Don
Freiheit
Nummer 90-1. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Mittwoch, 4. Oktober 1933 Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt:
Görings
jüdische Erziehung
Seite 3
Rüstungskonjunktur
Seite 4
Schandtaten im Konzentrationslager
Seite 7
Handgranaten Utopisten
als Volksspiel
Von mehreren Seiten ging uns aus dem Reiche der nebenstehend faksimilierte Prospekt zu.
Wir dürfen wohl bitten, uns mit dem Vorwurf des Landesverrats zu verschonen, da wir uns überzeugt haben, daß die be= treffende Firma ihre Prospekte gerne auch ins Ausland versendet.
Was aber ist von der geistigen Verfassung einer Nation zu halten, die das Werfen von Handgranaten nicht den Soldaten auf den Uebungspläßen überläßt, sondern daraus einen Volkssport" macht wie ehedem das Regeln oder den Schlagball? Ein solches Bolt ist geradezu waffensüchtig und ist in Gefahr, noch üblere Erfahrungen zu machen als sie ihm durch den Friedensvertrag angetan worden sind.
Es ist tief bedauerlich, daß weder die deutsche Reichsregierung noch ihre Presse erkennen oder doch zugeben, wie diese kriegerische Erziehung der Jugend allen Kräften außerhalb Deutschlands zugute kommt, die Deutschland als den ewigen Friedensstörer hinzustellen ein Interesse haben. Gerade diejenigen, die einen gewissen Ausgleich der internationalen Rüstungen an eine wirkliche Abrüstung ist zur Zeit ta gar nicht zu denken für notwendig halten, sollten einem Unfug steuern, der die deutsche Jugend als geradezu kriegstoll erscheinen lassen muß. Statt dessen wird jeder gesteinigt, der seine Volksgenossen vor dem Weg in den sicheren. Abgrund warnt.
Artikel für den Volkssport.
315 Wurfkeulen aus Hartholz lackiert, Normaigröße
316 Dieselben mit Eisenbeschlag
317 Stielhandgranaten aus Hartholz, lackiert
per Stück Rm. 0.85
mit Eisenmantel, Normalgröße, 500 Gramm schwer, per Stück Rm. 1.03 318 Dieselben, aber 800 Gramm schwer
A319 Stielhandgranate
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gesetzlich geschützt
1.10
Normalgröße, Hartholzstiel, Kopf Eisenmantel, mit 4 Sekunden Zeitzündung, Reißzünder und Pulverschlag. Zu jeder Granate werden 5 Schuß bezw. Zünder mitgeliefert * per Stück einschl. 5 Schuß Rm. 3.50
A 320 Zünder zu den Handgranaten extra
1.05
! Schachtel mit 5 Stück Rm. 1.20
Alle Stielhandgranaten haben das vorgeschriebene Sportgewicht und Größe. Trotz der guten Schußwirkung werden die Handgranaten richt beschädigt und können immer wieder mit neuen Schüssen geladen werden. Gebrauchsanweisung liegt jeden
Stück bei,
A321 Seitengewehr( gute Nachbildung)
aus Hartholz, Griff braun mit silber broncierten Absatz, Unterteil schwarz, Gewicht ca. 120 Gramm, 41 cm. Lang, per Stück Rm.- 70 №322 Gewehr aus Harthoiz
( in Form und Größe Modell 98 nachgebildet) mit Zielvorrichtung, Schaft braun, Rohr schwarz gefärbt, imit. Schloß mit Stengel und Knopf silber bronciert,
Gewicht ca. 1,3 kg ganze Länge 122 cm. per Stück Rm. 3.30
Kampf um die Waffen
Große internationale Debatte um die Abrüstungskonvention
Der deutsche Reichsaußenminister ist noch nicht wieder nach Genf zurückgekehrt. Auch der Reichspropagandaminister hat seinen Versuch, die Welt für das deutsche Hitlerregime zu erwärmen, einstweilen aufgegeben. Inzwischen hat sich der französische Außenminister Paul- Boncour , nachdem er sich der vollen Einmütigkeit des französischen Kabinetts versichert hat, wieder in Genf eingefunden. Er hat nicht gewartet, bis die Abrüstungsfrage in Genf öffentlich zur Debatte steht, sondern hat am Montag in die Aussprache über den Bericht des Generalsekretariats eingegriffen. Das gab ihm Gelegenheit, mit deutlicher Spizze gegen Berlin Frank reich als einen Hort der Menschlichkeit zu feiern:
