DAS BUNTE BLATT

NUMMER 109 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

GS- BEILAG

DONNERSTAG, DEN 26. OKTOBER 1933

Erlebnisse Straßen ins seld

Schwedische Erlebnisse

Göring  , Mr. G., Daniel Brenn und anderest

Ich fuhr quer durch Deutschland  , an wehenden Hakenkreuz­flaggen vorbei, es war kurz nach dem Judenboykott, der Greuel toste durch das Land, war es da ein Wunder, daß mir Schweden   wie das gelobte Land erschien! Keine Fahnen, feine SA.- Züge, es glich in meinen Augen einem Märchen­lande.

Ich versuchte ein Gespräch mit den Leuten im Zuge anzu­fnüpfen. Meist groß und schlank, ebenmäßig gebaut. Richtige, echte Arier, neben denen ein Durchschnitts- West- oder-Süd­deutscher nicht gerade wie ein waschechter Germane wirkt. Die meisten Schweden   betrachten auch diese deutschen   Arier" mit etwas zweifelhaftem Lächeln. Aber die Schweden   machen nie viel Aufsehens von ihrem Germanentum, weil es ja doch für sie etwas Selbstverständliches ist, lachen vielmehr über Deutschland  , das sich seinen Rassenwahn von einem noch nicht einmal aus einem germanischen Land stammenden Ausländer einimpfen läßt.

Und dann machte ich eine interessante Entdeckung. Je rasse­reiner eine schwedische Familie ist, desto weniger antisemitisch ist sie. Die Schweden   sind sehr human und können nicht be­greifen, daß im Herzen Europas   ein Staat, dem frühere Generationen den Titel des Landes der Denker und Dichter" gaben, mit so ausgesuchter Grausamkeit gegen seine eigenen Bürger vorgehen kann. Ich glaube, daß viele Schweden   die Berichte über die Greuel in den Konzentrationslagern ein­fach nicht für wahr halten.

Ich sprach einmal darüber mit einem schwedischen Prv fessor, einem Progermanisten. Er sagte mir: Aber die Deutschen   sind doch gar keine Germanen, denn das Führer­prinzip haftet doch nur im Romanischen. Der Germane liebt seine Freiheit über alles und läßt seinen Willen nicht unterjochen, am allerwenigsten noch von seinen eigenen Volksgenossen. Ein typisches Beispiel auch dafür, daß die skandinavischen Länder sozialistische Regierungen und Mehr­heiten haben.

Empört waren die Schweden  , als Göring  , der zu einem

Fest seiner Verwandten nach Schweden   fam- natürlich im feudalen Flugzeug als Vertreter des armen, ge­fnechteten" Deutschland   in Schweden   einige schnittige, funkel­nagelneue Mercedes  - Wagen verschenkte. Diese Wagen be­

stärkten Schweden   gerade nicht in der Meinung, daß in

Deutschland   alles überflüssige Geld nur für die Arbeitslosen

und den Wiederaufbau verwendet würde. Einige Zeitungen, nicht nur marristische, sondern auch liberale, veröffentlichten,

-

in

als Göring   in Schweden   weilte, eine herzliche Einladung an ihn, doch in seine alte Heimat zurückzukehren, nämlich das Irrenhaus zu Stockholm  . Ob er es annahm, weiß ich nicht, jedenfalls zog er es vor, sich in das von ihm selbst mit­eingerichtete Irrenhaus, benamst drittes Reich", zurückzu­ziehen. Große Töne reden Hitlers   braune Genossen von den " freundschaftlichen Beziehungen zu Schweden  ", merken aber nichts davon, wie die Schweden   sie verspotten, wie sie ihnen

Namhafte schwedische Schauspieler parodierten dort Hitler  , Göring  , Hindenburg  , sangen das Chanson vom schönen Adolf, Heil, Heil, Heil", das in einem Gemisch von Jiddisch, Deutsch   und Schwedisch gehalten war. Die deutsche   Botschaft legte daraufhin dreimal Protest ein, der dreimal abgewiesen wurde. Die ganze Revue hätte durch Absetzung dieser Szene ihre Pointe verloren.

Eine reizende Anekdote erzählt man sich von Mr. G., dem schwedischen König, der, als er in Berlin   war, Hitler und einige andere Vertreter der deutschen   Regierung im schwedischen Konsulat empfing, und einige Stunden später mit dem deutschen   Tennismeister Daniel Prenn Tennis  spielte. Und Prenn ist Jude! Deutlicher braucht man es Herrn Hitler   ja gar nicht zu zeigen, wie sehr das schwedische Königshaus, trotz der Einheirat der mecklenburgischen Nazi­Prinzessin Sybille, einen Radauantisemitismus ablehnt. Ein paar Monate später lud König Gustav Prenn sogar ein, mit ihm auf seinem Sommerfis Tennis zu spielen.

