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Mittwoch, den 8. November 1933
Liebesbrief an Rosalinde
Sei mir nicht böse, Rosalinde, daß ich Dir hier so in aller Oeffentlichkeit schreibe. Schuld daran ist Dein Brüderchen Baldur, das Dich so unbesonnen mitten ins Rampenlicht der Städtischen Oper gestellt hat. Da stehst Du nun und fingst, wie uns schon Geo London erzählt hat, mit den herrlichen 18 000 000 Stimmen Deiner Parteigerossen,( wie möchte ich Dir erst am 12. November lauschen, Rosalinde!) und bist überhaupt in jeder Hinsicht klassisch. Vor allem als Beispiel für die unbestreitbare Tatsache, daß Bonzentum und Sippenwirtschaft aus dem Deutschen Reich fortgejagt worden sind, wie Spreu vor dem Winde. Nein, heute führt der Weg zu den steilen Höhen deutscher Kunst nicht mehr durch das Schlafgemach irgend eines jüdischen Direktors, sondern, wie es sich gehört, durch die zuständige SA.- Kaserne. Aber, Rosalinde, da ist ein Punkt, der mich mit banger Sorge erfüllt: Ich habe da dieser Tage in einer Kritik von Welda ( im Hausblatt Eueres Gottfried Feder ) gelesen, daß Du zur Zeit eine„ darstellerisch sehr beachtliche Mona Lisa " spielst. Ganz abgesehen davon, daß ich für eine solche Kritik dem oder der dafür verantwortlichen Parteigenossen von meinem Brüderchen Ohrfeigen anbieten lassen würde, möchte ich Dich nur fragen, ob Du Dich auch wirklich genau über die raffische Zugehörigkeit der„ Mona Lisa " unterrichtet hast? Nordisch war sie bestimmt nicht, und wer weiß, wer weiß... Aber, auch diese heifle Frage ist nicht, was mich zutiefst erregt. Die Gesellschaft ist es, Rosalinde, in der Du da auf den Charlottenburger Brettern singst. Heißt es nicht wörtlich, ein paar Zeilen weiter, in Weldas Kritik:„ Die dreiviertel entkleidete Margret Pfahl war eine lebensechte Kurtisane?" Dreiviertel entkleidet! Und da spielst Du noch mit, mein Rosalind? Mich schauert.
"
Lassen wir das Theater, Rosalinde und sprechen wir von Dir. Du weißt, von allen Deinen Reizen, die ich nicht kenne, aber mir lebhaft vorstellen kann, hat es mir feiner stärker angetan, als Dein Name. Rosalinde und Baldur von Schirach ! Wie hell müssen Eure Erzeuger schon damals ins ,, dritte Reich" geschaut haben, als sie Euch, etliche Jahrzehnte vor Hitlers Ausbruch, mit solchen Namen versahen! Wie das alles zusammenpaßt. Euere Vornamen und das Schirach, das auch herumgedreht noch ganz( ch) arisch klingt und das Adelsprädikat, und Dein Bruder als Reichsjugendverführer und Du als Primadonna und Euer Better Sigurd sicher als SS.- Obergruppenführer und Euere Tante Kunigunde als Reichsführerin Deutscher Jungfrauen in vorgeschrittenem Alter, usw. usw.
Uebrigens, Rosalinde, da ich nun doh gerade an der Maschine size, und im allgemeinen so schrecklich schreibfaul
bin, wirst Du doch gleich ein paar Deiner liebreizenden Gespielinnen mit von mir grüßen, nicht wahr? Sage doch vor allem der Magda Göbbels , daß ich sie neulich auf einem ihrer Modeamt- Tee- Bilder bewundert habe, wo sie wirklich recht appetittlich aussah und ich würde ihr überhaupt so gerne mein Herz zu Füßen legen, wenn sie sich nur nicht durch die unsägliche Rassenschande mit dem kleinen Negerjungen aus unserer unserer deutschen Volksgemeinschaft ausgeschlossen hätte.
Sag mal stimmt das, daß sie der tapferen Elly Beinhorn neulich gedroht haben, sie würde bald fliegen, wenn sie das Fliegen nicht bald sein läßt? Die Leute erzählen hier immer so schreckliche Greuelmärchen.
