Die deutschen   Zuchthauswahlen

Deutsche   Arbeiterbriefe

Ich muß Dir unbedingt schreiben, damit Du wenigstens weißt, wie es möglich war, daß ein derartiges Wahlergebnis zum Vorschein fam. Ich will beim Freitag anfangen. Freitag mittag um 12 Uhr trat die große Arbeitsruhe ein. Morgens um 4 Uhr mußten die Bergleute anfahren, um mittags die Rede des Führers hören zu können; keiner durfte vorher den Betrieb verlassen. Sämtliche Hausbefizer und Inhaber von Siedlungsbauten mußten flaggen.

Am Samstag nachmittag 3 Uhr mußte alles, aber auch alles, zur Demonstration am Rathausplatz erscheinen. Davon wurden weder Schüßen noch Ziegenzuchtvereine verschont. Sonntag: In aller Frühe marschierte die Hitlerjugend mit Fahnen und Musik durch die Straßen, und wer die Fahnen der dummen Jungen, ob alt oder jung, nicht grüßte, der wurde an Ort und Stelle gleichgeschaltet", nämlich ver­prügelt. Ja, mein Lieber, hier in Deutschland   herrscht jetzt Ordnung": Dieses Deutschland   ist jetzt ein großes Zuchthaus. Ab 9 Uhr fuhren Lastautos durch die Stadt; die Wagen waren mit SA. besetzt. Fortgesetzt ertönte der Ruf: " Jeder stimmt mit Ja". Bernünftig denkende Menschen glaubten in einem Irrenhaus zu sein. Wo man ging und wo man stand, überall sah man das" Ja", wenn es einem nicht entgegen geschrien wurde. Kein Winkel wurde verschont. Eine berartige Wahlpropaganda haben wir in Deutschland   noch niemals gesehen. Das Volk wurde buchstäblich verrückt ge­

macht.

Sämtliche Besizer von Privatautos wurden gezwungen, thre Wagen der NSDAP  . für den Schlepperdienst zur Ver­

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Wir wissen genau, daß alle 13 mit Nein gestimmt haben und doch wurden nur 3 verlesen und registriert. In allen übrigen Bezirken sind die gleichen Feststellungen gemacht worden, weshalb uns nun klar geworden ist, daß tausende einstimmen als Jastimmen verlesen wurden. Ueber den Terror habe ich Dir schon berichtet. Nun will ich Dir noch furz über die Planmäßigkeit des Vorgehens berichten. In einem besonderen Aufruf wurden alle Anhänger aufgefor= dert, gleich morgens zu wählen. Es erschienen also beim Be­ginn der Wahl in allen Wahllofalen 10 bis 12 junge Nazi­wähler und verlangten energisch die Entfer= nung der Kulissen mit den Worten, ein deut­scher Wähler wählt offen.

Dieser Wunsch wurde sofort gerne erfüllt und so kam es, daß die Kulissen irgendwo unter großen Schwierigkeiten zu finden waren. Sie wurden durch eine Reihe Schulbänke ab­gesperrt, und wer sie unbedingt erreichen wollte, mußte über die Bänke klettern. So war es wenigstens in den meisten Lokalen. In jedem Wahllofal waren 10 Mann in Uniform. Drei Mann mußten dauernd die Leute beobachten. An der Tür stand von jeder Straße ein Mann, der die Wähler fannte, in Uniform. Bei uns war es der R...., der ja längst als Aufpasser und Denun­giant bekannt ist und der alle Marristen gut kennt. Sobald ein ihm als Marrist bekannter fam, ging er mit ihm zur Bank und schaute, was er wählte.

