Deutsche Stimmen

Feuilletonbeilage der, Deutschen Freiheit"* Freitag, den 13. Oftober 1933

Sie ceift, die heilige Saat"

Wenn er nun nachdenkt, der ,, Hitlerjunge Quex "?

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Wenn er nachdenkt, der Hitlerjunge Quer, der am Fenster fist und ein Buch auf den Knien hält? Es ist kein verbotenes Buch beileibe nicht. Der Hitlerjunge ist ja eben erst der Schule entwachsen, die verbrannten Bücher, das verfemte deutsche Gedanfengut, sind keine Lockung für ihn. Kaum fennt er die Namen der gefährlichen Freigeister, die der Führer, sein Führer aus dem Lande jagen ließ, indeß ihre Schriften unter dem Gejohl eines rohen Studentenhaufens verkohlten.

Nein, der Hitlerjunge folgt gläubig seinen Führern und hält sich; die nicht verbrannten, nicht verbannten, sondern warm empfohlenen Werke der Schäfer, Griese, Grimm, Beumelburg, Blunck und Kolbenhener.

Kolbenheyer gerade von ihm hält er ein Buch in der Hand, ein Buch, das lange vor dem dritten Reich" ge­schrieben wurde. Er liest darin mit brennenden Backen, der Hitlerjunge.

Er lieft:

Was fonnten sie wider ihn. Er wußte, daß er den Weg der Zukunft ging; das ist der heilige Weg." Er lieft:

überlegen weiß- dann aber zeigt er die ganze Häßlichkeit!"

Wo wurde das Toben der sadistischen SA., die Feigheit der braunen Söldnerscharen je besser abgemalt? Und der diese Zeilen schrieb, der arische, nationalsozialistische Dichter Kolbenheyer , tat das, was der Jude Spinoza stolz ablehnte: er widerrief seinen eigenen Glauben, er wurde sich selbst untreu, er beugte seine Knie vor der Gewalt. Wenn aber der Hitlerjunge und viele andere, die jetzt im dritten Reich" jung sind, an­fangen zu denken dann wird kein Kniebeugen helfen. Denn Denn wie sagte doch der noch nicht gleichgeschaltete Kolbenheyer?

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Denn die Jugend kennt nur den Glauben an ihre Kraft und an ihr Gewissen. Wehe wer an diesen Glauben tastet!" Und wie schrieb er weiter, der Pg. Kolbenhener? , Sie reift! Die heilige Saat reift!"

Blumenfeld

Preis und Verachtung, Ruhm und Schmähung, Wissens: Mit ,, Hitlerjunge Quex " auf der Leinwand

durst und Neugier, Demut und Ueberhebung haben sich unter das Schwirren und Kreischen seines Schleifrades gemengt aber auch Entsagung und Krankheit haben es oft übertönt... Doch eines ist ihm, leuchtend von den großen Sternen seines Himmels, in armen und reichen Tagen geblieben: das heilige Land der hohen Liebe und Gotteswahrheit."

Er Itest:

Den Widersachern des Traktats ist es gelungen, den Druck zu verhindern. Allein die neue Lehre von der Gottesnatur, die zu Rijnsburg erblüht und zu Voorburg und im Haag die unvergängliche Frucht erschwellen ließ, weiß ihren stillen Weg durch die Niederlande bis nach Deutschland und Frankreich zu finden."

Der Hitlerjunge liest ein Heldenlied- ein unverbranntes Seldenlied, geschrieben von dem Dichter und nationalsozia­listischen Pg. Kolbenheyer . Und er lernt auch den Namen jenes Helden im Geiste kennen. Er hieß nicht Hitler . Er war fein Arter. Er war ein Sohn der minderwertigen" Juden­rasse. Baruch de Spinoza , so hieß er, Sohn eines jüdischen Händlers, dessen Familie, von der blutigen In­quisition aus Portugal vertrieben, sich im 16. Jahrhundert

in Holland niederließ.

