tz Deutsche Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"** Mittwoch, den 11. Oftober 1933* Ereignisse und Geschichten

Begegnung

Gerhart Hauptmann hat dieser Tage eine seltsame Begegnung erlebt. Er ging in den Dünen von Hiddensee spazieren und strebte träumerisch einer Bank zu, als ein Mensch, wie aus dem seewärts treibenden Nebel gewachsen, vor ihm stand. Ein breiter Hut saß dem anderen tief im Gesicht, die beginnende Dämmerung hüllte ihn in Grau. So ragte er stumm und schlank aus den Dünen und versperrte den Weg. Wer sind Sie? Was wollen Sie? fragte der greise Dichter verdutzt.

Der andere( mit unheimlichem Lachen): Wer ich bin, müßtest Du eigentlich wissen. Ich bin derselbe wie früher. Du, zu welcher Mumie bist Du vertrocknet? Einst hast Du die " Weber" gedichtet, hast den Florian Geyer " geschrieben jebt buldigst Du Muffolini, schreibst Prologe für faschistische Feiern, verbrüderst Dich auf Hiddensee mit Hitlers braunen Sadisten, stimmt das?

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Hauptmann( betroffen): Wie fommen Sie zu dieser Fragerei? Die Leute waren sehr nett zu mir - warum sollte ich ihnen feind sein? Der Dichter umfaßt alle mit der gleichen Liebe, ob fie rechts stehen oder links. Gottes Sonne scheint ja auch über Gerechte und Ungerechte...

Derandere: Du salbaderst wie ein Pfaffe, ich aber spreche von dem, was Du einst gelehrt. Die besten Deiner Werfe stehen linte". Die Weber " fordern Menschlichkeit und Freiheit, Dein Florian Geyer " wirft der Despotie und Unterdrückung den Fehdehandschuh ins Gesicht und stirbt dafür. 1919 hast Du in Breslau eine Rede steigen lassen für Republik und Demokratie, für die Errungen­schaft des November. Hast Du das alles vergessen?

Hauptmann: Inzwischen sind 13 Jahre vergangen. It's meine Schuld, wenn die Demokratie nicht hielt, was sie versprach? Auch das Hakenkreuz will die Welt erlösen warten wir ab... Der Dichter steht über den Zinnen der Partei...

Der andere: Aber er steht nicht über den Binnen der Mensch­lich feit! Glatt bist Du wie ein Aal, doch jetzt habe ich Dich und keine philosophische Dialettit rettet Dich. Du warst im Ausland, haft aus­ländische Zeitungen gelesen. Weißt Du nichts von den Konzentrations lagern, von den sinnlosen, sadistischen Demütigungen jener, die einer fried­Itchen Gesinnung lebten, von erschla­genen Männern und Frauen, von den Mädchen, die einer jüdischen Freundschaft wegen durch deutsche Straßen Spießruten laufen mußten, von dem Greuelsumpf der Hitler­Göring?

Hauptmann( stammelnb): Un feliger Blutwahn gepeinigter, lei­dender Kreatur...

Gerhart Hauptmann und der andere

Jahren! Aber, da wußte ich noch nicht, daß man Menschen­liebe in ein Dußend rührender Gestalten bannen und dann zum elenden Wichte werden kann!( Packt ihn, schüttelt ihn.) Hauptmann( ächzend): Lassen Sie los! Ich bin der anerkannteste deutsche Dichter...

Der andere: Gewesen, mein Lieber, gewesen, und ich bin Dein Richter... Ihr habt Euch das bequeme Wort erfunden, der Künstler und sein Wert seien zweierlei. Aber uns, der Jugend, will es nicht in den Kopf, daß ein Werk groß und erhaben und sein Schöpfer klein und erbärmlich werden kann. Wir werden immer wieder richten, wenn der Künstler sein Schaffen verrät.( Drückt ihn auf eine Bank,

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BERT

Die goldene Harfe!

Der andere: Laß Deine abgedroschene Philosophie, alter Heuchler! Was fatest Du gegen den Blutwahn? Nichts! Hast Du nicht gelesen, wie hämisch die Nazipresse über Deinen Selbstmord berichtete? Schämst Du Dich nicht? Was tatest Du für Deine geächteten, geschundenen, verjagten Freunde?

Hauptmann: Meine Freunde?