Frankreich ist mit Norwegen , es ist mit Oesterreich, um feine Unabhängigkeit zu schützen, es ist mit Solland, um dessen Aufgabe zugunsten der politischen Flüchtlinge zn unterstützen, es ist mit Schweden , um zu verkünden, daß ein Mensch nicht der Sklave eines anderen Menschen sein darf, es ist mit allen den Staaten, die wünschen, daß die Entscheidungen des Völkerbundes respektiert werden, und die einen organischen Frieden verteidigen. Leider wird das große internationale Gespräch um die Abrüstung von Berlin her sehr plump geführt. Man merkt, daß auch das auswärtige Amt gleichgeschaltet ist und europäische Politik mit dem Wortschatz innerpolitischer nationalsozialistischer Agitation betreiben will. Die deutsche diplomatisch- politische Korrespondenz präzisiert die deutschen Ansprüche neuerdings wie folgt:
Die deutsche Forderung geht dahin, daß der Gleichartig keit der Wehrform die Gleichartigkeit der Bewaffnung zu entsprechen hat, daß also Deutschland keine Waffen versagt werden dürfen, die die anderen Staaten für ihre Ver: teidigung für unentbehrlich halten. Frankreich ist anderer Ansicht Großmütig erklärt es sich bereit, dem auf die doppelte Kopfzahl verstärkten deutschen Heere auch eine Verdoppelung der Waffenbestände zuzugestehen, wie sie der Versailler Vertrag festsett! Nicht einmal unzweifelhaft defensive Waffen, wie Flugabwehrgeschüße,
sollen Deutschland erlaubt werden. Ebenso nicht die ents scheidenden modernen Waffen, wie Flugzeuge, Tants und ich were Geschütze, die Frankreich in gewaltigen Mengen befizt. Deutschland soll sich mit den in der heutigen Zeit völlig ungenügenden und auch in ihren Mengen unzulänglichen Waffen begnügen.
Die Verstärkung der deutschen Armee auf 200 000 Mann und die Verdoppelung ihrer Versailler Waffen würden sie zur deutschen Bevölkerung etwa in das gleiche Verhältnis bringen, wie es bei den kleinen abgerüsteten Staaten besteht und ihr relativ dieselbe Bewaffnung geben wie diesen.
Dafür soll Deutschland die von den Franzosen mit Recht oder Unrecht als militärisch besonders wertvoll angesehene 12jährige Dienstzeit beseitigen und die von den Franzosen wegen ihrer Leistungsfähigkeit besonders gefürch: tete Reichswehr in eine kurz dienende und viel weniger gefährlich erscheinende Miliz nmwandeln. Gleichzeitig will aber Frankreich für die nächsten vier Jahre seine in jeder Hinsicht übersteigerten Rüstungen nicht im geringsten vermindern.
So sehen Abrüsten und Gleichberechtigung heute nach über 1½ Jahren Abrüstungsverhandlungen in der französischen Aufmachung aus. Solange dies so ist, fai... man auf eine Einigung schwerlich hoffen. Wer die Verantwortung dafür zu tragen hat, kann nicht zweifel
haft sein.
Mit dieser Taktik des„ Alles oder nichts" wird Deutsch land aus der durch Hitler herbeigeführten Isolierung nicht herausgebracht werden können. Die Herren in Berlin vergessen, daß nicht nur der betont kriegerische Geist der Nationalsozialisten, sondern auch die brutale Unterdrückung der politischen und rassischen Minderheiten in Deutschland das Mißtrauen gegen dieses Regime in der ganzen Welt riesengroß haben anwachsen lassen.
Fortseßung Seite 2
Tag der Völkerverständigung
Unser Basler Sonderkorrespondent berichtet:
Die Tendenz zur kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den großen Jmperien der Welt ist unverkenn bar. Alle Reden über die Notwendigkeit der Abrüstung, alle Friedenskonferenzen der letzten Jahre können nicht darüber hinwegtäuschen, daß heute die meisten Staaten fieberhaft aufrüsten, gigantische Kräfte allenthalben ungehemmt zur Katastrophe treiben. Diese Tatsache und ihre Ursachen erkennen, heißt die Voraussetzungen für die Gegenkräfte entwickeln. Dem Versuch einer Klärung und der Demonstration von Friedensfreunden aus allen europäischen Staaten galt der„ Tag der Völkerverständigung", der in Basel mit einem Fackelzug tausender jugendlicher Menschen und einer Ansprache Simon Gauthiers, des Zentralpräsidenten des Bundes für die Vereinigten Staaten von Europa Jungeuropa-, begann und Sonntagabend seinen Abschluß fand.
