Unverständlich bleibt"...

Deutsche   Richter sollen nicht zu milde sein!

Prozeß vor dem Reichstagspalast

Wir entnehmen diese Ausführungen dem amtlichen Die Angeklagten werden demonstrativ mit Handschellen gefesselt vorgeführt Richterorgan Preußische Justiz"( Nr. 40). Ein Kommens tar bedürfen sie nicht.

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Es ist im Interesse von Staat und Volk unerträglich, renn ein Angeklagter in einem Brief an Verwandte im Ausland schreibt, in den Revolutionsmonaten hätten Tau­sende ihr Leben lassen müssen, und als Greuelschwäßer lediglich 2 Monate Gefängnis erhält. Diese Strafe steht in derart schneidendem Gegensatz zur Schwere und Gefährlichkeit der Tat, die dem deutschen   Ansehen im Ausland schwersten Schaden zufügen kann, daß sie durch feinerlei in der Person des Täters liegende Umstände, wie Unbestraftheit oder Lebensalter, zu rechtfertigen ist. Eben­sowenig steht es mit den Absichten des Gesetzgebers in Einklang, wenn ein vielfach rückfälliger Betrüger, der sich unter Mißbrauch des Hoheitsabzeichens der NSDAP  . er­neut des fortgefeßten Betruges schuldig macht, unter Zu­billigung mildernder Umstände zu einer Gefängnis­trafe von 1 Jahr verurteilt wird, obwohl die nur bei Annahme mildernder Umstände für die leichtesten Fälle in Betracht kommende Mindeststrafe bereits 6 Monate be­trägt und der Täter schon wegen Rückfallbetruges Zucht­bausstrafe verwirkt hätte.

Unverständlich bleibt eine Strafe von 150 Reich 3- mark für das Greuelmärchen, in einem Sammellager feien Gefangene wegen Nahrungsverweigerung an die Wand gestellt worden, um erschossen zu werden, das zum Erschießen abgeordnete Wachtpersonal habe aber den Be­fehl nicht befolgt. Sie ist offenbar ebenso ungeeignet, ab­Schreckend zu wirken, wie wenn ein Angeklagter eine Geld­Strafe von 200 RM. für seine Erzählung erhält, er habe selber gesehen, wie SA.- Leute auf offener Straße einen Mann grausam mißhandelt und aus seinem Rörper Fleischstücke herausgeschnitten hätten.

Leitstern jeder Auslegung muß für den Richter und Staatsanwalt der Gedankengang sein, der den Gesetzgeber zum Erlaß des Gesetzes gezwungen hat. Ein Richter, der Fei einer bestimmten Tat, die nach der erkennbaren Absicht des Gesetzes von der Strafdrohung umfaßt sein soll, dessen Anwendbarkeit mit der Begründung verneint, der Wort­Laut sei nicht unzweifelhaft, die 3 weifel seien aber ugunsten des Angeklagten zu werten, ver­leht die Pflichten seines Amtes. Gewiß heißt es bei der Tatsachenfeststellung auch fürderhin: in dubio pro reo. Bei der Rechtsanwendung steht aber vor diesem Sazz ber Gedante des Schußes von Volk und Staat gegen den Rechtsbrecher. Nimmt der Richter fich diese Gedanken zur Richtschnur, so kann ihm die Entschei­dung nicht schwer fallen, ohne daß von der verpönten Ana­logie dabei irgendwelche Rede ist.

Geisein!

Die Kölnische   Zeitung" meldet aus M.- Gladbach:

Da die Herstellung und Verbreitung von tommu itif en ekschriften auch im Gladbach- Rheydter istischen Bezirk in der legten Belt start zugenommen hat, war vom Polizeipräsidenten Grunert vor furzem eine Warnung veröffentlicht worden, daß er bei Fortsetzung dieses hochver­räterischen Treibens als Gegenmaßnahme kommunisten, bie bereits in Schutzhaft gesessen haben, erneut der  

Berlin, 12. Oft. Für den Lokaltermin am Reichs­  tagsgebäude wurde das   Reichstagsgebäude in den frü hen Abendstunden in weitem Umkreis durch ein gewaltiges Aufgebot von   Schutzpolizei mit Karabinern abgesperrt. Hin­ter der großen Sperrfette hatte sich schon in der Nachmittags­stunde ein zahlreiches Publikum angesammelt, das wenig stens aus der Ferne dem Vorgang auf der Freitreppe bei­wohnen will.