Am Nachmittag ging es dann sehr schnell mit dem Wählen. In der Meinung, daß die Marristen hauptsächlich mittags tommen, hatten sie sich entsprechend vorbereitet. Die Stimmzettel waren schon ausgefüllt in den Ruverten und nur noch abzugeben.

er mit Nein gestimmt hatte. Dafür wurde er abends aus der Wohnung geschleppt und obwohl er es als unwahr be­zeichnete, dermaßen verprügelt, daß an seinem Aufkommen

gezweifelt wird. Leute, die ihn aufheben wollten, wurden mit den Worten fortgejagt, laßt doch den Rathenaufreund und Franzosenfreund verrecken.

Bei einem im Sterbebett liegenden Partei= genossen S. erschienen kurz vor Wahlschluß fech 3 SA.- Männer und wollten ihn gewalt= sum zur Urne schleifen. Nur auf das dringende Bits ten seiner Frau ließen sie davon ab, nahmen aber seine Starte mit, um die Stimme selbst abzugeben.

Besonders zu beachten ist das Resultat in Winningen  und Rodalben  . Scheinbar waren dort die Wahlleiter noch ehrlich oder übten sie den Terror nicht so aus wie in der Stadt, weil dort früher keine Marristen waren. Die Stimmung über die Wahl ist sehr schlecht. Ich habe festgestellt, daß die Leute gar nicht die Zeitungen beachten, obwohl sie in großer Aufmachung den Sieg feiern. Sie haben ia selbst alle den Schwindel mit angesehen und find ent­täuscht. Da unsere Leute schon auf jedes Verbrechen und jeden Betrug von dieser Seite gefaßt sind, wundert man sich nur über die Enttäuschung der Naiven. Zwei Schußhäftlinge lehnten die Beteiligung an der Wahl ab, während alle an­deren Gefängnisinsassen, die als Schußhäftlinge gewählt haben. entlassen wurden. Den beiden wurde Dachan angedroht. Was ich hier schreibe, ist die volle Wahrheit und Du fannst jeden Gebrauch davon machen.

unb wurde LA CIGOGNE

Ein Mann von 60 Jahren wehrte ich dagegen und wurde deshalb von den Beisitzern hinausgeworfen und halb tot ge­prügelt. Ich habe den Vorgang jelbst mit angesehen und muß sagen, daß es zum gemeinsten gehört, was ich auf diesem Gebiet schon ansehen mußte. Aber es war nicht der einzige Fall. Ich hörte heute, daß es überall ähnlich zuging. Beson ders schlecht erging es dem Dir sehr gut bekannten 2., der früher den Demokraten angehörte. Es wurde festgestellt, daß

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fügung zu stellen. Daß die Wahlbeteiligung so stark war, das kann man unter diesen Umständen verstehen. Es war praktisch keine Wahl, es war direkt 3wang. Beute, die in einer auswärtigen Krantenanstalt waren, wur­den nach hier zur Wahl geholt. Wer bis 8 Uhr nicht gewählt hatte, den holte die SA. Du kannst Dir ja wohl vorstellen, daß unter solchen Umständen die Leute alle zur Wahl gingen. Im Wahllotal jah man nichts anderes als braune Uniformen. Ob Wahlvorsteher oder unsern Betitßer, alles ging nur in uniform. Bon unjern auch nur Betfiber stellt gewesen. Ging man in die Wahlselle, so machte ein SA.- Mann den Vorhang auf und zu. Du kannst Dir wohl vorstellen, daß da viele aus Angst nicht wußten, was sie an freuzten. Ja, es ist sogar vorgekommen, daß bei dem starken Andrang die SA.- Leute den Wählern den Stimmzettel aus der Hand nahmen und die Kreuze selbst hinmalten.

Leuten ist einer als Vorder be=

Nach dem Wahlakt bekam jeder eine Blechmarke, die er anstecken mußte zwecks Kontrolle. Wer diese Marke nicht am Rock hatte, der wurde in der Stadt von der SA. angehalten. Die Marke foftete 5 Pfg. Erwerbslose bekamen ste umsonst. Daß es beim Auszählen der Stimmen auf ein paar Tausend nicht ankam, das beweist das Wahlergebnis in Wanne Eickel  . Diese Stadt hat 94 000 Einwohner, Ja­Stimmen sollen 86 000 abgegeben sein. Hier ist der Wahl zugelassen, die weder in der Wähler­liste standen noch einen Wahlschein hatten. Troß allem Terror, der verübt worden ist, ist es unmöglich, daß diese Zahlen stimmen. Die Zählung der Stimmen ist nicht direkt erfolgt. Es kann sein, wie es will, zur Hälfte find die Stimmen gestohlen.

