DAS BUNTE BLATT
NUMMER 95 1. JAHRGANG
TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE DIENSTAG, DEN 10. OKTOBER 1933
196.01 od gotarisi@*
Adeffieids Sieg
Sie hieß Adelheid. Und hatte die selbstverständliche Schönheit ihrer drei Monate.
Wie ihre Mutter hieß, weiß ich nicht. Sie sah aus, als hätte Sie sah aus, a fie überhaupt keinen Namen.
Ihr Vater hieß Josef.
Josef Erche war Weinbauer und hatte einen Ausschant, und jedermann mußte ihn ansehen, wenn er in seinem eigenen Wirtshaus mit Gläsern und Flaschen von Tisch zu Tisch ging, oder wenn man ihn ab und zu einmal in seiner dicken Jacke und mit dem runden Hut auf dem Kopf in einem Nachbardorf begegnete.
Natürlich war er sonnverbrannt, das waren sie alle in dieser Gegend, Männer und Frauen, und wohl war seine Haut gleichmäßig und glatt, wie ein gut eingerauchter Pfeifenkopf- aber nicht das zog aller Blicke auf Josef Erche. Auch nicht die emailblauen Augen, die gerade Nase oder die weißen Zähne, es war alles zusammen, und dann seine Gestalt, die von Manneskraft strahlte.
wenn
Aber wer den großen Josef nicht gesehen hatte, wenn er feine braunen Finger in Adelsheids winzig kleines, geballtes Händchen steckte, hatte ihn doch nicht in seinem vollen Glans gesehen. Es war, als ob die Milde im Ausdruck dazugehörte, damit seine Schönheit sich ganz entfalten konnte. Es gibt so viele Gestalten der Mutter". Der eine oder andere Maler - oder noch besser- Bildhauer sollte Josef Erche sehen und den Bater" schaffen.
-
Welch teuflische Eingebung- oder welch brennende Sehnfucht führte Evy ins Dorf zurück, zurück aus der großen Stadt, wo sie vier Jahre verbracht und ihr Glück gemacht hatte, und wo sie auch weiterhin die brave Evy daheim geblieben war, die Freundin der jungen Mädchen jetzt Frauen, der Abgott der jungen Burschen- jetzt Männer. Evys und Josefs Hände begegneten sich in einem fret mütigen Händedruck, und ihre Lippen lächelten, aber ihre Augen glitten mit starkem, sehnsüchtigem Suchen ineinander: Weißt du noch...? Weißt du noch?
Evy sollte drei Wochen zu Hause bleiben. Das war nicht lange, wenn man vier Jahre weg gewesen war. Aber es war lange genug, damit Adelheids Mutter noch einge= sunkener aussah, und lange genug, damit Josefs Blide ver wirrt und unruhig wurden, und die Furchen um seine Mundwinkel tief und unheilverkündend.
Ich bin dir treu geblieben," sagte Evy und sah ihn mit starken, sehnsüchtigen Augen an, aber du?"
„ Du weißt ganz gut, für mich gibt es keine andere als dich," erwiderte Josef und machte eine mutlose Bewegung mit der Hand.
Evys Augenbrauen zogen sich zürnend zusammen.
Deine Frau?" sagte sie.
Aber da schüttelte Josef den Kopf. " Sie nicht."
Aber vor ihr, sie ganz verdeckend, das Kind, Adelheid, das
Das Blut wich aus Josefs Gesicht, und er ballte seine Hände, so daß sie ganz weiß wurden.
,, Wir haben nie aufgehört, uns lieb zu haben," sagte Evy start. Nicht dein Vater und deine Mutter fonnten uns zwingen und nun sind sie tot wir sind frei. Komm! Fahr mit mir, Josef! Hab keine Angst! Komm!"
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Josefs Kopf war tief gesenkt und sein Gang schleppend, als der Zug aus der Halle gedampft und Evy allein in die große Stadt zurückgekehrt war, von der sie das hatte sie gesagt nicht mehr allein zurückkehren würde. In sich versunken und sehr sanft steckte er seine braunen Finger in das kleine weiße, geballte Händchen seines Kindes..
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Adelheid sah ihn seelenruhig an. Sie war drei Monate alt. Und hatte schon über einen Mann in seiner vollen Mannestraft gesiegt.
16( Autorisierte Uebersehung aus dem Dänischen von Marie Franzo 3.)
