Feuilletonbeilage der„, Deutschen Freiheit"* Mittwoch, den 25. Offober 1933* Ereignisse und Geschichten
Kanonenchristentum ,, Deutsche Christen " für Kriegspolitik
Der Reichsleiter der Glaubensbewegung„ Deutsche Chri sten ", Bischof Hossenfelder, hat eine Verfügung an alle Mitglieder der Glaubensbewegung erlassen, die sie dazu auffordert, bei der Volksab st immung am 12. November die Frage, ob das deutsche Volk die Politik der Reichsregierung billige, mit ja zu beantworten.
Die Frage, ob Deutschland im Völkerbund bleibt und an der Abrüstungskonferenz teilnimmt, hat unmittelbar mit Religion nichts zu tun. Ein Zwang für eine religiöse Richtung, sich damit zu befassen, besteht also nicht. Will man aber durchaus vom Standpunkt des Christentums Stellung nehmen, so verlangt die Ethik der Nächstenliebe und Brüderlichkeit gebieterisch, daß man für eine Politik des Friedens und der Verständigung eintritt.
Die Deutschen Christen " und ihr Bischof Hossenfelder aber treten für die Außenpolitik Hitlers ein, die Deutsch land von den andern Völkern isoliert und die Kriegsgefahr um ein vielfaches vergrößert. Damit ist wiederum erwiesen, daß es sich hier um eine religiös getarnte, rein politische Bewegung handelt. Wenn einmal die Evangelische Kirche in den Sturz der Hitler - Regierung verwickelt und schwer von ihm mitgerissen wird, so wird sie sich bei den Müller, Hossenfelder und der lärmenden Rotte der " Deutschen Christen " dafür zu bedanken haben.
Auf den Herzog gekommen
Sie haben viel zu tun, die Heroen und propagandaamtlich geschützten Exemplare neudeutscher Dichtung. Sie sprechen über Hitler und Göbbels , sie werben" im Ausland für die Barbarei des dritten Reiches", sie„ decken auf" und„ weisen nach"... Sie stöbern eifrig in alten und ältesten Familienstammbaumtafeln( wie das schöne Wörtchen heißt).
Zwei Beispiele seien aus vielen herausgegriffen: In der Universität Athen hielt Rudolf Herzog ( ja= wohl, Rudolf Herzog !) einen Vortrag über die Entstehung der Nationalsozialistischen Partei. Er widerlegte Greuellügen und nahm zur Judenfrage Stellung.( So war es in Nazi- Zeitungen zu lesen.)
Man fanns zu was bringen im„ dritten Reich". Der Wiskottens- Herzog, der Schreiber schmalzig- rührseliger RheinWein- Bücher, spricht in der Universität Athen "... Es ist nur schwer zu begreifen, wie die Griechen auf den Herzog gekommen sind.( Sonst heißt es wohl: auf den Hund kommen...)
Meldung Nummer zwei: Bernhard Kellermann , der einmal einen guten Sensationsroman,„ Der Tunnel ", ge= schrieben hat, wendet sich energisch gegen Gerüchte, wonach er nichtarischer Abstammung sein soll. So entrüstet sich der Kellermann :„ Ich bin kein Jude, sondern vollwertiger( vollwertiger!) Arier bis ins dritte und vierte Geschlecht und fann jedermann meinen Stammbaum vorweisen..."
Jüdisch geschminkte Acier
In Gegenwart des bayerischen Ministers Esser wurden die Schauspieler für das nächstjährig: Passionsspiel in Ober ammergau ausgewählt. Die Bewerber erschienen in SA.= Uniform. Ursprünglich bestand die Absicht, eine„ rein arische Passion" zu spielen; schließlich einigte man sich nach einer langen Diskussion auf ein Kompromiß: die Arier haben das Recht, sich wie Juden zu schminken und aufzumachen.
Die jüdische Tanmusike
Das Naziorgan„ Der Führer" schreibt:„ Es ist erwiesen,
見 か
den sie ermordeten
Der Revolutionsgewinnler
daß auch heute noch fast 90 Prozent aller Tanzmusik jüdischer. Für Hitler hat sich die nationale Echebung gelohnt
Herkunft ist; und ebensowenig, wie wir in jüdischen Geschäften kaufen würden, ebenso sollen wir auch die jüdischen Tanzschlager ablehnen..." Doch dann erhebt der„ Führer" über den arischen Schund ein großes Wehgeschrei:„ Es wird und muß Sache unserer deutschen Fachleute sein, hier besseren fein, bie Ersatz zu schaffen.
Was man sich zuflüstert
Gespräch unter Nichtariern: Was ist das da für ein Bändchen im Knopfloch? Das eiserne Kreuz. Wofür hast Du es bekommen? Für Tapferkeit vor dem Feinde. Und warum trägst Du es jetzt?- Aus Furcht vor den LandsIeuten!
Aus einem Zirkus entsprang ein Bär. An allen Straßensäulen der Stadt wurde angeschlagen:„ Wer den Bären trifft, kann ihn töten." Auch zwei Juden lasen das. Sprach der eine zum andern:„ Das beste ist, wir flüchten."„ Aber wieso denn, bin ich ein Bär oder bist Du ein Bär?", fragte der andere." Das nicht, aber beweise das bei der Vernehmung!"
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Hitler wollte die wirkliche Stimmung seines" Volkes kennen lernen, ließ sich den Bart abschneiden und mar= schierte einsam durch die Straßen. Schließlich geriet er in ein Kino. In der Wochenschau erschien er, natürlich als Kanzler, mit Bart und großer Rede. Das Publikum sprang auf und hob begeistert die Arme. Hitler , zutiefst erfreut, blieb sitzen. Da flüsterte ihm sein Nachbar zu:" Mensch, steh auf. Wir denken alle so wie Du, aber mach Dich nicht unglücklich."
