Feuilletonbeilage der„, Deutschen Freiheit" Mittwoch, den 18. Oktober 1933* Ereignisse und Geschichten
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Neue deutsche Klassiker
1. Sprenger sprengt die deutsche Sprache
Das goldene Mains" feterte jüngst ein Jubiläum. Das Stadttheater hatte vor hundert Jahren seine Pforten geöffnet, und aus diesem Anlaß brachten die Zeitungen große Sondernummern, die sich mit diesem Ereignis beschäftigten und prominente Männer des braunen Deutschland mit tiefJinnigen Betrachtungen über die Erneuerung der deutschen Kultur zum Wort kommen ließen.
Darunter auch den Reichsstatthalter in Hessen , Herr Sprenger. Der Intellektualismus ist, das weiß in Hessen jedermann, nicht seine Art. Er pflegt derb und rücksichtslos mit seinen Mitmenschen umzugehen, besonders mit Juden und mit Marristen. Leider auch mit der deutschen Sprache! Aus seinem„ Grußwort zum Jubiläum" möchten wir diese Sätze, die auch vom neuen Staatsminister Jung mit unterzeichnet wurden, festhalten:
Deutschland , Deutschland und nichts anderes als Deutschland !
Wenn man die Geschichte der Stadt Mainz von ihrer Entstehung an verfolgt, dann kommt man zu der reichen Erkenntnis, daß wir hier an einer Stätte stehen, die sich vor allem politisch, wirtschaftlich, aber auch für das deutsche Kulturleben als ein Bollwerk deutschen Lebenswillens im Westen unseres großen Vaterlandes bewährt hat. An großen, hier selbst sich freuzenden Heerstraßen gelegen, am sagenumwobenen Rhein mit seinen von jeher heißumtämpften Ufern, inmitten eines vielbesungenen Rebenfranzes, erfüllt von dem Wirken eines fernhaften, leicht beweglichen, lebensfrohen Menschenschlages mußte Maing neben seiner sonstigen Bedeutung auch eine Hochburg fulturellen Lebens werden. Es hat mitgebaut und starfe Balken und Strebepfeiler eingezogen in das Kulturgebäude unseres Boltes- es hat in Erfüllung dieser historischen, durch Land, Volk und Geschichte bedingten Aufgabe auch folgerecht verteidigt, hat auch auf dem Gebiete unseres geistigen und künstlerischen Volkslebens seinen Mann gestanden, gleich wie es im Wölferringen mit verbissenen 8ähnen und zäher Ausdauer allezeit schwerste Beiten überwand.
Reich war auch seine Kraft im Leben der Kunst. Schöpfend aus einem reichen Seelenleben, das immer
wieder seine Nahrung fand im größten Leid und höchster, durch Temperament und Wein genährter Freude, getrieben durch schnelle Entschlossenheit, konnte das übersprudelnde Wollen Werke schaffen, die aus threr Masse heraus von Leistungen überragt wurden, wie das goldene Mainz von seinem eigenen Dome.
Der Mainzer Dom , der entstand aus von Temperament und Wein genährter Freude, hat schon viel Stürme ausgehalten. Wenn auch hierselbst jetzt Herr Sprenger wirkt.
2. Hexenmeister Schirachini
Führer der Hitler- Jugend ist Baldur v. Schirach. Noch nicht 26 Jahre alt, verfügt Baldur , der Strahlende,
über eine nahezu unbeschränkte Befehlsgewalt über junge Menschen, deren Enthusiasmus mißbraucht und verbogen wird.
Aber Baldur ist nicht nur Führer, nicht nur Soldat. In stiller Stube, wenn er Koppel und Revolver abgelegt hat, läßt er sich von der Muse küssen. Dann dichtet er Sprechchöre und Lieder in unaufhörlicher Reihe. Da Befehle eben Be fehle sind, werden sie überall, wo braune Jugend zusammentommt, gesprochen oder gesungen. Und dann steht das Programm etwa so aus:
Abend der Jugend veranstaltet vom Oberbann I Köln der Hitler- Jugend in Verbindung mit dem Kampfbund für deutsche Kultur Hente abend 20 Uhr in der Großen Messehalle
cus Anlaß der deutschen Kulturwoche am Rhein . Verantwortlicher Leiter der H.- J.: Stabsführer Bornemann. Aufführungsleiter der Sprechchöre und des Weihefestspiels: Pg. Göbbels. Musikalischer Leiter: Pg. Assessor Schmitt
Fahneneinmarsch
Programm:
An einen deutschen Freund
Wo bist du, den ich gekannt, geliebt? Bift gefangen, verwundet, tot?
