Freihei

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 109-1. Jahrgang Saarbrücken , Donnerstag, den 26. Oktober 1933|

Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt:

35 Tote

50 Verletzte

Seite 2

Wer kommt nach Daladier ? Seite 2

Benzingeruch im Reichstag

Seite 3

Wie Holland urteilt Seite 8

Inseratenteil beachten!

Nieder mit Hitler!

Antwort auf die Kanzlerrede- Auf groben Klotz ein grober Kei!

DF. Wer am Dienstag einen abendlichen Spaziergang Irgendwo in Deutschland machte, der hörte aus vielen Häusern ein wutheiferes animalisches Gebrüll. Der deutsche Reichs­fanzler sprach zum Volte. Er schrie und freischte, um die Maſſen zu einer Wahl zu treiben, die feine ist. Er schimpfte and log, wie er es immer getan hat. Diesmal, um den Schein einer Wahlbewegung vorzutäuschen, hinter der für alle, die durch Wahlenthaltung oder Neinstimmen protestieren wollen, der Sterfer, das Konzentrationslager, die Emigration. ja der Tod stehen. Zwar nicht der Reichskanzler selbst, aber so manche seiner Pfründen- Kreaturen hat das schon in die Welt gerufen.

Wie im Stile diefer größten geschichtlichen Bewegung des Boltsbetruges gar nicht anders möglich ist, begann die massenmäßig riesige Veranstaltung im Berliner Sportpalast mit einem Schwindel. Der Reichskanzler ließ ihn durch seinen Lügenminister aussprechen: Nach vierzehn Jahren der Nach­giebigkeit ist zum erstenmal ein deutsches Nein gesprochen worden." Eine bewußte unwahrheit, wie Hitler und Göbbels sehr genau wissen.

Das erste Rein

prach Scheidemann , und zwar gegen das Diktat von Versailles , in jener großen Rundgebung der National­verfammlung im Saale der Berliner Universität zu Berlin unter dem Bilde Fichtes. Erst unter dem Drucke der zu neuem friegerischen Vormarsch es war ja erst nur Waffen­ftillstand

auf deutschem Boden bereitstehenden Entente==

beere beugte sich das Parlament der übermächtigen Gewalt. Um Deutschlands willen. Zur Rettung seiner bedrohten Bestprovinzen. Ministerpräsident Scheidemann zog die Folgerung aus seinem Nein. Er trat zurück und unter­zeichnete den Vertrag nicht. Wenn eines gewiß ist, so dies: dieser Hitler wird, wenn das Nein nicht zum Ziele führt, auch das Ja aussprechen, nur um im Amte zu bleiben.

Das zweite Nein

Sprach der Reichsminister Dr. Simons zum Londoner Ultimatum. Wieder unter Volksjubel. Auch er und das Volf mußten sich beugen, als Sanktionen famen, als am Main und am Niederrhein die fremden Truppen weiter ins Land eindrangen und darüber hinaus wirtschaftliche und finanzielle Ratastrophen drohten.

Das dritte Nein

tam aus dem Munde des Reichskanzlers Guno schlimmen Angedenkens. Der passive und der aktive Widerstand setzten ein. Das Ende war der volle Zusammenbruch der deutschen Währung, die wirtschaftliche Vernichtung großer Teile der deutschen Mittelschichten, schließlich der Zwang, doch wieder la su sagen. Die mächtigsten Stüßen des jeßigen Reichs­tanzlers, bie Schwer- und Bergbauindustriellen ließen sich ihr Nein mit 700 Millionen Goldmart bezahlen. Die Mittelständler und die Arbeiter, existenz­log geworden, sahen in den Mond. Warum sprechen darüber nicht die Göbbels und Hitler?

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Ueber geschichtliche Wahrheiten reden sie nicht. Dafür schreit der hysterische Reichskanzler aller männlichen und weiblichen Hysteriker: Ich werde eher sterben, als etwas unterschreiben, was meiner Ueberzeugung nach für das deutsche Volk unerträglich ist." So ein Phraseur! Die berauschte Menge, so primitiv wie ihr Abgott, applaudiert. Reiner, der daran denkt, daß dieser politische Marktschreier schon einmal einen Schwur an den Tod- von andern Eiden gar nicht zu reden geleistet und gebrochen hat. Am 8. November hinter Maßkrügen im Bürgerbräu zu München : " Morgen ist Deutschland frei, oder wir sind tot." Noch nicht 24 Stunden später suchte Hitler vor der Feldherrnhalle bäuchlings Deckung gegen todbringende Kugeln, ließ seine Kameraden sich im Blute wälzen und floh in die Berge. Noch immer ist Deutschland nicht frei, aber Herr Hitler tobt wie einst und gedenkt, auch wenn er noch manches Gelöbnis an den Tod brechen sollte, an Altersschwäche zu sterben, falls nicht ein bei Diktatoren häufiger Berufsunfall eintreten

jollte.

