Der Hunsrück war seit langen Jahren ein außerordentlich gutes Rekrutierungsgebiet für die Nazis. Die ärmlichen Verhältnisse, die nur noch mit denen im schlesischen und sächsischen Erzgebirge vergleichbar sind, machten die Agitation leicht, die ausgehungerten Menschen wurden leicht das Opfer jeder Heilsbotschaft". Es ist deshalb nicht uninteressant, zu erfahren, wie nach einigen Monaten Naziherrschaft die Wirfung der„ praktischen Bauern- und Bürgerhilfe" in den Kreisen der Hoffnungsfrohen beurteilt wird:
Die Kleinbauern
Die erwartete Preissteigerung bei den hauptsächlichsten Erzeugnissen ist ausgeblieben. Hafer, der voriges Jahr noch mit 8 Mt. und 9 Mk. verkauft werden konnte, wird dieses Jahr bei einer guten Durchschnittsernte mit 5 RM. ge= handelt. Die Kartoffelernte ist schlecht, der Preis auf der Basis des vorigjährigen geblieben. Für Milchprodukte ist faum noch ein Absatz zu finden. Die seitherigen Abnehmer, Arbeiter und kleiner Mittelstand, sind nicht mehr imstande, die Preise zu zahlen. Die Viehpreise sind so gedrückt, wie nie vorher. Das Pfund Schweinefleisch Lebendgewicht wird jetzt mit 38 Pfennig bezahlt, der Normalpreis bewegte sich stets zwischen 56 und 60 Pfennig. Unter diesen Umständen ist die Begeisterung gewichen. Die Meinung der Bauern ist:„ Wir gehen mit Sang und Klang unter!" Die Arme wollen beim Hitlergruß nicht mehr recht in die Höhe. Troßdem ist natürlich an eine irgendwie geartete offene Proteststellung nicht zu denken. Es wagt feiner etwas zu sagen, weil man Denunziation und Behördendruck fürchtet. An einigen Stellen persuchen die katholischen Geistlichen meistens junge Kapläne
die renitenten Elemente zu sammeln und in vorsichtiger Weise zu beeinflussen. Größere Wirkungen sind jedoch von diesen örtlichen Unternehmungen nicht zu erwarten.
Die Kleinbürger
Die Stimmung wird am besten gekennzeichnet durch die Bemerkung eines Bäckermeisters:„ Es wird immer schlechter. Was sollen die armen Leute bloß machen? Ich sehe das wohl am besten und sehe, wie die Verelendung immer größer wird. Familien mit einigen Kindern, die seither die Woche noch vier und fünf sechspfündige Brote holen tamen, haben
jetzt nur noch Mittel für zwei, höchstens drei. Die Kinder
sehen entsetzlich verhungert aus. Und was soll dann aus uns werden? Wir sind doch abhängig von dem Verbrauch der fleinen Leute. Ich muß, wenn es nicht schnell besser wird, in einigen Wochen die Bude zumachen." Aehnlich reden sie alle, die Bäcker, die Mezger, die Krämer, die Wirte. Namentlich die Wirte, deren Umsatz in erschreckendem Umfange zurückgegangen ist.
Die Arbeiter
Fast restlose Zugehörigkeit zur NSBO. Auch der Hunsrück ift fast frei von Arbeitslosigkeit, frei nach ostpreußischem Muster. Man fann sagen, in jedem Falle wird der Arbeitsfose unter Druck zur Arbeit gezwungen, wobei keinerlei Rücksicht auf Verdienst und Verpflichtung genommen wird. Die Verheirateten mußten in der Erntezeit Arbeit bei den Bauern aufnehmen, das Arbeitsamt zahlte die Unterstützung weiter, der Bauer liefert die Verpflegung, allerdings nur für den Arbeitenden, nicht für die Familie. Wer sich weigerte, wurde aus der Unterstützung ausgeschieden. Die Unverheirateten wurden aus der Unterstüßung gebracht und den Bauern zur Arbeitsleistung überwiesen. Eine Verpflichtung zu Barlohnzahlung bestand nicht; in den meisten Fällen wurde nur Behausung und Verpflegung gewährt. Gegenwärtig befindet sich auf dem ganzen Hunsrück wohl kaum noch ein lediger Mann in der Unterstüßung. Verdienstmögfichkeiten bestehen nicht. Bettelei und Felddiebstahl haben einen niegeahnten Umfang angenommen. Die Stimmung ist gedrückt. Hier und da wagt man wieder ein offenes Wort. Widerstandswille besteht aber noch nicht.
Die Jugend
Nach wie vor Hitler und Uniform begeistert. Irgendwelche Anzeichen für einen Umschwung oder eine Umkehr lassen sich nicht feststellen.