Zwei Beispiele aus Hitler- Deutschland

In Nr. 266 des gleichgeschalteten Mainzer An zeiger" vom Donnerstag, dem 16. November 1933, sind fol­gende Mitteilungen enthalten:

1. Auf Seite 10 unter der Rubrik: kleine Mitteilungen aus Starkenburg" eine Nachricht aus Bensheim   an der Bergstraße  :

sw. Bensheim  . Weil sie am Sonntag nicht gewählt haben, demonstrierte eine Menschenmenge vor den Wohnungen des früheren Krankenkassengeschäftss führers Franz Fertig und des Arbeiters Ettling  , so daß beibe in Schußhaft genommen werden mußten. 2. Auf Seite 11 ein Bericht aus Hanau   am Main   mit folgendem Wortlaut:

p.sanan, 15. Nov. Heute wurde hier eine Markt. fran ans Wachenbuchen, die am Sonntag troß zwei­maliger Aufforderung nicht gewählt hatte, gebührend ges kennzeichnet. Es wurde ihr eröffnet, daß fie zum Verkauf auf dem Marktplatz in Hanan nicht mehr angelaffen werde. Außerdem wurde ihr ein Schild vor den Stand gesetzt, daß sie später über den Markiplaz und durch die Straßen der Stadt trug. Von der Bevölkerung fielen zahlreiche Zurufe der Verachtung. Das Schild hatte fol: genden Wortlaut: Mina Müller, Wachenbuchen, ich habe nicht gewählt, weil mich die Ehre und der Frieden Deutschlands   nicht interessieren."

Schwindel offenbar. Es wurden Leute aur Wahl oder Kerker

In Dortmund   ist übrigens am Sonntag einer Auf der Flucht erschossen" worden.

Es gibt noch Helden"

( Inpreß.) Aber es gibt noch massenhaft Helden", schreibt die Berner Tagwacht" und berichtet folgende Einzelheiten aus Berlin   über Bemerkungen, die von Wählern auf ihre Wahlzettel geschrieben worden sind: Allein, was so im Vertrauen hierüber gehört wird, gäbe ein dickes Buch.: Nur einige Beispiele, die in verschiedenen Varianten auf den ungültig erklärten Stimmzetteln zu finden waren: Hitler Boltsbetrüger; Hitler, wo sind deine Versprechungen?; Nieder mit Hitler  ; Brandstifter Göring"; dann massenhaft Anmerkungen wie: Gebt Torgler, Dimitroff   und Genossen heraus: Hoch Dimitroff  "; alles in allem tam hier ein furchtbarer Haß gegen das braune Mordregime zum Aus­brud."

Wahlfälschung erwiesen

Aus einem Ort an der Nahe ist ein Arbeiter als Flücht ling in Saarbrücken   eingetroffen. In dem Ort haben 10 Leute mit Nein" gestimmt. Noch am Wahlabend machte man Jagd auf diefe 10. Neun davon wurden festgenommen. Der Zehnte fonnte sich ins Saargebiet retten.

Vorbildlich!

Aus Düsseldorf   wird uns geschrieben:

Besonders erhebend war hier das Wahlresultat auf der Ulmer Höhe". Die Gefängnisinfaffen haben einmütig ihr " Ja" in die Urne gelegt alle 76. Keine Stimme war un­gültia. Gott   sei Dant ist das übriae deute Volk mit 95pro­zentiger Einigkeit nicht weit hinter der vorbildlichen Gesin­nung dieser Sträflinge zurückgeblieben.

