Deutsche   Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"* Samstag, den 7. Oftober 1933* Ereignisse und Geschichten

Elsa Beandström enteignet!

Deutscher   Dank vom ,, dritten Reich"

Als im Jahre 1914 der Krieg ausbrach, lebte Elsa Brandström   in Petersburg  . Ihr Vater war der schwe­dische Gesandte in Rußland  . Es ging ihr gut, sie hatte, per­sönlich, um nichts zu sorgen, um nichts zu fürchten.

Aber das Leid des Krieges packte sie. Der Schrecken der Beit griff ihr ans Herz. So fam ihr die Idee, die Not der deutschen   Kriegsgefangenen in Sibirien   zu lindern.

Ein Hilfswerk riesenhaften Umfangs, von Elsa Brand­ ström   überlegen organisiert, wuchs aus dem zerwühlten, blutdurchströmten Boden Europas  . Hunderte von Eisenbahn­zügen mit Lebensmitteln und Medikamenten rollten über die schwedische Grenze nach Rußland  . Das Leben in den Gefangenenlagern wurde humaner. -Elsa Brandström   sorgte dafür. Kranke fanden in gut geleiteten Lazaretten Aufnahme Elsa Brandström   wachte darüber. Manchen Sterbenden tröstete sie. Versprach ihm, für seine Kinder zu sorgen. Und hielt Wort.

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Es mögen jezt ungefähr fünf Jahre her sein da stieg ich an einem trüben Herbsttag im rieselnden Regen nach Schloß Neusorge empor: nach Schloß Neusorge bei Mitt weida im blühenden mittelsächsischen Hügelland. Man hatte mir erzählt, daß aus dem alten Ritterschloß ein Kinder­heim geworden sei, das von Elsa Brandström   geleitet werde; aber daß die große, schöne, blonde und überhaupt ur­arisch aussehende Dame, die inmitten des Burghofes stand

Augenblicklich

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und Kohlen schippte, Elsa Brandström   sei, hätte ich nicht ge­glaubt, wenn sie mirs nicht zweimal fest versichert hätte-: Gesandtentöchter stellt man sich nun einmal nicht so leicht beim Kohlenschippen vor.

Dann zeigte sie mir vollen Stolzes ihr Heim, das die Be­geisterung geschaffen hat und der unermüdliche Eifer auf geldbringenden Vortragsreisen quer durch Amerika  . Hundert Kinder führten hier in Neusorge bei Spiel und Sport und maßlos viel Milch ein frisches Leben des Friedens und der Freude. Sie alle waren Kriegswaisen, ihren Vätern hatte Elsa Brandström   im fernen Sibirien   die Augen zugedrückt. Als ich ging, flein   neben so viel Kraft und Güte, erzählte Elsa Brandström   nebenbei, daß sie auch in der Nähe der ost­sächsischen Stadt Kamenz   ein Erholungsheim für ehemalige Kriegsgefangene geschaffen habe. Es hieß Marienborn   oder so ähnlich

das war die Tat Ein Leben für Deutschland  der reinrassigen Arierin Elsa Brandström  . Jetzt haben die Nationalsozialisten ihr Vermögen, wahrscheinlicher noch ihr Lebenswerk, das ihnen wohl ohnedies viel zu pazifistisch war, beschlagnahmt, weil sie mit einem Sozial­demokraten verheiratet ist, einem ehemaligen Beamten im Sächsischen   Wohlfahrtsministerium. Sie ist Mutter eines Fleinen Kindes und erlebt jeßt, daß Deutsch­ land   ihr und ihrem Kinde das letzte Stück Brot nimmt.

C3 gibt ein Kapitel von der deutschen   Treue im, dritten Reich"." d es gibt auch ein Kapitel von deutscher   Dank= Ergo. barkeit.

Von Theodor Fanta  

Ein Paket aus Deutschland  . Einige Bücher. Und einige Beitungen zum Schutz der Bücher. Die Zeitungen " Innerhalb von wenigen Monaten veränderten sich die Ge­fichter der Menschen ich aus Gesichtern wurden Fraßen sah diese Frazen in Deutschland   zum ersten Male. Können sich Menschen in so furzer Zeit verändern? Der Eindruck: als wäre das Geistlose, die Brutalität der Herrschenden mit einem Hakenkreuz den Untertanen ins Gesicht gestempelt worden. Ich sprach mit einigen jungen" Politikern"- ihre Höflichkeit war geziert, wie die Höflichkeit von Dompteuren. In den Straßen, in den Bahnen, in den Theatern, in den Lokalen diese sich spreizenden Dompteure und einige dressierte Menschen, die bescheiden und schamhaft den Arm beben," erzählte eine Amerikanerin, die jetzt( das vierte­mal) in Deutschland   war. Die Zeitungen, die Zeitungen aus meinem Bücherpaket ja, jede Spalte, jeder Satz fragenhaft, gespreizt, roh. Nur eine Spalte, ein Gerichts­bericht des Lokal- Anzeigers( Nr. 392), eine Guignol Groteske, zeigt mehr als die gleichgeschaltete Fraze, verkündet ungewollt die lautere Wahrheit.

