DAS BUNTE BLATT
NUMMER 112- 1. JAHRGANG
TÄGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE SONNTAG, DEN 29. OKTOBER 1933
Frecher Japagai
Was hier geschildert wird, ist kein Scherz und keine Erzählung, sondern wirkliches Ereignis. Es geschah vor wenigen Tagen in Hamburg vor dem Sondergericht.
In die Hafenkneipe des angeklagten Wirtes war eines Tages ein Matrose gekommen und hatte einen Papagei zum Kauf angeboten. Das schöne Tier sprach laut, deutlich, viel und war zudem sehr billig. Beide waren höchst zufrieden: der Käufer und auch der Verkäufer. Aber, ach! Die Freude währte nicht lange.
Eines Morgens fommt ein neugieriger SA. - Führer in die Kneipe und begrüßt den sonst doch so höflichen Hans mit einem kräftigen Heil Hitler !"
Aber da legt Hans los:„ Du braunes Schwein!"" Nieder mit Hitler!"„ SA. - die Mörderbande!"" Göring du Brandstifter!"„ Nieder mit Hitler!" so schreit das Vieh und pustert sich dabei auf, als sähe es den Scharfrichter Gröpler vor sich.
Der Wirt ist wie versteinert und wird blaß; der SA.- Mann rot. Der eine vor Schreck, der andere vor Wut.
Zwei Tage später schon standen Hans und der Wirt vor dem Sondergericht. Der Wirt beteuerte seine Unschuld, und Hans plauderte mit dem Gericht, als sei er der liebenswürdigste Vogel der Welt. Der Richter schüttelte mit dem gleichgeschalteten Kopf und schien geneigt, der Anklage nur
noch zum kleinsten Teil glauben zu wollen. Zuvor aber mußte er den Zeugen hören, den SA.- Mann. Der trat denn auch gewichtig vor die Schranken.
Und richtig: Hans schielt nur einen furzen Moment nach der braunen Uniform und legte von neuem los, kräftig, wie ein heiliges Donnerwetter und das Publikum jauchzt vor Vergnügen und Entzücken!
Zwet Stunden dauert die Verhandlung. Schließlich fällt der Richter folgenden salomonischen Spruch:
Der Wirt erhält eine Geldstrafe. Zugleich wird ihm das Kenzentrationslager angedroht, wenn ihm ein solches Mißgeschick zum zweiten Male passieren sollte.
Gegen Hans aber wird erkannt: Er sei ein staatsgefährliches Subjekt und werde deshalb eingezogen.„ Eingezogen" das heißt das Todesurteil! Er wird als nicht gleichgeschalteter Vogel getötet werden!
Hans saß bei dem Urteilsspruch völlig teilnahmslos. Er ahnte offenbar nicht, was ihm das dritte Reich" da bescherte. Hätte er gewußt, worum es ging, dann würde er gesagt haben, daß in dieser Gerichtsverhandlung der dritte Mann gefehlt hatte; jener Matrose, der den seltenen Vogel mit seltener Kunst zu seltener Vollkommenheit brachte.
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Alte Stadt, auf Wiedersehn! Liebe Menschen, muß euch lassen, Muß jezt wieder weiter gehn.
Von der Brücke überm Flusse, Wo ich oft verweilend blieb, Sage dir zum legten Gruße: Alte Stadt, ich hab dich lieb. Bin als Flüchtling nur gekommen, Heimatlos, umhergehegt. Gaftlich hast du aufgenommen, Mich, den Fremden, bis zulegt. Und auf allen meinen Wegen Bleib ich noch in deinem Bann, Weit behütet von dem Segen Deines Domes, himmelan. Dunkle Augen, blickt ihr trübe, Sorgt ihr um mein Wohlergehn? Alte Stadt und junge Liebe, Werde ich euch wiedersehn?
Der Matrose aber ist unauffindbar, weswegen Hans Witz, ärztlich dosiert den Weg zur Hinrichtung allein beschreiten wird.