Nahmst du Teil an gewaltigen Schlachten?
Eder lebst du vereinsamt in einer Stadt, auf dem Lande? Wie sind deine Gedanke gespannt?
Wie haft widerstanden du dem furchtbaren Zyklon, der das alte Europa erschüttert?
Ah! mein Freund, wie drückend find doch diese fahlen Tage, diese Tage, die feile Zeitungen vergeblich betreffen wollen ( mit Ruhm.
Wo bist du, den ich gekannt, geliebt? Ach, die Sträuße finnvoller Träume, die wir brüderlich [ gewunden, bie Plänegarben, die wir geformt, entschloffen gebunden! Unsere verwidelten, bichten Wünsche, gleich verschlungenen [ Aletterrosen! Unsere geraden, prächtigen Entschlüsse, deren Not bas breite [ Friedensfeld besteckt! Wie fern ist doch diese Landschaft! Wie fern! Stillschweigend hatten den Bund unsere trenen Sände Igefchloffen; wie hast du doch die Belle, den Schwung und die Harmonie [ meiner Sträuße der Ile de France bewundert, und ich die gedrängten, hohen, dunklen Tannen beines [ Landes geliebt! lingendliche Kühnheit, mich freute Deutschlands Lyrik, Mufit, fein gaftliches Gemüt. Abwechselnd haben die Blumen und Früchte unserer Länder [ wir gepflückt und genossen. Haben oft zusammen vom Wege Wurzeln und Neffeln [ entfernt, Wurzeln und Neffeln, die plöglich allüberall dichter und [ häßlicher fproßten. Wund find die Zweige unserer Hoffnung. Vernichtet die Knospen unseres Glaubens durch eine Igräßliche, unbarmherzige Qual.
Wenn alle untreu werden( Gemeinsames Bied) Sprechchor Das neue Geschlecht" von Baldur v. Schirac Tir war unser Leben lieb, unfre Kunst, unfre schlanke, Begrüßung durch den Kfbk. Minister Rust spricht
Aufführung des Weihefestspiels Das Heiligtum" vom Führer des Kölner Kampfbundes Theodor Seidenfaden Volkans Gewehr( Gemeinsames Lied)
Volkans Gewehr", Sprechchor von Bald. v. Schirach E3 dröhnen Trommeln durch das Land, Lied der Spielschar, Text von Baldur v. Schirach
Der Reichsjugendführer Baldur von Schirach spricht Hitlerjunge Quer, Lleb Text von Baldur v. Schirach Die Einen und die Andern, Sprechchor von Bald. v. Schirach Wir sind des Geyers schwarze Haufen, Lied der Singschar
Ihr sollt brennen, nicht wie steten. Chorwerk von Baldur v. Schirach Fahnenausmarsch
" Westdeutscher Beobachter"
In einer Rede sagte Baldur von Schirach jüngst:" Ihr deutschen Jungens! Ich warne Euch vor jüdischer Hast und Betriebsfamtett!" Dieser brennende Astet trommelt, schießt und redet ein ganzes Programm hin
durch und gibt seinen Hörern zugleich ein Exempel arischer Bescheidenheit und Selbstbeschränkung.
Man wundert" ch, daß er dabei noch Zeit findet, für seine Leute" zu sorgen. Seine Schwester Rosalinde hat er als erste Sängerin bei der Staatsoper untergebracht. Was braucht sie viel Stimme? Hinter ihr stehen die 17 Millionen Stimmen der Nationalsozialisten. Sein Papa ist seit Beginn dieser Spielzeit Intendant des Wiesbadener Staatstheater 3. Welch ein Arsenal von Meistersingern hat das Geschlecht derer von Schirach gezeugt!