800 Menschen können nicht erwachen!
Seit dem 30. Juli zittert jeder Einwohner von St. Louis in den Vereinigten Staaten vor der Schlaffrankheit. Erst fand man drei Neger, die nicht mehr aus ihrem Schlaf zu erwecken waren. Heute sind rund achthundert Menschen erkrankt, zweiundsechzig von ihnen sind bereits tot. Jene aber, die man einigermaßen heilte, zeigten erhebliche geistige Störungen. Die Vermutung, daß es sich um die bekannte echte Schlaffrankheit handelt, gegen die man das Hilfsmittel„ Bayer 205" gefunden hat, bestätigte sich nicht. Die Behandlung mit diesem Mittel war infolgedessen erfolglos. Das Gesundheitsamt in Washington hat die besten Bakteriologen nach St. Louis beordert, um den Erreger der geheimnisvollen Krankheit zu finden. Wenn sich die Nachricht bestätigt, daß jeßt eine junge Aerztin, Dr. Margarete G. Smith, den Erreger isoliert hat, dürfte man auch dem Ziele der Bekämpfung der seltsamen Krankheit näher
Junge Frau von 193396
Von Alice Kraus
Ich sah im Traum mein ungeborenes Kind, Es spielte mit Blüten im Sonnenschein, Seine hellen Haare flogen im Wind, Da fragte ich: Willst du geboren sein?" Das Kleine blickte mir flar ins Gesicht Und sagte:„ Mutter, ich weiß es noch nicht. Erzähl' mir, wie ist es im Leben drin, Wenn ich als Mädchen geboren bin?"
C
„ Erft bist du ganz winzig, ganz klein und ganz mein, Da hüll' ich in lauter Liebe dich ein. Tansend Träume tanzen in bunten Schuh'n, In Stille und Sicherheit darfst du ruh'n."
„ Und weiter," drängte das Kind, fag bloß, Wie wird das sein, wenn ich wirklich groß?" Da stand es, zart, zwischen strahlenden Blüten...
Wenn du groß bift, mein Kind, kann ich dich nicht hüten. Gefahren und Sorgen und Kummer sind dein, Und du bist allein, mutterseelenallein, G Vielleicht bist du arm, vielleicht mußt du dienen Bei fremden Lenten, vielleicht an Maschinen. Den Naden gebeugt und die Hände gespannt, Vor brennenden Augen das lanfende Band, Um müde zu werden und alt und verbraucht. Doch wenn der Schlot der Fabriken nicht raucht, Als Arbeitslose erhungern das eben, Mein Kind, ist für ein Mädchen das Leben."
in olis Da weinte es leise und fragte dann: „ Sag, Mutter, und wie ist das Leben als Mann?"
Genau so... Vielleicht wirst du einmal Soldat," Da kannst du schön bunte Kleider haben. Dann kommt die Kaserne, der Schüßengraben. Der Tod ift gierig, der Tod wird nie satt. Du hast so gerne geatmet, die Luft!
Haft hell gesungen aus lebenden Lungen. Das Giftgas erstickt dich in engender Gruft, Von tausend Toden qualvoll umschlungen, S thin Zwischen Stacheldrähten auf ödem Plan Das droht dir als Mann."
Da sprach mein ungeborenes Kindchen:„ Nein! Wenn du mich lieb haft, laß mich nicht geboren sein."
kommen. Die Opfer der Krankheit liegen noch immer in Lachen nicht verfernen
trostlosem Zustand in den Krankenhäusern. Sie sind streng von den anderen Kranken abgesondert, Aerzte, Wärter und Pflegerinnen schüßen sich sogar durch Nasenschüßer, weil man den Erreger in den Nasenschleimhäuten entdeckt hat und annimmt, daß er seinen Weg in den Körper durch die Nase nimmt. Die Kranken klagten über Schmerzen in der Stirnhöhle, bevor sie in den langen Schlaf verfielen. Die mit geistigen Defekten genesenden Kranken weisen eigentümliche Erscheinungen auf. Das Endstadium des Dauerschlafs äußert sich in einem Zustand taumelnden Gehens. Die Kranken sind unfähig, sich zu konzentrieren.
Zeugenvernehmung.„ Sie behaupten also, daß ihnen 38 Gegenstände gestohlen worden sind?"
" Jawohl, Herr Richter, das ist auch fo."
Wollen Sie mir mal angeben, welche Gegenstände das find?" „ Gewiß- ein Korkenzieher und ein Spiel Karten." Der Irrtum
Federmann ist eingeladen. Die Hausfrau hat den Laut sprecher angestellt und alsbald erfüllt virtuoses Klavierspiel das Zimmer.