Der verhinderte Senor der Senöre
Enrico Carusos Vetter verzicfitet auf Weltrufim
In der Hauptstadt Australiens schlägt sich ein Mann als Kleiner und bescheidener Kabarett- und Varietesänger durchs Leben, obgleich ihm alle Leute vom Bau seit vielen Jahren eine glänzende Karriere und unvergleichlichen Weltruhm in Aussicht gestellt haben, so unvergleichlich soll seine Stimmbegabung sein. Der Mann, um den es sich handelt, heißt Dominico Caruso und ist kein geringerer als ein Vetter des großen Enrico Caruso , der mit seiner berückenden Stimme Jahrzehnte lang die ganze Welt begeistert hat.
Dominico Caruso hat schon äußerst verlockende Angebote bekommen. Unter anderm hat die Metropolitan in Neuyork sich um ein Auftreten bemüht, und auch die Scala in Mai land und der Covent Garden in London haben durch ihre Manager schon mehrmals die Fühler ausstrecken lassen. Aber Dominico Caruso bleibt beharrlich bei seinem Nein. Worauf ist nun das merkwürdige Verhalten dieses Erben eines großen Namens zurückzuführen, der so, scheinbar ohne Sinn und Verstand, Ruhm und Glück dieser Welt, die sich ihm bieten, ausschlägt? Ist Dominico Caruso vielleicht Menschenschen? Oder ist er, trotzdem er noch in der Blüte des Lebens steht, ein weltfremder Mensch? Nichts von alledem. Dominico Caruso hat einfach eine furchtbare Angst vor der Seekrankheit. Als er nämlich vor nunmehr rund sechs Jahren zum erstenmal die Planken eines Schiffes betrat und seine weite Reise nach Australien antrat, ist er von der Seefrankheit so schrecklich gepackt worden, daß er heute nur noch mit Grausen daran denkt und um feinen Preis
Sontamara
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Der Kommissar fuhr fort, ihn zu ermutigen. Aber Berardo schloß die Augen; er war im Geiste schon wo anders. Er ließ sich in die Zelle zurückbringen wie einer, der sein Testament gemacht hat. Und doch war der Kampf noch nicht zu Ende.
Während der Nacht schloß keiner von uns ein Auge. Berardo hielt den Kopf zwischen den Fäusten, als wolle er ihm zerspringen. Er beschloß, zu gestehen, verwarf es, beschloß wieder zu gestehen und verwarf es wieder. Er umflammerte immer von neuem seinen Kopf, damit er ihm nicht zerspringe. Warum mußte er im Gefängnis bleiben? Warum mußte er mit dreißig Jahren im Gefängnis sterben?... Aus Ehre? Aus Ueberzeugung?... Aber wenn er sich doch niemals mit Politik befaßt hatte?... So vergingen die Stunden. So sprach Berardo Viola zu mir und zu sich, während der Spitzel ihm jedes Wort von den Lippen zu lesen versuchte. Der Stampf ging weiter:
Wenn ich ihn verrate, ist alles verloren. Wenn ich ihn verrate." sagte er.., wird Fontamara auf ewig verdammt sein... Wenn ich ihn verrate, wird es noch hundert Jahre dauern, bis wieder so eine Gelegenheit kommt... Und wenn ich sterbe? Werde ich der erste Gafone sein, der nicht für sich stirbt, sondern für einen andern. Seitdem die Marsica steht. werde ich der erste Gafone sein. der für die andern stirbt... Für die andern Cafoni... Für die Einigung der andern Cafoni. Für die Einigkeit der Gafoni."
Das war seine große Entdeckung. Dieses Wort riß ihm die Augen auseinander, wie wenn ein Blißlicht in der Zelle aufgeflammt wäre.