Auch die Greuellügen" schlug der Reichskanzler noch ein mal tot. Er, der 14 Jahre lang seine rohen Kolonnen au den Tag" dressiert hat; er, der 14 Jahre lang den Terror gegen seine politischen Gegner gepredigt hat; er, der 14 Jahre lang jeden politischen Mord gefeiert hat: von Erzberger über Rathenau bis zu seinen Mordkameraden von Potempa, daselbst einem Papen grauste, als er die Hand Hitlers in den Händen

gemeiner Mörder sah; er, der 14 Jahre lang den Judenhaß ſchürte, bis er in Brutalität und Schande sich entlub; er, der zusicht und billigt, wie sein intimer Freund Streicher mittel­alterliche Prangerzüge durch Nürnberg veranstaltet; er, der 14 Jahre lang begte: Es werden stöpfe rollen"; er, der urteilslose Primitive 14 Jahre lang lehrte, alle Marristen seien Untermenschen, seien Verbrecher, seien vom Landes­feind Gekaufte, ſeien paraſitäre Volksschädlinge, suchten ihre Bereicherung und sonst nichts; er, der durch verfassungs­brüchige Verordnungen die Margisten für vogelfrei erklärte; er, der verdiente Männer ihrer Staatsbürgerschaft beraubte; er, der Frauen und Kinder als Geiseln nehmen ließ; er, der Millionen ersparter Arbeitergroschen, auch private und auch wieder die von Frauen und Kindern, rauben ließ; er, der genau weiß, daß seine braunen Banden wohl hunderttausende private Arbeiterheime zerstörten, daß sie zehntausende Arbeiter mißhandelten, daß sie tausende Arbeiter der Stirn und der Faust ermordeten.

Dieser Mensch wagt von Greuellügen zu reden. Die Welt weiß es besser. Sie sieht und kennt die Opfer der Hitlerschen Roheit und die Welt weiß daher genau: Der deutsche Reichs

Tanzler lügt."

Und diesem Manne soll sie seine Friedensbeteuerungen glauben? Er zetert ins Mikrofon: Wir wollen Frieden. Wir wollen Frieden mit Frankreich , mit England, mit Polen , mit der ganzen Welt." Friede auf Erden! Friede allen Völkern. Krieg nur, Blut- und Hungerkrieg gegen eigene Volksgenossen, gegen die marristischen Arbeiter, ihre Frauen und ihre Kinder. Gewalt nur im Innern! Gewaltlosigkeit nach außen! Meint Hitler wirklich, denkende Menschen würden einem Friedensboten trauen, der in der Linken den Palmzweig schwingt und mit der Rechten die Fesseln um seine Volksgenossen enger zieht?

Gleichberechtigung! Wir alle wollen sie für Deutschland , aber wir wollen sie zugleich für die Deutschen im Innern. Daß die Deutschen das gleiche Recht im Staate fich haben rauben lassen, ist das schwerste Hindernis für ihre Gleichberechtigung unter den Völkern.

Warum sollen wir gestraft werden? Weil wir uns ver­teibigt haben? Das verstehe ich nicht." Die brüllende Stimme Hitlers überschlägt sich im Zorn, als er das hinausschreit. So: das versteht er nicht. Der Gewaltanbeter versteht nicht, daß auch andere Gewalt anwenden. Was haben denn die Marri sten getan, die Sie in die Kerker warfen, Herr Hitler? Diese Männer und Frauen haben sich verteidigt, haben ihre Menschenrechte und ihre Menschenwürde zu wahren, haben Deutschlands Volksehre in einem geistigen Kampfe zu retten versucht. Nichts anderes taten sie, und dennoch haben Sie die brutalsten Strafen über diese Verteidiger kultureller Frei­heiten verhängt. Sie verstehen nicht? Sie wollen nicht ver­

stehen, aber wir werden Ihnen noch Verständnis beibringen durch die Mittel, die von Naturen wie den Ihrigen begriffen

werden.

Der Reichskanzler feiert seine Revolution, die nur eine Gegenrevolution gegen die unvollkommene demokratisch soziale Umwälzung von 1918 ist. Er wundert sich, daß man von deutschen Greueln spricht, wo doch andere Revolutionen

wirkliche Greuel gebracht haben. Sollen wir Ihnen den zosen haben auf dem Plaz der Revolution ihrem König und Unterschied verraten, Herr Reichskanzler? Die Fran ihren Aristokraten, später auch gestürzten Volksmännern die Köpfe vor die Füße gelegt und haben sich zu diesen Revolution staten bekannt. In keinem französischen Geschichts­buch wird man diese Blutarbeit geleugnet finden.

Die Russen haben ihre Herrscherfamilie ausgerottet und ungezählte Bourgeoisfamilien in die Gräber der Monarchie nachgeschickt. Hat Lenin , hat Troßki das geleugnet?

Haben die Bolschewisten über Greuelmärchen geheulmeiert? Sie standen zu dem, was sie für notwendig" hielten.

Begreifen Sie nun, Herr Reichstanzler? Es gab vielleicht brutalere Revolutionen als Ihre von Kapitalisten und entthronten Fürsten finanzierte Gegenrevolution, aber es gab keine Revolution jemals in der Ge= schichte, die die von Ihnen geführte um wälzung am Gemeinheit und verlogener Heuchelei erreichte. Sie und die Ihren pre­digten, forderten, übten die Brutalität, und als sie losbrach, waren Sie und die Ihren zu feige, das zu bejahen, was aus Ihrer Roheit und mit Ihrem Willen gefchab.

