Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutsɗfien Freifieit" Ereignisse und Geschichten

YUOD

Freitag, den 27. Oktober 1933

Professoren auf der Galeere

Das ist aus den ,, Gelehrtencepubliken" geworden

Die deutschen   Professoren haben, wie zu deren Schande die

mentaren Interessen der Wissenschaft, der Forschung und

ganze Welt weiß, sich nicht nur zähneknirschend der Zwangs- ihrer Lehre regieren lassen. gleichschaltung gefügt. Sie waren schnell dabei, ihre Fach­wissenschaft mit den Interessen des totalen Staates und einer entsprechenden Ideologie zu harmonisteren. Es gibt feine Rollegstunde mehr an deutschen   Universitäten, in der nicht der Herr Dozent befehlsgemäß und gesinnungsbeslissen an seinen Stoff eine kleine Huldigungsarabeste für das

britte Reich" anhängt.

Wie dankt ihnen das der totale Staat? Indem er ihnen alle ihre bisherigen Rechte nimmt, fie difta= torisch dem Führerprinzip unterjocht und versklavt. Ein Beispiel aus Hessen  :

Die neue Verfassung, welche die hessische Universi­schulverfassungen der Vergangenheit dadurch, daß sie aus dem Geist des Nationalsozialismus fommend auch an der Hoch­schule das Führerprinzip durchführt.

tät und als solcher dem Staate verantwortlich. Es stehen ihm alle Befugnisse des bisherigen engeren Senates und des Gesamtsenates, des früheren Kanzlers und Verwal­halter ernannt und verpflichtet. Er schlägt als Nachfolger einen ordentlichen Professor vor. Dem Rektor führer zur Seite, der auf Vorschlag des Rektors vom Leiter tritt ein Stanzler( Profeſſor oder Privat- Dozent) als Zweit­der vorgesetzten Ministerialabteilung ernannt und ver= pflichtet wird. Die Verantwortung gegenüber der Ministe­Candesuniversität mit beſtimmten Rettoratsgeschäften be­traut. Der Reftor ernennt den Ephorus, an dessen Stellung sich nichts ändert.

Als beratendes Organ steht dem Rektor der Senatzur Sette, der feine Beichlüsse mehr faßt. Ab­stimmungen erfolgen nicht. Die Zusammensetzung des sozialistischen   Hochschullehrerschaft, die Dekane und Pro­der Studentenschaft und ein von diesem bestimmter zweiter Student sind zu den Verhandlungen des Senate zuzuziehen, in welchen die Studentenschaft berührende Angelegenheiten behandelt werden.

Die Dekane werden vom Rektor unter 3ustim mung der Ministerialabteilung ernannt und sind verantwortliche Führer der Fakultät. Die Prodekane nehmen innerhalb der Fakultät eine ähnliche Stellung ein, wie der Hochschulkanzler. Abstimmungen innerhalb der Fafultäten finden nicht statt. Doch hat der Defan die Pflicht, in wichtigen Angelegenheiten der Fakul= tät über den Inhalt der vorliegenden Atten zu berichten. Der Geschäftsverkehr der Fakultäten mit der vorgefeßten Ministerialabteilung läuft über den Rektor. In Streit­Reftor und Dekan entscheidet die Winisterial:

abteilung.* k

3um Professor wird ernannt, wer von der Regierung auf einen Lehrstuhl berufen wird. Der Reichsstatthalter kann jeden Privatdozenten nach min­destens fünfjähriger Lehrtätigkeit zum Professor ernennen. Privatdozenten können durch Vermittlung eines Kollegen beim Dekan ihre Ernennung zum Professor beantragen.

Die neuen Bestimmungen traten mit dem 15. Oktober dieses Jahres in Kraft. Mit ihnen ist der Einbau der Landesuniversität Gießen in den Nationalsozialistischen Staat endgültig vollendet."

Man muß diese neue hessische Universitätsverfassung ge­nau lesen, um ihre ganze Tragweite zu ermessen. Früher wurde der Rektor vom Senat nach langwierigen Eignungs­prüfungen und Abstimmungen gewählt. Heute wird er vom Reichsstatthalter ernannt. Früher hatten die Fakultäten maßgebliches Vorschlagsrecht bei der Besetzung von neuen oder freigewordenen Lehrstühlen. Sie wachten in den Jahren der Weimarer Verfassung   eifersüchtig auf ihre Rechte in ihrer Gelehrtenrepublik und lehnten sich gegen das Ministe­rium auf, wenn es Entscheidungen gegen ihren Willen traf. Heute gibt es keine Abstimmungen mehr. Der Minister ernennt, die Fakultäten haben nichts mehr zu sagen. Roma locuta est causa finita. Kein Sochschulverband, teine Universität, teine Fakultät wagt ein Wort des Widerspruchs, geschweige denn Widerstand. Braune Kommissare überwachen die Ge­lehrten, die die uniformierte Befehlsgewalt über die ele­