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Vielleicht sieht der Hitlerjunge einmal vom Buch weg auf die Straße und wird Zeuge, wie ein paar SA.- Männer einen Juden vor sich hertreiben. Lauf zu, du Judensau, du dreckige!" Vielleicht senkt der Junge seinen Blick ins Buch zurück und liest die Worte, die Pg. Kolbenheyer dem alten jüdischen Michael de Spinoza in den Mund legte:

Oft wirds einem schwer gemacht und bitter! Wenn man nur seine ganze Kraft zu geben brauchte, um weiter zu fommen!... So aber schlagen sie einen mit Verachtung und man muß schweigen... So ist es uns ergangen, so wird es uns gehen... armselig und geschunden unter den Händen der Unwissenden." Wenn er nun nachdenkt, der Hitlerjunge? Ist denn der Dichter Kolbenheyer fein Nationalsozialist, wird er nicht täglich gepriesen in der Schule, im Rundfunk, in der Zeitung? Wann hat er gelogen, der Kolbenheyer: als er sich zum Antisemitismus des dritten Reiches" bekannte oder als er dem Juden Spinoza die Worte nachrief:

Glauben und Meinung haben den Herzensader erhärtet, und es mangelt in all der Dürre an dem läuternden Ver­

Die Grundmauern des dritten Reichs" sind bereits er­schüttert. In der Saar- Front", dem Naziblatte des Saar­gebiets, lesen wir in einem Bericht aus der Pfalz :

" Der Film Hitlerjunge Outer" ist ein Beispiel von guter deutscher Kunst, auch im Film, darüber hinaus aber ist er auch ein Denkmal vom Opfergeist der Jugend und vom Heldenmut der SA. und HJ. , die gegen Judentum und Marxismus den Siegeszug in dieses neue Reich an­getreten hat. Ja, in erster Linie gegen das Judentum, wenn auch die Juden das heute nicht mehr wahr haben wollen und ein Herr Blumenfeld in Landau den Hitlerjungen Quer" feck in sein Rino aufgenommen hat und treuherzig auf den Besuch sogar der National­sozialisten rechnet. Man kann sich nur wundern über die geradezu unerhörte Sorglosigkeit, mit der manche Menschen ein solches Gebaren mitansehen. Gibt es denn keinen deutschen Kinounternehmer in Landau , der gute deutsche Menschen aus dem Dilemma erlösen würde, den Hitlerjungen Quer" bei einem Juden sich anzu­

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Ereignisse und Geschichten

Chor der Nazi- Opfer

Wir glaubten an das Gute Und an der Menschen Wert; Nun liegen wir im Blute Und find befehrt!

Es haben Ungehener Den Todhaß uns gelehrt. Heiß brennen seine Fener. Wir sind befehrt!

Bei Mördern und Banditen Ist Milde ganz verfehrt. Die Köpfe abgeschnitten! Wir sind befehrt!

Marxisten" und nichtacier

Das Hochschul- Schafott

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Liberator.

Auf Grund des§ 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung bes Berussbeamtentums ist der Ordinarius für Archäologie an der Universität Münster, Prof. Dr. phil . Karl Lehmann Harte feben, in den Ruhestand versetzt worden. Auf Grund des§ 4 des gleichen Gesetzes hat der preußische Kultusminister dem Honorarprofessor für Arbeiterprobleme und soziale Betriebslehre an der Universität Münster, Ministerialdirektor Dr. Richard Woldt , die Lehrbefugnis entzogen. Der Reichsstatthalter in Baden hat dem nichtplanmäßigen a. o. Professor Dr. Maximi Itan Neu und dem Privatdozenten Dr. Jakob Marschaf, beide an der Universität Heidelberg , und dem o. Honorarprofessor Dr. Nathan Stein an der Technischen Hochschule Karlsruhe auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamten­tums die Lehrbefugnis entzogen. Der ordentliche Professor für praktische Theologie in Jena , Machholz, ist seines Postens enthoben worden.

In Baden

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hat der Reichsstatthalter mehreren Professoren und Privatdozenten an der Universität Freiburg i. B. auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Lehrbefugnis ent zegen. Es handelt sich um den Honorarprofessor für Volkswirt­schaftslehre Dr. Robert Liefmann, den Professor für Ge­schichte Dr. Gustav Wolf, für Kunstgeschichte Dr. Walter Friedländer sowie die Privatdozenten Dr. Werner Brod, Dr. Hans Adolf Krebs , Dr. Ernst Alexander, Dr. Berta Ottenstein und Dr. Hermann röhlich.

jeben, oder der das überhaupt unmöglich machte? Friedas Gedicht

Aber Landau schläft!"