„ Einigkeit?... Was?... Einigkeit! Hast du dieses Wort schon gehört?... Ich habe dieses Wort noch nie gehört. Es ist ein neues Wort. Einigkeit... Das bedeutet Solidarität. Kraft, Freiheit. Die Erde. die zinslose Erde. Einigkeit... Eine so einfache Sache Man muß dieses Wort nach Fontamara tragen. Wenn ich sterbe." sagte er zu mir, wenn ich sterbe, mußt du dieses Wort nach Fontamara bringen: Einigkeit. Du mußt es allen geben... Dem Raffaele Scar
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der Welt, im wahrsten Sinne des Wortes, dazu zu bewegen ist, dieses Experiment zu wiederholen. Die Scala in Mailand noch - gut; Covent Garden beffer; und die Metropolitan in Neuyork fönnten mich gewiß reizen," meint Dominico Caruso seinen Freunden gegen= über-" aber wenn ich dabei nur an das Schiff denke, wird mir schon wieder schlecht."
Wie wäre es, wenn man Signor Dominico Caruso einmal auf den Gedanken brächte, es mit dem Flugzeug zu versuchen. Die Luftkrankheit soll zwar nicht wesentlich angenehmer sein als die Seekrankheit, immerhin aber hätte Herr Caruso in diesem Fall die Gewähr, daß das Martyrium" von wesentlich fürzerer Dauer wäre.
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pone zuerst und dann den andern, dem Michele Zompa, dem Generale Baldissera, dem Pontius Pilatus , dem Antonio Ranocchio, allen: Einigkeit... Genug mit dem Streit zwischen den Cafoni. Es fehlt nur eine Sache: Einigkeit... Alles Uebrige wird von selbst kommen."
Das waren die letzten Worte, die ich aus Berardos Mund vernahm.
Am folgenden Morgen haben sie uns endgültig getrennt. Zwei Tage später wurde ich zum Kommissar gerufen, der ungewöhnlich nett zu mir war.
„ Berardo Viola hat sich heute nacht umgebracht." sagte er. „ Er hat sich aus Verzweiflung am Zellenfenster erhängt.
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Peter Frank, der unter Joseph II. Direktor des Auge meinen Krankenhauses in Wien und später Leibarzt des Kaisers Alexander I. von Rußland war, lag 1821 auf dem Sterbebett. Acht Aerzte umgaben es, sich beratend. Da lächelt Peter Frank noch einmal und sagte:„ Ich komme mir vor, wie der französische Grenadier, den ich nach der Schlacht von Wagram behandeln mußte und der nicht weniger als acht Kugeln im Leibe hatte.„ Sapristi," sagte der,„ acht sind also nötig, um einen alten Soldaten ins Jenseits zu befördern!""
Marfus Herz, der Gatte der ungemein geiftvollen Henriette Herz , war von 1774 bis 1803 einer der beliebtesten Aerzte Berlins . Ein Hypochonder quälte ihn, der immer besondere Vorschriften haben wollte. Herz trug ihm auf, zum Früh stück Schokolade statt Kaffee zu trinken, unbedingt müsse er aber vor der Schokolade und nach der Schokolade je ein
großes Glas Wasser trinken.
Eines Tages wird Herz aufs dringendste zu diesem Mann gerufen; er findet ihn außer sich, zitternd vor Aufregung. „ Was ist denn los?" fragte ihn Herz.
" Denken Sie doch," stammelte fast weinend der Mann, ,, ich habe vergessen, das Glas Wasser vor der Schokolade zu
trinfen."
Herz schüttelte nachdenkend das Haupt, dann verordnete er mit großer Entschiedenheit: Lassen Sie sich sofort eine Klistier mit kaltem Wasser machen, dann ist die Schokolade
so wie sie sein soll: in der Mitte."
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„ Ich brauche keinen Arzt," sagte einmal ein Mann 8 Markus Herz , ich habe ein medizinisches Buch, in dem steht alles drin, und wenn ich einmal frank bin, dann furiere
ich mich aus dem Buch."
So, so," meinte Herz, aber passen Sie gut auf, daß Sie
nicht eines Tages an einem Druckfehler sterben."