Aber das Interesse Schwedens   an Deutschland   verblaßt allmählich. Manchmal berichtet das Radio noch von neuen Taten Hitlers  , manchmal schreiben die Zeitungen noch von neuen entsetzlichen Greueltaten, aber man merkt, die große Sensation ist vorbei. Die einzigen, die über dieses furcht­bare Unglück, das über die Deutschen  , die Marristen, die Juden gekommen ist, nicht hinwegkönnen das sind die schwedischen Juden. Große Hilfskomitees haben sich gebildet, die die armen jüdischen Flüchtlinge so weit als möglich unter­stützen. Meist kommen diese Leute nach Schweden  , um sich dort nach einem neuen Arbeitsfeld umzusehen. Aber Schweden   ist nur etwas für vermögende Flüchtlinge, die ihr Schweden   ist nur etwas für vermögende Flüchtlinge, die ihr Kapital aufzehren oder ihre Zinsen verbrauchen, denn ein Ausländer darf in Schweden  , wie in allen skandinavischen Ländern, nicht arbeiten. Gerda Bauer.

Das..sdfimutzige Stück Leinwand"

Unter sehr ungewöhnlichen Umständen wurde auf dem sowjetrussischen Dampfer Kooperatia" ein fostbares Ge­mälde entdeckt. Der Dampfer wurde, als er in dem Londoner Hafen vor Anker ging, von Zollbeamten aufgesucht, die bei ihrer Amtshandlung ein zusammengerolltes Stück Lein­wand fanden, das auf den ersten Blick einer verschmutzten Landkarte ähnlich sah. Als man jedoch die Leinwand auf rollte, bemerkten die Zollbeamten zu ihrer nicht geringen Verblüffung, daß es sich um ein altes und anscheinend sehr kostbares Gemälde handelte.

die bunten Zügenmäntelchen herunterreißen, mit denen sie Schule, das möglicherweise von der Hand Joachim Christian

das blanke Gerippe ihrer Lächerlichkeit und Grausamkeit ver­decken wollen. So lief in Stockholm   eine entzückende Revue, deren eines Bild in Hitlers   braunem Malkastenreich spielte.

Fontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  

Um Berardo zu beruhigen, ging der junge Mann an die Kasse und bezahlte die Zeche im voraus. Inzwischen sah mich Berardo an, als wollte er sagen: der muß verrückt sein". Warum sind denn eigentlich all diese Carabinieri und Milizen so aufgeregt?" wollte Berardo, nachdem er gegessen hatte, von dem jungen Mann wissen.

" Sie suchen den großen Unbekannten," antwortete dieser. Aber die Antwort war nicht sehr klar.

,, Seit einiger Zeit gefährdet ein Unbekannter, der große Unbekannte", die öffentliche Sicherheit  ," fügte er erklärend hinzu. In allen Prozessen vor dem Sondergericht ist von einem Unbekannten die Rede, der heimlich Drucksachen her­stellt und verteilt... Alle die mit illegalen Schriften er­wischt werden, behaupten, sie von einem Unbekannten be­kommen zu haben... Anfangs hielt er sich meist bei gewissen großen Fabriken auf, dann in der Umgebung der Stadt und der Kasernen; zum Schluß ist er auch auf der Universität er­schienen. Er wird am gleichen Tag von den verschiedenen Provinzen und selbst von der Grenze gemeldet. Die besten Polizisten sind hinter ihm her, aber bis jetzt hat man ihn nie erwischt. Rund sechstausend Personen sind schon festgenom­men worden und oftmals glaubte die Regierung, ihn unter den Verhafteten zu haben. Aber nach kurzer Pause fing die unterirdische Presse wieder zu arbeiten an und die Sonder­gerichte stellten neuerdings die Tätigkeit des großen Unbe­fannten fest... Seit einiger Zeit scheint er sich in den Abruzzen aufzuhalten..."

In Sulmona  , in Prezza, in Avezzano   und in anderen Orten. Wo er auftaucht, da revoltieren die Cafoni. Wo die Cafoni revoltieren. da ist auch er."

Aber wer ist es denn? Ist es der Teufel?" fragte Berardo.

Vielleicht," gab der Avezzaner lachend zur Antwort. Wenn man ihm doch den Weg nach Fontamara zeigen könnte," seufzte Berardo.

