Deutsche   Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"* Samstag, den 14. Oftober 1933 Ereignisse und Geschichten

Die Hetzhunde Boykotteuf gegen deutsches Schriftum

Die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums" erläßt im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel eine Mitteilung über literarische Emi­grantenzeitschriften" und ihre Mitarbeiter. Sie lautet: Es ist allgemein bekannt, daß das Ausland noch weithin über die Zustände im neuen Deutschland   falsch unterrichtet und daher nur zu leicht geneigt ist, den durch jene Zeit schriften verbreiteten Entstellungen Glauben zu schenken. In der oben angedeuteten Mitteilung der Reichsstelle wird Be­zug genommen auf die im Faust- Verlage in Prag   er= scheinenden Neuen deutschen Blätter", auf den marxistischen Wiener   Bücherwurm" und auf die von Klaus Mann   in Amsterdam   herausgegebene Sammlung", die zu ihren Mitarbeitern nach Ausweis des Prospektes auch Thomas Mann   und Rene Schick e le zählt.

Es wäre verhängnisvoll, über diese Dinge mit einem Achselzucken hinwegzugehen.

Sie find nicht so harmlos,

wie sie sich vom Inland aus ansehen, und eine nachlässige

Vogelstraußbetrachtung dieses Problems der literarischen Emigrantenzeitungen könnte sich eines Tages bitter rächen. Diese Emigrantenzeitungen versuchen ganz bewußt, eine Lügenblockade um das neue Deutschland   zu errichten. Wir wissen vom Weltkrieg her, welche entsetz­lichen Wirkungen eine derartige Blockade eines schönen Tages haben kann. Wir wissen, daß das Ausland heute noch zum großen Teil so verblendet und so ununterrichtet ist über das wahre Gesicht des neuen Deutschland  , daß die lügen­baften Darstellungen, wie sie durch die genannten und anderen Emigrantenzeitungen verbreitet werden, draußen allenthalben Gehör finden. Wir fordern alle die, die als Träger und Mittler des geistigen Lebens in Deutschland  tätig sind, im Hinblick auf die literarischen Emigrantenzeit­schriften, insbesondere den deutschen Verlag und den deutschen Buchhandel auf, fich

in die Abwehrfront gegen den geistigen Krieg, der draußen gegen uns entfesselt wird, einzureihen.

Es müßte für jeden deutschen Verleger eine Selbstverständ­lichkeit sein, daß er keine Bücher verlegt von Autoren, die sich zur Mitarbeit an den charakterisierten 3eitschriften bekennen. Es müßte für jeden deutschen Buchhändler eine Selbstverständ­lichkeit sein, daß er feine Bücher verbreitet von Autoren, die im Ausland geistige Kriegsheße gegen Deutschland   betreiben. Und es müßte für jeden deutschen Leser und darüber hinaus für jeden, der heute, ohne selbst deutscher Reichsangehöriger zu sein, die Gastfreundschaft des deutschen Volkes in An­spruch nimmt, eine Selbstverständlichkeit sein, daß er keine Bücher tauft und liest von Autoren, die unser Volf aus niederträchtiger Gigen nüßigkeit täglich aufs schändlichste herab= sezen und schmähen.

Das ist die unverhüllte Boykottandrohung, gewürzt durch Beschimpfung und Verfemung. Hinter dem Aufruf steht der Haß der braunen Schreiber gegen diejenigen, die sich die

Freiheit ihres Schaffens nicht schänden ließen unter persön­lichem und materiellem Druck; deren Bücher man ächtete und verbrannte und die sich im Hitler- Deutschland beschimpfen Iassen mußten als Verräter und Schädlinge.

Viele entgingen nur durch einen glücklichen Zufall dem Ronzentrationslager. Weil sie jetzt den deutschen Geist und bie deutsche   Kunst gegen die Hitler- Barbaret verteidigen, wird ihnen ihr Deutschtum abgesprochen. Weil sie die Wahr heit nicht unterdrücken, eröffnen sie eine Lügenblockade gegen Deutschland  ". Weil sie weiter atmen, leben und schaffen wollen, werden die braunen Hezhunde auf ihre Spur gejagt. Aber es hilft den nationalsozialistischen Machthabern nichts. Die flügsten Köpfe und die besten Federn sind fort! Ge­blieben sind die Johste und die Kolbenheyer mit einem

Schwanz konjunkturwitternder Trabanten ohne die Legiti mation der Könnerschaft. Damit ihre Bücher gekauft werden, wird daher ein Boykottfeldzug organisiert, mit Terror und Galgen für das Lesepublikum des besseren Geschmacks. Eine geschäftliche Sache, hervorgerufen durch den Jammer der Buchhändler, deren Läden immer einsamer werden, drapiert sie sich als vaterländische Angelegenheit und wagt es noch, von der niederträchtigen Eigennüßigkeit" der Vertriebenen zu sprechen.

