Fretheil

Panjaže

Nummer 99-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, den 14. Oktober 1933 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt:

Belgien rüstet auf

Seite 2

Oesterreich unter Alarm Seite 2

Prozeß voc

dem Reichstagspalast

Seite 5

Komödie

im Konzentrationslager

Seite 6

Hitler erwägt die Kapitulation!

Unter dem Druck der englisch- französisch- amerikanischen Einheitsfront

Der französische Außenminister Paul- Boncour hat am Donnerstag dem französischen Ministerrat Bericht über Genf erstattet. Er konnte darauf hinweisen, daß eine eng lisch- französisch- amerikanische Einheitsfront gegen Deutsch­ lands Wiederaufrüstung besteht. Unsere gestrige Meldung, daß die Regierung der Vereinigten Staaten erst inoffiziell und dann mit großem Nachdruck offiziell die deutsche Reichs­regierung gewarnt hat, wird jetzt bestätigt.

Die französische Presse ist sehr befriedigt und läßt erkennen, daß ein fonzentrierter Druck auf die deutsche Re­gierung ausgeübt wird. Die Kraft der englisch - französischen Einigung werde sich auswirken. Der offiziöse Petit Parisien" verweist sehr deutlich auf die entmili­tarisierte Rheinlandzone. Die englische und die französische Regierung seien darüber einig gewesen, daß die Locarno Abmachungen über die entmili­tarisierte Rheinlandzone ihren neuen Wert er­halten mußten in dem Augenblicke, wo wichtige Be­sprechungen mit Deutschland begännen. Nach der neuen Bestätigung der Locarno - Abkommen und der englischen 31­stimmung zur Einführung der von Frankreich vorgeschla= genen automatischen, effettiven und dauernden Rüstungs­fontrolle müsse man nun in Berlin wissen, daß im Falle einer Verlegung der entmilitari­fierten Rheinlandzone die Verträge in raft treten würden. Die Verständigung zwischen

für vorsichtig genug, daß sie einen gewissen Spielraum für weitere Verhandlungen läßt. Die offiziösen deutschen Ver­lautbarungen sind kleinlaut geworden. Sie trösten sich damit, daß sowohl in der Dauer der Probezeit, wie in der Sant­tionsfrage noch keine Einigung zwischen England, Frank­ reich und Nordamerika erzielt sei. Man darf annehmen, daß reich und Nordamerika erzielt sei. Man darf annehmen, daß heute in Berlin , wenn auch unter gewissen Krämpfen, der Rückzug aus der Sackgasse eifrig erwogen wird. Die Möglichkeit der glatten Kapitulation erscheint am Horizont. Schon wird die Legende eines neuen Dolchstoßes" vorbe= reitet. Da die Marristen in den Konzentrationslagern sitzen und daher diesmal die strahlende Siegfriedspolitik des glorreichen Reichskanzlers nicht schwärzen können, sind es die Engländer, die unter dem unheilvollen Einfluß der französisch - jüdischen Freimaurer dem unschuldigen Hit­lerdeutschland den Dolchstoß von hinten versetzen. Nur auf den Gedanken, daß die eigene Unfähigkeit und außenpolitische Plumpheit die Niederlage verschuldet haben könnte, kommen die Herren und ihre Mitläufer nie.

So oder so, bereitet sich für Deutschland eine schwere außenpolitische Niederlage vor. Die Verantwortung dafür lastet voll auf den Diktatoren, die ein nationales Unglück lastet voll auf den Diktatoren, die ein nationales Unglück find.

Frankreich und England sei also voll befriedigend und Schritt gegen Deutschland

werde durch eine Verständigung mit den Vereinigten Staaten ergänzt.

Während der deutsche Delegierte von Nadolny nach Ber­Iin gefahren ist, um dem Kabinett über die Zuspigung gegen Deutschland in Genf zu berichten, formulieren die Englän­der in Genf schon den Tegt eines vorläufigen Konventionsentwurfes, der von England, Frank­ reich und den Vereinigten Staaten gemeinsam vorgelegt werden soll.

Dieser Entwurf soll den Ablauf der Abrüstung in zwei Perioden einteilen, deren erste dem Umbau der europäischen Armeen in Milizarmeen von je 200 000 Mann dienen soll. Das würde für Frankreich eine Verringerung seiner Effektiven und eine Abkürzung seiner Dienstzeit bedeuten, würde aber am Stand seiner Bewaffnung und seines sonstigen Kriegsmaterials nichts ändern. Für Deutschland hingegen würde es die Auf­lösung der Reichswehr , aber eine Verdoppelung seiner Streitkräfte darstellen, gleichzeitig jedoch auch einen wenn auch geringfügigen Zuwachs an Kriegsmaterial bedenten, da 200 000 Mann einer umfangreicheren Ausrüstung be: dürfen als nur die Hälfte. Luftwaffe und schwere Bewaffnung sind in dieser Zeit ausgeschlossen.

