JUST162
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Freiheit
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Volk zu den Waffen"
Seite 2
Revanchepolitik
Seite 3
Mit Reitpeitsche
auf Frauen
Seite 3
Der Terror im Saargebiet
Seite 4
Die Kriegsopfecfcage
Seite 8
Minister für Brandstiftung
Der deutschnationale Führer Dr. Oberfohren hat in einem Gespräch mit einem Sozialdemokraten die Nazi der Mitwisserschaft an der Reichstagsbrandstiftung bezichtigt
Der„ Neue Vorwärts" in Karlsbad berichtet über eine Unterredung eines bekannten sozialdemokratischen Jourhaliſten mit dem früheren Vorsitzenden der deutschnationalen Reichstagsfraktion, dem Abgeordneten Dr. Oberfohren am 4. Mai. Die Mitteilung ist geeignet, überall größtes Aufsehen hervorzurufen.
" Es ist alles unnüß!" rief Oberfohren ein über das andere Mal, wenn ich die Möglichkeiten eines aktiven Vorgehens gegen die Diktatur erörterte. Er war in der Tat völlig zusammengebrochen.„ Daß soviel Gemeinheit in Deutschland möglich ist, das hätte ich, das hätte niemand erwartet." Und er begann unaufgefordert von der ersten verbrecherischen Tat, dem Reichstagsbrand, zu reden.„ Mir ist von einer Seite, die ich leider!- als durchaus zuverläffig und sicher ansehen muß, Mitteilung über die näheren Umstände gemacht worden. Und es besteht fein Zweifel mehr, daß die Nazi um den Brand vor seinem Entstehen gewußt haben! 3ft so ein Verbrechertum dentbar? Und die Lente regieren!"
Gerade darum, lieber Doktor," warf ich ein, ist die Einbeitsfront aller anständigen Menschen um so nötiger!" " Ach, es ist ja alles unnüz! Die Gemeinheit herrscht und wird sich in unerhörter Weise bis zu ihrem Zusammenbruch austoben. Und das kann lange dauern."
" Ich kämpfe weiter, und wenn ich nur noch einen Fußbreit Boden unter mir haben sollte!"
Oberfohren minkte müde ab und sagte:„ Das muß man fich vorstellen! Deutschland hat Minister und die Minister dulden, daß das Parlament in Brand gesteckt wird. Ja, sie freuen sich sogar darüber!"
Und wieder klagte er, daß alles vergebens sei. Er habe Sugenberg beschworen, aber der bilde sich ein, die Nazi erziehen zu können.
Mir wäre, sagte ich, auch mancherlet wegen des Reichstagsbrandes zu Ohren gekommen, aber bestimmtes wüßte ich nicht. Ich hoffte, er würde darauf genaue Angaben machen. Aber Oberfohren schüttelte den Kopf und sagte: " Seien Sie froh! Wohl allen, die nichts wissen!"
Dann erzählte er von den peinlichen Haussuchungen in Kiel und Berlin , den Bernehmungen, den zahllosen Drohungen, die er erhalte und prophezeite einen beispiellosen Triumph der Bestialität:„ Wenn meine Frau nicht wäre, hätte ich mich schon längst erschossen!"„ Denn," so sagte er,„ wir werden nicht mehr froh. Was wir jetzt erleben, ist ja erst die Ouvertüre. Es kommt noch ganz
anders!"
Drei Tage später war Oberfohren tot.
Neue schwere Anklagen
Der Prager Sozialdemokrat" veröffentlicht einen großen Artikel von Andreas Riebiling über die wahren Reichstagsbrandstifter, dem wir die folgenden Angaben ent=
nehmen.
Straßen gejagt und schrie aus Veibeskräften Zeter und Mordio. Plößlich sprang der Halbnadte, den man auf der dieser?" Straße zusammengeschlagen hatte, auf und ſchrie wie ein Wahnsinniger:
„ Jetzt soll die Oeffentlichkeit alle, alle sollen erfahren, daß der„ Rote Hahn,"" Nurmi" und der Uringer Lulatsch den Reichstag in Brand gesteckt haben..."
Ein fahnenflüchtig gewordener SA.- Mann vom Sturm 84 hat dann Riebiling nähere Angaben über die Gründe des nächtlichen Vorfalls gemacht, die durch mühselige Nachforschungen bestätigt worden seien. Der Verprügelte der " Chemnizer", wie sie ihn nannten habe das Geheimnis der Reichstagsbrandstiftung gekannt. Er sei wegen Plünde reien verprügelt worden und habe dabei die Enthüllung hinausgeschrien.