,, Er fennt ihn," antwortete balblant der andere. In diesem Augenblick betrat ein von mehreren Milizen gefolgter Polizist die Kneipe und kam aus uns zu.

Sachverständige haben inzwischen festgestellt, daß es sich um ein künstlerisch sehr wertvolles Meisterwerk der deutschen  Reinhards stammt, handeln dürfte. Vorläufig wird der Zu­gang zum Dampfer streng überwacht und die Polizei ver­sucht, die geheimnisvolle Affäre des Bildes aufzuklären.

,, Pässe und Ausweispapiere!" befahl er.

Während der Polizist die Ausweise, die wir aus der fa­schistischen Gewerkschaft geholt hatten, prüfte, außerdem noch Personalausweis, Paß und viele andere Papiere des uns begleitenden Avezzaners, durchsuchten die Milizen das Lokal.

Unsere Papiere wurden als ausreichend befunden und der Polizist war schon im Begriff fortzugehen, als die Milizen ihn auf ein in Wachstuch gewickeltes Bündel aufmerksam machten, das sie zu Füßen des Kleiderständers gefunden hatten. Sein Inhalt verwandelte Polizist und Milizen in Furien, die sich schreiend auf uns stürzten:

,, Wem gehört dieses Bündel? Wer hat es auf den Boden gelegt?" und ohne auch nur unsere Antwort abzuwarten, nahmen sie uns in ihre Mitte und brachten uns auf die Polizei.

Berardo, der glaubte, daß in dem Paket gestohlenes Gut gewesen und daß man uns für die Diebe hielt, schrie auf

dem ganzen Weg:

,, Wir Diebe... Schämt euch! Ihr seid Diebe! Wir sind die Ausgeraubten, nicht die Diebe... Diebe sind die fa­schistischen Gewerkschaften, die uns 35 Lire gestohlen haben... Ein Dieb ist der Cavaliere Pazienza, der uns 20 Lire abge­nommen hat... Wir Diebe... Der Impresario ist ein Dieb!"

Auf der Polizei trafen aus verschiedenen Stadtvierteln ununterbrochen Gruppen Verhafteter ein.

,, Die Jagd auf den großen Unbekannten geht weiter," erklärte der Avezzaner leise, worauf Berardo begriff, daß wir nicht des Diebstahls verdächtig waren und sich beruhigte. Als wir ohne viel Federlesens in eine Zelle gesperrt wurden, in der schon zwei andere Verhaftete waren, wech­selten Berardo und ich einen zufriedenen Blick: da hatten wir endlich Quartier und Essen bis morgen... Und Zeit, über unsere fernere Zukunft nachzudenken.

Die Hälfte der Zelle war von einem zementenen Block ausgefüllt, der etwas höher als ein gewöhnlicher Bürger­steig war und als Bett diente. In einer Ecke war ein Loch, dessen Bestimmung auch klar war. Die beiden Verhafteten. die wir bereits in der Zelle vorfanden, lagen ausgestreckt in der andern Ecke, den Kopf auf ihrer zusammengerollten Jacke. Ich folgte sofort ihrem Beispiel: legte mich auf den Zement. 309 die Jacke aus und schob sie unter den Kopf. Berardy und der Avezzaner hingegen begannen angeregt miteinander zu diskutieren, und gingen dabei in der Zelle

Von Gerhart Hermann Mostar

Letzte Straßen tasten sich ins Feld, Müde Straßen, die nach Hause gehen Du und ich

Haben ihren weiten Weg gesehen: Rotbespritzt, sirenenübergellt,

Blind von Rauch, verirrt im Dunst der Zechen, Daß der arme Atem röchelnd pfiff,

Daß die Hand mit trüben Schattenflächen An die feuchten Häuserwände griff, Eine Glocke starb zerlärmt im Hämmern Der Maschinen, falt, gleichgültig, tief- Und die müde Straße lief und lief, Lief gehetzt in Feld und Abenddämmern. Schmiegt sich schüchtern, schmal dem guten Zaun, Der sie sorgsam durch die Gärten leitet, Grauer Staub ward weich, ward sattes Braun Weiche Matte ist dem Fuß gebreitet, Alles Dröhnen ist ein fernes Singen, Alle Schreie betten sich, verwehn Letzte Straßen, die nach Hause gingen. Du und ich

Haben ihren weiten Weg gesehn.

Du und ich. Und sind ihn mitgeschritten. Sinn' ihm nach! In meine Hände leg' Deine Stirn. Sie schmerzt. Sie hat durchlitten Einer guten Liebe bösen Weg.

Sinn' ihm nach.... So wirr er stieg und fiel: Suchten doch und fanden doch und sehen Eines bösen Weges gutes Ziel!

