange noch?"

Wird alles beglichen, wird alles beglichen, Hein...", sagte der Kollege und zog vier Kreidestriche über die bierfeuchte Tischplatte, auch die vier..."

SONNTAG, DEN 1. OKTOBER 1933

ein

Der berüfimte Zeitungssammler In Paris   starb hochbetagt. Henri Gibell, Mann, der als Sammler von Erst- Nummern von Zei< tungen und Zeitschriften bekannt war und dafür ein Ver­mögen opferte. Gibell hat nicht nur neu erscheinende Zet­tungen gesammelt, sondern auch die Nummer 1" von Zeitungen besessen, die vor 50, 60, ja 100 Jahren gegründet nurden. Seine Sammlung umfaßte nicht weniger als 2742 erste Nummern". Pariser  , Londoner, Berliner  , Wiener, Budapester, Belgrader  , Neuvorfer Blätter sind ebenso ver­treten, wie Blätter der Schweiz  , Polens  , Rußlands  , Chinas  ,

Schrill und abgehackt begann das elektrische Klavier mit Japans  . 16 arabische Zeitungsnummern 1 sind sicher eine der letzten staatsbefohlenen Walze:

Die Straße frei den braunen Bataillonen...

Pierre.

Was haben die armen Teufel ſchon zu verlieren? Ein paar Die Liga des Jodes"

Stempelgroschen. Und was sich nicht gleichschalten läßt, muß eben ausgerottet werden. Finde ich ganz in der Ordnung. Unsereiner hat es doch auch gekonnt.

Charakterproßereien kann sich nur ein Todeskandidat leisten! Machen Sie die Akten zu, Mensch, und kommen Sie in die Kantine. Wollen die Sache mit einem Kognat be­graben!"

Pos!" schrie eine vor Erregung heisere Stimme. Ein er­stickter Schret flatterte auf. Die Hinrichtungszeugen, die, streng nach Vorschrift, in Zylinder und schwarzem Anzug an­getreten waren, zudten leise zusammen und sahen mit ge= quältem Gesichtsausdruck zur Seite. Ein Gurgeln zerbrach in der schauerlichen Dede des Gefängnishofes." Der erste", flüsterte der Rendant Ottmer   und bog sich ein wenig zurück, als wollte er Luft schöpfen. Diese Size frißt einem die Lunge weg!"

" Nicht schlapp machen", meinte der Staatsanwalt gleich­mütig, wobei er gelangweilt in die Sonne blinzelte, beim weiten" geht es schon besser. Wir werden uns alle daran ge­wöhnen müssen!"

Der erste war mit geschlossenen Augen dem Henker unter das Beil gegangen; fast ohnmächtig, ein verendetes Menschen­tier, so lag er bereits im Netz des Todes, als der Scharfrich­ter zum Schlage ausholte.

Der zweite schrie, als wolle er die stumpf gewordene Welt mit der Glut seiner Todesangst zum Erwachen bringen. Die Zylinder der ehrbaren Zeugen zitterten, der Henker spuckte unwillig aus und der Staatsanwalt biß sich, von einer heißen Blutwelle, die von unten aufschoß, jäh gepackt, auf die Lippen. Den dritten schleppten sie an wie einen Sad; er war ein Bündel Zusammenbruch das der verordnete Mord mühelos

auseinanderspaltete.

Der vierte kam ruhig herbet, ein angespanntes Gesicht, voll Bewußtsein, voll menschlicher, opferbereiter Größe. Wieder greift der Henker zum Beil. Es lebe die Nevo­Iution!" flammt es durch die Luft, ein Signal, eine Fanfare. Die Stimme bricht durch den Dunst von Blut, Verzweif­lung und Angstschweiß. Eine Stimme der Offenbarung, frei von Ketten, eine Stimme der kommenden Welt. Und dann fällt das Beil.

In den rauchdunstigen Kneipen, in den Hafendestillen und Eisdielen saßen die Menschen zusammen und flüsterten.

Fontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  Was mich betrifft, so versuchte ich mich Generale Baldiffera zu nähern; er galt als der Gebildetste unter uns, weil er in seiner Jugend in Neapel   gewesen war. Ich wollte mich von ihm über die richtige Antwort belehren lassen, aber er lächelte mich nur mitleidig an, wie einer, der alles weiß, aber es nicht verraten will.

Wer soll leben?" fragte ihn der Mann des Gesetzes. Der alte Schuster lüftete den Hut und schrie:

Es lebe die Rönigin Margherita!"

Die Wirkung war ganz anders, als Baldiffera sie erwartet hatte. Die Soldaten brachen in ein schallendes Gelächter aus und das Männchen belehrte ihn:

,, Die ist tot... Königin Margherita ist tot."

Ist gestorben?" fragte Baldissera entsetzt. Nicht möglich!" Schreib, Verfassungstreuer'," sagte der Kleine zum schönen

Philippo.

Baldissera zog sich, über diese Häufung unerklärlicher Er­eignisse den Kopf schüttelnd, zurück. Auf ihn folgte Antonio Zappa, der von Berardo beeinflußt ,,, Nieder mit den Dieben!" schrie, damit aber den allgemeinen Widerspruch der Schwarz­hemden hervorrief.

Schreib, Arnachist," bedeutete der Dicke dem Schönen. Zappa ging und Antonio Spaventa kam. Nieder mit den Vagabunden!" und löste damit unter den Schwarzhemden ein wildes Geheul aus. Und auch er erhielt den Stempel Anarchist".

Wer soll leben?" fragte der Dicke Luigi della Croce. Aber auch er war Berardo- Schüler und konnte nicht es lebe" sagen, sondern nur nieder". Daher antwortete er: Nieder mit den Steuern!"

Und diesmal protestierten selbst die Faschisten nicht. Auch della Croce wurde zum Arnachisten" gestempelt. Größeren Eindruck machte Raffaele Scarpone, der dem Vertreter des Gesezes fast in die Fresse schrie:

Nieder, dein Lohngeber!"

In London   wurde soeben Die Liga des Todes" ge­gründet. Das ist weder eine geheimnisvolle Bruderschaft noch der Sammelpunkt verbrecherischer Elemente. Unter diesem Namen finden sich vielmehr Artisten zusammen, die den Be­rühmtheiten des Films die Wagnisse halsbrecherischer Kunst­stücke abnehmen. Den Stamm dieses merkwürdigen Ver­bandes der Filmakrobaten bilden fünf junge, verwegene und tollkühne Darsteller, die aus dem Spiel mit der Lebensgefahr einen Beruf gemacht haben. Sie führen die gefährlichsten Tricks aus, die von den Filmgrößen nie gewagt würden.

Der Vorsitzende der Liga ist Red Kavanagh, der als Held des Dirt track" bekannt ist. Er ist der einzig Ueber­lebende einer Truppe von sechs Akrobaten, die einer nach dem anderen bei ihren kühnen Schaustellungen den Tod ge­funden haben. Seine Kollegen nennen ihn den Roten Teufel". Er hat oft genug den Tod herausgefordert und die Narben seines Körpers bewahren mehr als eine Erinnerung an lebensgefährliche Abenteuer. Vor etwa zwei Jahren stieg Kavanagh mit dem deutschen Flieger Miller zu einem Kunst­flug auf. Dabei stürzte der Apparat zu Boden. Während Miller den Sturz mit dem Leben bezahlen mußte, kam Kavanagh mit fünf gebrochenen Rippen davon.

Zur Zeit bereitet der Rote Teufel" eine neue Variante vor. Er will von dem Verdeck eines Automobils auf den Flügel eines in geringer Höhe schwebenden Flugzeuges überspringen und, während sich die Maschine in die Höhe schraubt, Akrobatenkunststüde vorführen.

