DAS BUNTE BLATT

NUMMER 90 1. JAHRGANG

TÄGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

HO

MITTWOCH, DEN 4. OKTOBER 1933

Die durstigen Weiber von Biograd Liebespaar im Herbst

Unser Schiff ist klein und alt. Fast dreißig Jahre lang hat es sich unter der Flagge des alten Oesterreich geplagt. Plöblich, im Jahre 1919, hat man es dann neu angestrichen und umgetauft. Stolz trägt es jetzt die Flagge des König­reichs Jugoslawien. Aber trotz neuer Anschrift, trotz Lack und neuer Flagge wird das Schiff nicht jünger, und daß es alt ist, spürt man bei jedem seiner Manöver. Bei der Be­wegung der Schiffsschraube fühlt man so etwas wie einen Preßluftbohrer im Magen.

Alles lechzt nach Wind. Seit vier Wochen ist kein Regen niedergegangen, und seit einer Woche haben wir keinen Wind gehabt, nicht einmal ein Lüfterl. In Ragusa   glaubten wir die Luft mit dem Messer schneiden zu können.

Sonne, Sonne und wieder Sonne über weißen und grauen Steinen, die sie tausendfach wieder zurückstrahlen. Glühende Häuser und Straßen, über denen die Luft zittert. Das ist die einzige Art der Luftströmung, sonst ist alles tot.

Jetzt, weiter draußen im Wasser, genießen wir einen Windhauch. Das Schiff aber nähert sich wieder dem Land. Mitleidig sehen wir auf einer Insel kroatische Bäuerinnen bloßfüßig gehen.

Wir steuern dem Lande zu. Ein Gluthauch umfängt uns. Wir sehen kahle Berghänge, einen weißen Molo und ebenso helle Häuser, die von der Sonne grell beleuchtet werden. Es blendet. Wir schließen die Augen. Wir öffnen sie wieder und sehen, daß sich am Ufer eine große Menschen­menge angesammelt hat. Wir landen. Am Molo stehen etwa fünfzig Frauen und ein Mann. Fünfzig Frauen von fünf­zehn bis sechzig Jahren, eine starre Masse von blauen und grauen Röcken und Schürzen, Frauen mit harten Ge­sichtern, harten Muskeln und harten Fäusten. Sie halten Bottiche und Kübel. Schwer ist ihr Gang, rauh ihre Stimme. Aus ihren Gesichtern spricht Arbeit.

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Halt! was geschieht? Der eine Mann es ist ein Sol-. dat- sagt etwas. Wir nehmen an, daß es so etwas wie unser Baarrruck!" heißt. Und wirklich der eine Mann hält fünfzig handfeste Bäuerinnen im Schach.

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Fünfzig Bäuerinnen, die wie Amazonen aussehen und die mit hundert Kübeln bewaffnet sind. Ein Mann! Aber dieser Mann hat ein Bajonett.

Aber es zeigte sich, daß die Weiber gar nicht rebellierten. Der Soldat sagte nur sein serbisches Baarrruck!" und die entschlossenen Gesichter der Frauen hatten die Entschlossen heit schon verloren. Da zupfte eine verlegen an der Schürze, dort hatte eine Tränen in den Augen und viele lutschten an den Fingern.

Sie wichen zurück, die fünfzig Bäuerinnen, vor dem einen Coldaten, der doch dieselbe Sprache spricht wie sie, und der genau so ein Bauer ist wie ihre Männer. Aber die Uni­form!

Sie waren fleinlaut, die großen Bäuerinnen mit den platten Gesichtern und den breiten Nasen, mit ihrer Kraft, mit ihren breiten Hüften.

Was wollen sie eigentlich, die Weiber von Biograd  ? Vorn stand eine, die blieb ungebeugt und wich nicht zurück. Sie trug ihre Bottiche wie ein Athlet. Laut ließ sie ihre rauhe Stimme erschallen: Gospod Kapitano, dajte woda  , moda!" Und die Menge der Frauen fiel ein: Woda  , woda  !" Schürzen flatterten und Zipfel von roten Kopftüchern. Das ganze sah aus wie eine große revolutionäre Massenszene in moderner Inszenierung.

