Deutsche   Stimmen

Feuilletonbeilage der, Deutschen Freiheit"* Donnerstag, den 19. Oktober 1933 Ereignisse und Geschichten

Geistige Landesverräter"

Thomas Mann  , Rene Schickele   und Alfred Döblin  als ,, Unpolitische"

Wir haben vor kurzem auf den unerhörten Boykottaufruf ber Reichsstelle des deutschen Schrifttums" hingewiesen, der Jum Boykott gegen an Emigrantenzeit­fchriften mitarbeitenden Schriftsteller" auf forderte. Geistiger Landesverrat"- das war die Etikette, die man ihnen anklebte.

Jest liest man in Nr. 286 des Buchhändler- Börsenblattes" vom 10. Oktober 1933:

Thomas Mann, Rene Schidele und Alfred Döblin   haben nach Erscheinen der ersten Nummer der Emigranten- Zeitschrift Die Sammlung" folgende Er­flärungen abgegeben:

ann nur bestätigen, daß Charakter erster Nummer Sammlung ihrem ursprünglichen Programm nicht ent­pricht." Thomas Mann  .

In schriftlicher Ergänzung dieses Telegramms schrieb Thomas Mann  : Ergänzen Sie meine Erflärung logischer­weise dahin, daß mein Name von der Liste getilgt wird benn darauf läuft sie hinaus." T. M.

Bin von politischer Charakter-, Sammlung" peinlich überrascht, da gelegentlich Mitarbeit nur für rein literarische Beitschrift in Aussicht gestellt war. Stehe mit Querido in feinerlei Verbindung, halte mich auch weiterhin von allem Derartigen ausdrücklich fern." Schidele.

" Desavouiere jede schriftstellerische und politische Ge­meinschaft mit Herausgeber der Zeitschrift Sammlung". Bitte das in geeigneter Form beschleunigt bekanntzugeben. Zendenz der Zeitschrift war mir unbekannt." Döblin  .

Aus diesen Erklärungen geht hervor, daß die genannten Autoren über den Charakter der Zeitschrift getäuscht worden sind und jede Gemeinschaft mit ihr ablehnen. Darüber hin aus haben sie mehrfach öffentlich erklärt, daß sie sich jeder politischen Aeußerung im Auslande enthalten werden.

Da die Voraussetzungen, die zu einer solchen berechtigt scharfen Stellungnahme seitens der Reichsstelle führten, fich als hinfällig erwiesen, können wir den Vorwurf des geistigen Landesverrates nicht mehr auf­rechterhalten. Die Reichsstelle steht aber nach wie vor in feiner Weise hinter der geistigen und literarischen Haltung der an= geführten Autoren.

Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums.

Wir wissen nicht, ob Thomas Mann  , Rene Schickele   und Alfred Döblin   über den antifaschistischen Charakter der " Sammlung" rechtzeitig unterrichtet wurden. Wie dem auch sei: der Vorwurf des geistigen Landesverrats", von dieser Seite ausgesprochen, scheint uns eher ein Ehrentitel als eine Beleidigung zu sein. Ein deutscher Schriftsteller, der heute im Zeichen der Konzentrationslager, der Feme   und der Verbrennung von Werken seiner Kollegen sich jeder poli­tischen Aeußerung im Auslande enthält", wird den freiheit­lichen Traditionen des deutschen Schrifttums und seiner Wegbahner nicht gerecht.

Daß Thomas Mann  , Schickele   und Döblin   trotz ihrer Er­klärungen von dieser verhinfelten Reichsstelle" einen nicht einmal sanften Eselsfußtritt erhalten, macht dieses Zwischen­spiel um so peinlicher.

Die Wagner- Fassade

Schweizer Ironien

neuen

Salander schreibt in der Basler" National- Zeitung": Die deutschen Wohlfahrts marten mit den Darstellungen aus Wagners Opern habe ich mit Intereffe studiert, denn an den kleinen Kultur­erscheinungen kann man sich am besten ein Urteil über die Kräfte bilden, die dahinter stehen.

