Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschien Freifieit" Ereignisse und Geschichten

Grete Livius

Freitag, den 3. November 1933

Frau in der Emigration

Abends, wenn ich manchmal hier in Prag heimgehe fann man überhaupt von einem Pensionszimmer heim­gehen" sagen?- sehe ich in Gedanken meine kleine Woh­nung am Berliner Breitenbachplatz vor mir. Mit schmerz hafter Deutlichkeit vermag ich mir jede Einzelheit auszu­malen. Das weiße Schlafzimmer, den verschwenderisch­großen Balkon, der auf einen weiten, mit englisch geschnittenen Rasenflächen bedeckten Hof hinausging, das Wohnzimmer in sanftem Goldbraun, das elfenbeinerne Badezimmer, die lustige hellgrüne Küche, die viel zu verrückt war, als daß man darin wirklich hätte kochen können.... Ich sehe die langgestreckte Allee Südwest- Korso. Stehen dort nicht schnurgerade Bäume preußisch im Herbstlaub? Ich fahre mit der Hand über die Stirn. Törichte Vision. Es ist Letna, wo ich gehe. Und wenn ich meinen Blick zur Seite wende, so sehe ich die ersten abendlichen Lichter sich in der Moldau spiegeln. Und irgendwo im violetten Nebel ver­schwimmt der Hradschin...

Viele tausend Frauen sind seit in Deutschland die Republik starb- ihren Männern über die Grenze gefolgt. Die Nachbarländer haben sie aufgenommen. An erster Stelle Frankreich , dann die Tschechoslowakei , die Schweiz , Dester­reich, Dänemark , Holland . Für manche dieser vielen tausend Frauen bedeutet das: Um stellung! Umstellung in jeder Beziehung. In materieller und in geistiger. Vor allem aber in materieller... Es ist nicht unbekannt, daß heute Gat­tinnen einst angesehener deutscher Anwälte als Kellnerinnen in Schweizer Emigranten- Lokalen amtieren. Manche Frau Dr. Sowieso verdient sich ein paar Pfennige durch Nähen, Flicken. Ueberhaupt jener Typ von Frau, der immer Sinn fürs Praktische" hatte, dem Kochen, Wirtschaften und Rechnen auch dann, wenns gar nicht nötig war- so von Evas wegen im Blute lag er findet sich jetzt am besten mit seinem Schicksal ab.

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Die sogenannten tüchtigen" Hausfrauen bachten immer zuerst daran, sich so schnell wie möglich wieder ein Heim zu gründen, die eigene Wohnung aufzubauen. Sogar dann, wenn das materielle Fundament durchaus nicht mehr oder durchaus noch nicht vorhanden war. Mit bewunderungs­würdigem Unternehmungsgeist geht dieser Schlag von Weiblichkeit, dessen Primitivität zugleich seine unzerstörbare Stärke ist, daran, sich einzurichten". Wie das praktisch ge­macht wird? Es ist nicht so schwer, wie mancher vielleicht glaubt. Freunde finden sich, hilfsbereite Stellen, die eine billige Wohnung vermitteln helfen. Und die ersten, wichtig­sten Möbelstücke. Viele dieser Frauen wirtschaften heute in Prag und in Paris , in Amsterdam und Kopenhagen mit einem Etat, dessen Niedrigkeit nicht zu beschreiben ist. Und dennoch kommen sie durch. Irgendwie. Es sind tapfere Frauen. Sie stehen mit beiden Füßen fest auf dieser Erde und fühlen sich überall auf ihr Hausfrau".

Schwerer haben es die intellektuellen Frauen. Die geistig und fünstlerisch Schaffenden. Die sensibler sind, weil sie das schmerzliche Erlebnis der Entwurzelung, das Hinausgerissensein aus leidenschaftlich geliebter Tätigkeit

