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Freiheit
Nummer 104-1. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Freitag, den 20. Oktober 1933 Chefredakteur: M. Braun
Seite 2
Braunbuch und
unterirdischer Gang
Seite 3
Offizielle Inflation
Seite 7
Dec Reichskanzler lügt
Seite 8
St. P. Wenn es in Europa noch Vollsinnige geben sollte, die vor der Realität die Augen gefliffentlich verschließen und wirklich nicht wissen sollten, wohin der Weg Deutschlands
geht,-
wenn es also vereinzelt noch solche Käuze gäbe, dann feien sie auf ein aufschlußreiches Buch verwiesen, das dieser Tage im Verlag von Ludwig Boggenreiter, Potsdam , erschienen ist. Es heißt:„ Deutscher Jungendienst" und ist eine Rollettivarbeit. Seine Mitarbeiter sind u. a.: General . major Gence, Major a. D. Giebeler, Oberstleut. nant a. D. Haehnelt, Generalmajor a. D. Herrgott, Generalmajor a. D. von Hoff, SA.- Truppführer Berner Kleinow, Oberst a. D. Pfleger, SS.- Sturmbann arzt Dr. med. Hein Thiele, Generalmajor a. D. Vogt, dann Studienreferendare, Turnlehrer usw.
Auf der ersten Seite trägt das Buch einen Geleitspruch des Reichspräsidenten . Er lautet:" Auch das Spiel der deutschen Jungen von heute muß schon Dienst am Vaterlande sein!" Gezeichnet: von Hindenburg.
Che der lehrhafte Teil des Buches beginnt, wendet man sich mit einer Ansprache an die deutschen Jungen. Man erklärt ihnen zunächst, daß, nachdem beer und Flotte siegreich gegen die feindliche Welt gefämpft hatte", Deutschland durch Verrat der Feigen" zusammenbrach. Während in Versailles die Feinde„ beisammensaßen, um das Reich zu zerfchlagen", flammte jedoch der Widerstand der Mutigen auf, die im Baltikum, in Oberschleften, an der Ruhr kämpften u.id daher„ vom deutschen Volke nie vergessen werden können". Anno 1933 wurde dann, allerdings vorerst im Innern" das alte System weggefegt". Jezt also gelte es au zeigen, daß man als deutscher Junge sein Vaterland liebe:„ Es genügt nicht, sein Volf heiß zu lieben, es reicht nicht aus, sich im Rausch der Begeisterung zu ihm zu bekennen. Es kommt darauf an, ihm mit dem ganzen Leben zu dienen." Und gleichgültig, ob man noch zur Schule gehe oder schon in einer Lehre sei:„ Eure Fahrten, Lager und Wettkämpfe sollen euch die Voraussetzungen des Kampfes im Gelände zur Selbstverständlichkeit werden lassen."- Zum Bewußtsein, daß dieser Kampf im Gelände etwas Selbstverständliches ist, bringt sie dann noch diesen feurigen Aufruf:„ Erfaßt das Ziel eurer Seele und erstarkt förperlich zu wehrhaften Gliedern eines wehrhaften Volkes!" Und noch aufschlußreicher: Im Spiel schon sollt ihr lernen, was fünftig ihr einmal brauchen werdet."
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Che sie aber das, was sie einmal brauchen werden, lernen dürfen, müssen sie noch in die Hand ihres Führers folgendes Belöbnis ablegen:
„ Verpflichtung.
Ich verpflichte mich für Heimat, Volk und Reich. Ich will fein anderes Ziel tennen, als Freiheit, Größe und Ehre Deutschlands .
Ich will dem Führer tren sein und ihm willig gehorchen, will zu jeder Stunde den Dienst tun, den er von mir fordert.
Ich will brüderlich zu jedem meiner Rameraden sein, will an ihm stehen in Not und Gefahr.
Meine Ehre sei mir heilig, mein Wort unerschütterlich.
Und dann wird der Gruppenführer unterwiesen, wie er diese Stunde des Gelöbnisses recht feierlich gestalten könne. Er habe die Gelobenden das Vaterlandslied und das Lied der deutschen Erhebung singen und nachher die Gruppe- die Bereidigung hat grundsäßlich nur im Wald, womöglich auf einem Felsen,„ der weit ins Tal hinausragt", zu erfolgen- mit hell flingenden Kampfliedern in die Stadt ziehen zu lassen. Nachher erfolgt dann das Kommando:„ Antreten morgen 19 Uhr im Heim. Wegtreten!"
Die Abteilung und die Einheit.
marsch. Marschordnung. Marschbelebung.