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War der Sonntagvormittag der Diskussion über all die Probleme gewidmet, die mit einer Neuordnung Europas - einem europäischen Staatenbund und der Verwirklichung der Friedensideen zusammenhängen, so brachte die musikalisch umrahmte Rundgebung des Nachmittags in der großen Halle der Mustermesse die sehr interessanten Reden von Hellmuth von Gerlach , Frl. Dr. So mazzi, Abbé Jacques Ledlercq, Brüssel, Francis Delaisi , Paris , und Stadtpräsi dent Dr. Hans Widmer, Winterthur .
Von Gerlach, einer von denen, die das Hitlerregime. der Expatriierung würdig befunden, ging von dem Gedanken aus, daß jeder künftige europäische Krieg-: notwendig ein Gaskrieg- den Zusammenbruch der europäischen Kulturen hervorbringen müßte. Wer- heute von Wehrhaftigkeit faselt und damit in Wirklichkeit die Geschäfte der Rüstungsindustrie besorgt, möge bedenken, daß nicht Wehrhaftigkeit, sondern das schlimmste Gift.. der tödlichste Bazillus schließlich das Gesicht eines künftigen Krieges bestimmen werde. Kommt uns nicht mit der Phrase von der Notwendigkeit des Verteidigungskrieges. Wie die Heuchelei das Kompliment des Lasters vor der Tugend, ist der Verteidigungskrieg das Kompli ment vor dem Pazifismus. Neuerdings will man nur noch für den Verteidigungskrieg rüsten- Angriffskriege find natürlich verboten. Man sage auch nicht, daß Kriege ein unvermeidliches Uebel seien. Das behaupteten auch ganze Generationen von der Sklaverei und doch gelang es der Kulturwelt, sie allmählich zu beseitigen. Die Völker können sich verständigen, wenn sie wollen, das lehrt uns das Beispiel der Schweiz , in der wir diese Tagung abhalten. Deutsche , Franzosen und Jtaliener leben in diesem Land friedlich beisammen. Wo sollte man hinkommen, wenn Rassenhaß und Rassenverachtung die ,, nordischen" und wie die Nationalsozialisten erklären ,, paterlandslosen" Deutschschweizer gegen die„ niederrassige" Bevölkerung des Tessins auftreten würden. Eine europäische Federation hat zur Voraussetzung, daß keiner der ihr angehörenden Staaten den anderen als mit moralischer Minderwertigkeit behaftet ansieht."
Unter dem minutenlangen Beifall der Versammlung beschloß Hellmuth von Gerlach seine Ausführungen mit den Worten:„ Ich bin zwar wegen meiner pazifistischen Gesinnung von den Hitler und Göring meiner deutschen Staatsangehörigkeit beraubt, ich glaube aber dennoch als Deutscher zu handeln, wenn ich mich für Europa einsetze." Von den folgenden Rednern, die sich alle mit der bereits skizzierten Problemstellung befaßten( einer stellte die bekannte Forderung nach einem Europabundesheer auf), sei noch besonders Francis Delaisi , ein führender französischer Volkswirtschaftler, hervorgehoben, der einen kurzen Abriß der heutigen Weltwirtschaft gab, aus deren mannigfaltiger Verflechtung er die Unmöglichkeit der Autarkiebestrebungen herleitete. Jede Nation," führte er aus ,,, besitzt Bodenschätze und schwache Industrien, die der Konsumtion des Volkes nicht genügen, und starke Industrien, die über seine Bedürfnisse hinaus zu produ zieren vermögen. Das zwingt heute die Völker, eine midersinnige Haltung einzunehmen: für ihre schwachen Industrien Schutzölle zu fordern und der starken wegen für Freihandel einzutreten. Da aber die schwachen Induſtrien des einen Landes die starken des andern sind, ergibt sich schließlich durch die Schutzölle eine Lähmung der Gesamtwirtschaft. Der Welthandel geht zurück, die Arbeitslosigkeit wächst an und zerstört den Etat jedes Staates. Trotzdem steigert sich der nationale Egoismus zu der unausgesprochenen Parole:" Ruinieren wir uns gegenseitig, um unsern Wohlstand wieder herzustellen." „ Es wird höchste Zeit," schließt der Redner,„ daß die Völker erwachen und diese tödliche Anarchie überwinden
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Die Menschen, die hier sprachen, nannten sich selbst Utopiſten, Utopisten freilich, deren Utopien von heute Realität von morgen sein können