Das ist die Wahrheit, die ausgesprochen werden muß.

Vielleicht klingt dieser Aufsatz zu heftig und zu scharf. Er ist es nicht. Die ewigen unwahrhaftigen Herausforderungen des Reichskanzlers, sein Haß gegen uns, dem wir nicht ein gleiches Gefühl, sondern nur die Verachtung entgegenstellen, sein Hinweglügen offenfundiger geschichtlicher Ereignisse erfordern kräftigen Gegenhieb.

" Bu scharf?" Der Mann, den Millionen Deutsche zu ihrer eigenen Schmach zum Reichskanzler erhoben haben, wagt von den Erschossenen, den Erdolchten, den Ertränkten, den zu Tode gemarterten Männern wie Stelling und Fechen­bach zu sagen:

Die nationale Revolution hat vielleicht im ganzen 50 Opfer gefordert und diese Opfer waren alle Haluufen." Man zeige uns den Staatsführer der neueren Geschichte, der je in einer öffentlichen Rede sich so der Kaschemmen sprache bedient, je auf ein solches Niveau hinabgeglitten wäre, te seine gefallenen Gegner so besudelt hätte! Un wahrhaftig und roh! Das ist hier die allein mögliche Cha­rakteristik. Alles, was jeder gesittete Mensch da empfinden muß, spricht der deutsche Reichskanzler in dem Worte aus: Halunke!"

Nun reist er wieder durchs Land und redet. Er und seine Kreaturen allein. Die ganze Welt muß die abgrundtiefe Gemeinheit dieses Schauspiels erkennen. Ein großes Volf mit reicher Kultur inmitten Europas wird zur Wahl auf­gerufen. Zur Wahl?"

Nur Kandidaten einer Partei dürfen aufgestellt, nur Bers jammlungen einer Partei dürfen veranstaltet, uur Zeis tungen und Flugschriften der Regierung dürfen verbreitet werden, nur eine Partei darf die Wahl vorbereiten, nur eine Partei darf Radio und alle Propagandamittel von der Weltstadt bis zum Dorf bennzen, nur eine Partei darf Wahl und Wahllokale kontrollieren, nur eine Partei darf die Wahlergebnisse zählen und veröffentlichen. Alle Kritik ist mundtot. Alles freie Denken ist im Kerker oder im Konzentrationslager und muß schweigen, wenn der deutsche Reichskanzler die gemeinsten Worte der deutschen Sprache auf die Gräber seiner Opfer speit. Um so mehr hat jeder Deutsche, der außerhalb des Machtbereichs der deutschen Diktatur noch reden darf, die deutsche und die all­gemein menschliche Pflicht, die volle, nackte und harte Wahr­heit zu sagen.

Mit allen Methoden des Reklamebetrugs wird die Welt zu täuschen versucht. Es darf nicht gelingen. Gäbe es in Deutschs land eine wirklich freie Wahl, so würde das Volk sich era heben unter der Losung: Bolle Gleichberechtigung für Deutschland nach außen und nach innen! Voraussetzung für beides: Sturz der Diktatur, Vernichtung der braunen organisierte Wirtschaft zur Volksgemeinschaft der Tat und Banden, Enteignung der friegerischen Gegenrevolutionäre, nicht der Phrase.

Diese Ziele stehen feft. Drinnen und draußen wächst der harte Wille, fie zu erkämpfen. Aus der Blutsaat Hitlers wächst die Ernte. Aus dem Geist der Märtyrer steigen die Sieger von morgen empor.

Das soll eine Wahl sein!

In der Nation sei geächtet... ."

" In der Nation sei geächtet, wer am 12. Nos vember seine Pflicht nicht tut, ausgestoßen soll er fein aus der Gemeinschaft des deutschen Volkes, so ernst wollen wir an diese Dinge herangehen.( Starker Beifall.)

( Aus einer Rede des hessischen Reichsstatthalters Sprenger, 22. Oktober.)

Die Wahlen, die bevorstehen, find in ihrer Art ohne geschichtlichen Vorgang. Es wird nur eine einzige Liste dem Wähler unterbreitet, eine Liste die er annehmen oder ablehnen kann. Wie die Liste zusammengesetzt ist, das ist noch nicht bekannt. Es heißt, daß auf ihr nicht lediglich Partei vertreten sein sollen, sondern auch andere Männer, die bekannten Repräsentanten der Nationalsozialistischen die alle vorher ein feierliches Gelöbnis ablegen sollen, daß sie hinter der Regierung stehen und ihr keine Schwierigkeiten machen werden. Die Einheitsliste ist die Konsequenz der Tat­sache, daß sich alle Barteien, mit Ausnahme der den Staat partei im ursprünglichsten Sinne des Wortes geworden ist, tragenden Nationalsozialistischen Partei, die zur Staatss aufgelöst haben, soweit sie nicht aufgelöst worden sind."

Vossische Zeitung", 22. Oktober.)