Die zweite Periode soll hauptsächlich der Abwicklung der Materialfrage dienen. In ihr soll Frankreich ( denn auf Frankreich kommt es ja hauptsächlich an) seine schwere Bewaffnung, die man ihm in der ersten Periode auf dem alten Stand belaffen hatte, vernichten. Gleichzeitig foll Deutschland während dieser Zeit die sogenannten Defensivwaffen erhalten, die ihm durch den Vers jailler Bertrag verboten find, also Jagdflugzeuge, Tank­abwehrkanonen, leichte Tanks usw., so daß am Schlusse der zweiten Periode eine tatsächliche Nivellierung des Rüstungs: standes in Europa , also vornehmlich zwischen Deutschland und Frankreich erzielt wäre.

Frankreich besteht darauf, daß gleichzeitig mit dem Umbau der Reichswehr in eine Milizarmee von 200 000 Mann die ehrverbände verschwinden müssen, eine Be­dingung, der bisher Hitlerdeutschland sein unan­nehmbar" entgegengestellt hat.

Auf jeden Fall bleibt Deutschlands Diskriminierung" mährend einer längeren Probezeit. Ob diese vier Jahre oder weniger dauern soll, steht noch nicht fest. Deutschlands Gleichberechtigung soll erst nach dieser Probezeit praktisch gewährt werden, wenn sich gezeigt hat, daß Deutschland in dieser Probezeit die Ber­träge stritte erfüllt.

Forderungen, wie sie jetzt in der englisch - französischen­amerikanischen Einigung niedergelegt sind, hat die Hitler­regierung bisher als vollkommen unerträglich für das dritte Reich" hingestellt. Daß von Nadolny aber noch einmal zur Berichterstattung nach Berlin befohlen ist, beweist, daß die Reichsregierung ihr letztes Wort noch nicht gesprochen hat. Zwar schreibt die nationalsozialistische Presse heute, daß nunmehr die ultima ratio der Deutschen bekannt gegeben werde. Wir halten aber die Hitlerregierung, zumal unter der Vormundschaft Mussolinis

Paris, 13. Oft. Außenminister Paul- Boncour wird heute abend nach Genf zurückreisen.

Die französische Presse begrüßt im großen und ganzen die Mitteilung, daß der gestrige französische Ministerrat die an gebliche gemeinsame Erklärung, die von den drei Mächten England, Frankreich und Amerika vorbereitet worden sei, gutgeheißen habe. Diese Erklärung werde, wie die Blätter wissen wollen, die wesentlichen Grundsäße des nenen Ab­rüstungsabkommensentwurfes präzisieren.

Der Genfer Berichterstatter des Journal" will erfah ren haben, daß die der allgemeinen Abrüstungskommission vorzulegende gemeinsam e" Erklärung nicht mehr als 1' Seiten, d. h. 42 Zeilen, umfasse und in drei Artikel eins geteilt sei. Der erste dieser Artikel betreffe die Opposition gegen jede Aufrüftung Deutschlands , der zweite die Frage der Probezeit und der dritte die Organisation der Kontrolle. Die Ausführungsbestimmungen blieben allerdings noch zn präzisieren.

Die allgemeinen Grundsätze, auf denen sich diese Erkläs rung angeblich aufbaue, werden im" Petit Journal" fols gendermaßen umrissen:

1. Aufrechterhaltung der engen französisch- eng Iisch amerikanischen Solidarität;

2. Entschloffenheit der drei Regierungen, auf keinen Fall in eine Aufrüstung Deutschlands wäh= rend der Probezeit einzuwilligen, abgesehen von ge= wissen Rüstungsmaßnahmen, die die Umstellung der Reichss wehr auf eine Miliz von 200 000 Mann notwendig machen könne und die sich nur auf die im Versailler Vertrag er: laubten Waffen erstrecken dürfen wie Gewehre, Maschinen= gewehre und leichte Geschütze.

3. Beibehaltung der vorgesehenen Frist für die Probezeit. Sir John Simon habe dem fran= zösischen Standpunkt beigepflichtet, daß sie vier Jahre be= tragen solle.

4. Beibehaltung des automatischen ständigen Charakters der Kontrolle, zwecks genauer Aus: führung des Abkommens.

5. Aufschub der Herabsetzung des schweren Kriegsmaterials und der Ermächtigung für Deutschland , die Defensiv= waffen zu besitzen, die alsdann allen Signataren des Abkommens bewilligt werden würden, bis zum Ab= schluß der vierjährigen Probezeit, falls diese sich als wirtsam herausstellen sollte.