Es geht recht bewegt zu auf diesen Markenbildern und leidenschaftlich, und man sieht den einzelnen dargestellten Opern nicht an, wie lange sie mitunter dauern können. Am aufgeregtesten gebärdet sich der unselige Tannhäuser. Er schlägt seine Leier mit so ingrimmiger Wucht, daß seine sand nach geschehener Rupfung der Saiten gut einen halben Meter nach hinten geschleudert wurde, wo sie nun, schon zu neuem Angriff auf das Instrument gespreist, vom Rünstler festgehalten worden ist. Man gewinnt durchaus den Eindruck, daß das Singen und Sagen eine heftige Sache ist, was den Respekt vor diesem Beruf nur vertiefen kann.

Den Parsifal au vierzig Pfennig dagegen hatte ich mir weniger gramerfüllt und dafür ohne Bubikopf vor­gestellt. Auch das er so entsetzlich lange Finger besaß, wie sie der Rünstler ihm zu verleihen für richtig fand, glaube ich nicht. Seine Zeit lag noch vor der Blüte des Raubritter­

wefens.

Es ist eigentlich merkwürdig, was für ein geradezu un­geheurer Kultus im dritten Reich" mit Richard Wagner  getrieben wird. Tagelang fizen die Führer dieser un­geduldigsten Bewegung der Geschichte mit gebanntem Blick und ausdauernder Ergriffenheit in den zeitraubenden Dar­bietungen seines Riesenwerks. Wenn ich zu seinen beson­deren Verehrern gehörte, würde ich mich längst au besorgter

Warnung versucht sehen. Denn einen solchen hartnäckigen Verehrungsbetrieb für einen einzelnen Künstler hält auch das heldischste Volk nicht lange aus. Ich riskiere jede Wette, wird. Ich persönlich kann mich darüber trösten; aber die daß binnen kurzem ein großer Ueberdruß die Folge sein Wagner- Enthusiasten werden das Nachsehen haben.

Ich habe schon oft darüber nachgedacht, worin der Zauber liegen mag, den der Führer des Nationalsozialismus in Wagners Werken empfindet. Es muß da irgendeine Ver­

wandtschaft der eigensten Empfindungen vorliegen. Viel­leicht gibt eine Stelle aus Gustav Freytags Er­innerungen aus meinem Leben" einen Hinweis, wo der fluge alte Herr über den Tondichter schreibt: Er

erzählte bei einem Begegnen im Herbst 1848, daß ihn die manischen Götterwelt spielen solle; der Inhalt aus der nor­dischen Heldensage stand ihm noch nicht fest, aber was ihn für die Idee begeisterte, war ein Ghor der Walküren  , die auf ihren Rossen durch die Luft reiten. Diese Wirkung schilderte er mit großem Feuer.-

Idee zu einer großen Oper beschäftigte, die in der ger­

Warum wollen Sie die armen Mädchen an Stricke hängen, sie werden Ihnen in der Höhe vor Angst schlecht singen."

Aber das Schweben in der Luft und der Gesang aus der

Empörung

Von Hedwig Lachmann  

Es freuen sich die Schergen und die Schächer, daß man die Unschuld peinigt und verhöhnt, gebunden steht das Opfer, dran ein frecher Tyrannendünfel seiner Willkür frönt.

So muß zu Fluch und ewigem Verderben der Schwache dulden die metallne Fauft, die ihm, ihr Schandmal in das Fleisch zu terben, auf den gebeugten Naden niedersauft.

Zu einem mörderischen Handwerk rüstet sich auf dem Markte der gedungene Knecht, der Menschenwohnungen zu Stanb verwüstet, vom Boden tilgt ein wehrloses Geschlecht. Wie von bekränzten Stieren, an Altären dem frommen Opfertod geweiht, raucht warm das Menschenblut zu einer Gottheit Ehren und keiner fällt den Henkern in den Arm. Einst tönte eine Botschaft in die Lande, die in Erbarmen wandelte die Gier und schlug um alle Menschen Liebesbande: Was ihr den Aermften tut, das tut ihr mir!