Auf dem Kölner Programm findet man auch den Namen des Pg. Göbbels. Er ist ein Bruder des Herrn Propagandaministers. Ein schöneres nordisches Weihefestspiel wird gandaministers. Ein schöneres nordisches Weihefestspiel wird weit und breit nicht zu finden sein.
Die„ blöden Lümmel" überall
Die Londoner Times" berichten: Bei einem Effen, das zu Ehren seines Geburtstages in London veranstaltet wurde, hielt H. G. Wells, Englands gefeierter Schriftsteller, eine Ansprache, die in der gesamten englischen Presse viel beachtet wurde. Nach einem Rückblick auf die Bücherverbrennungen in Deutschland führte Wells aus, daß gerade icht in weiten Teilen der Welt eine wahre Epidemie der Intoleranz ausgebrochen sei. Es sei wirk lich leicht für einen außergewöhnlich erfolgreichen und ver= wöhnten Schriftsteller mit radikalen Jdeen, wie er selbst, in humorvoller Weise über die Bücherverbrennungen zu plaudern. Es set aber eine ganz andere Sache für seine
Schriftstellerkollegen in Rußland oder in Italten oder
in Deutschland . Vor allem in Deutschland . Ein überzeugter radikaler Autor treibe heute in Deutschland ein sehr abenteuerliches und gefährliches Geschäft. Er würde verfelgt, mißhandelt und verleumbet. Er werde getroffen über seine Familie und seine Freunde. Mit Sicherheit würde ihm sein Eigentum genommen. Er tönne grausam und best taltsch getötet werden. Dies seien feine
Sweifelsfragen. Sie feten erwiesen bis auf das Tüpfelchen
über dem i.
Laßt nicht zu die Propagierung und Inanspruchnahme aller Straft für eine einzige Rasse eine bezaubernde Rasse, aber eine lasterhaft und unheilbar nationalistische Rasse- die Verblendung der Wahrheit über das Geschehen in Deutschland . Das deutsche Tun wäre fein Pogrom. Juden machten den meisten Strach. aber es wären nicht nur Juden, die gelitten haben. Es wären alle Arten von Deutschen in der gleichen Lag e. Ihm scheine es mehr wie sonst alles eine Rebellion der„ Blöden Lümmels" ( ,, Clumsy Lout") gegen die Zivilisation zu sein. Es sei die Revolution der blöden Lümmels gegen Denken, gegen ge= sunden Menschenverstand und gegen Bücher. Wohin es Deutschland führe, wisse niemand. Aber es wäre nicht allein In Deutschland , wo die große Toleranz, mit welcher das Jahrhundert begann, zum Verschwinden gebracht wurde. Das geschehe überall in der Welt. Der Blöde Lümmel" tolle
überall umher, proßend mit seinen idiotischen Symbolen, seinen idiotischen Grüßen, brütend über seinen geistesschwachen Grausamkeiten.
Sind wir sicher in England? Persönlich, sagte Wells, fühle er sich gar nicht sicher für die nächsten 10 Jahre. Es könne sein, daß die Lunch- Gesellschaften für Literaten von heute ersetzt werden durch Lynch- Gesellschaften, noch bevor die zehn Jahre um sind. Aber einer Sache fet er sicher- auf die
Doch, wo bist du, o mein Freund? Wo bist du, den ich gekannt, geliebt?
( Uebertragung von Hermynia zur Mühlen . Aus„ Kame raden der Menschheit. Dichtungen zur Weltrevolution", her ausgegeben von Ludwig Rubiner . Verlag Kiepenheuer, 1919.).
Es wird weiter verboten
Verboten wurden folgende Bücher: Alexander Thomas " Deutschland - Freiwild?", Berlin , Offene Worte.( Dieser e:
Berlag ist ein getarnter Naziverlag, der mit Staatsbeihilfe
arbeitet; der verbotene Roman ist ein friegshezerisches Buch, das auch nach dem Verbot ruhig weiter verbreitet wird. Das Verbot ist eine Tarnung; ebenso wurden unlängst die österreichische getarnte Nazizeitung„ Michel" und die Prager Nazizeitung„ Bohemia" verboten. Das ist nordische List.) Das Verbot trägt das Attenzeichen II D 224/172. Weiters: Magnus Hirschfeld :„ Sexualität und Kriminalität" („ Reichsanzeiger" Nr. 232). Folgende Zeitungen wurden verboten: Frimorgn"( Riga ),„ La Journee Parisienne" ( Paris ),„ Die Neue Zeit"( Bern ), Free voice of the Amalgamated Food Workers"( Neuyort), Kärtner Tag blatt"( Klagenfurt ),„ Nova doba"( Pilsen ),„ Cesky Dennif" ( Pilsen ), Seeländer Volksstimme"( Biel , Schweiz ),„ Soli darität“( Zürich ),„ Die Antikriegs- Aktion"( Paris ). ( Deutsches Kriminalpolizeiblatt" 1667, 1669, 1670.)