Der Soldat wies die Sprecherin zurück. Diese aber wollte nicht fleinlaut werden, sie verlegte sich aufs Schmollen und aufs Betteln. Von der andern Seite famen jetzt Kinder mit Gefäßen daher und auch sie riefen: Woda  !" In der Mitte aber stand der Soldat und hielt alles im Schach. Hafen­arbeiter und Matrosen umstanden die Gruppe, doch sie er­griffen nicht Partei. Aus dem fortgesetzten Betteln der Sprecherin entnahmen wir dann, worum es sich handelte. Bitte Herr Kapitän, geben Sie uns doch Waffer!"-

Fontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  

Es gab wenig landlose Cafoni in Fontamara. Sie waren verachtet und bei allen schlecht angeschrieben. Sie galten überall als besonders unfähig, besonders unwissend, beson­ders dumm, besonders träg und in vielen Fällen rechtfertig ten sie tatsächlich dieses Urteil. Aber in den letzten Jahren war ja alles anders geworden. Kein kleiner Bauer unserer Gegend hatte sein Land vermehrt und kein Tagelöhner Land erworben; im Gegenteil, es gab viele kleine Grundbesizer, die von ihren Gläubigern enteignet und wieder zu Besitz­losen heruntergedrückt worden waren. Sogar reiche Bauern waren zu Cafoni herabgesunken. Man konnte von Berardo Viola   sagen, was man wollte, aber man konnte nicht leug­nen, daß er an Kraft und Verstand den anderen Fontama­resen überlegen war. Wenn es ihm nicht gelang, die kleine Summe zum Erwerb eines Stückchen Landes zusammenzu­bringen, so hieß das einfach, daß die Zeiten vorbei waren, in denen landlose Cafoni Grundbesizer werden konnten. Zu Berardos Los waren die meisten jungen Leute von Fonta­mara verdammt.

Wenn sich auch die Zeiten verändert hatten, die öffentliche Meinung hat sich nicht geändert. Der landlose Cafoni blieb verachtet und Berardo konnte sich damit nicht abfinden. Er hatte immer gehofft, durch einen mehrjährigen Aufenthalt in Amerika   oder durch Arbeit in anderen Gegenden Italiens  zu Land zu kommen, aber es war ihm nie gelungen. Ange­sichts der drohenden und unvermeidbaren Eheschließung fühlte er sich für sein ganzes Leben zu einem elenden Dasein derdammt. Einen Ausweg gab es nicht.

Ueber den einzigen Ausweg, über die Arbeit in der Stadt, erhielten wir unverhofft Nachricht von einem, den niemand von uns in Fontamara erwartet hatte.

Nein!" kam die Antwort. Herr Kapitän, Sie haben soviel Wasser am Schiff!"-" Nein, es geht nicht!"-" Bitte Herr Kapitän, wir haben soviel Durst! Wir haben solange kein Wasser gesehen!"

Und die Frauen mit ihren rauhen Stimmen fielen ein: Woda  , woda  !" ,, Nein!" kam die Antwort ,,, wir fahren doch nicht her, um Wasser zu transportieren!"

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Die Sprecherin ließ nicht locker, bat weiter. Trinkt Wein!" sagte der Kapitän. Immer kann man nicht Wein trinken und mit Wein kann man nicht kochen! Gebt uns doch Wasser!"

Einige Mädchen gebärden sich wie hysterisch, sie freischen: Woda  , woda, woda, woda, Kapitano!"

Fünf Minuten vor der Abfahrt ließ sich der Kapitän er­weichen. Der Soldat ließ ein Weib nach dem andern das Schiff besteigen. Die Bäuerinnen liefen. Die Sprecherin voran, nun pumpte sie wie auf Leben und Tod. Man sah ihre Muskeln arbeiten, alle sollten doch noch Wasser be­fommen!

Ein Piff! Das Schiff wird sofort fahren. Ueber die Hälfte hat noch kein Wasser erhalten. Die Frauen, die noch auf dem Schiff sind, springen ab. Die Dreißig, die nichts er­ringen konnten, stehen nun traurig am Ufer. Sie schreten nicht, sie rebellieren nicht. Sie lutschen nur an den Fingern und lassen sich willig von dem Soldaten vertreiben.

Nur die Sprecherin macht ein klägliches Gesicht. Ihre Züge bleiben hart und entschlossen. Vielleicht ahnt sie, daß da doch etwas nicht in Ordnung ist, wenn man sie vers dursten läßt, während da draußen Panzerschiffe und U- Boote üben nicht in Ordnung, wenn man Soldaten gegen Weiber schicken muß. Trozzig steht sie da. Dann verschwinden die Weiber von Biograd   im heißen Dunst. G. Oswald.

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Ein Sommervergnügen Von Anton Tschechow  

Von Toni Baumgarten

Sie fißen im bestqubten Wirtshausgarten, Aermlich gepußt, mit ängstlichem Gesicht, Noch ungelöst von ihrem scheuen, harten, Bedrückten Alltag, blendet sie das Licht.