nicht mit jener Robustheit überwinden können wie die anderen. Für die Schriftstellerin, die Aerztin , die Malerin, die Anwältin bedeutet die Umstellung oft eine qualvolle Zeit. Für manche ist sie heute noch nicht beendet. Doch dann aber, nach vollzogener Ueberwindung, ist gerade die intellektuelle Frau diejenige, die am ehesten, infolge ihrer geistigen Be weglichkeit, sich neuen Menschen anschließt, sich einen neuen Freundeskreis schafft und so, auf dem Umweg über den international beheimateten Intellekt, sich selbst sowie das eigene schöpferische Erleben wiederfindet. Die Frage des Wohnens löst dieser Typ von Frauen in Pensionen und möblierten Zimmern. Daß sie auch hier sich ein Zuhause schaffen wollen, merke ich, wenn ich meine Bekannten auf­suche. Wie vertraut ist mir in jenem Zimmer der blau­grüne Japaner" im blühendsten Impressionisten- Stil. Wie vergnügt werde ich, wenn ich bei der anderen das aus vielen Jahren wohlbekannte Grammofon erblicke, dessen Klänge mir manchmal schon auf dem Korridor entgegenwehen. Intellektuelle Frauen kochen nicht gern. Doch sie haben aus ihrer Bohemezeit das Talent in die Emigration hinüber­gerettet, mit Hilfe von Eiern, Schinken, Tee nebst Toast­röster, Tomaten, Schnittlauch und Gurkenscheiben fantasie­volle und abwechslungsreiche Dejeuneurs" zu bereiten. " Gott ," sagte mir neulich eine frühere Aerztin, ich bin direkt noch mal jung geworden. Wie konsolidiert lebte ich zu Haus mit Praxis, Wohnung und Mann! Jezt haben wir nur ein Zimmer im fünften Stock, und so traurig es ist wenn ich dort hinaufpilgere, ist mir manchmal zumute wie damals, als ich eine kleine Studentin war und in Berlin eine win­zige Bude am Olivaer Plaz bewohnte."

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Diese Frauen fangen sich auch jetzt, in ihrem entbehrungs­reichen Leben, immer noch ein bißchen tägliches Glück. Schwerer haben es die Kinderreichen oder solche, die in den Kollektivwirtschaften der Flüchtlingsheime leben. Neulich

Aece, Sale, Salus. Aecea

Europa plätschert noch im Genfer Tümpel, mit leicht erregtem, zierlichem Geschrei. So fämpfen Knaben um den schönsten Wimpel... Doch eines Tages ist der Spaß vorbei.

Judes Herr Göbbels just vom Frieden flunkert, besorgt in Mottas gläubig Auge blickt- wird in Berlin das legte Del gebunkert und ein Geschwader in die Luft geschickt... " Ahoi!" Und Hitler winkt gelassen römisch zum Start Triumph der deutschen Wissenschaft. Denn endlich praktisch, technisch, biochemisch ( höchft akademisch!) ist das Ding" geschafft! Wer hätt's gedacht: zwei Jahre Friedenscredo schluckt die Geduld! Jegt- Dunnerschlag- Tumult! Als Gruß zuvor befiehlt er ein Torpedo vom ersten Stratosphärenkatapult.

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Das weiß den Weg zur wahren Welterlösung: hinmegradiert das welsche Mauscheldorf! Und mitten in die zwölfte Friedenslesung fällt das Geschoß- und alles ist amorph!... Mit einem Schuß enthauptet ganz Europa !... Doch unser Göbbels, nein, war nicht dabei, saß längst mit seinem Glan in der Mitropa . Doch durch Paris und London läuft ein Schrei: Auf, in die zeitgemäßen Katakomben- HD der Himmel furrt von Görings Fliegerpack! Sie preschen Giftgas! Gott , und was für Bomben! Frau Holle schmeißt Bazillen aus dem Sack... Nun ist's vorbei. Europa liegt verödet. Nur in Berlin thront noch ein Dschingis- Chan. Für die Minister, die indes verblödet, baut er in Genf den neuen Vatikan ...

saß ich mit einer solchen Frau zusammen, die mit ihren brei neue schwarze Listen

Kindern ihrem Mann hierher gefolgt ist. Sie haben vor­läufig fein Heim. Mann, Frau und Kinder, jeder wohnt woanders. Die Umschulung macht Schwierigkeiten, die fremde Sprache, die den Kindern nicht geläufig ist, schüchtert fie ein. Ihnen fehlen die einstigen Spielkameraden, die gewohnten Straßen und Plätze. Gewiß Kinder sind meistens anpassungsfähiger als Erwachsene. Doch eine Zeit­lang wird es dauern, bis auch sie sich an die neue Heimat gewöhnt haben. Bis dahin leiden sie unter den ungewohnten Verhältnissen. Die Mutter merft es, leidet mit ihren Kindern. Diese Frau sah müde und traurig aus, und meine Trostworte vermochten nicht, sie aufzuheitern. Sicher ist, daß ältere Menschen schwerer unter der Emigration und all ihren Begleiterscheinungen leiden als jüngere. Die Aelteren find skeptisch. Sie erwarten nichts mehr von der Zukunft.

Wenigstens nicht für sich. Die Jungen hingegen erwarten

alles. Und der Sinn ihrer Emigration, ihres Lebens über­haupt, heißt: für ein neues besseres Morgen tämpfen! Die Wahrheit".