Geländedienst. Zurechtfinden im Gelände. Orientieren bei Tag und Nacht. Zurechtfinden mit dem Kompaß. Kartens lelen. Stizzenzeichnen. Entfernungschäßen. Das Schärfen ber Sinne.
Geländekunde. Kriechen. Verstecken. Vom Tarnen. Tarns spiele. Täuschen und Irreführen. Scheinanlagen. Scheins handlungen. Meldewesen.
Marschsicherung. Späher. Spähtrupp. Poften. Horchposten. Radfahrdienst. Schneeschuhlaufen. Wasserfahrten. Ges ländedienst bei Nacht. Lagerüberfall. Fahne erobern. Bes fehl in eine Festung schmuggeln.
Ein Großkampf. Gefangene befreien. Sturm auf eine
Göhe.
Zweifrontenkrieg. Durchbruch. Ueberfall auf einen Hinterhalt. Franktireurspiel, Leibesübungen. Laufen. Trichterkampf. Baumftammwerfen.
Schwimmen.
** Raufspiele. Jin- Jitsu. Bogen. Zeltlager. Zeltban.
Bon Fest und Feier. Gefallenenehrung. Stunde der Nation.
Lagerkniffe und Handfertigkeiten.
Waldläuferwissen. Himmelstunde. Wetterkunde.
Bom Kleinkaliberschießen.(„ Wir Deutsche, noch start ge. hemmt in der Entwicklung unserer Wehrkraft, müssen dem Schieß- Sport besondere Aufmerksamkeit schenken.") Bom Nachrichtendienst. Pionierdienst.
Bon Kraftfahrzeugen. Flugsport. Luftschuz. Gasschng.
Vom Fotografieren im Lager und im Gelände. Erste Hilfe.
Heimleben. Mufit und Singen.( Mufit: Signale für Abs rüden, Zapfenstreich, Schiedsrichterruf, das Ganze halt!, Weden, Sammeln, Sturmangriff, Alarm.)
Prüfungsvorschriften..
Ermüdend nicht wahr? Aber wie darf der Befer ermüden, da der deutsche Junge bei der Ausführung all dessen nicht
ermüden darf?
Um aber dem Europäer auch noch die letzte Jllusion zu rauben, schließt dieser Bericht mit einem Satz aus dem Waschzettel, den der Verlag dem Buch mitgegeben hat:
„ Es ist eine glückliche Form gewählt, das Werk in gleicher Weise für den Gebrauch des Lehrers, des Jugendführers, wie des ältern Jungen wertvoll zu machen, um das große Ziel zu erreichen: Die gesamte deutsche Jugend bis zum legten Jungen nach einem gültigen, einheitlichen Plan und in straffer auchtvoller Form heranzubilden
Wehrsport
Systematisch versucht man unter dem Schlagwort Wehr sport" alle Arten militärischer Ausbildung in die Massen zu tragen. Zu den beiden Verlagen, die Dienst- und Ausbildungsreglements unter allerlei Titeln halb umsonst verbreiten, dem Verlag Offene Worte", Berlin , und dem Verlag für Wehrsport( Mahling), Stuttgart , tritt nun die ehemals rein militär- wissenschaftliche Verlagsanstalt E. S. Mittler u. Sohn, Berlin . Sie bringt von Hauptmann Quedbörner ein Buch„ Der wehrhafte Mann"( mit 199 Bildern zu 1 Mart!). Von diesem Werk wird gerühmt, daß es in Anlehnung an die Geländesport- Richtlinien verfaßt sei. Es vermittelt jedem zukünftigen Freiwilligen des Reichsheeres für seinen späteren Dienst im Heere vorbe= reitend eine Menge von Kenntniffen". Außerdem werden folgende Bücher für Gelände und Wehrsport heraus gegeben: Manteuffel, Reiter- ABC. für Schüßen- und Feld bildung), Dufais, Nachrichten- ABC. für Fernsprecher, dienst( legt besonderen Wert auf die Gefechtsaus= Funker und Blinker und Hauptmann Wagner, Klaffenaus bildung der Schüßenfompanie im Gelände. Ster wird," heißt es im Prospett, erstmalig das gesamte Gebiet der Gelände- und Gefechtsausbildung bis zur verstärkten lände- und Gefechtsausbildung bis aur verstärkten Kompanie unter ausgesprochener Betonung der Lehrer. Egerzieren in Gruppen. Die geöffnete Front. Der Zug. und Führerausbildung behandelt."