Sie fizzen still und wissen nichts zu sagen, Sie ist ein Gulasch und sie schämt sich so, Er schwitzt im ungewohnten steifen Kragen, Und sie ist Hausgehilfin irgendwo.

Sie lächelt stolz auf ihre neuen Schuhe, Für die sie lang vom Monatslohn gespart- Die Arbeitshand, in selt'ner Sonntagsruhe, Faßt nach der seinen ungelenk und zart.

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C

Das letzte Blühen überfließt von Farben, Sie blickt ins Glas in wundersamem Traum Ein welkes Blatt von denen, die heut' starben, Wirst sanft in ihren Schoß ein müder Baum. Wann taudit eine musikalisɗic Erinnerung auf?

Die Tatsache, daß vergessene musikalische Motive ohne jeden äußeren Anlaß wieder in die Erinnerung treten, hat zwei deutsche Gelehrte veranlaßt, diese Erscheinung zu be­obachten. Es wurde dabei die interessante Feststellung ge­macht, daß die Erinnerung an bestimmte musikalische Ein­drücke nach einem gewissen Zeitraum am lebendigsten ist. Dieses Zeitintervall soll sechsundvierzig Stunden betragen. Es gibt aber auch Menschen, die sich in der dreiund­zwanzigsten Stunde nach dem musikalischen Erlebnis spontan und am stärksten daran erinnern. Die Ueberprüfung dieser interessanten Erscheinung wurde an zweihundert Musikern vorgenommen, an denen die Periodizität der musikalischen Erinnerung ihre Bestätigung fand.

Der Vermessungsbeamte Tschudakow und ein gewiffer Ladien nicht verfernen

Cosinussow schwammen vorsichtig zum Frauenbadehäuschen. Sie wählten die breiteste Rize   aus und spähten.

Sie muß hier sein," flüsterte Cosinussow; aber ich sehe sie nicht."

Aber ich sehe sie... Sie liegt dort rechts im Winkel auf dem Badetuch..."

" Ja, ja... iezt sehe ich sie... Donnerwetter..." Sie ist voll."

" Das finde ich nicht... So mittelmäßig... Eben noch recht... Wie könnte man sich bloß an sie heranmachen?" Lieber Freund, sie ist nicht der Mühe wert... Soll sie der Teufel holen!"

Es wird niemand erfahren... Mischa, ich schwimme unter der Planke durch..."

Du wirst dir nur den Schädel einschlagen... Tu's nicht!"..."

,, Dann flettere ich drüber, wenn du meinst." Cosinussow stellte den Fuß auf einen Querbalfen und fletterte hinüber...

*

Die Augen Tschudakows, der von der Rize   nicht wich, brannten vor Neid...

Aber um den Leser nicht noch mehr zu enttäuschen, will ich schnell Schluß machen: es handelte sich um eine Flasche mit Schnaps, mit dem eine Stunde vorher Cosinussows Mutter sich nach dem Bade massiert und den sie im Bade­häuschen vergessen hatte. Moral: auch junge Leute können schon Alkoholifer sein.

( Aus dem Russischen   übersetzt von Boris Krotkow und George S. Stoeßler.)

Es war ein buckliger Alter, halb Cafoni, halb Städter, oder besser gesagt, ein in der Stadt umgekrempelter Gafoni, der, als er mit seinem geschulterten Koffer auf dem Platz von Fontamara erschien, von uns zunächst für einen jener Wanderprediger gehalten wurde, die herumziehen, die Ernte prophezeien, Seuchen abwenden, Vieh und Frauen vom bösen Blick heilen und den wahren Balsam für Hühneraugen ver­taufen.

Woher kommst du, und was weißt du?" fragte ihn Gene­rale Baldissera, der, als jener an seinem Laden vorbeiging, aus Neugier gefolgt war und Marietta Sorcanera, Michele 3ompa, Berardo Viola   und mich hatte rufen lassen.

Der Alte schleppte sich bis in die Mitte des Plates, stellte seinen Koffer hin, setzte sich darauf wie einer, der nie wieder aufstehen wird und antwortete:

Niemand prophezeit in seinem Vaterlande..." Wir verstanden nicht gleich, was er sagen wollte. Er sah merkwürdig aus. Der Kopf eines Kindes, zwei er­schrockene Augen, ein altmodischer Knebelbart, eine riesige, schwammige Säufernase, aus der, hätte man sie aufgedrückt, der Wein verschiedener Generationen geflossen wäre. Auf dem Kopf trug er einen steifen Hut; er hatte eine Jacke an mit Samtkragen und zwei Reihen glänzender Knöpfe, dazu Samtkragen und zwei Reihen glänzender Knöpfe, dazu graue Soldatenhosen.