Riebiling fährt fort:„ Der rote Hahner heißt wirklich Hahn hat seit Jahren ein bestimmtes Rollkommando vom Mordsturm 33 in Charlottenburg geführt, das gefürchtetfte aller sechs Berliner Standarten. Zweimal wurde er megen Totschlags vor das Schwurgericht gestellt... Nach unseren dorf von einer nicht festzustellenden Instanz mit dem AufErfundungen ist Hahn auf Vorschlag des Grafen Helltrag betraut worden, durch Brandstiftungen öffentlicher Gebäude die Volksgemüter zur Siedehiße zu bringen... Einwandfrei läßt sich beweisen. daß vom 25. Februar 1983. der„ rote Hahn" mit den SA.- Männern Nurmi" und dem Usinger Lulatsch" zusammengearbeitet und dann den Reichstag in Brand gesteckt hat."
,, Nurmi", teilt Riebiling mit, ist ein ehemaliger Bankbeamter aus Königsberg namens Krüger und seit Jahren Nazi. Seinen Spitznamen hat er daher, weil er der schnellste bei allen Naziaktionen war. Er hat mehrere Meuchelmorde an Kommunisten auf dem Gewissen.
Der„ Usinger Lulatsch" heißt Kurt Schön. Zuletzt wohnte er in Berlin- Weißensee. Im Rauschzustand am Antonsplatz tagsgebäude richtig gehandhabt zu haben. hat er sich oft gerühmt, die Brandfadel im Reichs: Bei dem ersten Fackelzug, mit dem das Hitlerregime in Berlin seinen Siea feierte, marschierten der„ rote Hahn", " Nurmi" und Schön an der Spiße des Demonstrationszuges durch das Brandenburger Tor und der Rundfunkansager feierte nach den Zeitungsberichten den roten Bahn"
mit seinen 36V.- Kameraden als den Helden der stegreichen deutschen Revolution".
Riebiling verweist dann noch darauf, daß der Untersuchungsrichter Vogt vor dem Reichsgericht bekundete, van der Lubbe habe seinen Mantel und seine Jacke so zusammengelegt, als wenn sie zum Kopfkissen benutzt worden wären". Das stimme mit der eigenen Aeußerung van der Lubbes genau überein: Ich wollte nur dort schlafen."
Der Verfasser erklärt zum Schluß, daß er Deutschland verlassen habe, um in letter Stunde die in meine Kenntnis gestellten Tatsachen der Oeffentlichkeit zu übergeben".
Klassische Zeugen
Karwahne und Frey verständigen sich
Der„ Temps" vom 27. Oktober berichtet:
Andreas Riebiling lernte van der Lubbe am Sonntag vor dem Reichstagsbrand in einem Berliner Lokal in der Alexandrinenstraße kennen. Dem Pokal gegenüber lag das Lokal des Nazisturms 84. Van der Lubbe, der schwer verständlich war da seine Worte in holländischer Sprache mit ostfriesischem Platt vermischt waren, wurde an Riebiling verwiesen. Er machte den denkbar schlechtesten Eindruck, war äußerlich vollkommen heruntergekommen und klagte, daß er tein Geld habe. Zwei Tage nach dem Reichstagsbrand wurde Riebiling plötzlich von dem Kriminalkommissar Heisig und einem Assistenten aus seiner Wohnung geholt. Die Polizei behauptete, daß er im Verdacht der Mitwisserschaft oder Beteiligung am Reichstagsbrand stehe. Er wurde van der Lubbe gegenübergestellt. Der Mann," sagt Riebiling ,,, war faum wiederzuerkennen. Er machte den Eindruck eines Schwachsinnigen. Seine frühere Lebhaftigkeit war verbeschränkt. Vollständig zusammengefnickt saß er da, bei jeder Frage seine Stirn in Falten ziehend, als wenn eine unsicht bare Macht ihn dirigiere." Und als Riebiling, über dieses Häuschen Elend erbittert," fragte, warum er das getan habe, hatte, angeordnet worden war." antwortete van der Lubbe:
Man muß sich wundern, wie sich die beiden Zeugen Kar wahne und Frey in die Arbeit geteilt haben. Der eine hat nur van der Lubbe bemerkt, der andere nur Popoff( bei ein und derselben Begegnung mit Torgler !)
Der Gerichtshof versucht schließlich, im Vorzimmer des Verhandlungssaales die Begegnung der beiden Zeugen mit Torgler zu rekonstruieren. Der eine wie der andere stellen sie nacheinander, jeder auf seine Weise, dar.
» Ich woll nur door floope." ( Ich wollte nur dort schlafen.) Riebiling wurde nacheinander in den Konzentrationslagern Spandau , Oranienburg und Naugard untergebracht Juli, wurde die ganze Alexandrinenstraße durch ein Geschrei aus dem ersten Schlaf geweckt. Ein Mensch, nur mit einem
Popoff wird dem Zeugen gegenübergestellt. War es " Ia," antwortet Frey. Ueber Popoffs Züge gleitet ein leichtes überlegenes Lächeln. ,, Er müßte schon einen Doppelgänger haben," fügt Frey vorsichtig hinzu. Trug Popoff eine Brille?" will Dr. Sad wissen. „ Nein."-( Popoffträgt sonst eine Brille, hat fie aber furz vor der konfrontierung abge= nommen.)