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Dem Prachtmädel Justitia   wurde die jüdisch- marristische Binde von den Augen gerissen bitte, die Göttin hatte schon immer stechend- braune Augen. Ihr steinernes Lächeln und ihre romanisch- elipsenhaft geformten Brüste, vom eng anliegenden Hemd- Kleid nachgezeichnet, verzauberten einen Vorsitzenden und einen Staatsanwalt des Amtsgerichts Berlin- Mitte.

Wörtlich: Er war angeflagt, zu Gewalttätigkeiten auf­gereizt zu haben. Er hatte in einer Wirtschaft die Regie­rung beschimpft. Zehnmal war er bereits vorbestraft, darunter auch wegen Delikten, bei denen Gewalt und Ro­heit ihre Rolle gespielt hatten; aber er hatte aus jenen zehn Malen, in denen er bereits vor den Richtern ge­standen hatte, auch seine Praxis vor Gericht. Das merkte man gleich. Er wollte auch jetzt auf den§ 51 hinaus. Er

Ich beantrage acht Monate Gefängnis." Der Nichter ver­kündete augenblicklich das Urteil: acht Monate Ge­fängnis."

Gleichgeschalteter Abschiedsbrief

Mein lieber Frig! Ich kann Dich nicht mehr lieben, weil Deine Großmutter nicht einwandfrei. Ich weiß, mein Schatz, es wird Dich sehr betrüben, jedoch es ist nicht mehr wie einst im Mai.

Denn einst im Mai, als wir die Freundschaft schlossen, da liebten wir uns einfach und bequem. Wir füßten uns und waren wie Genossen: Das war der Fluch vom Weimarer System! Wir träumten einst an Wochenend- Geftaden und nahmens rassisch nicht so arg genau. Wir waren immer gute Kameraden, der trübste Tag noch schien uns himmelblau.

Die Zeit war schön, daß läßt sich nicht bestreiten. Wir fragten nicht nach Raffe und nach Blut. Wir hatten teine Glaubens- Schwierigkeiten, denn unser Glaube war: wir sind uns gut.

Mein lieber Frig, der Wind hat umgeschlagen. Ich bin aus dem Dornröschenschlaf erwacht und muß Dich heut, als dentiches Mädchen, fragen: War, was wir taten, national gedacht?!

Du mußt das wirklich nicht persönlich nehmen, ich denke hier an Rolkstum und Nation und will mich dessen, was uns band, nicht schämen; nur objektivist doch Dein Name: Cohn.

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Als solcher haft Du- raffisch Qualitäten, die unserm deutschen   üblen feindlich sind. ( Mein Gott, ich will Dir nicht au nahe treten. Ich liebte Dich, doch Liebe ist ja blind.)

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Nun bin ich. sehend, wieder dentich geworden und löse mich von Dir: denn Du bist fremd. Ein deutscher   Mann Fommt nun, mich aufzunorden, vom Raffeamt geprüft, im brannen Hemd.

Leb wohl, rik, und verinche au begreifen, dak unsre Trennuna fich von selbst versteht. Man muß im britten Reich" auf Liebe pfeifen, denn das gebietet die Totalität.

Du warst ein lieber Kerl. das will ich meinen; nur leider, bist Du raffisch ungepflegt.

Es fällt mir schwer, Frizz. Doch ich will nicht weinen, Weil eine deutsche Frau mit Faffung trägt. Lot Anker.

ute sich ras

Augenblicklich, das war zu schnell. Hätte der Richter nur einige Minuten nachgedacht-- wo mag er augenblicklich sein? Im Konzentrationslager? Oder in einem Sana­torium? Braucht er ein psychiatrisches Gutachten über sich selbst? Nach den Worten des Herrn Staatsanwalts weiß er jetzt genau, was er damals getan hat, als er in jenem Ge­richtssaal dieses aufwiegelnde Urteil verkündete, Er wird richtsjaal dieses aufwiegelnde Urteil verkündete, Er wird Er konnte sich rasch orientieren lernen, daß man sich beherrschen muß. Das goldene Zeit­alter des§ 51 ist jetzt vorbei. Er wird lernen müssen, daß man augenblicklich in einem deutschen   Gerichtssaal nicht die Wahrheit sagen darf, die Wahrheit, die in seinem Urteil präzise und logisch zum Ausdruck kommt: Selbst ein zehnmal Vorbestrafter, ein armer Irrer, der den§ 51 zugesprochen er­hielt, fann nicht als irrsinnig, muß als geheilt angesehen werden, wenn er gegen die Nazi- Regierung zu Gewalttätig­feiten auffordert oder von seiner ehrlich- schlechten Meinung über die Regierung spricht.