Schließlich möchte ich Dich noch bitten, Rosalindelein, auch Lieschen Peck von mir zu grüßen, die sich aus irgendwelchen mysteriösen Gründen am Mikrofon und in der Presse produziert. Ich las fürzlich von ihr einen Brief aus Rom mit der stolzen Unterschrift Die drei Gesichte der ewigen Stadt". Pardon, Lieschen, Pardon. Gesichte mögt Ihr teutschen Jungfrauen wohl haben, wenn Ihr in schwülen Nächten an Eueren Führer denkt, aber die ewige Stadt hat bestenfalls drei Gesichter.
Da fällt mir noch gerade ein, Rosalinde, warum läßt eigentlich Euer Herzog nicht ab und zu den orientalischen Sflaven auspeitschen, der Euch allesamt in deutscher Sprache zu unterrichten scheint? Hunderte von Bogen teueren Briefpapiers müßte man verschreiben, um auch nur einen Bruchteil all der Fehler festzunageln, die Euch der Bursche täglich machen läßt!
So, Rosalindelein, jetzt wirst Du natürlich zu Deinem Baldur rennen und ihm vorheulen, in Paris da size so ein mieser Jude und der wolle Dir was. Weil ich das kenne, will
ich Dir lieber gleich im voraus die Berichtigung mitschiden.
Erstens kann ich mich schwer beherrschen Dir was zu wollen, und zweitens bin ich ein baumlanger Germane mit einem ganzen Museum voll prima( ch) arischer Ur- Ur- Ur- UrGroßmütter, weit über jene Zeit hinaus, als Adolf Hitlers Ahnen sich noch in Bukarest den rituellen Waschungen hingaben.
Wenn ich auf diesem wichtigen Punkt bestehe, so nur damit Dein Brüderlein Baldur auf Euerer nächsten Gastspielreise nach Paris unbesorgt an mich herantreten kann, um mich nach alter deutscher Sitte mal auf'n Augenblick auf die Toilette zu bitten".
Wo ich mich dann auch wirklich gerne mit ihm treffen werde.
Theater auf dem Sterbelager
Jotenklagen ohne Kommentar allsize2
1. Der Theaterdirektor klagt
Der Direktor des Komödienhauses am Schiffbauerdamm in Berlin , das mit seiner Aufführung von Forsters Robinson soll nicht sterben" eine ausgezeichnete Vorstellung herausgebracht hat, schrieb den Zeitungen einen Brief, in dem es heißt:
„ Die Erstaufführung von„ Robinson soll nicht sterben" am 22. September war ein ungeheurer Erfolg. Das Publikum war von Dichtung und Darstellung gleichermaßen bezaubert, es gab seiner Begeisterung in langandauernden Beifallskundgebungen Ausdruck, unzählige Male rief es Darsteller und Regisseur an die Rampe.
Die Presse am folgenden Tag war in ihrem vorbehaltlosen Lob der Aufführung von einer Einstimmigkeit, die selten ist. Nach menschlichem Ermessen wären, wenn nicht glänzende Einnahmen, so doch ein zumindest normaler Besuch der Aufführung zu erwarten gewesen. Aber das Gegenteil war der Fall. Wir waren flug genug, angesichts der Wirtschaftslage nicht mit einem Sturm auf die Kassen zu rechnen, aber daß wir vor so viel leeren Sigen spielen mußten, darüber dürfen wir uns mit Recht wundern.
Woran lag es? Daß die Aufführung Menschen hinzureißen vermochte, hatte sie bewiesen. Warum also fein Besuch? Ist das Stück zu sauber, zu rein, zu an ständig? Fast scheint es so, denn Stücke, die das nicht sind, haben augenblicklich in Berlin ihr Publikum.
Theater. Alle übrigen Bühnen spielen, bei zum Teil glänzender Besetzung, auf einem Niveau, das mit fünstlerischen Maßstäben nicht zu fassen ist. Sie haben das Publikum, sie haben die guten Kassen. Man muß die Gründe für diese Tatsache suchen... Vielleicht sind nicht immer die richtigen Werbemittel angewandt worden. Das gilt sowohl für die Theater, als auch für die Besucherorgani sation der Deutschen Bühne. Viele Direktionen sind zu lange unsicher gewesen, viele ließen nicht erkennen, ob sie Konjunktur- oder Ueberzeugungsspielpläne aufstellen würden, viele beteuerten zu sehr die Gleichschal
tung, statt einen Anreiz durch einen dramaturgisch ge
festigten Arbeitsplan zu bieten. Auf der andern Seite mag in manchen Werbefundgebungen der Deutschen Bühne nicht immer der richtige psychologische Ton gefunden worden sein; das Publikum fonnte zuweilen das Gefühl haben, als solle es zur Kunst kommandiert werden. Man hat vielleicht die „ Pflicht zur Kunst" zu stark betont und darüber die„ Freude an der Kunst" etwas in den Hintergrund gedrängt. Es ist aber eine alte Tatsache, daß ein Volk, das sich auf vielen Gebieten des öffentlichen Lebens als erziehungswillig und erziehungsfreudig erweist, sofort in Abwehrstellung geht, wenn ihm das kunstpädagogische Ele= ment der Theaterpolitit allzudeutlich zum Bewußtsein kommt."