Eine Dichterin und das dritte Reich"

,, Es ist mit Boykott zu rechnen"

Aus einem Brief vom 19. Oktober 1938 des Engelhorn Berlages ( Stuttgart ) an Hermynia zur Mühlen :

Das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel" ver­öffentlicht in seiner Nummer vom 10. Oftober, die uns jetzt erst vor Augen kommt, einen Artikel über literarische Emi grantenzeitschriften und erwähnt dabei auch die Neuen deutschen Blätter"( Monatszeitschrift für Literatur und Kritit, erscheinend im Faustverlag, Prag , Wien , Zürich , Paris , Amsterdam ). Unter den Mitarbeitern sind auch Sie genannt. In der Ankündigung des Blattes heißt es: Die Neuen deutschen Blätter" wollen der Weltöffentlichkeit den Nachweis dafür erbringen, daß die deutschen Schriftsteller von Rang fast ausnahmslos entschiedene Gegner des drit­ten Reiches" sind.

Selbstverständlich hat diese Mitteilung starte Empö rung ausgelöst, und die Gegenwirkung kann nicht aus­bleiben, denn Deutschland muß um der Wahrheit und auch um seiner Selbsterhaltung willen gegen derartiges unbe­dingt sich zur Wehr sehen. Der Buchhandel wird in dem be­treffenden Aufsatz aufgefordert, für die Bücher der Autoren, die an diesen ausgesprochen deutschfeindlichen Zeitschriften mitarbeiten, nicht zu arbeiten: ja an andrer Stelle wird eine solche Arbeit direkt als Landesverrat bezeichnet. Dies ist auch ganz logisch; bei dem Existenzkampf, in dem wir uns heute befinden, ist es vollkommen unmöglich, zuzu­laffen, daß die moralische Widerstandskraft von der geistigen Seite her durchlöchert wird. Das Volf hat aber kein andres Mittel, sich dagegen zu wehren, als eben das geschilderte Druckmittel.

Es ist daher unbedingt mit einem Boykott des Riesen­rades" zu rechnen, und es wird Ihnen auch nicht ge= lingen, einen Roman in deutschen Zeitungen unterzubrin­gen, wenn Sie nicht sofort eine Erklärung hinausgehen lassen, daß Sie ihre Mitarbeiterschaft an der Zeitschrift Neue deutsche Blätter" zurückziehen. Sie würden sich dabei nichts vergeben, sondern sich im Gegenteil in bester Gesell­schaft befinden: auch der Name von Thomas Mann , Alfred Döblin , Rene Schickele und Stefan 3 weig ist zum Beispiel von Klaus Mann in der von ihm herausgegebenen Sammlung" mißbraucht worden, und die sämtlichen vier Genannten haben sofort, als ihnen der politische Charakter der Zeitschrift deutlich wurde, in einer unumwundenen Erklärung ihre Mitarbeiterschaft wider­rufen und sich von der Zeitschrift distanziert. Diese Er­flärungen sind ebenfalls im Börsenblatt" abgedruckt wor­den, also authentisch.

Wir möchten Ihnen also anheim stellen, daß Ste sofort eine derartige Erklärung an die Schriftleitung des

Börsenblattes"( Börsenblatt für den deutschen Buch­handel", Leipzig C 1, Schließfach 274 75) oder aber an die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums( Ber­ lin N 54, Oranienburger Straße Nr. 79) abgehen lassen. Sie schädigen sich durch derartige Schritte wie diese Mit arbeiterschaft selbst, ebenso auch uns, vor allem aber das Reich.

Die Antwort

An Tit. J. Engelhorns Nachfolger, Verlag in Stuttgart Sehr geehrte Herren!

Zu meinem Bedauern komme ich erst heute dazu, Ihren Brief vom 19. d. M. zu beantworten, aber nicht etwa deshalb, weil ich mir betreffs meiner Antwort unschlüssig gewesen wäre, sondern weil mich eine schwere Erkrankung an einer sofortigen Beantwortung verhindert hat.

Da ich Ihre Ansicht, das Dritte Reich sei mit Deutschland und die Führer" des Dritten Reiches seien mit dem deutschen Volke identisch, nicht teile, kann ich es weder mit meiner Ueberzeugung noch mit meinem Reinlichkeitsgefühl vereinbaren, dem unwürdigen Beispiel der von Ihnen an­geführten vier Herren zu folgen, denen scheinbar mehr daran liegt, in den Zeitungen des Dritten Reiches , in dem sie nicht leben wollen, gedruckt und von den Buchhändlern des Dritten Reiches verkauft zu werden, als treu zu ihrer Vergangenheit und ihren Ueberzeugungen zu stehen. Ich ziehe dieser besten Gesellschaft" die Soli­darität jener vor, die im Dritten Reich um ihrer Ueberzeugung willen verfolgt, in Konzentrationslager gesperrt oder auf der Flucht" erschossen werden. Man kann Deutsch­ land und dem deutschen Volke keinen besseren Dienst er­weisen, als das Dritte Reich, dieses zur Wirklichkeit ge­wordene Greuelmärchen, zu bekämpfen, und daher kann dieser Kampf logischerweise von niemandem, der mit dem deutschen Volke und der deutschen Kultur wirklich verbunden ist, als deutschfeindlich bezeichnet werden. Was aber den Vorwurf des Landesverrates betrifft, wenn wir schon dieses