Letzte Straßen, die nach Hause gehen.

Ein Denkmal für Robespierre  

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Paris  

Am kommenden Sonntag wird in Arras  , der Geburtss stadt Maximiliens Robes pierres, die Büste des großen französischen   Revolutionärs enthüllt werden. Das Dents mal, das in dem Garten hinter dem alten Rathaus seinen Plaz hat, ist das erste Denkmal, das dem Opfer der Ther midorverschwörung in Frankreich   errichtet wird. Es gibt nur einige wenige Städte, die das Andenken Robespierres ehrten, indem sie Straßen nach ihm benannten ist nicht unter ihnen und seine Baterstadt Arras   auch nicht. und ganz Frankreich   hat bisher den furchtbaren Juſtiz­irrtum, der sogar auf dem Andenken Robespierres lastete, nicht gutgemacht. Selbst in Arras   gab es bisher nur eine einzige Gedenktafel, die kundtat, daß in dieſem kleinen Städtchen Robespierre   geboren wurde und gelebt hat. An dem Hause, in dem er als Advokat tätig war, und von wo aus er als Deputierter zu den Reichsständen nach Paris  fuhr, ist auf einer schmalen Marmortafel die Erinnerung an ihn verzeichnet. Sie wurde von der privaten Vereinigung für Robespierresche Studien gestiftet, ist erst vor wenigen Jahren an dem Hauſe angebracht worden, und einmal hatten schon republikfeindliche Banden sie heruntergeriſſen. Eine neue, radikale Gemeindeverwaltung erst hat den Mut gefunden, sich zu dem größten Sohne der Stadt, dem lauter sten Manne der französischen   Revolutionsgeschichte zu be

fennen.

auf und ab. Der Avezzaner sprach, wahrscheinlich wegen der zwei Unbekannten, ganz leise, das gelang aber Berardo nicht. Und so konnte ich von der ganzen Diskussion nur verstehen, was Berardo sagte:

Die Geschichte des großen Unbekannten überzeugt mich nicht. Ist dieser Unbekannte eigentlich ein Städter oder ein Cafone? Wenn er ein Städter ist und in die Abruzzen geht, muß er doch noch ein besonderes Ziel haben?..."

,, Aber den Städtern geht es doch gut," sagte er noch. Ez geht ihnen gut, weil sie die Cafoni ausbeuten. Ich weiß wohl, es gibt auch in der Stadt arme Leute. Peppino Go­riano war zum Beispiel übel dran und der Cavaliere Pa ziena schwimmt auch nicht im Ueberfluß. Aber dafür sind das anch feine echten Städter, das sind in die Stadt verpflanzte

Barern."

Manchmal, wenn Berardo sich bemühte, leise zu sprechen, seinen Gebärden und denen des Avezzaners ersehen, daß verlor ich den Faden der Unterhaltung, aber ich konnte aus sie zu keiner Verständigung kamen. Wenn es gerade gut gewesen wäre, die Stimme zu senken, blieb Berardo zu allem Ueberfluß stehen und dann konnten ihn nicht nur unsere zwei unbekannten Zellengenossen verstehen, sondern wo möglich unsere Zellennachbarn dazu.

In dem in der Kneipe gefundenen Paket waren wohl Zeitungen?... Und wegen eines Haufens bedruckter Papier setzen verhaften sie so viele Leute? Was kann so ein Pad Papier   schon wert sein?"

Der Avezzaner war nicht nur ein sympathischer, sondern auch ein geduldiger Mann. Er bat Berardo, leise zu sprechen und dieser versprach es, ohne es jedoch halten zu können.

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,, Vereinigung von Städtern und Cafoni?... Aber den Städtern geht es gut und den Cafoni geht es schlecht. Die Städter essen gut, trinken gut und zahlen feine Steuern. Die Städter arbeiten wenig und verdienen viel... 3wanzig Lire täglich, nur um Prügel auszuteilen, ohne welche zu kommen! Man braucht ja nur zu sehen, was sie uns für Stoffe, Eisen, Hüte, Schuhsohlen zahlen lassen... Wir Gafoni sind wie die Würmer. Alle beuten uns aus. Alle treten auf uns herum. Alle mißbrauchen uns. Selbst Don Circostanza hat gegen uns Partei genommen. Selbst er Avezzaner hörte ihn mit aufgerissenen Augen an. Ent setzlich," murmelte er vor sich hin. Glaubst du wirklich an das, was du sagst? Denken die andern Cafoni alle wie

du?..."

( Fortsetzung folgt.)