Kurz, Herr Blumenfeld hat an dem Hitlerjungen Quer einen Ritualmord verübt. Landau wird jetzt erwachen und den dreisten Herausforderer der nationalen Ehre sturmreif für Dachau präparieren.

Der Nazi wartet und paẞt auf

In der Saar- Front" heißt es weiter:

" In Berlin lebte einmal ein gewisser Schriftsteller Kurt Corrinth, der in den Zeiten des jüdisch- marristischen Literaturbetriebes folgende Bücher schrieb: Die Leichen­schändung", Das Bordell"," Mord"," Trieb" usw., also gewiß nicht berufen erscheint am Aufbau zu arbeiten. Der­felbe Jude schreibt heute eine Aufsazreihe Sturmführer Horst Wessel , Kämpfer und Künder des 3. Reiches " und eine pfälzische Zeitung hat den Mut so etwas abzudrucken und ihren Lesern vorzusetzen. Hans Heinz Ewers Horst- Wessel - Buch sieht man mit Recht mit vor­fichtigen Blicken an, ein Horst- Wessel - Film wurde vom Reichspropagandaministerium verboten. Was geschieht in diesem Falle? Der Nationalsozialist wartet und merkt fich alles ganz genau, auch ob der Roman weiter erscheint oder nicht."

nunftregen. Die Luft ist schwer und schwül. Wer aber be- Wissen ist Krankheit

rufen ist, von höchster Lehrkanzel zu säen, der darf nicht erst fragen müssen, ob auch der Herzensacker bereit sei, der muß das Bewußtsein tragen, daß seine Worte ein Auf­jauchzen und Aufblühen bringen... Im zweiten Jahr­hundert nach Spinozas Tod erglühten die Herzen neu. Die großen Seher der Zeit verkündeten ihn und aus der Lante des Größten strömte die Harmonie seines großen Gottes und seine Gottesminne wieder."

Und im dritten Jahrhundert nach seinem Tod? Wurde er mitsamt seinem Volke in Goethes Land aufs neue ge­ächtet, bespien, verhöhnt und Kolbenheyer, sein Helden­fänger half dabei. So muß der Hitlerjunge sich sagen, wenn er nachdenkt:

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Wie schrieb der Dichter Pg. Kolbenheyer in seinem Spinoza- Buch Amor Dei"?

Sie häuften Schimpf und Schande über

Wie der Völfische Beobachter" mitteilt, hat das Preußische Kultusministerium als eine seiner wichtigsten Sofort­maßnahmen einen grundlegenden Erlaß herausgegeben". Vererbungslehre, Rassenkunde, Rassenhygiene, Familien­funde, Bevölkerungspolitik sind die Lehrstoffe. Die früheren Generationen haben," heißt es wörtlich, an einem Ueber­missen gekrankt. Ein neues Geschlecht aber, gesund und stark, soll in eine glückliche Zukunft marschteren."

Wird nicht mehr zugelassen

Auf Grund des Gesetzes zum Schuß der nationalen Sym bole( 19. Mai 1933) werden vom Reichspropagandaministerium ständig gewisse Kitschgegenstände beklopft und zum Teil für ,, unzulässig" erklärt. Uebrigens eine Sisyphusarbeit- die Einfälle hakenkreuzbegeisterter Geschäftemacher erneuern sich mie die Versprechungen der Führer mit jedem Tag. Auf der letzten Liste unzulässiger" Fabrikate finden sich folgende Raritäten:

Matrazendrell mit Hakenkreuzmuster, Hitlergruß- Doppel­postkarte mit beweglichem Arm, Tabafpfeife mit Hakenkreuz, Badformen mit Hafenfreuz und der Bezeichnung SA., be malter Kissenbezug, der außer der Aufschrift Der Freiheit entgegen" einen Adler, tragend ein Hakenkreuz auf weißem Felde mit einem schwarzweißroten Rande aufweist- und Gegenstand: Gedicht Mein Hakenkreuz im Licht", Hersteller: Frieda Gliese, Reichenau , Herstel­Iungsort: Reichenau Sa.