Ach wie gern möchte man wegtreten, aber man muß nun doch den Arbeitsplan ansehen, in dessen ersten Zeilen schon das schöne deutsche Wort„ Zieljunge" sich einstellt, von dem man aber nicht weiß, ob es ein Junge ist, der zielt, oder einer, auf den die anderen zielen. Es steht zu befürchten, daß er sowohl Zieljunge wie auch Zielscheibe wird sein müssen. Es ist anzuneh en, daß dem noch zögernden Europäer, von dem eingangs die Rede war, die einzelnen Kapitelüberschriften genügen werden. Die aber seien erbarmungslos mitgeteilt:
Ausrüstung. Stillgeftanden. Rührt euch. Augen rechts. Augen geradeaus. Rechts um. Hinlegen. Auf. Im Gleich: Schritt! Marsch! Ohne Tritt, marsch! Abteilung, Salt! Laufs schritt, marsch, marsch!
Das reinrassigste Germanenland für den Sozialismus, gegen den Faschismus
Nach Dänemark und Schweden hat nunmehr auch Norwegen den Siegeszug des Sozialis. mus in Skandinavien bestätigt. Hitler hat bei keiner seiner Wahlen in Deutschland , selbst nicht der terrorisierten vom 5. März, prozentual die gleiche Zahl der Wähler des Landes hinter sich gebracht, wie der Sozialismus in jedem dieser nordischen Staaten.
Dabei entscheiden sich diese„ Arier", diese„ Germanen", mischung eindeutig sowohl gegen den Faschis. diese„ Rassereinsten" der großen europäischen Vermus wie gegen den Kommunismus. Beide er halten im norwegischen Parlament keinen Siz- und das trifft den Faschismus noch stärker als den Kommunis mus, der in Norwegen nie so recht linientreu war und den Ratastrophenparolen der Manuilski und Genossen von der Komintern fomieso nie viel zugetraut hat. Aber der Faschismus war in Norwegen durch den ehemaligen Kriegsminister der Bauernpartei Quisling als„ nationale Front" mit offensichtlicher Begünstigung durch Teile der Konservati ven wie der Bauernschaft herausgestellt worden. Den wei teren Bundesgenossen bildete die schwer fühlbare Wirt. schaftskrise und jene auch anderswo bekannte Neidantipathie eines Teiles der Bourgeoisie gegen Löhne und Gewerkschaften.
Inzwischen aber hatte der blutbesubelte Sitlerfaschismus in Deutschland gerade in den hochgebildeten nordischen Ländern dem faschistischen Gebanken so sehr geschadet, daß er sich in Norwegen mit ler Forderung nach der„ alten nordischen Demokratie"(!) tarnte, den Antisemitismus ablehnte und nach dieser chemischen Reinigung nur noch die Arbeiterfeindlichkeit vom internationalen„ Gedankengut" des Faschismus bei. behielt.
Ein früher konservatives Blatt in Oslo ,„ Tidens Tegen", eine schlechtere„ Daily Mail" und ein besseres " Wiener Journal", ging zum Faschismus über. Lokale Organisationen der konservativen Partei gingen Listenverbindungen mit ihnen ein, Teile der Bauern partei schalteten sich für Herrn Quisling ab und auch Herr Mowinkel, der augenblicklich noch regierende liberale Ministerpräsident, war troß zweifellos ehr. licher persönlicher Gegnerschaft, wie sie noch die letzte Ratstagung in Genf bewiesen hat, in seiner eigenen Partei nicht scharf genug gegen den norwegischen Faschis. mus aufgetreten weshalb ste sämtlich: Konser. vative, Liberale und Bauernpartei, von den breiten Maffen, die sowieso auf Grund der alten Hin. neigung zu England im Gegensatz zu Schweden für deutschen„ Import" weit weniger Sympathie aufbringen, in starkem Maße verlassen wurden, die ihnen obendrein auch die gemeinsame Schuld an dem ultra reaktio. nären Gewerkschaftsgefeß nicht vergessen hatten.
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Die norwegische Sozialdemokratie trat demgegenüber nach dem Muster der schwedischen und dänischen Bruberparteien mit einem ausgesprochen praktischen Gegenwartsprogramm in den Wahlkampf und ge wann große neue Wählerschichten nicht zuletzt dadurch, daß sie sich uneingeschränkt für die Wahrung und die Erweiterung der bemokratischen Rechte des Volkes einsetzte.
wirklichung ihres Kampfprogrammes gegen die Krise und Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie jetzt an die Ber hoffentlich ebenso erfolgreich herangehen können, wie unfere dänischen und schwedischen sere dänischen und schwedischen Parteifreunde. Den hitlerdeutschen Schwärmern für die nordische Rasse aber haben ihre Repräsentanten selbst eine neue schwere Enttäuschung bereitet, M. B.