Es wird nichts helfen. Die Emigrantenzeit­schriften" wachsen an Qualität, Umfang und Lesern. Alles, was im Auslande deutsch   spricht und deutsch  versteht, sieht hier das Abbild deutschen Wesens, das seine Usurpatoren erniedrigt haben.

So schlecht geht es ihnen!

Die Kosten des Braunanstrichs

Der Vorstand der Deutschen Buchhändler­gilde, dessen einzelne Mitglieder bisher neben ihren Namen das Monogramm der Banditen setzten, die heute das Reich regieren, und die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher

Deutsche   Apotheose

Laß mich in deine Arme fliehen, Gewalt! Laß mich zu deinen Füßen niedersinken! Den Speichel, der von deinem Mund, Gewalt, herniederrinnt, laß mich beseligt trinken. Die Peitsche, die in deinen Händen knallt, die Peitsche laß mich füffen und verehren! Und deinen Auswurf laß mich, oh Gewalt, bei Tische im Familienkreis verzehren.

Denn du bist ewig, groß und gut, Gewalt. Schmuck eingekleidet hältst du deine Würger. Verrückt ist, wer mit dir zusammenprallt! Ich aber benge mich, ein fleiner Bürger. Boll Demut neige ich das Knie, Gewalt. Ich liebe dich nun schlag auf meinen Rüden! Schlag, daß es durch Europa   hallt! Ich werde mich noch tiefer büden.

Gott   bist du und mein letzter fester Halt; ich faulte sonst zu wesenlosen Dingen. Drisch mit der Faust auf meinen Kopf, Gewalt! Ich will dir noch ein Hallelujah fingen.

bin ein deutscher Mann, noch gar nicht alt- Ich sag es nur, daß du uns nicht Eunuchen in deinen stillen Stunden nennst, Gewalt. Und nun- nun komm, uns wieder zu besuchen.. Stefan Heym  .

Sortimenter bemühen sich bei den Verlegern durchauseßen, Der Lenz ist da

bei der diesjährigen Oktober Abrechnung mit einem verständnisvollen Stillhalten des Verlages rechnen zu dürfen, da sich andernfalls die Zusammenbrüche in schnellster Folge mehren müßten". Keine Branche hat sich so ganz und gar braun angestrichen wie der Buchhandel, nun zahlt er die Kosten des Anstrichs.

Bücher ,, Gutscheine"

Der Boykott deutscher, das heißt gleichgeschalteter Bücher im Ausland hat so stark eingefeßt, daß das Reichsinnen­ministerium alle möglichen Instanzen zu einer Besprechung zusammentrommelte. Auf dieser kürzlich stattgefundenen Besprechung wurden einschneidende Maßnahmen" be­sprochen und beschlossen. Mitgeteilt werden sie nicht. Die Besprechung ergab, daß die zwangsweise Umfangreduzierung der wissenschaftlichen Zeitschriften, über die in der Deutschen Freiheit" bereits berichtet wurde, ein direkter Erfolg des Boykotts ist. Inzwischen gehts dem Buchhandel immer schlechter. Sein neuestes Rettungsrezept heißt Bücher- Gut­ſchlechter. Sein neuestes Rettungsrezept heißt Bücher- Gut scheine"; statt jemanden ein Buch zu schenken, kauft man den Gutschein, der dem Besizer die freie Wahl ermöglicht. Auch das wird dem Buchhandel nicht helfen.

Rainalter

Ganz rasseecht

Im Buchhändlerbörsenblatt stellt der bekannte Ritschfabri fant Erwin H. Rainalter   fest, daß er fein Halbjude oder Jude, sondern ein reiner" Arier sei: Arier ist der Herr wohl, aber ob er rein", d. H. sauber ist, das ist die Frage. Der Herr verdankt seine Wiener   Position als Redakteur einer jüdischen Zeitung Stefan Zweig  . Das hinderte ihn nicht in einen Naziliteraturverein einzutreten, als die Kon­junktur günstig schien. Er trat aber sofort wieder aus, als sein füdischer Chefredakteur es verlangte. So sehen heute deutsche Dichter aus.