Die Frau eines Bekannten wollte mit Nein stimmen. Da aber in der Nähe ihrer Wahlnische aufällig" ein SA.- Mann stand, dämmerte ihr in lester Minute die richtige Erkennt nis, und sie wählte deutsch  .

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Erbhof für Wahlterror

Die Times" meldet aus München  :

Aus einer pfälzischen Stadt wird uns von durchaus Naziführer, der neulich erklärte, daß die Regierung auf­Buverlässiger Seite geschrieben:

Du wirst wohl erstaunt sein, wenn Du unser Wahlresultat schon erfahren hast. Sollte dies nicht der Fall sein, dann will ich Dich hiermit informieren. Angeblich sollen 806 für Ja und 3 für Nein gestimmt haben. Daran glaubt hier deshalb fein Marrist, weil jeder den Schwindel aus eigener Erfah­rung fennt. Die 3 Stimmen in unserem Bezirk sind zum Beispiel deshalb ganz unmöglich, weil wir schon ganz früh 13 ausammen bestimmt mit Rein wählten. Wir fonnten sogar noch hinter die Kulissen gehen, obwohl auch da schon die Gefahr sehr groß war. Bis jetzt ist uns noch nichts passiert, wenn es nicht noch kommt.

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Herr Luber, Mitglied der bayerischen   Regierung und spüren und strafen würde, wer eine ungültige Stimme bei den Wahlen abgeben werde" hat von der Regierung einen Erbhof in Hirschwang  ( Südbayern) geschenkt erhalten!-

Entlassung von Nichtwählern

Emdener SA. rebelliert weiter

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Der Polizeipräsident von Altona  , Paul Hinkler  , ist als Staatskommissar nach Emden   entfandt worden, nachdem Emdener SA.  - Leute bekanntlich vor kurzem den national­sozialistischen Bürgermeister gewaltsam abzusetzen versuchten. Aus dieser Maßnahme der Behörden kann mit Sicherheit geschlossen werden, daß die Unruhen in Emden   anhalten und daß sie gegenüber der Deffentlichkeit verschwiegen werden. Konzentrationslager für Frauen

In Mohringen bei Hildesheim   ist das erste deutsche   Kon­aentrationslager für Frauen errichtet worden. Aus dem überfüllten Frauengefängnis in der Barnimstraße, Berlin  , ging ein größerer Transport kommunistischer und sozial­demokratischer Frauen nach Mohringen ab.

Teure Wahrheit

( Inpreß.) Ein 19fähriges Mädchen aus Emmerich   wurde zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie einen Brief an einen Freund in Holland   geschrieben hatte, der an der Grenze geöffnet wurde und nach Auffassung des Gerichts Greuel­meldungen" enthielt.

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Unter welch beispiellosem Terror bie, beutschen Wahlen" sich abgespielt haben, beweist zu allem anderen naträglich noch die Tatsache, daß gegen die, die nicht wählten", härteste Vergeltungsmaßnahmen getroffen werden. Die Thyssen­Vergeltungsmaßnahmen getroffen werden. Die buffen Treuhand- u. Verwaltungs­werke in Mülheim  ( Ruhr) haben alle Arbeiter, von denen die Nichtbeteiligung festgestellt worden ist, fristlos entlaffen,

Emigranten willkommen. Angeschlossen für Lebensstellung. Off. an die Expedit, unter T. K.

Publikation verboten

( Inpreß.) In einem Rundschreiben an die Mitglieder des Stahlhelms wird befohlen daß Informationen über die Organisation des Stahlhelms in keinem Falle an die Presse gegeben werden dürfen Selbst in der Stahlhelm- Bundes­preffe dürften Anspielungen irgendwelcher Art, die sich mit ber technischen Ausrüstung des Stahlhelms befaffen, nicht gebracht und Fragen, die als Verlegung des Versailler Ver­trages gedeutet werden könnten, nicht erörtert werden.

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