Wo wächst die Kraft, daß sie die Flamme schüre, den Mordgeist wie ein Spukgebild verscheuch', mit Allgewalt an alle Herzen rühre: was diesen hier geschicht, das tut man euch!

Wann schwillt zu solch zerstörerischer Welle getretener Menschengeist, daß er sich bäumt, wild überflutet seine eigene Schwelle und dann gelassen wieder weiterschäumt?

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( Aus Kameraden der Menschheit, Dichtungen zur Weltrevolution", herausgegeben von Lud wig Rubine r. Verlag Kiepenheuer, 1919.)

,, Auserwählt"

,, Arische Rasse" ein jüdischer Dreh?

Der Herausgeber der Tribuna", Forges- Davanzati, vers. öffentlicht einen großen Artikel, in dem er beweist, daß die

Idee des auserwählten Volkes" hebräischen Ursprungs ist. Den deutschen   Faschisten wird von einem Publizisten des faschistischen Italien   folgendes ins Stammbuch geschrieben: " Der Kult der Rassen- Vorherrschaft hat keine religiöse Grundlage und beruht auf keiner übernatürlichen Wahrheit. Er ist durchaus irreligiös und steht in Verbindung mit Jdeen, die unsere Zivilisation zu zerstören suchen. Ideen, die der durch den Duce geführte Faschismus stets heftig be­kämpft hat."

Auf jeden Fall

Der Geist der Philosophie und SA.

Auf dem in Magdeburg   tagenden Kongreß der Deutschen Philosophischen Gesellschaft   erklärte Ministerialrat Achelis als Vertreter des Preußischen Kultusministeriums: Auf jeden Fall wird die neue Hochschule nicht aus dem Geist der Philosophie erwachsen, sondern aus dem Geist der SA. und der entschlossenen Studentenschaft."

Höhe war für ihn gerade das Lockende, was ihm die Stoffe Gott   will es aus dieser Götterwelt zuerst vertraulich machte. Nun ist für einen Schaffenden nichts so charakteristisch, als das Ei, aus welchem sein Vogel herausfliegt. Die Freude an un­erhörten Dekorationswirkungen ist mir immer als der Grundzug und das stille Leitmotiv seines Schaffens erschienen.

Der harfende Hauptmann Zeit- Notizen

Uraufführung der ,, Goldenen Harfe"

Am Sonntagabend bildete die festliche Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Goldener Harfe" in den Münchener Kammerspielen den Abschluß des Tages der deutschen Kunst". Diese Szenenfolge von der romantischen Liebe zweier gräflichen Zwillingsbrüder zur Komtesse im Waldschlößchen offenbarte fich in tieferer Weise bedeutsam für eine Besinnung auf deutsche   Kunst. Der Rück­griff ins romantische Zeitalter war fein äußerlicher; aus einer Verbindung von Naturbeseelung, musikalischem Emp­und einem herben, fast schamhaften Heroismus entstand ein Werf reinster Poesie, das man im besten Sinne als deutsch  bezeichnen darf. Für die Inszenierung hätte man faum einen fongenialeren Regisseur als Otto Falkenberg   finden fönnen; die weibliche Rolle war durch Käthe Gold   in all ihrer Gefühlsinnigkeit verkörpert.. Der Dichter wurde zu Beginn der Vorstellung von Staatsminister Eifer unter lebhaften Ovationen des Publikums in den Dank für ihn, Regisseur und Darsteller ungemein herzlich, ja Zuschauerraum geleitet; zum Schluß war der

Stürmisch.

m.

Soweit der Bericht der Frankfurter Zeitung  ". Er ist fichtbar zurückhaltend. Der Rüdgriff ins romantische Beit alter" ist erfreulicherweise ergänzt worden durch eine Szene von blendender Aktualität. Vor genau einem Jahre ließ sich Gerhart Hauptmann   anläßlich seiner zahlreichen Geburts­tagsfeiern mehrere duhend Male in mehreren deutschen Städten von republikanischen Staatsmännern, Ober­bürgermeistern und Repräsentanten des geistiger hong genau so in den Zuschauerraum führen", wie diesma durch den Nazi- Staatsminister Esser.