Der andere: Ah, Du weißt plöglich auch von ihnen nichts mehr. Demokraten, Sozialisten und Juden waren Deine Freunde. Ein Konrad Hänisch hat Dir und Teinem Schaffen in Freundschaft ein Buch gewidmet. Alfred Kerr hat in guten und bösen Tagen Dein Werk gefördert und verteidigt. S. Fischer hat Dir den Weg bereitet. Arno pls lehrte Dich einst literarisch laufen, schenkte Dir Geist von seinem Geiste! Er hungerte, Du aber wurdest reich und hattest nichts für ihn! Reichtum und Erfolg haben Deine Seele verödet. Du hieltest, Millionär geworden, auf einen hohen Tarif; fedes Auftreten, jedes Wort ließest Du Dir buchstäblich mit Gold aufwiegen, auch von den Aermsten

Hauptmann: Wer sind Sie, daß Sie so von meinem Leben sprechen dürfen?!

Der andere: Du fennt mich nur zu gut, alter Egoist und Geschäftemacher. Du bist tot, ich aber werde ewig sein und ich hätte Dich erwürgen sollen, damals vor dreißig

Hänschen Reimann

Einst war er Humorist

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dann kam die große Wende. Nun leitartikelt er marfig in der Berliner Morgenpost ". Von wem mag das wohl sein: » Jegliche unangebrachte Mitleidigkeit beiseite." Freilich, mit behutsamer Stümperei und sanftem Jäten ists nicht getan hier muß ganze Arbeit geleistet, ohne Simperlichkeit ausgemistet werden!"

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" Seit Hitler am Ruder ist, hat sich manches geändert, wo­bon man ehedem geglaubt hatte, es sei unmöglich, und doch ging es zu ändern! Planvoll wurden Vereinfachungen vor­genommen, tatkräftig, wurde durchgegriffen, schonungslos und gründlich wurde gesäubert."

Wer ist der Herkules dieser wuchtigen, wilden neudeutschen Drohungen?

Man vergaß, den Humoristen Hans Reimann aus­zumisten"!

Der hatte noch vor sechs Monaten in einem radifal­bemokratischen Blatt den linten Lesern humoristisch mit­

schiebt den Hut aus dem Geficht.) Kennst Du mich jetzt? Wie konntest Du wagen, mich so zu schänden?

Hauptmann: Starrt mit aufgerissenen Augen zu dem anderen, Jungen, empor, sieht eine hohe Stirn, einen geraden, unverfniffener Blid und schließt betroffen, ver­mirrt, beschämt die Lider: seine Jugend steht drohend vor ihm...

Als der alte Dichter die Augen wieder aufschlägt, ist der andere verschwunden. Nur von weither noch hört der Ber­störte ein unheimliches Echo: Du bist in Schande gestorben, ich aber werde weiter leben!"

Dec Der Meister singt

Klinge, kleine goldne Leier, In das Dunkel dieser Welt! Alle Klagen werden freier, Wo des Führers" Auto hält. Einstmals schrien meine Weber" Auf in wildem Mitleidsweb. Doch ich bin kein Meinungstleber: Gerne lob' ich den Pg.

B. Brandy.

geteilt, daß die Ankunft Hans Jobsts nur deshalb nicht schlimm sei, weil selbiger Jobst, wie Reimann selbst gesehen habe, nicht nur den Völkischen Beobachter", sondern auch das Berliner Tageblatt" lese. Seitdem aber hat der Humorist seinen Humor verloren. Panzer angelegt, Hellebarde in die Faust genommen und unternimmt jezt einen Husarenritt gegen die deutsche Orthographie.

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Wie dient der Humorist a. D. seinem deutschen Vaterland? Corbetha " soll nicht mehr mit C, sondern mit& geschrieben werden! Orthographie stramm gestanden. Tagesbefehl: alle großen G haben zu verschwinden. Desgleichen alle h" in Fremdwörtern. Desgleichen alle Dehnungs- h" und e. Welche Wohltat wäre es, einheitlich zu schreiben." Der ausgediente Humorist hat nicht unrecht: wenn man schon einheitlich spricht, weshalb soll man nicht auch einheitlich schreiben?!

Und nun noch eins mitten in die Horde der feinen Leute: Es müßte bei uns als Regel gelten, daß wir Fremdwörter überhaupt nicht falsch schreiben können." Wenn er für diesen Vorschlag nicht Ehren- Nazi wird, dann kennen diese Leute Heinz Raabe. nicht ihre wahren Wohltäter. ( Das neue Tagebuch.)

Fluch der Gewöhnung

Und ob sie die Rechte der Menschheit verhöhnen, Man will fich auch an die Hyänen gewöhnen. Die Welt vergift.

Den Schrei der Gequälten, der Sterbenden Stöhnen Will laut das Gebrüll des Geschäfts überdröhnen. Der Handel frißt.

Und alle, die erst in der Tiefe erschanert, Lernen bezent, wie man höflich bedauert Und kaum erwähnt;

Und ob man die Opfer lebendig ummanert,

Und ob hinterm Richtblock der Henter schon lanert: Die Mitwelt- gähnt.

Wehrlose wimmern in Fäuften von Bütteln, Tausende prügelt man täglich mit Knütteln. Aufschrei ist Pflicht.