Arme Frieda Gliese! Gedichte herstellen" ist doch keine Schande, Göbbels selber stellt jogar Romane her( und was für welche!). Außerdem wurden die schwarzweißroten Schuh­puzzdosen mit der Ausschrift National" der Firma Gebler­Werke ausdrücklich für zulässig" erklärt- und die sind doch sicher auch nicht schöner als Mein Hakenkreuz im Licht". Wer hat da gegen die Gliese intrigiert? Wer hat sein Geld in den Gebler- Werken stecken?

Ich rede von einer blinden und übergeschnappten Ver­mirrerin und Aufheberin der Gemüter, die allein darin eine Entschuldigung ihrer Frevel trägt, daß sie blind und ver worren ist: ich rede von der zu vielen und fleißigen und be­stellsamen Polizei. Ernst Moriz Arndt.

Schlafe, mein Kindchen, schlaf ein...

Die Nachtruhe im neuen Deutschland "

Spinozas Grabhügel und wähnten damit unsterb, Die Nachtruhe im

liche Taten zu ersticken-- Aber das Reifen am Baum der Erkenntnis läßt sich nicht ersticken."

Wenn nun dem Hitlerjungen einfällt, daß in Deutschland jüngst Schimpf und Schande" über einen anderen jüdischen Grabhügel gehäuft wurden über den Grabhügel Ferdinand Lassalles? Wenn nun der Junge, nach­denklich und mißtrauisch geworden, auch dem Leben dieses Menschen nachspürt und der Lehre, der er anhing? Dann steht er mit einem Male mitten im verbotenen Gebiet, dann ist er durch ein nichtverbranntes Buch geradenwegs zu den verbrannten geführt worden. Noch einen Schritt weiter und sein Glauben an das dritte Reich" fällt wie ein Karten haus zusammen. Uebrig bleiben nur ein paar Worte, die eben jener Kolbenhener lange vor seiner Gleichschaltung niederschrieb:

Aller Schönheit bar ist allein der Haß, der bleiche, kiefer­Schlotternde Saß, der morden will und an sein waches Opfer nicht die Hand zu legen wagt, der mit Ruten ge­schlagen sein muß, daß er den Stein aufhebt und hinter­bältisch wirft, der nur laut wird, wenn er sich an Gewalt

Den Redaktionen der deutschen Zeitungen wurde folgende Postkarte zugesandt:

Sehr geehrte Redaktion!

Datum des Poststempels.

Für Sie oder für Ihre werte Familie stelle ich bei fofortiger Aufnahme nachstehender kleiner Notia fost ent Los frei dort ein seidenes Schlaffiffen, komplett gebrauchsfertig, im Werte von 10,90 Reichsmart zur eigenen Erprobung zur Verfügung.

Heil Hitler!

Direktor Wagner, Dresden . Wofür also bekommt der entschlummernde Deutsche, der eine kleine Gratisnotiz mit dem redaktionellen Teil gleich­geschaltet hat, ein seidenes Schlaffissen? Die Gratisnotiz lautet:

Die Nachtruhe im neuen Deutschland als erster Faktor innerer Zufriedenheit!

Dem Nationalsozialisten Direftor Wagner, Dresden , verdanken ungezählte Schlaflose neue Hoffnung und innere Harmonie! Ohne chemische Gifte- nur harmlose Kräuter in einem Seidenkissen, beträufelt mit einem Pflanzen­extrakt, werden eingeatmet, um sofort sieben bis neun Stunden festen Nachtschlaf zu bringen. Die umgehende Beruhigung von Herz und Nerven bestättgen Gutachten von Fachärzten und Laien aller Länder, die kostenlos ver­fandt werden.

Die Erfindung des Nationalsozialisten Wagner ist aller dings die unentbehrliche Ergänzung zum Hitler- Faschismus, nachdem Deutschland erwacht ist, muß es schleunigst wieder einschlafen, und zwar vorläufig ohne chemische Gifte. Was Hitler nicht gebracht hat, bringt sein Kompagnon Wagner: Neue Hoffnung und innere Harmonie!" So haben zwei Berufene sich ins Geschäft geteilt: der eine mit Deutschland , erwache!", der andere mit Deutschland , schlaf ein!"