In der Liga des Todes" ist noch Wingdam, die Schwinge", der in den Ateliers von Hollywood   berühmt wurde. Er ist stets bereit, auch das gefährlichste Wagnis auf sich zu nehmen, vorausgesetzt, daß es sich in der Luft abspielt. Der Dritte im Bunde, Roy Sherman, beschränkt sich auf Automobil­und Motorradfatastrophen. Mit heiler Haut aus aufregenden und gefährlichen Zusammenstößen davonzukommen, ist sein Beruf. Spezialisiert hat er sich auf Zusammenstöße zwischen Pferde- und Ochsenfuhrwerken mit Eisenbahnzügen. Long Longinotto hat sich als Spezialist für Abstürze einen Namen gemacht. Der Sturz aus dem Flugzeug, Stürze von Stuhl und Tisch sind ihm sozusagen Lebensbedürfnis. Das fünfte Mitglied dieses seltsamen Bundes endlich ist Pepper Flet scher, ein Zirkusartist, der auch als Filmdarsteller seiner Kunst treu geblieben ist und zu Pferde die kühnsten Bravour­stücke vollführt. Er ist ein begehrter Darsteller bei Außen­aufnahmen.

Das Männchen wollte ihn sofort festnehmen lassen, aber Raffaele war klug genug gewesen, erst zu sprechen, nachdem er dem Viered entronnen war. Er verschwand mit zwei Sprüngen hinter der Kirche. Niemand sah ihn wieder.

Mit Jacobo Losurdo begann die Reihe der Vorsichtigen von neuem:

Alle sollen leben!" schrie er und es war schwer, sich eine weisere Antwort vorzustellen. Aber auch sie gefiel nicht. Schreib," sagte der Kleine zum Gehilfen, Liberaler!" Es lebe die Regierung," schrie Giovanni Oliva in bester Absicht.

Welche Regierung?" fragte Philippo der Schöne. Oliva hatte niemals gewußt, daß verschiedene Regierungen egistierten. Aber aus Höflichkeit rief er:

Die legitime Regierung."

Schreib Gauner'," wandte sich der Kleine um. Pontius Pilatus   wollte ganz schlau sein und als er dran­fam, schrie auch er:

Es lebe die Regierung!"

Welche Regierung denn?" fragte Philippo. Die illegitime Regierung."

Schreib," diftierte der Dickbäuchige, Taugenichts." So war es niemand bisher gelungen, etwas Befriedigendes zu finden. Nach und nach wurde für uns, die wir noch ge­prüft werden sollten, beim Anwachsen der abgelehnten Ant­worten die Auswahl immer kleiner. Aber die einzig entschei­dende, völlig ungelöste Frage war, ob man bei einer falschen Antwort etwas zahlen müsse. Nur Berardo bewies, daß ihn das nicht beschäftigte und er fuhr fort, seine jungen Freunde im Sinne des Abasso" und nicht des Evviva" zu beein­flussen.

,, Nieder mit den Banken," schrie Venerdi Santo  . Welche Bank?" fragte Philippo.

Es gibt nur eine und die gibt ausschließlich dem Impre­fario Geld," antwortete Vennerdi, der mit der Bank gut Be­scheid wußte.

,, Schreib Kommunist."

Als Kommunist wurde auch Casparone bezeichnet, weil er antwortete:

,, Nieder mit Torlonia!"

Kuriosität. Gibell war vor 30 Jahren Reporter einer ame= rikanischen Provinzzeitung. In seiner Heimatstadt Paris  eröffnete er dann ein Inferatenbüro. Seit acht Jahren lebte er als Rentier.

Die Schule

Die Lehrerin erkundigt sich am zweiten Schultag: Na, Karli, wie gefällts dir denn in der Schule?"- Ganz gut, Fräulein, aber man verpakt sich halt den ganzen Vor­mittag damit!"

Der Herr Katechet hat mit salbungsvollen Worten die Herrlichkeit des Himmels geschildert und fragt nun die Klasse: Wer von euch will also in den Himmel kommen?" Alle melden sich, bis auf den kleinen Gustl.- ,, Aber Gustl, warum willst du denn nicht in den Himmel?" Weil mir meine Mutter befohlen hat, nach der Schule gleich nach Hause zu kommen!"