Toscanini

Arturo Toscanini   hat zwei Festkonzerte des Orchesters Straram in Parts im Theatre des Champs­Elysees geleitet. Der erste Abend war italienischen und französischen   Impressionisten gewidmet, der zweite ein Richard Wagner  - Abend mußte wiederholt werden. Der Empfang des Mästros durch das Pariser Publikum ge­staltete sich zu einer Buldigung, deren Motiv und Ausmaß über den rein künstlerischen Rahmen hinausreichte. Denn der bedeutendste lebende Dirigent Europas   und Amerikas  ist nicht nur eine Ausnahmeerscheinung innerhalb des zeit­genössischen Pultvirtuosentums, dem er in seiner uner­schütterlichen Werktreue und Schlichtheit immer wieder als leuchtenbes Beispiel gel ten muß, er ist auch ein Vorbild menschlicher, gefinnungs­mäßiger Geradheit und unbeirrbarkeit. Als einziger unter den italienischen Musikern hat er sich dem faschistischen System nicht gebeugt, als souveräner Leiter der Mai­ länder Scala   vielmehr jahrelang in ständigem Rampf mit den Behörden seiner Heimat gelebt.

Man erinnert sich jener Uraufführung von Puccinis nach gelassener Turandot  ", da er dem anwesenden Duce die Faschistenhymne versagte. Man weiß, daß sich im Jahre 1929 feine Situation derart verschärfte, daß Toscanini   die Leitung der Mailänder Scala  , die in der Arbeit eines Menschenlebens zu ihrer damaligen Bedeutung geführt batte, nieberlegen mußte. Zwei Jahre später ereignete sich jener beschämend:, vom chauvinistischen Studentenpöbel pro­

Diese deutsche Wissenschaft im Zeichen des Kadavergehor­sams, des Wehrwillens und der Zwangsarbeitslager für ihren Nachwuchs verdient, was das Ausland ihren Repräsen­tanten in hohem Maße zuteil werden läßt: Verachtung. Der Gelehrtenstolz und die geistige Unabhängigkeit sind, ähnlich wie die Justiz, die Schule und das Schrifttum, an das Sklavenschiff des braunen Terrors gekettet. Und die Versklavten müssen dabei noch so tun, als ob sie sich an diesen Ketten kannibalisch wohl befänden.

Die Hakenkreuz- Mathematiker Kampf mit Faust gegen Chaos

Vier Berliner   Vereine zur Förderung des mathematischen, physikalischen, chemischen und biologischen Unterrichts veran­stalteten im Auditorium Maximum der Berliner   Universität eine Rundgebung, in der Professor Georg Hamel   erklärte:

Die Mathematik ist für das dritte Reich"( wie für jedes Reich) unentbehrlich... Mathematik als das Prinzip der Ordnung überhaupt ist das Urphänomen der reinen geistigen Schöpfung... Mathematik besitzt ihrem Wesen nach

enge Geistes verbundenheit mit der Idee des Dritten Reiches  ". Beide sind heroisch, verlangen

Opfer und Entsagung, erfordern Disiplin   und Begeisterung für die Sache, beibe bekämpfen das Chaos..."

Wir besitzen die Mathematik des faustischen Menschen," sagte Herr Professor Hamel.

nicht mehr zugelassen! Juden und Reifeprüfungen

Das sächsische Ministerium für Volksbildung hat eine Ver­ordnung erlassen, wonach Schulfremde", wenn sie eine Reifeprüfung ablegen wollen, den Nachweis arischer Abstam­mung zu erbringen haben. Als nichtarisch gilt, wer üdische Eltern, Großeltern, einen jüdischen Eltern- oder Großelternteil befibt. Als Ab­stammung gilt auch die außereheliche Abstammung Wer den Nachweis arischer Abstammung nicht erbringt, wird zu den Reifeprüfungen nicht mehr zugelassen.