Kurz nach 8 Uhr erschien der Senat, diesmal in Zivil Kleidung, auf der großen Freitreppe. Die Angeklagten sind auf der Rampe zwischen je zwei Polizeibeamten aufgestellt. Der Vorfizende ruft zunächst die Zeugen und Prozeßbetet­ligten auf. Als Zeugen find anwesend der Student Flötet, der Schriftseter Thaler, die Polizeibeamten Buwert und Pöscher, der Ingenieur Boguhn und die Eheleute Kuhl und   Freudenberg.

Der Zeuge Flöter zeigt zunächst den Plas, von dem aus er seine Beobachtungen gemacht hat und den Plazz, an dem er dem Zeugen Buwert Mitteilung gemacht hat. Dann zeigt Buwert seinen Weg von dort bis zu dem Plaz, von dem aus er beobachtet hatte. Der Zeuge Thaler zeigt wetter den Plas, von dem aus er seine erste Beobachtung machte. Dann steigt ein Polizeibeamter durch das linke Re staurationsfenster in den Restaurationsraum ein, zunächst ohne Feuerbrand, dann mit einem Feuerbrand in der Hand. Der Zeuge Thaler zeigt seinen Weg die Rampe herunter und wieder zurück bis zu dem Standort des Zeugen Buwert. Veide Zeugen gehen den Weg bei Beobachtung des Lichtschei= nes im Erdgeschoß von Fenster zu Fenster bis zum Schluß. Ein Polizeibeamter mit Feuerbrand in Kopfhöhe bewegt sich hinter den Milchglasscheiben des Erdgeschosses von links nach rechts von Fenster zu Fenster. Die Zeugen Buwert und Pöscher zeigen den Ort ihres Zusammentreffens; ebenso weisen die Eheleute Kuhl und   Freudenberg den Standort an, von dem aus sie ihre Beobachtungen ge­macht haben. Der Schluß des Lokaltermins gilt der Be­obachtung des Zeugen. Boguhn, der den Plaz angibt, von dem aus er einen Mann heim Verlassen des Portals ge­schen haben will. Die Angeklagten, die zusammen mit dem Gericht nach den verschiedenen Standorten geführt wurden, trugen Handschellen, an denen sie von Beamten ge­führt wurden.

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DF. Die Angeklagten, wenn man von dem verlumpten, idiotischen oder sich idiotisch stellenden van der Lubbe absieht, gelten in der ganzen Welt als unschuldig. Daß man sie, insbesondere auch den angesehenen kommunistis schen Fraktionsführer   Torgler öffentlich gefesselt vor führte, ist eine Provokation, die ihren Eindruck nicht verfehlen wird. Auch nicht auf die   deutschen Arbeiter, die zwar unter furchtbarem Druck still sind, aber wachsamer und kritischer als viele ahnen. Diese Handschellen wirken wie ein Symbol der Rohheit und der Gemeinheit, von der die ganze sogenannte nationale Revolution in ihren Füh­rern und in ihren Knechten beherrscht wird. Ohnedem geht es anscheinend nicht. Diese Tatsachen werden zwar nicht in Akten geschrieben, aber sie werden auch nicht ver gessen, und sie werden ungeschwächt im Gedächtnis leben, wenn die jetzt Gedemütigten und Gefesselten am Tage des kommenden Sieges sich erheben werden.

Der ganze Lokaltermin scheint wertlos gewesen zu sein. Bedeutung hätte er erlangen können, wenn man den. van der Lubbe einmal hätte vormachen lassen, wie er denn feine Kletterei vollführt haben will. Natürlich sind wir durchaus dafür, daß sein kostbares Leben geschützt worden, wäre. Er hätte nicht abstürzen dürfen. Aber dagegen gibt es ja Vorsichtsmittel genug. Auch der Einwand, daß der. Mensch jetzt zu geschwächt ist, reicht nicht aus. Trotz seinem jetzigen Zustande hätte man wohl einigermaßen beur. teilen können, ob er überhaupt in der Lage gewesen ist, die behauptete Kletterpartie zu vollführen. Es wäre zum Beispiel auch möglich, daß die Kletterei nur vorgetäuscht worden ist von Leuten, die aus dem Gebäude heraus­stiegen, um dann Fensterscheiben einzuschlagen, damit es so aussehen sollte, als wäre man von außen eingedrungen. Aber vielleicht macht man einen zweiten Lokaltermin, denn das Gericht wird ja so gründlich vorgehen wie mög lich.