,, Eigentum bewiesen"
Denen, die behaupteten, Eigentum sei Diebstahl, haben wir die Notwendigkeit des Eigentums bewiesen." So Göbbels im Sportpalast.
Allerdings, nur auf einem seltsamen Wege: indem man den Sozialdemokraten, Kommunisten, Arbeitersportlern, Freidenkern usw. ihr Eigentum- gestohlen hat!
Die werden nun aber von der Heiligkeit des Eigentums überzeugt sein!
Rohe Meerschweinchen und zarte Märchen
Nach unserem teuren Shaw, dem lächelnden Dichter der Fren, ist die Raffe der Angelsachsen nicht durch die Generationen von Mischehen seit Wilhelm dem Eroberer, sondern durch das Klima entstanden. Andere führen die erblichen Eigenschaften dagegen auf den Großvater zurück. Natürlich gibt es auch so etwas wie Schicksal und Blut; Herr von Moro- Giafferi, der berühmte Anwalt aus Korsika, hat zum Beispiel neulich, gegen Hitler gewandt, ausgerufen, daß er einer Rasse entstammt, die ihre Toten räche. Damit hat er auch viel Beifall bei den Juden gefunden. Soweit in Ordnung; der Hauptunterschied zwischen den Völkern liegt aber doch nicht bei dem Großvater, sondern bei der Muttersprache und der mütterlichen Küche.
Die Monate ohne R( das gibts bei Deutschen wie Franzosen ) sind vorbei, und in Paris liegen Langusten, Schildkröten, Muscheln und Austern auf den Tischen. Die Austern sind hier wahrhaft Kaviar fürs Volk, das ganze Duzend kostet bloß 4 Fr. oder noch weniger und wird eifrig gefnackt..Es gibt auch die berühmten Weinbergschnecken und dazu, nicht zu vergessen, die Weinernte. Zu den„ Quetches" aus dem Elsaß und den saftigen Früchten aus dem Süden gesellen sich, neuerdings sehr in Mode, die blauen ungedörrten Feigen, eine Hauptfreude der Engländer. Die Franzosen halten sich mehr an die Meerschweinchen, die roh gegessen werden.
Wer an diesen pikanten Dingen Anstoß nimmt, lese ein Männerwort in Hitlers Hauptblatt. Da steht drin, daß das Sprichwort„ Wie die Schnecke in der Butter" noch heute in Deutschland verbreitet ist, womit der Beweis erbracht wurde, daß unsere Vorfahren, Luther und Florian Geyer usw., Schnecken aßen. Wahrscheinlich stand sich das deutsche Volt dabei sogar beffer, als heute unter den Bismarc- Heringen und Hitler- Nudeln.
Aber, wird jemand entsetzt fragen, kann es etwas undeutscheres geben als rohe Meerschweinchen? Liebe Leute, beruhigt Euch, fann es etwas Deutscheres geben als die alten Märchen, die jetzt zur Dämmerstunde in den Dörfern erzählt werden? Aber so schön und manchmal grausam sie
Eintopfgericht- mehr nicht!
Jetzt ist die große, befreiende Tat endlich vollbracht,
denn einzig der Kartoffelsalat
gibt dem totalen, dem neudeutscher
Anseh'n und Macht.
Staat
Selbst Thyssens essen des Mittags ganz schlicht ein gleichgeschaltetes Eintopfgericht ohne Kompott.
Auch Göring hungert, der arme Tropf und spart sein Geld
Vierzig Zimmer nur ein Topf. Ganz Deutschland steht vor Begeiste= rung Kopf:
feht, welch ein Held!
Am Abend ist alles wieder wie's war, wer hat, der hat,
tower nichts hat, gilt als rote Gefahr, doch das Erlebnis war wunderbar.
, Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Darum wollen wir den Kaviarserr Göbbels findet: und das Himbeereis aus einem Topf fressen! Heil Goebbels !" Hunger macht fatt.
Schande deutscher Richter
Wer
Wer die Wahrheit sagt, wird eingesperrt
Der nachstehende Greuelbericht" entstammt dem nationalsozialistischen Westdeutschen Beobachter" in Köln vom 28. September. Wir drucken ihn ohne jede Ergänzung, ohne jeden Kommentar ab. Er ist fennzeichnend für die Rechtsbegriffe in Deutschland .