Die Nazis Tegen Wert darauf, sich heute noch zu feder Gemeinheit oder Dummheit vergangener Zeiten zu be tennen. Als 1915 der deutsche Gouverneur von Belgien die englische Krankenschwester Edith Cavell erschießen ließ, geriet die ganze Welt in Erregung. Heute nun läßt der " Vorhut"-Verlag ein Buch über den Fall Cavell in Riesenauflage verbreiten, um die ungeheuerlichsten Grenellügen über diesen Fall" darzustellen. Gerade diesen Fall der Welt wieder in Erinnerung bringen wollen, ist wohl ein Beweis für die Dummheit und Kopflosigkeit der Nasipropaganda.
Dauer werden Bücher fliegen und der„ Blöde Lümmel" wird Wozu studieren Juden?
furz an die Leine genommen werden.
mindestens 150 Kilometer Jugendwandern als Wehrsport
Auch das Jugendwandern wird systematisch in die militärische Erziehung, die für keusche Ohren Wehrsport genannt wird, eingebaut. Die Wander- und JugendherbergeBewegung ist der Hitler- Jugend ausgeliefert worden. Ueber
die Aufgabe der 3. beißt es nun im letzten Beft ber
" Jugendherberge", Zeitschrift für Jugendherbergen und Jugendwandern:" Die Wanderung muß im Arbeitsplan der HJ. regelmäßig, vielleicht sogar wöchentlich auftreten. der HJ. regelmäßig, vielleicht sogar wöchentlich auftreten. Die Ausführung muß wechseln zwischen Marsch übung einer großen geschlossenen Schar auf staubiger Landstraße und zwischen stimmungsreicher Wanderung." Um die Jugendlichen zu erfassen, die nicht in HJ.
der$ 3. find, hat das Reichsfuratorium für Jugend. ertüchtigung in Verbindung mit Herrn Rust Richtlinien für den Geländesport( lies militärische Erziehung) an Knabenschulen erlassen. Diese Richtlinien bedeuten die richtiggehende militärische Marschausbildung und schreiben als Abschluß der Jahresausbildung einen Gepäckmarsch vor. Auch die Jungturner" sind in das Erziehungssystem zum Soldaten eingebaut. Für sie wird das Pflichtturnjahr" eingeführt, das Min de st marschleistungen von 150 Kilometer im Jahr vorsteht. Und das alles für Knaben!
" In dem Bestreben, auf die entscheidenden Posten zu ge langen, haben sich die Juden in Deutschland zur Pflicht gemacht, die Rechte zu studieren, um das Recht zu Knechten, sie haben sich der Medizin gewidmet, um die Gesundheit des deutschen Volkes zu untergraben, ja sie ließen sich taufen, um als Pastoren dem Volt die Relt. gion zu rauben."...
Goethe huczbeinig und beaunäugig
Der bayerische Minister ohne Portefeuille, Esser, ent hüllte in Urfeld eine Büste Goethes und Goethe selbst als einen Dichter„ internationalen Geistes" fremd seinem Bolte, unbeteiligt an der nationalen Befreiung inner halb seiner Epoche.
Die Welt begrüßt es
Kein Volk rassisch so erwacht"
Unter dem Titel:„ Wir und die letzten Goten" veröffent licht der Oberpräsident Kube, Gauleiter der Kurmart, in der„ Hessischen Landes- Zeitung" einen Artikel, in dem es heißt:„ Die Welt begreift langfam, was Hitler- Deutschland bedeutet... Stein Volf der Welt fann uns das nachmachen, meil kein Volk der Welt raffisch so erwacht ist wie das deutsche ..."