Schus haft zuführen werde. Diefe Barnung ist nicht be. Die Prangertafeln"

achtet worden; wiederum wurden 16 Heßschriftenverteiler festgenommen, gegen die sofort ein Strafverfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat eingeleitet wurde. In Durchführung der angedrohten Gegenmaßnahmen hat der Polizeipräsident außerdem vier als fanatische Kom­munisten bekannte Personen dingfest gemacht undinein Konzentrationslagereingewiesen.  

Deutsche Justiz

( Inpreß.) Der ehemalige Referendar am   Bremer Land­gericht, Klaus   Buecking, wurde zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er Totenlisten aufstellte und auf der Schreib­maschine vervielfältigte, in denen Getötete, getrennt nach Parteien, denen sie angehörten, zusammengestellt waren.

Vor fünfundzwanzig Jahren

Es ist jetzt gerade ein Vierteljahrhundert her, daß vor den  Berliner Gerichten eine Reihe von Prozessen begann, die weit über   Deutschlands Grenzen hinaus größtes Aufsehen erreg­ten. Die Weltpresse zog sie mit dicken Schlagzeilen und mora­lischer Entrüstung als Skandalprozesse auf gegen bekannte Persönlichkeiten von Rang und Stand, in Wirklichkeit aber handelte es sich um viel mehr als um eine Tagessensation. Die skandalös an die Oeffentlichkeit gezogenen Sexualintimi­täten waren nämlich nicht etwa der 3weck der Uebung" als solcher, sondern nur ein Mittel zum Zweck, ein geschickt be­nustes, gemeinsames, aber nie versagendes Kampfmittel, um einen Gegner zu beseitigen, an den man sonst so schwer heran­tommen fann.

Im Enddeffekt bebentete der Verlauf und Ausgang der da­maligen Prozesse nichts mehr und nichts weniger als einen Sieg der Nichtung, die schließlich in die Geschehnisse des Welt­frieges ausmündete. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß, wenn in dem Intrigenspiel der beiden Höf­linge Wilhelms II., Fürst Philipp   Eulenburg und Fürst Bernhard   Bülow, nicht Bülow, sondern Eulenberg gestegt hätte, der als der persönliche Freund des   französischen Ge­fandschaftsattaches Lecomte Träger der Versöhnungs- und Friedenspolitik mit   Frankreichs war, daß in diesem Falle die Weltgeschichte eine andere Entwicklung genommen und der Weltkrieg höchstwahrscheinlich nicht stattgefunden hätte.

Ich selbst war zu diesen Prozessen als Sachverständiger zu­gezogen worden, dem die ebenso schwierige wie unangenehme Aufgabe gestellt war, auf Grund seiner serualwissenschaftlichen Spezialkenntnisse ein objektives und unparteiisches Urteil darüber abzugeben, ob die Beweisaufnahme die Wahrheit der Hardenschen Behauptung erbracht hätte, daß die Tafelrunde des Fürsten Eulenberg auf seinem Schloß in   Liebenberg zum Teil aus Homosexuellen bestände. Maximilian  

Harden, der anfangs Schauspieler gewesen war und dann als äußerst gewandter Journalist die Zu­kunft" herausgab, auf deren Erscheinen jede Woche Hundert­tausende mit höchster Spannung warteten, hatte diese Be­hauptung aufgestellt, um aus ihr zu folgern, daß dieser, dem Staiser sehr nahestehende Kreis Phili war der intimste Freund Wilhelms, mit dem er auf Du und Du stand- in­folge der Veranlagung seiner Teilnehmer auf den Monarchen einen verderblichen Einfluß ausübe( Kamarilla").

Von Magnus   Hirschfeld

Vorgängen schwebt lange nicht geklärt sind. Nun sind schon fast alle tot, die in diesem Drama eine Rolle spielten, und deren Name vor fünfundzwanzig Jahren in aller Munde war, tot die beiden Hauptakteure Fürst Eulen­  burg und sein Gegenspieler, der sich bei Lebzeiten stets schlau im Hintergrund haltende Fürst   Bülow( erst seine Memoiren entschleiern sein Bild), tot Harden, der sich als Held des Tages vorkam und als solcher gefeiert wurde, in Wirklich­keit aber doch nur ein großer und nicht einmal guter Schau­spieler war, tot Hardens berühmter und jetzt auch schon ver­geffener Verteidiger Justizrat Bernstein aus   München, mehr Dichter als Jurist, tot Hardens Drahtzieher und Gewährs­männer, vor allem Holstein, der die Kleinlichkeiten aller durchschaute und dem es einen teuflichen Spaß machte, alle gegen einander auszuspielen, tot auch Professor   Schweninger, Bismarcks Leibarzt, der als Zuträger Hardens aus zwei Quellen schöpfte. Die eine war seine Gemahlin, eine geborene Gräfin Moltke, die mit ihm durchgegangene" Gattin des