Hans Heinz   Vampir in Ungnade

Ecst gefeiert- jetzt ,, ancüchig"

In jeder deutschen Buchhandlung liegt an hervorragen­der Stelle der Horst Wessel  - Roman von Hans Heinz Ewers  . In seinem bunten Einband lockt er die Käufer an. Er hat die amtliche Approbation der national­sozialistischen Parteileitung; hat doch der Führer" selbst dem mit ihm befreundeten Hans Heinz Ewers   den offi­Biellen Auftrag zu diesem Buch erteilt.

Jetzt ist alles aus! Plößlich läßt die nationalsozialistische Presse den Vielgepriesenen fallen auf das Signal des Herrn Göbbels. Ewers   ist nämlich der Textbuchverfasser des inkriminierten Horst- Wessel- Films, und nun tobt die Meute seiner bisherigen Freunde. Der Dortmunder General- Anzeiger" schreibt:

Vollends erledigt war dieser Film für uns, als die Gesellschaft bekannt gab, daß der Verfasser anrüchiger Romane aus der Vorkriegszeit, Hans Heinz Ewers  

, bei der Abfaffung des Drehbuches mitgewirti

habe. War es schon aus völkischen Grundprinzipien her­aus nicht vertretbar, daß ein Hans Heinz Ewers   sich des Horst- Wessel- Stoffes in einem Roman bemächtigte, der­selbe Hans Heinz Ewers  , der sich noch im Jahre 1926 zu­sammen mit Lehmann- Rußbüldt, Toller, Ossietzki und anderen bolschewistischen 3ivilisations Itteraten für die Abschaffung des§ 175 des Strafgeses­buches einsetzte, so hielten wir es für ebenso unmöglich, daß der Verfasser des Vampyr", der Alraune" und des Geisterscher" diese unendlich kämpferische und herrliche Figur eines Horst Wessel   im Film gestalten durfte. Die Saar- Front" wagt sich sogar mit einer Kritik an gewissen Parteiinstanzen hervor:

" Dieser Mythos unserer Bewegung würde durch jede filmische Darstellung des Menschen Wessel zerstört mer den. Wir sind deshalb dankbar, daß die Aufführung des

Films unmöglich gemacht wurde. Ein Hans Heinz Ewers  , der in seiner Vergangenheit schmierige Bücher ge schrieben hat, lieferte das Drehbuch..... Es fragt sich nur, ob man das alles nicht eher wußte, ob es nötig war, daß sich alle Welt erst mit diesem Fall beschäftigte, und ob der große Einsatz vieler Mittel und vieler williger Parteigenoffen und großer Unterstüßung vieler Parteistellen richtig war."

Nun sitt Hans Heinz Vampir zwischen den Stühlen. Die Nazis werfen ihn hinaus und die geistreichen Jüdinnen, mit denen er früher gern an Teetischen parlierte, leben als Emigranten in Paris  . Ein unsägliches Gefühl des Ver­lassenseins muß ihn und sein Monokel beschleichen, das schon bis zu den höchsten nationalsozialistischen Ehrenstellen mit weitreichenden Verdienstmöglichkeiten emporgeblikt war.

Das Geheimnis enthüllt!

Der Regisseur des Horst- Wessel  - Films

Jude!

Aus Zürich   wird uns geschrieben: In Göbbels   Angriff" heißt es zum Verbot des Horst- Wessel  - Films u. a.: Der Film sei ein Versager, weil sich Leute an diesen gigantischen Stoff herangewagt hätten, denen die Welt Horst Wessels fremd gewesen sei und fremd bleiben mußte. Wer mag damit gemeint sein? Nun, der Regisseur dieses Films, Wenzler, ist doch Jude, was die Nazis wohl bisher nicht gewußt haben.

Dann allerdings.... Darum war der Film, der vorher mit größtem Reklameaufwand gepriesen wurde, auf einmal so miserabel!