pathetische Wort gebrauchen wollen, so würde ich als Defter­reicherin, nach dem Verhalten des Dritten Reiches Dester­reich gegenüber, dann Landesverrat begehen, wenn ich mit meinen bescheidenen Kräften das Dritte Reich nicht be= kämpfen würde. Ich bitte Sie, diesen Brief an die Schrift­leitung des Börsenblattes" und an die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums weiterzuleiten. Hochachtungsvoll

Hermynia zur Mühlen.

Hans Mühlestein .

Auf der neuen schwarzen Liste für den deutschen Buchhandel befinden sich auch Werke von Heinrich Heine . Ferner ist die psychoanalytische und sexualwissenschaftliche Literatur ver boten, vor allem die Werke von Sigmund Freud und Mag nus Hirschfeld. Während die Werke, die auf der ersten, im Frühjahr herausgekommenen schwarzen Liste standen, zum Teil im Buchhandel unbeanstandet weiterverkauft wurden, soll die neue schwarze Liste für den Buchhandel bindend sein. Sie enthält auch sämtliche Werke von Egon Erwin Kisch , Lion Feuchtwanger , Kurt Tucholsky ; von Werfel ist nur " Barbara" freigegeben; Upton Sinclair und Traven stehen mit einer Anzahl ihrer Bücher auf dem Index.

Zeit- Notizen

Die Kunst stirbt

Das Theater am Nollendorfplatz ist zusammengebrochen. Das Berliner Komödienhaus mußte wegen vollkommenen Besucher mangels schließen. Die Große Berliner Kunstausstellung richtet einen Notappell an die Bevölkerung Berlins um Besucher. Der Eintrittspreis beträgt 10 Pfennig.

Karl Marx ,, arisch geschlagen"

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Im Börsenblatt für den deutschen Buchhander" wird Der Wille zur Kraft" von Walter Claassen- Zubiau folgendermaßen angezeigt: es ist ein arisches Gegenstück zu dem verlogenen jüdischen Wert Das Kapital " von Karl Marx und zugleich ein Groß­angriff gegen den Marxismus in allen seinen Schattierungen Es ist geradezu eine Höllenwanderung, die wir mit ihm antreten."

Der Kitsch blüht

Die Durchführung des Gesetzes zum Schuße der nationalen Syme bole," schreibt der Bölkische Beobachter", schreitet in der Praxis rustig voran... Zugelassen wurde zum Beispiel ein Hafentreuze National- Gesellschaftsspiel, ein sogenanntes Brettspiel, bei dem kleine Holzsteine auf die in Form eines Hakenkreuzes gestaltete Unterlage kommen. Auch Figuren, SA.- und SS. - Männer, nebst Beifiguren einschließlich einer Darstellung des Herrn Reichskanzlers als Obersten SA.- Führer wurden zugelassen."

Berufungen

Die hebräische Universität in Jerusalem hat Prof.. Torczyner( Berlin ) als Professor für hebräische Sprache, Prof. Julius Guttmann ( Berlin ) als Professor für Ge schichte der jüdischen Philosophie, Prof. Adolf Fräntel ( Stiel) als Professor für Mathematik berufen.

Pastoren sehen uns an:

O. Langmann( Deutsche Christenheit in der Seitenwende"): ,, Christentum und Nationalsozialismus haben sich wechselseitig au dienen." Heinrich Meyer( Wie stellst Du Dich, deutscher Christ") meint: Uns bestimmt das Bewußtsein, daß der Nationalsozialis mus zur Rettung uns geschenkt wurde". F. Tügel ( Unmögliche Existenz!"): Wir schulden dem totalen Staat das totale Wort Gettes."

Rust

Die deutsche Akademie der Dichtung hat Bernhard Rust zu feinem 50. Geburtstag eine Mappe überreicht, in der jedes einzelne Mitglied durch einen Spruch oder Vers dem Minister seine Glüc wünsche ausspricht.

Ein deutscher Professor

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Herr O. Westphal stellt in Vergangenheit und Gegenwart" ( S. 469-81) Hitler über Bismarck, denn sein Machtgedanke" habe scelisch nicht ausgereicht, um die uralten deutschen Entzweiungen aufzulösen".

Paris

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( Trinité)