-

falsch. Und warum, Berglhuber?"- Weil sie ja noch da Lehrer: Wenn ich sage: Ich habe fortgegangen," so ist das sind, Herr Lehrer."

Nur Eigenschaftswörter können gesteigert werden," sagt der Lehrer, Zum Beispiel: schön, schöner, am schönsten." -Da meldet sich der Pepi Vogelsinger stürmisch: Bitte, Zahl­Herr Lehrer, auch Zahlwörter kann man steigern!" wörter? Nein, das kann man nicht!" O ja, bitte zum Beispiel: drei, dreier, am dreißigsten."

-

In der Schule wird eine Weihnachtsfeier vorbereitet. Der Gesanglehrer probt mit den Kindern: Die erste Strophe des Liedes singt der Chor ganz allein; bei der zweiten muß dann die ganze Schule einfallen.

In der Religionsstunde. Nun Kinder, was müssen wir tun, bevor uns vergeben werden kann?"" Wir müssen zus nächst sündigen!"

Was sind Nomaden, Elfriede?"

Nomaden sind Leute,

die sich nur kurze Zeit an einem gewissen Ort aufhalten."

Du bist unglaublich oberflächlich," schimpft die Frau Leh­rerin mit der kleinen Paula, ich kenne niemand, bei dem die Oberflächlichkeit so tief sitzt, wie bei dir!"

*

Die Bedeutung der Sprichwörter wird erläutert. Der Lehrer fragt den Huber: Kannst du mir ein Beispiel dafür nennen, daß Ehrlichkeit am längsten währt?"- Ja, Herr Lehrer. Wenn ich die Rechenaufgabe abschreibe, bin ich in ein paar Minuten fertig; wenn ich sie aber allein mache, dauert es viel länger!"

Während dieser letzten Fragen und Antworten war am andern Ende des Plazes Maria Vincenza, Berardos Groß­mutter erschienen, die wir kurz vorher bei Maria Grazia hatten eintreten sehen.

Berardo? Wo ist Berardo?" schrie die Alte. Was diese Halunken in unseren Häusern getrieben haben!

... Was sie unsern Frauen angetan haben!... Und die Männer? Wo bleiben denn die Männer? Berardo..." Berardo begriff sofort. oder tat wenigstens so und stand mit einem Satz neben dem jetzt schlotternden Philippo. Er packte ihn beim Kragen und fragte:

Wo ist Elvira?... Was hast du mit Elvira gemacht?" Die alte Maria Vincenza war inzwischen bis zur Kirchen­schwelle gelangt und jammerte, jest auf den Knien, von

neuem:

Madonna, beschirme uns, hilf uns, rette uns

Sie war mit ihrem Flehen noch nicht fertig, als ein Ton der großen Glocke die Augen aller auf den Turm lenkte. Dort gewahrten wir etwas, wie den Schatten einer Gestalt, einer hohen Frau.

Benommen hielten wir den Atem an. Die Vision ver­schwand.

" Die Madonna! Die Madonna!" schrie Philippo der Schöne entsetzt auf.

Die Madonna!" begannen die andern zu wiederholen. Das Viereck löfte sich auf. Die Schwarzhemden rannten fluchtartig zu ihren Kamions am Ausgang des Dorfes. Wir hörten von Ferne das Rattern der Motore.

Dann sahen wir die Autos mit ihren Scheinwerfern in großer Geschwindigkeit den Hügel hinunterfahren. Es gelang uns nicht, ihre Zahl festzustellen. Es war eine endlose Kette. Am Fuß des Hügels aber, in der letzten Kurve vor der Hauptstraße, blieben sie mit einem Ruck stecken.

Es dauerte eine gute halbe Stunde.

Warum haben sie Halt gemacht?... Wollen sie am Ende umkehren?" fragte ich Berardo.

" Raffaele Scarpone weiß, warum sie nicht weiterfahren," antwortete er lachend.

Als die Autos endlich fortratterten, war es tiefe Nacht ge­

Paulummo dagegen galt als Sozialist" für die Antwort: worden. " Hoch die Armen!"

( Fortsetzung folgt.)