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und übt Kinderzucht

Der deutsche Universitätsprofessor Lena schlägt eine " Sozialisierung der Kinderaufzucht" vor, die aber keineswegs eine Kollektiviſierung sein soll, sondern in einem Ausgleich der Familienlasten besteht. Die Mittel für diesen Ausgleich fehlen. Daher wird folgender Ausweg vorgeschlagen: Von den 12 Millionen erwerbstätiger Frauen werden sechs Mil­lionen gerade die Zahl der Arbeitslosen, sagt Lenz aus dem Erwerbsleben gezogen und unter sie die Beträge für die Arbeitslosenhilfe von 4 Milliarden verteilt. Jede ver­Heiratete Frau, die in die Familie zurückkehrt und jede ledige Frau, die ihren Arbeitsplatz aufgibt und heiratet, er­hält 30 Mart monatlich, lettere zunächst auf drei Jahre unter der Bedingung, daß sie nach Ablauf dieser Zeit ein Kind hat. Nach fünf Jahren muß sie zwei Kinder haben. Nach diesem Plan müßte in a cht Jahren die Arbeitslosigkeit durch diesen Plan überwunden sein!

Sehr aufschlußreich

Tanz, vom Herrn Bürgermeister beaufsichtigt

In Hotel Esplanade fand, so lesen wir in der Bossischen Zeitung", eine aufschlußreiche Tanzschau statt. Die Tanz schulen Antoine, Waldmann, v. Suckow- Dresden   und Wigand- Elbing zeigten, was man in diesem Winter tanzen wird. Der Deutschländer" hat sehr gut gefallen, ebenso die schnellen und langsamen Foxtrotts. Neu waren auch für das Publikum der Marschtanz, ein Gleit- und langsamer Walzer. Wie immer sah man gerne den vornehmen ruhigen Tango. Den großen Erfolg aber erzielte der Paso Doblo, und auch der gute alte Rheinländer" kam wieder einmal zum Vor­schein. Es waren eine Reihe interessierter Persönlichkeiten erschienen, unter ihnen auch der kommissarische Bürger­meister Dr. Marezky. Die Hauskapelle Barnabas v. Geczy hat sich schon ganz auf die neue Art der Tänze und der Tanzweisen umgestellt und erntete besonderen Beifall.

Zeit- Notizen

Ums Sonnenfrenz" heißt ein Gesellschaftsspiel, das der Schlager des Jahres" ist. Ums Sonnenkreuz verkauft sich selbst am Besten. Ein Exemplar im Fenster lockt den Käufer, dafür sorgt der herr­Itche künstlerisch hochwertige Spielplan und die traditionsgemäße, für deutsche Waren sprichwörtlich solide und dauerhafte Ausfüh­rung." Auf dem Spielplan sind abgebildet: Wotan, Fridericus reg, Bismarck   und der Osaf.

Unter dem Titel Der Führer" ist ein Kalender für 1984 er. schienen. Die Banditen- Reichsleitung hat ihn genehmigt. Man kann also 52 mal ein Stück vom Führer abreißen und damit machen, was man will. 1984 ist der Führer" dann zu Ende.

Verboten wurde( Aktenzeichen II D 224/166) Kurt von Reibniz: " Im Dreieck Schleicher, Hitler, Hindenburg  ". Die Beschlagnahme von Erich Wulffen  : Der Sexualverbrecher" wurde aufgehoben. ( ,, Reichsanzeiger" Nr. 281.)

Der Papierhändler"( Reichsverband deutscher Papier- und Schreibwarenhändler) mahnt seine Mitglieder zur Vorsicht. Die Reichsmickymaus und der Polizeipräsident von Berlin   hätten mit­geteilt, es würden alle Briefpapiere, Postkarten usw., die mit den " nationalen Symbolen" geziert seien, verboten werden.

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Der preußtsche Kultusminister Rust verfügt die Anschaffung des ront buche 3", einer kriegsheßzerischen Schrift des Franz Schauwecker  , allen staatlichen und Volksbüchereien und weist das Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Breußen an, den Mist zu rezensieren.

Rust verfügt neuerlich( Aktenzeichen U II Nr. 6767), daß in den Abschlußklassen aller Schulen Vererbungslehre und Rassen. funde unterrichtet zu werden hat. Bei den Abschlußprüfungen fin diese Stoffe pflichtgemäßes Prüfungsgebiet.

Bis auf die Fichte- Hochschule find in Leipzig   alle Volksbildung institute geschlossen worden,