„ Das ist Paderewski ," flüstert die Hausfrau.& id Federmann wirft einen Blick auf den Apparat.„ Ich
er vielleicht um so mehr liebte, als es ohne Liebe zur Welt Suppenwürfel aus Walfischiffeisch glaube, Sie irren," sagte er dann.„ Es wird Königswuster
gefommen war, und nun Anspruch auf so furchtbar viel Liebe hatte.
Aber all das wußte Josef nicht, oder er machte es sich nicht klar und konnte es Evy nicht klarmachen.
„ Verkauf dein Geschäft hier, oder gib es deiner Frau," sagte sie hochgemut und flammend. Du und ich, wir sind jung, und wir haben uns lieb."
Fontamara
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ROMAN VON IGNAZIO SILONE Nun begann für ihn wieder ein Leben voller Mühsal. Es begann wieder mit Arbeitslosigkeit, mit dem alten Hunger, der nie aufhört. Das Leben wurde schwerer, von Monat zu Monat immer noch schwerer. Niemand hätte angenommen, daß das neue Regime fich sieben Jahre halten würde, und doch hält es sich seit sieben Jahren.
Rom ist unerträglich geworden. Jeder Tag bringt ein anderes, jeder Tag bringt ein neues Gefeß. Sicher hat jede neue Regierung viele neue Geseze gemacht, aber die jetzige macht jeden Tag ein neues.
Seit vielen Jahrhunderten regierten die Päpste mit fünf Gesetzen, mit den fünf Kirchenrezepten. Garibaldi brachte nach dem Zug der Tausend nur drei neue Geseze: das Ge setz des Messers, der Blutrache und der passatella. Das heutige Regime dagegen hat für jede Sache ein Gesez. Es gibt eines, das verbietet, von bestimmten Dingen zu sprechen, an die Mauern zu pissen, links zu gehen, nachts zu fingen, die Trambahn vorne zu besteigen; es gibt ein Gesetz für Ehegegner, ein anderes für bestimmte Berufe, ein drittes für Versammlungslokale, ein viertes für Streitfragen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern...
Je mehr Geseze, umsomehr Elend. Je mehr Elend, umsomehr Geseze. Rom ist wahrhaftig unerträglich geworden. Die Luft ist verpestet. Die Luft Roms stinkt. Viele Versuche wurden gemacht, um diesem Gestank beizukommen, aber alles war vergebens. Einer sagte: der Gestant kommt vielleicht von den Mäusen. Der Stadtrat erklärt ihnen den Strieg, verteilte Gift zu ihrer Vernichtung, und Tausende und Abertausende von Mäusen wurden vernichtet. Aber der Gestank blieb. Ein anderer sagte: der Gestank kommt von den Fliegen. Der Stadtrat erklärte daraufhin den Fliegen den Krieg, verteilte an alle römischen Bürger Pulver und Flüssigkeiten zu ihrer Vernichtung und es wurden ihrer ich weiß nicht mehr wie viele Millionen- umgebracht... 10
Die norwegischen schwimmenden Walfischfabriken verwenden in diesem Jahr erstmalig ein neues Verfahren, um aus dem bisher weggeworfenen Walfischfleisch ein Waltranmehl herzustellen, das dann später zu Suppenwürfeln verarbeitet werden kann. Dieser Tage hat in Oslo ein Festessen mit geladenen Gästen stattgefunden, in dem der neue Fleischertrakt ausprobiert wurde. Die norwegische Presse glaubt, daß die neuen Suppenwürfel einen der größten Erportartikel Norwegens bilden werden.
Aber der Gestank blieb. In gewissen Stunden des Tages ist er so stark, daß man foßen muß."
,, Wovon kommt er wirklich? Vielleicht vom Schmuz?" fragte Michele.
„ Niemand hat den Ursprung des römischen Gestanks entdeden können," gab der Prophet zur Antwort. In den decken können," gab der Prophet zur Antwort. In den Volksvierteln, in Trastevere , Testaccio, San Lorenzo ist er weniger start. In Prati, dem Beamtenviertel, ist er schon auffallender, aber immerhin erträglich; pestartig und grauenhaft ist er dagegen im Zentrum, in der Gegend der Ministerien und um Sankt Peter. Wovon er kommt? Wer weiß es. Man hört auch sagen, er komme vom Alter der Stadt. Eine ewige Stadt müsse auch eine stinkende sein. Man hört auch sagen, er käme von den Stoffen, Anzügen, Federn, Helmen, Panzern, die die heutige Regierung aus den Museen geholt hat, um davon Uniformen für Minister, Gesandte und Türsteher zu machen. Man kann auch hören, daß die Kanäle verstopft seien.... Man hört auch viele andere einleuchtende Gründe, aber eine Tatsache ist unumstritten: der Gestank bleibt und wird täglich stärker... Dabei entdeckt die Polizei jede Woche neue Verschwörungen. Ganze Arbeiterviertel werden nachts von Tausenden be= waffneter Männer überschwemmt; die Häuser werden von oben bis unten durchstöbert. Hunderte werden in die Gefängnisse geschleppt... Keiner erfährt je den Grund. Jeder weiß, daß ihm das Gleiche passieren fann. Viele haben Angst.