Der brave Lokalanzeiger schließt den Bericht: Der arme Verrückte hatte Sprache und Haltung verloren. Er war ganz bestürzt. Erst nach einer Weile fonnte er reden: Aber früher wurde ich doch nicht so streng bestraft."- ,, Aber jetzt, im neuen Staat, der die Achtung haben will, die er ver­dient," erwiderte der Richter."

Stimmt. Einverstanden. Nach bestem Wissen und Ge­wissen: Der Schnittpunkt der Diagonalen Recht" und totaler Staat" liegt unter der Oberfläche, bei den ver­scharrten Opfern des dritten Reiches", neben der ver­grabenen Wahrheit und in den augenblicklich verkündeten Urteilen deutscher   Richter, die vor der Welt die Verachtung für den neuen Staat aussprechen, wie er es verdient.

Zwei Reden

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zwei Welten

legte die Hand auf die Brust, verdrehte die Augen: Meine Niemals! Niemals! Herren Richter, mit meinen Nerven ist das nicht sehr weit her. Ich war bereits in Herzberge, in Wittenau   bin ich auch schon gewesen." Er war darauf sichtlich stolz. Er wünschte das; so wie etwa ein anderer, Ehrenzeichen zu tragen. Also, verrückt sind Sie?" fragte der Richter. Der Angeklagte beeilte sich mit der Antwort: So ziemlich, Herr Richter, wenn ich das sagen darf. Sie müssen mich nicht ernst nehmen. In Herzberge bin ich schon gewesen, in Wittenau  bin ich auch schon gewesen-"" 3wischendurch im Gefäng nis," bemerkte sarkastisch der Richter. Aber die Herren Richter waren alle mild zu mir, wegen meiner Nerven, die gar nicht in Ordnung sind. Ich muß es leider noch einmal sagen, Herr Richter, ich bin ziemlich verrückt." Er war sicht­lich ganz traurig geworden.

Und dann fühtrte der Richter den Angeklagten aufs Glatt­eis, produzierte sich als tanzender Esel, denn er bewies auf das bestimmteste dem Angeklagten, daß ein Mann, der die Nazi- Regierung beschimpft, ein Mann, der gegen die Regie­Tung zu Gewalttätigkeiten auffordert, normal sein muß. Ein­verstanden. Wie schreibt der Lofalanzeiger?:

" Danke," sagte plötzlich der Richter, bitte, Herr Staats­anwalt." Der Staatsanwalt begann: Das Gramen ist vorüber; es sollte wohl ein Examen sein. Es hat den Be weis ergeben, daß der Angeklagte durchaus nicht so verrückt ist, wie er es nach Belieben gern haben möchte. Nein, mein Freund, große psychiatrische Sachverständige brauchen wir nicht für Ihren Fall. Da scheint uns noch der gesunde, praktische Menschenverstand ausreichend. Die Zeit mit den großen psychiatrischen Gutachten ist vorüber, auch das goldene Zeitalter des§ 51 ist jetzt vorbei. Sie wissen ganz genau, was Sie damals getan haben, als Sie in jenem Lokal die aufwiegelnden Worte ge­brauchten. Sie sollen lernen, daß man sich beherrschen muß.

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Wer im Weltraum nach Dokumenten der heutigen Zeiten sucht und das Radio zu Hilfe nimmt, konnte Samstagabend einen interessanten Vergleich anstellen. Zuerst geriet man - höchst unfreiwillig- an die ostpreußische Station Seilsberg und konnte da einen Vortrag über Wehr­ wissenschaft  " anhören. Im schmetternden Naziton wandte sich der Redner an jedes Kind, jeden Greis und jeden Blinden, daß auch sie berufen seien, den Krieg vorzubereiten, der ein Volksfrieg werden müsse, und alle die einen Krieg noch nicht mitgemacht häften, müßten sich zum Bewußtsein bringen, wie schwer der Sieg sei. Und genau Sonntagabend, bloß eine halbe Stunde später, fonnte man durch den Straßburger   Sender in französischer und in deutscher Sprache einen Bericht über die Einweihung einer Gedächt­nistapelle in der roten Zone" von Verdun  hören, aus jener zwanzig Kilometer breiten Zone, in der unzählige Ortschaften im Ringen um Verdun   zerstört wurden. Hier schilderte der Sprecher das ganze Grauen des Krieges und er schloß, indem er sich an die Alten wandte, die bei Verdun   dabei waren, und die, wenn sie die Namen der Ortschaften hören, in denen sie damals gewesen sind, alle Schrecken der Hölle wieder im Geiste mitempfinden, aber ei rief auch die Jungen auf, die einen Krieg noch nicht mit­gemacht haben. Sie beide, die Alten und die Jungen, mögen eingedenk sein, was ein Krieg set, und die Jungen sollen den Krieg hassen lernen, auf daß er niemals wiederkomme. Niemals! Niemals! Mit diesem hallenden Niemals! endete dieser Bericht.