Viel bemerkt wird von der französischen Presse das Ver: halten der italienischen Delegation, die bei der Ausarbei= tung eines derartigen Entwurfs sich abseits gehalten hat.

*

..Wenn marschiert würde.... Die Ansicht von Lloyd George

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London , 13. Oft. In der Daily Mail" behandelt Lloyd George die zeitgemäße Frage, was werden soll, wenn die Abrüstungskonferenz zusammenbricht. In ein­dringlichen Worten fordert der vormalige Ministerpräsident zu gerechter und ehrlicher Handlungsweise gegenüber Deutschland auf.

Fortjesung fiche Seite 2

Am Ende!

Aber die anderen sind wieder schuld: ,, das perfide Albion", das doppelzüngige Italien und selbstverständlich!- das ,, vernegerte" Frank­ reich

!

Saarbrücken , 13. Oktober 1933.

Die braune Saar- Front", als deren Heraus geber der neugebackene preußische Staatsrat und Nazi­Gauleiter Aloys Spaniol zeichnet, brachte am Don nerstag auf der ersten Seite an der Spitze des Blattes folgende Ueberschriften:

,, England hat die Führung im Kampf gegen Deutsch land übernommen- Umfall Italiens ."

Wir müssen gestehen: Zunächst trauten wir unseren Augen nicht, daß Alons Spaniol es schon gemerkt haben sollte, daß Jtalien, das vielgeliebte, hoch gepriesene, porbildliche Italien , dem man Vorschuß lorbeeren gleich waggonweise gezahlt hat, Deutschland wieder einmal gefeimt hat so mie es das früher schon mit dem Dreibund während des Weltkrieges tat. Auch damals war bekanntlich der Haupttreiber zur Felonie " gegen Deutschland derselbe Benito Mussolini , der jetzt der Diktator Jtaliens ist und der nach den Worten der Saar- Front" sich folgendermaßen verhält:

,, Die Jtaliener haben zweifellos ihre taktische Haltung geändert, da der Widerstand gegen Frankreich auf­gehört hat."

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Gie merken aber auch wirklich alles, diese National sozialisten! Sie haben nur vergessen hinzuzusetzen, daß es sich um das faschistische Italien ihres Vorbildes Mussolini handelt, dem sie in Götzenanbetung das deutsche Südtirol ihrem Parteiegoismus geopfert haben! Und dann England! Man hat sich seitens des Naziotentums so viele Liebesmühe angetan, England gegen Frankreich auszuspielen. Man hat jede Aeuße­rung irgendeiner englischen Zeitung, die eben hitler. freundlich gedeutet werden konnte, durch Rundfunk und amtliche Korrespondenzbüros über das 60- millionen- Volk ausgegossen. Man hat Lloyd George als den Helfer Deutschlands " gefeiert und dabei ganz vergessen, daß die Stärke dieses Staatsmannes seine geistige Beweglich­keit ist, die ihre Kehrseite in der Demagogie des Volks redners hat. Man hat jede vereinzelte Aeußerung eines mehr oder weniger bekannten Engländers, aus der man Honig saugen zu können glaubte, wie ein Evangelium verkündet nur die hochbedeutsame Rede des konservativen Führers Baldwin in Birmingham hat man im gleichgeschal. teten Lande der gleichgeschalteten Presses kulis nicht verbreitet! Seither aber tauchen die Kriegsschlagworte wieder auf: Gott strafe Eng­land!", und es kursiert wieder die billige Charakterisie­rung vom perfiden Albion"! Aloys Spaniol sagt das seinen Kindern folgendermaßen:

Es tritt immer dentlicher hervor, daß die englische Rez gierung die Führung im Kampf gegen Deutschland übers nommen hat",

und, o Schreck! selbst Lord Rothermere und Lord. Beaverbrook, die beiden beiden Zeitungskönige der großen Auflagen und geringen Bedeutung, nehmen mehr und mehr gegen Berlin Stellung. Hitler hat sich rettungslos in eine außenpolitische Sack gasse hineinmanövriert.

Die Verlegenheit Jtaliens, das gemäß seinem sacro egoismo" nie ernsthaft an eine Unterstützung der deutschen Ausrüstungswünsche gedacht hat und das nichts so sehr fürchten würde, als in die Nähe des Brenner. und von Triest einen aggressiven und schwer bewaffneten Nationalsozialismus zu bekommen- trotz aller Freund. schafts- und Gemeinsamkeitsbeteuerungen!- ist nicht gering. Nach vergeblichen Versuchen von Aloisi und