Ihr sollt nicht die Röpfe verständnisvoll schütteln, Ihr sollt an den Toren der Zucht- Häuser rütteln. Bergeßt uns nicht!

Actur Landsberger

Dans Karfreit.

Der Romanschriftsteller Artur Landsberger hat sich in seiner Wohnung in Berlin mit Veronal vergiftet. Lands berger stand im Alter von siebenundfünfzig Jahren. Er war 1876 in Berlin geboren worden, batte die Rechtswissens schaften studiert und sich als Herausgeber literarischer Zeit schriften betätigt. Später wandte er sich ganz dem Roman zu und hat als Sitten schilderer des Berliner Westens, der Bürgerwelt des Kurfürstendamms, große und laute Erfolge geerntet. Seine Romane Frau Dirne", La, die Kokotte", Moral", Gott Satan" erzielten Riesenauflagen. In einer Reihe von Schriften hat Landsberger das Gettoleben darzu stellen versucht; gemeinsam mit Erzberger, Wedekind, Haupt­mann, Frizz Mauthner und Friedrich Naumann gab er ein. Sammelwert über Jubentaufen" heraus. Einer seiner bekanntesten Romane, Berlin ohne Juden", ahnte das dritte Reich" voraus; er gob eine Vision des nationalen Wahn finnsausbruches in Deutschland , der zur Vertreibung der Juden aus der Hauptstadt führt. Das Abenteuer der chauvinistischen Heber bricht aber zusammen, die Juden werden wieder zurückgeholt. Dieses Buch besonders, aber auch die Kurfürstendammromane baben Landsberger den Haß der Dakenkreuzler eingetragen, die ihn unter die Asphalt­literaten" einreihten. Er war gewiß fein Dichter von Be­deutung, aber ein Unterhaltungsschriftsteller, der sein Hand wert verstand und in seinen Romanen das Berliner Groß­bürgertum nicht ohne einen Unterton der sozialen Anklage lebenstren abkonterfeite. In den letzten Jahren bat Lands berger fast nichts mehr veröffentlicht. Nun trieb auch ihn ber Terror des dritten Reiches" in den Tod.

Der Gesalbte des Hecen

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In der Hessischen Landeszeitung" lesen wir: Denn das ist unsere stolze, dankbare Freude: Wo unter uns aus dem Untermenschentum das Zerstörende auftaucht, wo in uns der ,, innere Schweinehund" aufsteht, um den Menschen zu be­siegen, da naht sich uns der lebendige Gott, reckt uns das Haupt hoch, hämmert das Herz hart und reicht uns die Waffen zum Kampf und zum Sieg. Vorwärts, deutscher Mensch, vorwärts, Christenleute! Mit uns ist der treue Gott. Ueber uns ist seine starke Hand. Und sein Gesalbterist unser Kampfgesell. Der Herr im Himmel hat uns seinen Helfer gesandt, unsern Führer. Der spricht zu Gott : " Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn". Damit wollen

wir den Ritt bestehen."

So etwas gibt es

Christus

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,, arischer Jude"

ich erlaube mir, Sie auf einen Irrtum aufmerksam zu machen, darin bestehend. daß Sie Jesus Christus als Juden bezeichnen..." schreibt ein Student( oder eine Studentin) der Züricher Universität an die Neue Züricher Beitung".

Jesus Christus ist allerdings als Jude zur Welt gekommen, aber, wenn ich so sagen darf, als arischer Jude vom Stamme der Guten oder Goten.

Kleine Episode

Der ,, umgezogene" Standartenführer

Am Mittwoch entstieg einem aus der Innerschweiz an kommenden Gotthardschnellzug in Lugano ein uniformierter Standartenführer der Hitler - Armee. Der diensttuende, zuerst ob der Frechheit verdugte Polizist forderte den braun­behembeten Nazihäuptling auf, ihm auf den Polizeiposten zu folgen, wo er gezwungen wurde, die Uniform der braunen Barbaren gegen ein anständiges Zivilkleid zu wechseln. Dazu mußte er eine Raution von 200 Franken hinterlassen als Garantie für die Buße, die er wegen Uebertretung des Uniformenverbots zu zahlen haben wird. Erst dann ließ man den Mann weiterziehen in die Heimat des Faschismus. Der Nazi- Führer hatte sich in den letzten Tagen bereits in Zürich und Basel aufgehalten, zog die braune uniform aber erst im Zug auf der Fahrt nach Italien an. Moglicherweise reichten seine geographischen Kenntnisse nicht so weit um zu wissen, daß jenseits des Gotthards noch Schweizer Boden besteht.

Die Uniform wurde beschlagnahmt und der Polizeis. direktion in Bellinzona zugestellt.