„ Ja, Herr."
„ Bestätigt er, daß der Tote zuletzt schweren Liebeskummer
hatte?"
" Ja, Herr."
,, Bestätigt er, daß der Tote mit ihm in der gleichen Zelle war und daß er seinen Schlaf dazu benutzte, sich am Fenster freuz zu erhängen?"
„ Ja, Herr."
Auch er ließ mich das Protokoll unterschreiben und hieß
mich gehen.
bes
Mittags wurde ich in Freiheit gesetzt, zum Bahnhof Das steht fest Da niemand dabei war, fehlt ein Zeugen- gleitet und mit einem direkten Fahrtausweis nach Fontamara
bericht... Ein Zeugenbericht ist unentbehrlich... Wenn du bereit bist. ein Protokoll zu unterschreiben, in dem bestätigt wird, daß Berardo Viola sich aufgehängt hat, bist du heute noch frei..."
Als ich hörte, daß Berardo Viola umgebracht worden war, begann ich zu weinen...
Der Kommissar schrieb den Zeugenbericht und ich unterschrieb ihn blindlings.
Dann wurde ich in das Büro des Polizeiobersten geführt. ,, War er der Freund des verstorbenen Berardo Viola ?", fragte er mich.
„ Ja, Herr."
verladen
Das Uebrige wird mein Vater erzählen.
Als mein Sohn in Fontamara antam. Hatten wir den größten Teil dessen, was er zu berichten hatte, schon n vom großen Unbekannten erfahren.
das
Mein Sohn kam gerade in dem Augenblick an, als wir um den„ Stein" und das andere Material versammelt waren, uns jener zur Herstellung der Cafoni- Beitung( der erſte Zeitung für Cafoni) gegeben hatte. Wir waren an die fünf zehn Mann. Der Stein" lag in einer Holzkassette, die unter dem Deckel eine weiße Tafel hatte- die sogenannte Litho
,, Bestätigt er, daß der Tote immer Selbstmordgedanken graphenplatte und eine kleine Schublade mit den Säuren
hatte?"
„ Ja, Herr."
,, Bestätigt er, daß der Tote zuletzt schweren Liebeskummer batte?"
" Ja, Herr."
,, Bestätigt er. daß der Tote mit ihm in der gleichen Zelle war und daß er seinen Schlaf dazu benutzte, sich am Fensterfreuz zu erhängen?"
„ Ja. Herr."
Er ließ mich das Protokoll unterschreiben und hieß mich gehen.
Dann wurde ich in den Justizpalast, in das Büro eines Richters, geführt
,, War er der Freund des verstorbenen Berardo Viola ?" fragte mich der Richter. „ Ja, Herr"
,, Bestätigt er, daß der Tote immer Selbstmordgedanken hatte?"
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und der Spezialtinte, womit auf der weißen Platte jedes beliebige mit der Hand geschriebene Blatt in beliebiger Anzahl
gedruckt werden konnte.
Wir hatten den„ Stein" auf den Tisch der Sorcanera gelegt
und diesen mitten auf die Straße gestellt. Wir standen um
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herum und diskutierten über die herzustellende Zeitung. Wir waren wie ich schon sagte- an die fünfzehn Personen. Da war der Held der Porta Pia , der die deutlichste Schrift hatte und das Blatt schreiben sollte, da war Generale Bal dissera der über Grammatik und Apostrophe Bescheid wußte da war Raffaele Scarpone, dem der große Unbekannte alle Technische erklärt hatte. Außerdem war da noch Antonio Bracciola, Pasquale Cipolla. Giro Gironda, Vincenzo Scorza, Giacinto Barletta. Giovanni Testone, Jacobo 20 surdo. Quintilianus, Gasparone . Venerdi Santo . Anacleto der Schneider. Alberto Saccone, Michele Zompa, dann noch ich und die Sorcanera.
( Fortsetzung folgt.)