und die letzten Zusammenhänge noch

Malers   Lenbach und Kusine jener anderen Gräfin Moltke, die mit Guno Moltke, dem Stadtkommandanten von   Berlin ver­heiratet war; sie hat sich bei ihrer Base bitter beklagt, daß ihr Mann mehr für Phili schwärme als für sie, und die Base hat richtig herausgefühlt, daß dieser Fall ihren Mann als Arzt interessieren müßte.

Die zweite Quelle Schweningers war der mit Recht ver­bitterte Bismarcksche Kreis, dessen Leibjournalist Harden war.   Bismarck hat als einer der ersten erkannt, in welchen Abgrund die Intrigenpolitik führen mußte, die sich, nachdem er ,, wie ein Dienstbote" von Wilhelm II  . fortgejagt war, um den kaiserlichen Hof etabliert hatte. Der Schatten Bismarcs reckte sich hoch hinter Eulenburg und Bülow empor.   Bismarck war sich darüber klar, und wußte aus eigener Erfahrung, daß es letzten Endes doch nicht so sehr auf die Höflinge anfam, als auf den Herrscher selbst, der seine Schwächen durch Schneidigkeit überkompensierte und sich in guten und bösen eine sehr Tagen hinter sein Gottesgnadentum verschanzte bequeme, aber leider auch sehr gefährliche Taktik und Politik. Längst tot ist auch der Generalstaatsanwalt Jsenbiel, der wie Roland der Riese" daherschritt und für Eulenburgs " Unschuld" seine Hand ins Feuer legte, um sie einige Monate später sachte herauszuziehen, als er sich gezwungen fah, gegen seinen Schüßling Meineidsklage zu erheben.

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Nie werde ich den gequälten, martervollen Gesichtsausdruck in Eulenburgs Zügen vergessen, als Jienbiel ihn auf Justiz rat Bernsteins Betreiben schwören ließ, ob er sich in seinem Leben homosexuell betätigt habe oder nicht. Als er nach einigen Sekunden, die wie Minuten schienen, die Worte

Ich erinnere mich, wie eines Tages die Fürstin Eulenburg, eine sehr gescheite Dame aus   Schweden, in einer Pause der wochenlang dauernden Verhandlung zu mir sagte: Auf meinen Mann schlägt man und den Kaiser meint man." Sie traf damit den Nagel auf den Kopf, obwohl alle Beteiligten so taten, als hätten sie nur die Absicht, den Kaiser von schäd= lichen Elementen zu befreien, die sich an ihn herangedrängt herausschleuderte Ich weiß nichts von solchen Schweine­

bätten.

so erst neuerdings unter dem

reien", sagte der Generalstaatsanwalt triumphierend: Na also!", aber jeder andere im Saale fühlte: Hier ist jemand in eine Falle gegangen.

Trotzdem Gulenburg und Bülow umfangreiche Memoiren hinterlassen haben und eine große Reihe zeitgenössischer Schriften erschienen sind, in denen auf diese Prozesse ausführ­lich Bezug genommen wird- Titel Die graue Eminenz" eine Biographie des Herrn Friedrich August von   Holstein, einer der seltsamsten und fin= stersten Erscheinungen der Wilhelminischen Aera- bin ich der Meinung, daß noch immer ein dichter Vorhang über biesen, für die Vorgeschichte des Weltkrieges so entscheidenden gewesen, er hätte Bülow getroffen.

Harden hat in dieser ganzen Angelegenheit zwei verhäng­nisvolle Fehler begangen, wobei wir ihm zugute halten kön­nen, daß er sie nicht aus purer Eitelkeit beging, wie mancher, sondern daß er sich tatsächlich irrigerweise für den Retter des Vaterlandes hielt. Er meinte den Kaiser und schlug auf Eulenburg, aber er schlug auf den Falschen, es wäre richtiger

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Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister Esser, wendet sich in einer Bekanntmachung gegen die soge­nannten PrangertafeIn", auf denen in einzelnen Zeitungen   Bayerns mißliebige Persönlichkeiten öffentlich ge­brandmarkt werden sollen. Derartige Angriffe gegen Einzel­personen", heißt es in der Bekanntmachung, find nicht Auf­gabe einer Presse, die verantwortungsbewußt am Aufbau des neuen   Deutschland mitarbeiten will."