Die deutsche   Fakultät in Neuyock Aus Deutschland   vertrieben begehrt

- in der Fremde

Die Errichtung einer ausschließlich aus deutschen   Pro­fessoren besesten Fakultät wird von der New School for Social Research" in Neuyork( Präsident: Alvin John­ son  ) angekündigt. Diese New School" ist eine seit 1919 be= stehende Einrichtung für Erwachsenenbildung, die in ihren Formen den deutschen   Volkshochschulen entspricht, im Pro­gramm und in der Auswahl der Lehrkräfte aber den Uni­versitäten nähersteht. Ihre neue Abteilung soll im wesent lichen der Fortbildung von Akademikern mit abgeschlossenem Studium dienen. Sie ist eine besondere Fakultät mit Selbst verwaltung und soll in Form und Inhalt ihre Arbeit aus drücklich den höchsten Stand deutscher   Universitätsarbeit dar­stellen, frei von jeder politischen Propaganda. Besetzt ist sie mit Gelehrten, die wie es in der Ankündigung der New School" heißt School  " heißt, an deutschen   Universitäten ihre

Bläse aus Gründen verloren, die nicht mit ihrer wissenschaftlichen Befäbigung zu­sammenhängen". Es sind die Professoren Eduard Heimann  , Emil Lederer  . Arthur Feiler  , Gerhard Colm  , Karl Brandt  , Frieda Wunderlich  , Max Wertheimer  , Albert Salomon  , Hans Speier  , Hermann Kantorowicz   und E. v. Hornbostel. Jeder von ihnen kündigt eine Vorlesung und ein Seminar an, die zum Unterschied von den übrigen, meist auf den Abend gelegten Kursen der New School"- meist am Vor­oder Nachmittag stattfinden. Die Unterrichtssprache ist Englisch  .

vozierte Zwischenfall", der endgültig jede weitere Tätigkeit Toscaninis in seiner Heimat unmöglich machte. Nur unter dem Druck der öffentlichen Meinung der gesamten zivili­sierten Welt konnte der zunächst in seiner Mailänder   Woh­nung inhaftierte Künstler Italien   verlassen, um in Bay­ reuth  

, das ihn damals zum Ehrenbürger ernannte, einen der größten, wenn äußerlich auch geräuschlofesten Erfolge feines Lebens au erringen. Und wieder zwei Jahre später

lehnt es Toscanini in aller Form ab, nach Bayreuth   zurückzukehren, das inzwischen faschi­fierte Deutschland   wiederzubetreten.

Im April dieses Jahres hatte er gemeinsam mit einigen Kollegen gegen die Nazi- Unraten auf fünstlerischem, speziell muſikaliſchem Gebiet- die Massenentlassungen bedeutender

und verdienter Musiker aus rassischen und politischen, also außerkünstlerischen Gründen protestiert. Die deutschen  offiziellen Stellen haben ihm und seinen Kollegen nicht ge­antwortet, die gleichgeschaltete deutsche   Presse wagte nicht,

Stellung zu nehmen. Toscanini wird das Land, in dem ein

noch sind nicht alle Mätze vorbei!

Nach Herweghs Achtzehnter März")

Neunzehnhundert dreißig und drei: Deutschland   wurde zur Barbarei-: Tage des Februar, Tage des Märzen, waren es nicht Proletarierherzen, die voll Hoffnung damals gedacht:

Kampf der Bestie dem Volt die Macht?!

Neunzehnhundert dreißig und drei: Schändliche Lüge am 1. Mai:

" Des Volkes Sohn ist auch hent der getreu'ste"- Waren es nicht Proletarierfänste,

die sich der Schmach entgegengeballt:

Uns täuscht nicht Bluff, zwingt nicht Gewalt!

Neunzehnhundert dreißig und drei: Sitler der Blutrunst die Straße gab frei. Waren es nicht Proletarierleichen,

die man erlegt mit bestialischen Streichen, während am Werk Görings Brand- Kumpanei neuzehnhundert dreißig und drei?!

Neunzehnhundert dreißig und drei:

Wer glaubt noch an Hitlers Friedens"-Geschrei? Sitler will Krieg, SA.   will marschieren, Amot ist Trumpf, das Bolt soll krepieren, Rüstungsgeschäft bricht Welten entzwei, Neunzehnhundert dreißig und brei!

Neunzehnhundert dreißig und drei: Reich der Mordsaat, auch du gehst vorbei! Denn die Getret'nen, verkauft und verraten, denken der brannen Greueluntaten noch sind nicht alle Märze vorbei, neunzehnhundert dreißig und brei!

Neunzehnhundert dreißig und drei: Hitler  , Röhm, Göbbels  , Göring   und Len- Glaubt nicht, die Braunpest hat ewige Dauer! Wartet nur: kommt ein Sturm erst, ein rauber- richtet das Volk euch: dann ist es frei neunzehnhundert dreißig und drei!

Lot Anker.