Die Angst in Rom ist zu einer Krankheit, einer Epidemie geworden. Es gibt Tage und Wochen einer allgemeinen Panik. Es genügt, jemand auf der Straße oder in der Wirte schaft scharf anzusehen, damit dieser treideweiß forteilt... Warum? Aus Angst."
„ Angst, wovor?" fragte Berardo. „ Aus Angst vor der Angst."
„ Aber wovor denn Angst?" beharrte Berardo. „ Niemand weiß, wovor. Einfach aus Angst. Wenn die Angst sich einer Bevölkerung bemächtigt, gibt es dafür keine Erklärung mehr. Diese Krankheit überkommt jeden Menschen und schüttelt ihn von oben bis unten. Daher fürchten sich nicht nur die Feinde des Regimes; die andern, die soge= nannten Faschisten, fürchten sich noch viel mehr. Auch sie
hausen sein."
Der Höhepunkt
Nun, hast du mit deinem Vortrag Erfolg gehabt?" „ Ja, aber nur an einer Stelle!" ,, Wann war denn das?"
Als ich sagte: Meine Damen und Herren, ich bin jetzt am Ende meiner Rede da brauste der Beifall los."
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( Allers Familj Journal".)
wissen und sagen, daß es nicht so weitergehen kann, und haben Angst. Warum morden sie ihre Gegner? Aus Angst. Warum erhöhen sie fortwährend die Zahl der Polizisten und der Miliz? Aus Angst. Warum schicken fie Tausende und Abertausende von Unschuldigen auf die Galeeren? Aus Angst... Mit ihren Verbrechen wächst ihre Angst. Und mit ihrer Angst wachsen ihre Verbrechen."
Ist die Regierung denn starf?" wollte Michele wissen. " Ihre Angst ist start," antwortete der Prophet. „ Und was sagt der Papst dazu?" fragte Marietta. " Der Papst hat Angst... Der Papst hat von der neuen Regierung zwei Milliarden genommen, hat sich Automobile gekauft, ein Radio eingerichtet, hat sich, obwohl er nie reist, einen eigenen Bahnhof bauen lassen, mit anderem Lurus angefangen und dies alles beginnt ihm nun Angst einzujagen... Die Kirchen und Klöster Roms haben von ihm ein Schreiben bekommen, daß sie mehr Armensuppen verteilen sollen. Es ist die Angstsuppe. Am Institut Fate- benefratelli" gibt es seit furzem jeden Donnerstag zur Minestra eine Speckschwarte. Es ist die Angstschwarte. Aber es braucht viele Suppen und Schwarten, um zwei Milliarden vergessen zu machen.
,, Und wie leben die Provinzler in Rom , wie leben fie jezt?" fragte ich.
" Den reichen Abruzzesen geht es gut, den armen schlecht und alle haben Angst. Die Polizei hat unter den armen Leuten eine Razzia begonnen. Es ist die Razzia der Angst. Die Polizei hebt jede Woche an die Hundert aus und schickt sie in ihre Heimatorte zurück. Es sind Leute darunter, die seit dreißig und vierzig Jahren in Rom lebten, deren Dör fer 1915 beim Erdbeben zerstört wurden und deren Familien umgekommen sind: die Polizei hat sie aufgegriffen und aus„ Gründen der öffentlichen Sicherheit" wieder daheim eingebürgert. So ging es auch Peppino Goriano, er wurde genommen, mit Amtspapieren versehen, in den Zug gesetzt und gezwungen, nach Fontamara zu fahren, von wo er vor 35 Jahren weggezogen war... Und so ist er heimgekehrt!" ,, Bist du Peppino Goriano?" fragte Marietta voller Angst. ,, Bist du der Held von Porta Pia ?" fragte ihn Generale Baldiffera.
Er war ea