Die gleichgeschaltete Presse schreibt: Reichskanzler Adolf Hitlers Buch„ Mein Kampf " hat bisher eine Gesamtauslage von einer Million Exemplaren erreicht. Aber die Nachfrage steigert sich ständig, so daß sich die Gesamtauflage voraussichtlich noch bis zum Jahresende auf eineinhalb Millionen Exemplare erhöhen wird.
Diese erste zweibändige Ausgabe erzielte in den Jahren 1925 bis 1929 insgesamt eine Auflage von 23 000 Exemplaren.
nur die Gedanken wandern hinaus..
Die Nachrichten von Dir und von den Kindern freuen mich immer am meisten. Es wird wohl eine ganze Weile dauern, ehe wir wieder friedlich beisammen sein können. Aber schließlich, einmal wird ja auch die Schutzhaft zu Ende sein. Dann werde ich mich an meinen neuen bürgerlichen Beruf gewöhnen müssen. Zu nächst spielt sich für mich das Leben zwischen vier engen Wänden ab. Nur die Gedanken können hinauswandern, zu Dir, zu den Kindern, zu der jungfrischen, neuerwachenden Natur Aber, was
man nicht zu ändern vermag, darein muß man sich schicken, hoffentlich erträgst Du die für Dich recht schwere Zeit mit zus versichtlichem Mut und läßt Dich nicht unterkriegen.
Brief an seine Frau( 5. April)
Mit Frau und Kindern
Du wirst stack bleiben Schließlich bin ich ja nicht allein, der ins Konzentra tionslager kommt. Natürlich, die Familienangehörigen sehen in erster Linie das Einzelschicksal, sie sind ja auch pers sönlich ziemlich stark davon be troffen, aber viele andere haben das gleiche Schicksal zit Viele tragen, Tausende. andere, Bekannte und unbekannte, find auch dort, Versuche Du Dir einmal die Dinge von einem größeren, geschichtlichen Gesichtspunkt aus zu betrachten, nicht nur vom persönlichen aus. Viel leicht fannst Du dann man ches leichter tragen. Ich weiß wohl, es ist alles recht schwer für Dich und die Kinder und das Einzelschicksal steht schon dadurch für Dich immer stärfer im Vordergrund. Ich bin aber überzeugt, Du wirst start bleiben, auch wenn Deine Geduld auf eine harte Probe gestellt werden sollte.
Brief an eine Frau am Tage vor Der Ermo.bung( 7. Auguff)
Er erzählt jungen Sozialisten
daß Hitler das mittlere Kleinbürgermaß deutscher Ge sinnungsplattheit genau innehält.
Hitler ist der erste deutsche Politiker, der durch ein Buch steinreich geworden ist. Das ist weder schmeichelhaft für seine Politik, noch für diejenigen, die in ungemessenem Andrang viel Geld für dieses Buch bezahlen.
Die Auflageziffern steigerten sich dann start, als im Mai 1930 Die ,, Kultstätte der Nazis
die jetzige Ausgabe in einem Band erschien. Noch in demselben Jahre wurden 62 000 Exemplare verkauft, im nächsten Jahre 52 000. Das Jahr 1932 brachte eine Zunahme von 80 000 Exemplaren, und nach dem 30. Januar dieses Jahres war der Aufschwung so stark, so daß bis zum Oktober mehr als 1,2 Millionen verkauft wurden.
Die einzelnen Bände würden, wenn man sie aufeinanderlegen könnte, eine Höhe von 35 000 Meter er= reichen.
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Diese interessante Notiz beschäftigt sich leider nur mit der Meterhöhe der Auflageziffern. Ihr metallischer Gehalt wird schamhaft verschwiegen. Er geht in die Millionen. Die„ nationale Revolution", die die Arbeiterorganisationen beraubt und unzählige Einzeleristenzen vernichtet hat, war für den Führer zugleich eine Einnahmequelle von einer in der Weltgeschichte einzigartigen Ergiebigkeit. Dieses hingeschluckte, im Stil grauenhaft verwahrloste Buch hat seinen Erfolg übrigens dem deutschen Durchschnittsspießer aller Grade und aller Stände zu verdanken, der sich hier in seinen geheimen Lüsten und Gedanken glänzend wiedergegeben sah. wie überhaupt die psychologische Gründe der Hitler - Faszination nie zu erforschen sind, wenn man nicht daran denkt,
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wer
Das große Naziorgan des deutschen Westens, der„ Dortmunder General- Anzeiger", schreibt zur Wiedereröffnung der eindeutigen Berliner Femina":" Die Femina von allen, die einmal in den Mauern der Reichshauptstadt geweilt haben, kennt nicht diese Kultusstätte Terpsychores? Alle, die sich genügend erfreut hatten, zogen nach dem Westen... Auch die Tisch telefone , die etwa vor handene Schüchternheit überwinden halfen, waren nicht ohne Anziehungskraft... Vielen, die aus dem weiten Reich nach Berlin kommen, wird die Wahl jeẞt wieder leichter werden, wo sie hingehen sollen, um das Großstadtleben zu genießen..."
Aciecprinzip für Palästina
Der„ Anzeiger für Berg-, Hütten- und Maschinenwesen", Essen, befaßt sich mit dem deutschen Export nach Palästina und fordert bei der Behandlung der notwendigen Werbetätigkeit, daß diese„ hauptsächlich durch Vermittlung eines mit Land und Leuten bestens vertrauten( unbedingt arischen) Vertreters geschehen kann".- Arierprinzip also auch für Palästina!