Zwei Reden, zwei Welten. Das hallende Niemals aus Straßburg   wird doch stärker sein als der Kommandoton aus Heilsberg.

Vor einigen Tagen wurde ein Schweizer   in Berlin  von SA.- Leuten so schwer mißhandelt, daß er ge­zwungen war, ein Sanatorium aufzusuchen. Dazu berichten nun die bürgerlichen Basler Nachrichten":

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Die bittere Ironie an der ganzen Sache ist, daß Friedrich Ruegg der Verprügelte ein begeisterter An­hänger der faschistischen und nationalsozia­listischen Idee ist und speziell deshalb nach Berlin   ge­kommen war, um sich über die Idee zu orientieren und darüber zu schreiben.

Der Mann hat sich rasch orientiert; er wird nachhaltige Eindrücke aus dem dritten Reich" heimbringen allerdings mehr auf der Haut als im Herzen.

Zeit- Notizen

Verboten wurden folgende Bücher: Die rote Zeit" von Albert Ehrenstein  , Verlag S. Fischer, Berlin  . Emp fängnisverhütung"( Geburtenreglung) von J. Ferch, Pergamon­Verlag, Leipzig  . Aktenzeichen des Verbots: Abt. 4 3Bu 7102, PP( Abt. 4). Außerdem folgende ausländische Zeitungen:" The Ukrainian Daily News"( Neuvork), Sjömannen"( Göteborg  ), Sostnicke Jiskry"( Prag  ), Marienbad- Teplizer Bezirksblatt" ( Eger).( Deutsches Kriminalpolizeiblatt 1661.)

Die Gewerbeförderungsstelle in Magdeburg   stellt fest, daß die Verwendung genormter Papierformate nationale Pflicht" ist. Selbst bei seinen intimsten Verrichtungen übt der Bürger des dritten Reichs" nationale Pflichten aus.

Die Vereinigung rechts- und staatswissenschaftlicher Verleger schreit um Hilfe. Unterstützt von der rechtspolitischen Abteilung der NSDAP., bittet sie das Publikum, doch wieder juristische Bücher zu kaufen. Der Aufruf der Vereinigung beginnt mit dem bezeichnenden Saz: Der Absatz juristischer Literatur steht seit einigen Monaten fast vollständig still."

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Verboten wurden die getarnie Wiener   Nazizeitung Michel" und die getarnte Prager   Nazizeitung Bohemia", gegen deren Chefe redakteur Albert Wesselski   eine Untersuchung läuft. Ferner Die Sammlung", Querido, Amsterdam   und die katholische Schrift: Eugenische Ehehindernije?", eine Kirchenrechtliche Studie von Dr. H. Pfatschbacher.( Deutsches Kriminalpolizeiblatt Nr. 1662 und 1663.)

Wer zu billig verkauft, soll in Sinkunft, wenn er zum zweiten mal die vorgeschriebenen Buchhandelspreise unterbietet, eine Geld­oder Haftstrafe erhalten Das Buchhändler- Börsenblatt zählt Fälle auf, in denen der vorgeschriebene Preis bis zu 30 Pro­zent unterboten wurde.

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Die für September nach Bad Nauheim   einzuberufende Jahres hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Gewerbehygiene ist aus organisationstechnischen" Gründen abgesagt worden. Neuer Termin steht nicht fest.

Vom Index translationum, der periodisch die gegenseitigen Buchübersehungen in den wichtigsten Kulturländern mitteilt, merden ala meistübersetzte deutsche Autoren im ersten Viertel. jebr 1988 genannt: Goethe, Courths Mahler  , Vidi Baum, Emil Ludwig  , Marx, Engels, Schnitzler, Wassermann, Stefan 3 weig. Juden und Marristen zumeist das wird Göbbels   nicht schlafen lassen.

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