25. Verhandlungstag
Berlin , 27. Oft. Als erster Zeuge des 25. Verhandlungstages des Reichstagsbrandstrifterprozesses wird der Landesbetriebszellenleiter Kroyer( Linz ) vernommen, der zusammen mit Karwahne und Frey am Nachmittag des 27. Fe bruar im Reichstagsgebäude war. Der Zeuge schildert Frage des Vorsitzenden, wer der erste Begleiter eingehend die Begegnung mit Torgler und erklärt auf die Torglers gewesen sei: van der Lubbe. Vorsitzender:
-
Das halten Sie auch heute noch aufrecht?- 3euge: Jawohl! Ueber den zweiten Begleiter Torglers kann der Zeuge nichts Bestimmtes sagen. Er betont aber, daß weder Dr. Neubauer, noch der Journalist Oehme in Frage komme.
Der Vorsitzende läßt nunmehr van der Lubbe vor den Richtertisch führen und fordert ihn wiederholt eindringlich auf, den Kopf zu heben. Lubbe reagiert jedoch nicht auf die Aufforderung. Der Zeuge muß sich hinunterbeugen, um dem Angeklagten ins Gesicht sehen zu können. Er sagt dann: Das ist der Mann. Die Frage des Vorsitzenden, ob auch kein Irrtum möglich sei, wird von dem Zeugen vera neint. Die Verhandlung dauert an.
Er verließ schleunigst Schweden
Stockholm , 26. Oft. Der preußische Ministerpräsident Göring , der sich seit einigen Tagen hier aufhält, besuchte gestern ein Theater. Als er es verließ, empfing ihn eine große Menschenmenge mit Schmährufen. Die Polizei mußte Göring in Schutz nehmen.
Ein Student, der tätlich gegen ihn vorgehen wollte, wurde verhaftet.
Göring ist mittels Flugzeuges nach Deutschland zurücks gekehrt.
Baster National- Zeitung" beschlagnahmt
Wegen ,, herabwürdigender Aeußerungen"
Karlsruhe , 26. Oft. Wie der Führer" berichtet, hat das geheime Staatspolizeiamt die Abendausgabe der Basler " National- Zeitung" vom 23. Oftober wegen herabwürdigen der Kritik" in einem Artikel des Blattes Italien und Deutschland " in dem Bereich des Landes Baden beschlagnahmt und eingezogen.
Hierzu wird der Agentur Havas aus Berlin gemeldet: „ Eine Tatsache, die nicht ohne Bedeutung ist, blieb der Zuhörerschaft nicht verborgen. Während der Gerichtshof sich bereit machte, sich in das Vorzimmer zu begeben, konnten die beiden Zeugen Karwahne und Frey, die sich im Verhand: lungssaale befanden, sich einige Minuten unterhalten, indem sie so aus der Unaufmerksamkeit der Richter Nußen zogen. Dies geschah, obwohl die Rekonstruktion der Vorgänge wegen Attentat auf Großsender
Für die Verbreitung in Deutschland sind weiterhin folgende ausländische Zeitungen und Druckschriften bis auf weiteres verboten worden: Bornholms Social- Demokrat", Rönne ( Bornholm ),„ Sunday Referee", London ,„ Reichstag Frial Defense Committee"( Druckschrift). Paris ,„ Neuigfeits- Welt- Blatt", Wien .
der Widersprüche in sehr bestimmten Einzelheiten, die der Gerichtshof in den Aussagen dieser beiden Zeugen aufgedeckt
Noch ein Naz'- Eld
Nicht nur der Kommunist a. D. und jetzige Nazi Abgeordnete& arwahne, sondern auch sein Kollege Frey haben vor dem Reichsgericht die unmöglichsten Dinge geschworen. Frey wollte bestimmt den Bulgaren Popoff als Begleiter Torglers im Reichstage erkannt haben.
Wien , 26. Okt. Auf den Großfender Disamberg ist ein Auschlag versucht worden. Drei bis vier Männer haben in der Nacht zum Donnerstag versucht, mit Drahtscheren den Stacheldraht, der das Gelände der Senderanlagen umgibt, an durchschneiden. Offensichtlich haben sie den Großfender gebrauchsunfähig machen wollen. Die diensttuenden Hilfs polizisten gaben Feuer. Zwei der Attentäter sollen an= geschossen worden sein, es ist ihnen aber gelungen, mit den anderen zu fliehen. Der größte Teil der Presse bezichtigt die Nationalsozialisten als die Schuldigen.