In Lövenich, Kreis Erkelenz , war der 24jährige Korbmacher Heinrich Giesen als übler Kommunistenhäuptling
bestens bekannt. Wegen verbotenen Waffenbesitzes wurde er
in Schutzhaft genommen und in die Jülicher Zitadelle eingeliefert, wo man aus dem Stromer rein äußerlich wieder einen einigermaßen anständigen Menschen machte und den Halbverhungerten auch wieder langsam zurechtfütterte. Als er dann nach seiner Entlassung nach kurzer Zeit wiederum eingeliefert und deswegen zur Rede gestellt wurde, benahm er sich recht flegelhaft, was ihm seitens des sich doch gerade der Sturmführer bei der früheren InhaftSturmführers der SA. eine kurze Abreibung eintrug. Hatte nahme des Schüßlings besonders angenommen und war er darum um so mehr erbost, daß dieser nun schon wieder erschten und auch noch obendrein freche Redensarten führte. Als dann der Häftling nach furzer Zeit wieder entlassen wurde, ging er in die Wohnung der 29jährigen Ehefrau Ida Zwaagstra in Lövenich, mit der er ein Verhältnis unter hielt und erzählte ihr, daß er in der Zitadelle in der maßlosesten Weise mißhandelt worden sei. Ohne jede Beranlassung fet er ins Gesicht geschlagen worden, und außerdem habe man ihn noch gegen den Magen getreten. Troßdem aber der Arzt tagtäglich die Zitadelle für die Häftlinge aufsuchte, hatte sich der angeblich Mißhandelte während seiner Haftdauer niemals bei dem Arzt gemeldet und auch nach seiner Entlassung feinen Arzt aufgesucht. Das hielt ihn aber nicht ab, sich als zu den zu Unrecht Geschundenen hinzustellen, was seine Liebste dann zum Anlaß nahm, dieses Märchen weiter zu kolportieren.
Deswegen standen beide jetzt vor dem Sondergericht. Die Beweisaufnahme ergab aber, daß der Angeklagte die erhaltene Abreibung in der gröblichsten Weise übertrieben und entstellt hatte. Festgestellt wurde auch, daß er durch sein freches und herausforderndes Benehmen die alleinige Schuld daran trug, daß ihm ein paar überzogen worden
waren.
Gegen ihn beantragte der Staatsanwalt eine Gefängnisstrafe von 10 Monaten und gegen die Angeklagte nur 3 Monate, weil sie aus Schwaz haftigkeit nur mehr grob fahrlässig gehandelt hatte.
sind, sie sind doch nicht deutschen, sondern feltischen Ursprungs: Aschenbrödel und der kleine Däumling, Rotkäppchen und Schneewittchen , und sogar das Dornröschen, das der Prinz erweckt. Sie alle sind erst deutsch geworden durch die Brüder Grimm und durch die beste deutsche Eigenschaft, die es gibt: die Kulturvermittlung. Französische und deutsche Feste
Der Städtebauer Haußmann( sprich: O- ßmann) ist der Elsässer, der in Paris die gewaltigen Boulevards durchgebrochen hat. Auf dem ihm zu Ehren genannten breiten Straßenzuge in der Nähe der Oper ist gegenwärtig Herbstmarkt, die sogenannte Quinzaine, mit Volfsrednern, Wurst und Tuchen, und man kann dort wirklich das französische Volksleben anders kennen lernen als in Göbbelsebubs Leitartikeln. Man müßte überhaupt mal einen Vergleich der deutschen Rummeltage mit den französischen Märkten, den Straßen- Athleten, den Spaßmachern, den Hoffängern schreiben. Auch ein Vergleich des französischen GuignolTheaters, in dem die Kinder„ Le voila" schreien, mit dem deutschen Kasperle- Theater, in dem man die Kinder zum Beten für Hitler abrichtet, ist ganz interessant.
Unter den neueren deutschen Rummelfesten aber verbirgt sich nicht etwa eine alte Volkskultur, sondern neuer, hohler Massen- Mechanismus. Das Fest des deutschen Bauern" hat nichts mit dem alten Erntedankfest und dem volkstümlichen Weizenhahn" zu tun, sondern ist eine Neuauflage der Agrarier- Aufmärsche zum Zirkus Busch und der grünen Woche mit der üblichen Friedrichstraßen- Bekanntschaft. Der Nürnberger Hauptschlager war nichts als eines der üblichen Bratenfeste mit Bundesschießen oder Kriegervereinen, und mit Recht wurde dort der selige Sedanstag, an dem sich vormals der Pauker in Reserveleutnants- Uniform besoff und alte Bratenröcke einen ausgaben, zum Feiertag erhoben. Jetzt fehlt nur noch die Kaisers- Geburtstags- Feier, das Ordenskapitel und der Presseball, dann ist das erste Programm des Vierjahresplans erfüllt.
Der Emigrantengarten
Im halben, lohenden Herbst vor den Toren von Paris hängen wilde hohe Tomatenbüsche vor einer Mauer. Ein Stück Wind und Landschaft weht herein, der Abend flammt
Munin.