Ein Privattheater ist ein Wirtschaftsbetrieb, der sich selbst 3. Selbst die Künstler.
erhalten muß. Es entspricht nicht den Grundsäßen der heutigen Wirtschaft, Geld in unrentabeln Betrieben zu ver
Der im Hugenbergschen Scherlverlag erscheinende„ Montag" wirft die Frage auf, wo eigentlich die größten
Wolken
( En Lehrgedicht)
- Von Georg Wilmann
Als eines Abends die Sonne untergegangen. War der weiße Mond nicht über den Wäffern gehangen. Ueber dem Meer hingen Wolken, did, schwer und breit, Dehnten sich hin über das Meer und die Einsamkeit.
Und wie das Meer gegen die Kaimaner rollte, Ferne und eintönig drohend der Donner grollte. Standen am Ufer zwei Emigranten und sprachen. Und die Wolken ballten sich hoch und zerbrachen,
Sagte der eine:" So, wie die Wolken zerfallen, Wird auch die braune Macht in Deutschland zerfallen. Alles verändert sich. Nichts ist von ewiger Dauer, Hitler zerbricht einmal, so wie das Meer an der Maner.
Einmal kommt seine Stunde. Dann ist es zu Ende, Mit seiner Macht. Dann kommt ganz von selber die Wende. Wolken kommen und gehen. Menschen kommen und gehen. Nichts ist von Dauer. Nichts bleibt ewig bestehen."
Sagte der andere:„ Leg in den Schoß nicht die Hände! Glaube doch nicht, daß das Grauen von selber sich wende! Konzentrationslager fann man nicht mit Wolken vergleichen; Dent an die Brüder in Deutschland ! Und denk an die Leichen! Wolken kommen und gehen. Räuber muß man verjagen. Mordende Bestien muß man wie Bestien erschlagen! Nie ist von selber die Macht der Tyrannen vergangen, Nie hat ein höheres Wesen" die Mörder gehangen!
Nicht ein Blick aus der Wolte wird Hitler erschlagen; Wir sind es, wir, die ihn einst zu Grabe tragen! Nie und nimmer wird er von selber vergehen! Aus dem gemarterten Volk werden die Rächer erstehen!
Wir müssen helfen, daß sich die Wolken dort ballen! Wir müssen fämpfen, damit die Tyrannen fallen! Weg mit den Wolfengedanken! Die Blicke nach vorne gerichtet!" Wir sind die Macht, die die Mörder für immer vernichtet!
Gedächtnismord
Mommsen und Hitler
Der gottgesandte„ Führer" der neuen Deutschen putzt, um sich dadurch auch im Geiste als Führer zu erweisen, seine Reden gern mit allerlei Zitaten heraus, obgleich seine literarische Bildung eigentlich bei Karl May beginnt und aufhört. So hat er in der offiziellen Parteitagskundgebung vom 1. September seine antisemitischen Erleuchtungen folgendermaßen eingeleitet:„ Wenn der große Geschichtsforscher Mommsen das Judentum im Völkerleben als Ferment der Dekomposition bezeichnet hat, so war diese Dekomposition schon sehr weit vorgeschritten." Wer diesen nicht nur muster haft schlecht gebauten Sazz liest, muß glauben, daß Mommsen der judenfresserische Großvater des„ dritten Reiches" sei. Ja Wahrheit hat er den nach 1870 in Deutschland aufblühenden Antisemitismus mit Mitteln bekämpft: als Gelehrter, indem er im fünften Bande seiner„ Römischen Geschichte" die bittere Tra gödie Judäas und den Juden ergriffen und ergreifend schilderte; und als liberaler Politiker, indem er den wüsten Treibereien der Marr, Dühring und Stöcker und einer Broschüre Treitschkes die eigene Broschüre:„ Auch ein Wort über unser Judentum"( 1881) scharf entgegensetzte. Aus ihr, aus seinen Briefen und Gesprächen wissen wir, daß Momm sen genau so wie Nietzsche , der andere zum Propheten des Hitlertums prostituierte große Deutsche, die Antisemiten nicht so sehr gehaßt wie ob ihrer Unwissenheit und Roheit aus tieffter Seele verachtet hat. Sein Andenken mit den Tendenzen des„ dritten Reiches" in irgendeinen Zusammenhang zu bringen, bedeutet also einen unsühnbaren Gedächtnismord.