Das ist eine Mahnung, auf die Hitlers Freund Stretcher in   Nürnberg pfeifen wird. Er braucht eine Zeitung mit Schweinereien, weil er damit gute Geschäfte macht. Er kennt sein Nazi- Spießerpublikum.

Der erste Fehler Hardens war, daß er die sexuelle Veran lagung der Höflinge ausnußte, um sie zu stürzen. Er mußte aus der Geschichte wissen, daß es ebenso gute homosexuelle und heterosexuelle Staatsmänner und Herrscher gegeben hat, daß die Eigenschaften, die in dieser Beziehung maßgebend sind( wie sie jemand einmal ausdrückte) nicht unter, sondern über dem Nabel liegen.

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Als ich einmal bei einem preußischen Justizrat eine Audi­enz hatte, um mit ihm über die zukünftige Gestaltung der Sexualgesetzgebung zu konferieren, fragte mich ein anwesen­der Ministerialrat, ob ich denn nicht auch der Meinung wäre, daß homosexuelle Menschen widernatürlich seien, da sie doch ihren Naturzweck den der Kindererzeugung verfehlten, Ich erwiderte, daß die Begriffe widernatürlich, übernatürlich. und unnatürlich Zeichen mangelnder Naturerkenntnis seien., " Wer, glauben Sie fragte ich- hat in Ihrem Sinne dem preußischen Staate mehr genützt, Friedrich II  ., der kinderlos und höchstwahrscheinlich sexuell anormal war, oder Wil­ helm II  ., der auf dem Gebiete der Fortpflanzung nichts zu wünschen übrig ließ?"

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Schwerwiegender aber als dieser Trugschluß war Hardens. zweiter Irrtum. Es traf feineswegs zu, daß Bülows Einfluß auf den Kaiser ein besserer war als der Eulenburgs; im Gegenteil, Eulenburgs Politik, die in dem damaligen Marok­to- Konflikt auf eine Verständigung mit   Frankreich hinzielte  Deutschland läßt den Franzosen in   Marokko völlig freie Hand, wenn   Frankreich endgültig auf Elsaß-   Lothringen ver zichtet war richtiger als das imperialistische Vorgehen Bülows, der mit dem Platz an der Sonne", den   Deutschland haben müsse und ähnlichen Redewendungen den Kaiser noch. heeres und flottenfreudiger, aber auch noch isolierter machte, als er schon vorher war.

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Das Doppelspiel, das Bülow dabei trieb, dürfte schwerlich in der Geschichte seinesgleichen haben. Das verraten seine Memoiren, in denen er aus dem Grabe so viele Personen bespeit, die er im Leben anscheinend verhimmelte; das ver­raten auch seine Briefe an Eulenburg, die dessen Familie veröffentlicht hat, um sein zwiespältiges Verhalten zu kenn zeichnen.

Ton, Form und Inhalt dieser Briefe sind typisch für die dunstige Atmosphäre, in deren Verschwommenheit sich die Ueberschwänglichkeiten jener Zeit abspielten. So heißt es in einem Briefe Bülows an Eulenburg:

,, Sich äußerlich in manchem unähnlich, sind wir innerlich doch wahrhaft wahlverwandt... Du bist vielleicht mehr ger­manisch- hellenisch wie der zweite Teil des Faust, ich mehr preußisch- römisch; Du mehr ritterlich, ich mehr militärisch. Aber wenn Dein Scheitel Deine Stirne berührt, so wurzeln Deine Sohlen doch auf der wohlgerundeten Erde; wenn ich am Boden hafte, so reicht mein Blick doch zu den Wolken und Sternen. Du mit Deinem unendlich feinen Gefühl, ein schöner Edelfalfe in einem von Füchsen, Borstentieren und Wildgänsen erfüllten Wald. Die ewige Macht, die Dich leitet, erhalte Dich, mein Philipp!"

Weshalb ist es wichtig, auch heute noch auf diese ganzen Vorgänge zurückzukommen? Nicht nur aus historischen Grün­den, sondern um sich ins Gedächtnis zurückzurufen, von wie persönlichen Eifersüchteleien und Schwärmereien oft das Leben der Nation abhängt. Das aus dem oft nur allzu be­rechtigten Minderwertigkeitsgefühl geborene Geltungs­bedürfnis Einzelner hat ganze Völker und Staaten ver nichtet,