Käse mit Pathos und Moralin

Wie die Politische Korrespondenz mitteilt, hat die Regie­rung eine Käseaktion für die Arbeitslosen beschlossen. Ueberschüssiger Käse soll an die Arbeitslosen zu halbem Preis verkauft werden, der halbe Preis wird durch das ver­doppelte patriotische Pathos ausgeglichen, mit dem die Korre­spondenz die Maßnahme begründet:

Die Räder einer Wirtschaft müssen ineinandergreifen, wenn der Wagen vorwärtsrollen soll. Gewaltsam zer­riffene Zusammenhänge müssen darum wiederhergestellt werden. Der Arbeitslose muß ebenso ein nüßliches Glied der menschlichen Gesellschaft werden, wie die Nahrungs­mittelversorgung der Arbeitslosen ein nüßliches Befruch­tungselement unserer Landwirtschaft.

Aber neben dem Pathos können sich die Kruckenfrenzler eine Gehässigkeit gegen die Arbeitslosen nicht verkneifen; und so schreibt die Korrespondenz:

Das Geld, das die öffentliche Hand und die Privat­wirtschaft den Arbeitslosen zuführen, mündet naturnot­wendig vor allem auf dem Lebensmittelmarkt, die ver­hältnismäßig nicht allzu zahlreichen Fällen ausgenommen, wo der Arbeitslose seine kleine Pfründe vertrinkt und seine Familie darben läßt.

So vereint sich der Käse, den die Regierung spendet, mit dem Schmitz einer satten Moral, für die ein Arbeitsloser, der einmal ein Glas Bier trinkt, der Inbegriff alles Veraba scheuungswürdigen ist.

Gegen ,, französische Absätze"

Ein geplagter Leser schreibt dem Raziblatt Dortmunder General- Anzeiger", daß seine Frau sich auf Grund der Nazi­Propaganda das Rauchen schon etwas" abgewöhnt habe, was ihn sehr freue. Aber es sei bitter, daß sie immer noch fran­zösische Abfäße" an ihren Schuhen trage. Das Naziblatt unterstreicht den Wunsch des armen Mannes und fordert

seinerseits schwindelfreie Abfäße".

Den führer" und seine Agitatoren schwindelfrei" machen, ist bis jetzt nicht erörtert worden.

Zeit- Notizen

Partei ist Geschäft

Der Verleger Franz Schneider firmiert seine Reklame jet mit der Anführung der Titel: Mitglied und Propagandawart in der NSDAP  ." Es gelingt ihm so seinen Prospekten einen partei­offiziellen Anstrich zu geben. Im Schneider- Verlag   find hauptsäch­lich Kinderbücher erschienen. Wer also Schneiderbücher" kauft, unterstützt einen Nazipropagandisten!

Pädagogisches Ziel

Den die Pädagogik umwandelnden Kulturumbruch selbst sehen

wir in drei Hauptrichtungen: 1. wider den Westen, 2. wider den Diten, 3. auf das deutsche   Wesen hin, verstanden als deutsche  

Selbstbesinnung."( Dr. H. Kauz in Arbeitsschulung", Seft 2.) Nicht mehr Mendelssohn  

Auf Veranlassung des preußischen Kultusministeriums ist das Mendelssohn- 3immer" im Gebäude der preußischen Staatsbibliothet in Berlin   in Weistersaal der Musit abteilung" umbenannt worden.

Arbeitsschule

eingestellt

Die Zeitschrift Die Arbeitsschule" erscheint nicht mehr. Sie war das Organ des Deutschen Vereins für werktätige Erziehung". Er versuchte sich gleichzuschalten, doch hat ihm dieser Versuch nicht mehr helfen können.

öffentlicher Appell der hervorragendsten Künstler kein Echo mehr findet, nicht wiederbetreten. Er wird auf das braune" Deutschland   ebenso wie auf seine schwarze" Heimat als Feld künstlerischer Arbeit in Zukunft verzichten. Und in Verboten diefem Augenblick kehrt er nach Paris  , das ihn lange Jahre nicht mehr in feinen Konzertfälen gefehen hat, zurück. Man

wurden: Schweizerische Republikanische Blätter"( Rapperswil  ), Das Evangelium"( Prag  ), Zofinger Volksblatt"( Sofingen). ( Kriminalpolizeiblatt Mr. 1678.) Ferner die Zeitung L'Eveil des Peuples"( Paris  ), Boltsblatt zur Weckung und Förderung christ­lichen Lebens"( Derausgeber: Deutscher   Gemeinschafts- Diakonie­Paul Walter. Verband, Marburg  / L.)( Aktenzeichen II D 223/156.)

bereitete dem unvergleichlichen Künstler, dem charaktervollen Menschen stürmische Ovationen.