Hans statt Horst
Der getarnte Nazifilm
Der Horst- Wessel - Film kommt wieder. Freilich getarnt! Halbamtlich wird berichtet:
Wir erfahren, daß der unter dem Titel„ Horst Wessel " beanstandet gewesene Bildstreifen nunmehr mit Genehmi gung des Herrn Reichsministers Dr. Göbbels unter dem Titel erscheinen wird: Hans Westmar, einer von vielen, ein deutsches Schicksal aus dem Jahre 1929; Manu skript nach dem Buche ,, Horst Wessel " von Hanns Heinz Ewers ."
Da hat sich das Geschäft, das dem Horst- Wessel - Film ganz groß zugrunde lag, zuletzt doch noch rentiert. Schade, daß wir feine Möglichkeit hatten, das Gespräch zwischen den Interessenten und Herrn Dr. Göbbels , das zur Wiedergenehmigung des Films geführt hat, zu belauschen! Sicherlich hat sich der nationalsozialistisch- kapitalistische Heroengeist selten so offenbart wie bei diesem Anlaß.
senden. Wir haben also nicht lange Zeit, darüber zu grübeln, Schauspieler Deutschlands geblieben find. Was man sich zuflüstect
marum eine fünstlerische, saubere Aufführung heute scheinLar niemand mehr sehen will. Wir müssen weiterspielen. Nun muß uns für die weitere Spielplangestaltung frete Hand gelassen werden, nicht zuletzt im Interesse der Schaupieler und Angestellten, deren Eristenz an den Bestand unserer Bühne geknüpft ist.
Hans Nachreiner.
hin...
2. Niemand geht mehr hin
K. H. Rüppel schreibt in der Kölnischen Zeitung ": „ Das ist nach kaum einmonatiger Spielzeit das Schicksal eines Berliner Theaters, das mit dem aufrichtigen Willen zur Kunst begonnen hat. Ebenso mußte das Theater am Rollendorfplaß, das mit nicht geringerem Ernst, mit aum geringerem Erfolg seine Arbeit aufgenommen hatte, eine Vorstellungen unterbrechen, weil das Publikum us blieb. Es bleiben somit in Berlin außer den Staatsbühnen, deren Besuch aber auch zu wünschen übrig läßt, nur das Theater in der Stresemannstraße und die jetzt gegen jede Krise gefestigte Volksbühne als künstlerisch vollwertige
Bassermann gastiere in der Schweiz , in Holland , Skandi navien und feiere Triumpfe, nur in Berlin nicht. Wo sind, fragt das Blatt. Rudolf Forster , Lucie Höflich , Hans Albers , Jakob Tiedtke , Mady Christians , Else Eckersberg , Carola Neher ? Agnes Straub ziehe seit Monaten durch die Provinz. Selbst Werner Kraus, der stellvertretende Vorsitzende der nationalsozialistischen Deutschen Theaterkammer, gastiert in London . Sie alle sind auf Berliner Bühnen nicht mehr zu sehen.
Die 50 Millionen hatten doch alle Mittel der Macht, und die eine Million teine. Was brauchten die 50 Millionen da erst nach Wegen zu suchen, sie erstickten ja fast im Ueberfluß der Machtmittel.
Ja, sagte ich, und das Blut drang mir zum Herzen, sie hatten wohl alle Mittel, aber es fehlte ihnen das Mittel, das einzige Mittel, die Welt für sich zu erobern: Das flcine winzige Lichtfünfchen, das die Macht über alles Elend bedeutet, das Fünkchen, das im Gehirn aufleuchtet: die Erkenntnis.
Auf der Insel der Unsterblichen ist eine lebhafte Debatte über den Reichstagsbrand im Gange. Alles drängt sich um den temperamentvollen G. 2. Lessing, der eben mit dent trockenen Grillparzer Patiencen gelegt hat. Lessing denkt eine Weile nach und beginnt zu improvisieren:
Ein Reichstagshaus geriet in Brand. Schnell sprangen, ihn zu schüren, zwei Dußend SA. in die Türen. Sie waren bei der Hand.