Unter Berücksichtigung der besondern Umstände bat Rechtsanwalt Dr. Steiner um eine weit mildere Bestrafung, was auch insofern Erfolg hatte, daß das Gericht gegen den Angeklagten nur eine Strafe von 6 Monaten Gefängnis festsetzte und gegen die Angeklagte auf nur 2 Wochen Gefängnis erkannte.
Der arme Levy
Was hätte er anders tun sollen?
A zwontwi
Unter der Ueberschrift Lügen über Oranienburg " meldet die SA.hörige Presse:
In einem kürzlich von der„ Times" veröffentlichten Aufsatz über das Konzentrationslager Oranienburg war u. a. pon angeblichen Mißhandlungen die Rede gewesen. Dr. Ludwig Levy , der in dem Aufsatz namentlich erwähnt worden war, stellt heute in einem Brief fest, daß er wäh= rend der ganzen Dauer seiner Inhaftierung vom 26. 6. bis 25. 7. d. J. niemals eine Mißhandlung von politischen Gefangen beobachtet habe, daß er selbst niemals im mindesten mißhandelt worden sei und daß ihm selbst.niemals das Frühstück oder der Empfang von Besuch verweigert worden wäre. Die Behandlung sei im Gegenteil durchaus gut und sogar höflich gewesen. Man stelle sich vor, was mit dem armen Herrn Levy passiert wäre, wenn er die Wahrheit gesagt hätte.
Die deutsche Lügenpresse weiß natürlich nichts davon, daß Tausende Mißhandelte schriftlich bestätigen mußten, es set ihnen nichts geschehen, ehe sie nach den Folterungen aus den Braunen Häusern entlassen wurden. Zahlreiche Mißhandelte wurden verurteilt oder an ihrem Vermögen geschädigt, oder an ihren Verwandten wurde Rache genommen, wenn sie wahrheitsgemäß erzählten, was ihnen geschehen ist.
Groß ist auch die Zahl derjenigen, die wegen Verbreitung von Greuelnachrichten verurteilt wurden, nur weil sie die Wahrheit über gewisse 3wischenfälle" weitergegeben hatten. Immer wieder erreichen uns briefliche und mündliche Bitten von Angehörigen, wir möchten nichts mehr über Konzentrationslager veröffentlichen, da dafür an den Häftlingen Rache genommen werde.
um die Silhouette des Gaswerks, Kinder spielen das Herbstspiel von der„ Allerschönsten": C'est la reine La plus belle,
und die Mädchen- Stimmen zittern wie Vogel- Laute in der tühleren Luft.
Hinter dem Tor im Gemüsegarten steckt ein starker Kerl einen Spaten in die hochgewühlten Stauden. Das ist ein früherer„ Grüner ", der hier die Saat pflanzt und nicht bloß diese auch eine andere, die jenseits der Vogesen aufgeht. Neben ihm geht ein Ruhrfumpel, eine alte Reichsbanner- Ordonnanz, mit der Schaufel mächtig unter Tag. Ein verflossener bayerischer Fürsorger schmeißt mit Serrgottsakrament das Unkraut in die Ecke. Der rheinische Hausfoch, ein weiterer Illegaler, mit den starken Fäusten eines Maschinenschlossers, brißelt gleichgeschaltete Erbsensuppe in der Küche. Der fünfte im Bunde, ein Teibhaftiger Philosophie- Doktor und Sprachen- Gelehrter, ist ausgeflogen. Wahrscheinlich will er neuen Proviant holen. Vielleicht macht er einen Besuch beim Schutzpatron Anatole France , dessen " Revolution der Engel" mit dem im Garten die Flöte blasenden Nectaire viel Aehnlichkeit mit diesem Garten der Vertriebenen hat.
Dies ist das Märchenhaus mit Fliesen, Getäfel, Gasfronen und Badewannen, das ein löblicher allgemeiner Wohltäter, angebohrt von unserem trefflichen Freunde im Internationalen Gewerkschaftsbund, den deutschen Sozia listen als Verwaltungsheim gegeben hat. Wahrscheinlich in der Nähe soll auch das neue Mateotti- Lager von Flüchtlingen bezogen werden. Ueber den leeren Weinflaschen im früheren Keller des Herrn Gasdirektors staunen sich schon die Stühle im Arbeitsraum, mit vierzig Zeitungen, die unter Kreuzband ankommen. Im Speisesaal liegt offen das Wirtschaftsbuch, damit in der neuen Genossenschaft, die den„ mit Stumpf und Stiel ausgerotteten" Sozialismus mindestens mit Stil wieder einführen will, keine Bonzenwirtschaft entsteht. Hoffentlich ist es nun auch bald so weit, daß das neue Mateotti- Lager mit Oefen, Herd und warmen Betten be= zogen werden kann, damit so mancher schwergeprüfte Flüchtling das hier immerhin aus Weizen bestehende Brot der Verbannung essen kann. Baptiste.