" Prophezei uns etwas, aber umsonst," bat ihn Michele. Nur Geduld... Zuerst müßt ihr Giuditta Goriano holen," antwortete der Alte.

,, Die ist schon Staub geworden," antwortete Michele. Wir lachten, weil sich der Alte in dieser Sache bereits als schlechter Prophet erwies.

,, Wenn Giuditta   tot ist, dann holt mir Berardo Goriano," verlangte er nun.

" Berardo Goriano ist auch tot, schon seit Anfang des Krieges," antwortete die Sorcanera.

" Und Peppino Goriano?... Ist der auch tot?" fragte nun grimmig der Prophet.

Darüber waren die Meinungen geteilt..Die Sorcanera, die in ihrer Jugend auch mit Peppino Goriano geschlafen hatte,

Namenlose Aufregung

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Richter: Wie sind Sie bloß dazu gekommen, bei Ihrer Verhaftung einen falschen Namen anzugeben?" Ange­flagter: Herr Richter, ich habe mich dabei so aufgeregt, daß ich mich selbst nicht mehr kannte..." Schreckliche Rene

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Ein Junge hatte Schuhe gestohlen. Für sich. Ein Paar. Der Ermahner mahnt: Schande haben Sie über Ihre Familie gebracht, im Gefängnis müssen Sie jetzt zwei Wochen fizzen. Ihre Stellung haben Sie verloren Seufzt der Reuige:- und zu eng waren sie auch." Schreibmaschinen

Schreier verkauft Schreibmaschinen. Alte, ältere, noch ältere und ganz alte Schreibmaschinen..

Moll besieht ein Modell aus Großvaters Tagen " Ist die Maschine wirklich gut?" fragt Moll Schreier nidt: An der ist nicht zu tippen."

Aus der Welt im Bilde" Diagnose

Der Arzt untersucht den Kranken.

Drückt die Zunge mit einem silbernen Löffel.

Ihr Mann hat eine Kur in Kissingen   gemacht?" sagte er dann.

Ja. Woran sehen Sie das?"

Der Arzt antwortete:

,, An der Gravierung Palast- Hotel, Kissingen  "- auf dem Löffel."

bestand darauf, daß er in Rom   gestorben sei, während Baldis­sera mehr dazu neigte, daß er in Rom   Geld gemacht, eine ver­mögende Frau geheiratet und darüber den Namen seines Geburtsortes vergessen habe.

Da hob der Fremde den Kopf und sagte:

" Jest will ich euch die wahre Geschichte des Peppino er zählen:

Im Jahr von König Umbertos Mord zog er von Fonta mara nach Rom  ... Wie viele Jahre mögen das her sein?.. Die Rechnung ist leicht: vom Tod des Umberto bis zum Kome­ten, der nach dem Kriege von Tripolis   auftauchte, vergingen an die zehn Jahre; vom Kometen bis zum Krieg von Triest  waren es wieder fünf, macht also fünfzehn Jahre; der trieftiner Krieg dauerte vier oder fünf Jahre, macht also zwanzig: dann regierten die Roten fünf Jahre lang, macht fünfundzwanzig, dann kam die Zeit der Ordnung, die schon sieben Jahre dauert und von der alle hoffen, daß sie bald aufhört, und daß statt dessen vielleicht die Türken kommen, aber sie hört nicht auf, von Türken ist keine Spur und das macht fünfunddreißig.

Peppino Goriano ist auf der Jagd nach dem Glüd vor fünfunddreißig Jahren nach Rom   gezogen in der Absicht, gleich nachdem er es eingefangen, nach Fontamara zurückzu­fehren, um ein 16jähriges Mädchen, das er liebte, und das damals Marietta Sorcettonero hieß, zu heiraten..." " Hier," unterbrach ihn Marietta errötend. " Unmöglich!" rief der falsche Prophet und musterte die Frau vom Kopf bis zu den Füßen..

Wir standen für sie ein und der Prophet schwieg verwirrt und verlegen. Nach einer langen Pause erzählte er endlich die Geschichte weiter.

Peppino Goriano rechnete damit, in einigen Jahren ein Vermögen zu machen... In Rom   fand er auch gleich im Institut der Fate- bene- fratelli" eine Stelle als Küchen­junge, aber reich wurde er dabei nicht. Er arbeitete vierzehn Stunden am Tag, erhielt Essen und Bett, aber nichts zu Trinken.

( Fortsetzung folgt

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