Die Geschäftsräume der Berliner   Kunsthandlung Arthur polizeilich geschlossen und versiegelt.

Der Beiter des Aufklärungsamtes für Bevölkerungs­politik und Rassenpflege, Dr. med. Walter Groß  , schreibt im Naziorgan Der Führer":" Man hat uns gesagt und man glaubte damit den Rassestandpunkt des Nationalsozia lismus zu treffen, daß jede Rasse aus dieser Welt ein Ge= danke Gottes sei. Grade das glauben wir auch, und deshalb fordern wir reinliche Scheidung zwischen Blut und Blut, damit die Gedanken Gottes nicht verwirrt werden."

Keine jüdischen Fockeis

Dahlheim   in der Kochstraße wurden wegen Unzuverlässigkeit aber jüdische Rennstallbesitzer

Nach einer im Amtsnachrichtenblatt erschienenen Anordnung ist das vor kurzem vom thüringischen Ministerium erlassene Verbot von Gruppen und Vereinigungen der sogenannten Gesundbeter, ins­besondere der Freien Christlich- Wissenschaftlichen Vereinigung ( Gesundbeter)", jest wieder aufgehoben worden.

Die Stadt Grenoble   will ihrem berühmten Sohn Beyle­Stendhal ein Museum errichten, als dessen Stätte eine alte

Kapelle gewählt worden ist. Das Museum soll die bisher in der Städtischen Bibliothek aufbewahrten Handschriften aufnehmen und

weiter alles vereinigen, was sich auf das Leben und Schaffen. Stendhals bezicht.

*

das Testament eines in Bozen   verstorbenen Deutschen   namens Basse Aussehen, der sein großes Vermögen der chinesischen   Re-= gierung zur Bekämpfung Europa 8" vermachte. Wie jetzt berichtet wird, glaubten die Chinesen, dem letzten Willen des felt­samen Europabaisers am besten genügen zu können, indem sie das Fermächtnis dafür zu benutzen beschlossen, die vergriffenen Aus­neu zu drucken.

Als vor einem Jahr die Japaner in Schanghai   einfielen, erregte

MO%

Der Preußische Innenminister Göring   hat eine Verfügung Rennen verbietet. Immerhin: die Reinigung des Pferde­erlassen, die die Zulassung von nichtarischen Jockeis bei sports" bleibt auf halbem Wege stecken, denn: Dagegen sind nichtarische Besizer von Rennerden in keiner Weise zu be­schränken."

Schwäbische Kunde

Moralische Erneuerung" im ,, dritten Reich"

Von der mit tönenden Phrasen gepriesenen moralischen Erneuerung" des deutschen Volkes gibt das Stuttgarter Neue Tageblatt" folgendes Beispiel: In letzter Zeit haben sich die Fälle öffentlicher schamloser Annäherung von Män­nern an Frauen und Kinder in Stuttgart   in erschreckender Weise gehäuft. Gewisse Gegenden der Außenbezirke sind bereits berüchtigt."

gaben der chinesischen Klassifer und Philofopben Zuchtbüchlein

Ruf aus Oranienburg  

Zerpeitscht uns, die wir Grenellügen schufen; Wir ruhen nicht, solang Ihr da seid, Die Rache fommt wir werden rufen: Was denkt Ihr von der Grenelwahrheit?

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,, Geschi eiß der Bücherschreiber"

Ein Herr Max Dufner- Greif hat ein Zuchtbüchlein der deutschen Seele" veröffentlicht, aus dem es sich verlohnt, einen Vierzeiler zu zitieren, der die Kultur des dritten Reiches" treffend kennzeichnet: Das Geschmeiß der Bücher­schreiber, Bringt die Bildung auf den Hund,- Macht aus Männern alte Weiber:-Nur die Flucht hält uns gefund."