Schlechter kann es nicht werden

Die Hamburger Handelskammer erließ eine Rundgebung zur Einführung der 40- Stundenwoche, die bei der Arbeit nehmerschaft lebhafteste Beunruhigung" hervorrtef, wie die " Deutsche Volkswirtschaft", in diesem Falle ein verläßlicher Berichterstatter, ausführlich meldet. Die Bewegung inner­halb der Arbeiterschaft gegen die Handelskammer Hamburg veranstaltete, auf der Reichsstatthalter" Kaufmann und regierender Bürgermeister Krogmann sprachen. Kaufmanns Rede ist interessanter. Er sagte: Die Kundgebung der Hamburger Handelskammer zur Einführung der 40­Stundenwoche hat große Verwirrung hervorgerufen, fie ist aber nicht wörtlich zu nehmen, sondern individuell auszu­legen. Jeder muß dafür sorgen, daß für Volksgenossen Ar­beit geschaffen wird. Diese Aufgabe liegt nicht nur bei den Arbeitnehmern, sondern auch bei den Arbeitgebern selbst. Es ist falsch, heute Reserven anzusammeln für schlechte Zeiten. Schlechter als heute tann und darf es nicht werden. Jeder muß das Letzte hergeben und dazu gehört die Einstellung von Arbeitskräften im Rahmen der Möglichkeit, auch wenn es seine letzten Reserven kostet." Der Bericht der Deutschen Bolkswirtschaft" verweist nach Krog manns Rede auf eine Aeußerung des hessischen Treuhänders der Arbeit" in einer Ausschußsizung des Deutschen Indu­strie- und Handelstages, daß eine weitere Senkung des Lohn­niveaus unter feinen Umständen möglich sei, auch nicht mit

Rückgang des Fremdenverkehrs und dem alten Mann vorwarf, er babe' versucht, die halb­

Laut dem Bericht des Statistischen Reichsamts ist der Ausländerbesuch im Sommerhalbjahr durchweg gesunken. In allen 122 Berichtsorten zusammen waren 487 000( i. 23. 616 000) ausländische Gäste gemeldet. Dieser Ab­nahme- um 20,9 Prozent entspricht fast genau die Ver­ringerung der Uebernachtungsziffer um 21,4 Prozent. In allen Gruppen der Berichtsorte war die Entwicklung ziemlich einheitlich. Nur die Seebäder sind etwas stärker als die anderen Gruppen betroffen worden. In den typischen Fremdenverkehrsorten" ist abweichend von den übrigen Gruppen eine Erhöhung der Aufenthaltsdauer auch der auß­ländischen Gäste festzustellen; die Fremdenmeldungen waren um 22,3 Prozent, die Uebernachtungen aber nur um 5,1 Prozent verringert.( Diese Gruppe weist jedoch nach wie vor die fürzeste Aufenthaltsdauer auf.) Von den ausländischen Besuchern Deutschlands stellten die Niederlande wie bisher das größte Kontingent( 19,9 Prozent). Die Vereinigten Staaten blieben trop Rückgangs an zweiter Stelle. Stark zurückgegangen ist Oesterreich ; sein Anteil sant auf 5,8 Prozent( 9,1 Prozent; die Gründe liegen auf der Hand. Nicht erheblich gesunken ist der Anteil der Tschechoslowakei , nämlich auf 7,1( 7,4) Prozent. Die ikandinavischen Länder sind von der 8. auf die 6. Stelle gerückt, indem sie 7,4( 5,7) Prozent der Gäste stellten.

Rücksicht auf den Export. Eine Lohnsteigerung im Innern Nähmaschinenmarkt

würde so positive Wirkungen für den Innenmarkt haben, daß Exportverluste ausgeglichen würden. In der Kurzarbeit sieht Dr. Lüer eine Schmälerung der Kaufkraft. In der gleichen Nummer, in der sich diese Eingeständnisse der kata­strophalen Wirtschaftslage finden, beschimpft ein Nazi- Volks­wirtschaftler alle, die der deutschen Wirtschaftsstatistik miß­trauen. Nichts an diesen Leuten ist so bewundernswert wie ihre Frechheit.

In der HB. der Nähmaschinenfabrik Adolf noch AG, Saalfeld , gab die Verwaltung einen Ueber­blick über die Lage des Nähmaschinenmartts. Der Kampf um den Inlandabsaß habe sich noch verschärft, obwohl der deutsche Bedarf nur noch auf etwa 110- bis 120 000 Nähmaschinen jährlich geschäzt werden könne. Die Leistungs­fähigkeit der 15 größeren Nähmaschinenfabriken Deutschlands betrage aber 1,5 bis 1,7 Mill. Stück, so daß die Ausnutzung tatsächlich sehr gering sei. Die Schleuder wirtschaft im der letzten Zeit sei es gelungen, das Auslandsgeschäft wieder etwas zu beleben, und zwar mit Hilfe des Scrips- Ver­fahrens. Das Inlandgeschäft weise erst in allerletter Zeit eine leichte Belebung auf, die durch die Ehestands­darlehen hervorgeruefn worden ist.

Schwankende Kohlenerzeugung usfuhrgeschäft babe fich gleichfalls fortgefekt. Erſt in

In den hauptsächlichsten deutschen Steinkohlen Gewinnungsgebieten( Ruhr, Aachen , Westober­schlesien, Niederschlesien und Freistaat Sachsen ) betrug im Oktober September Oktober 1983 1932

die Kohlenförderung insgesamt

arbeitstäglich

die Kokserzeugung.

die Brikettherstellung

In

1933 £ 0.

20.

9 665 322

9 240 267

872 148

355 394

1720 095

1 646 956

847 548

Mitteldeutschland und

wurden gewonnen im

Rohbraunkohlen

insgesamt

arbeitstäglich.

Braunkohlenbriketts

insgesamt.. arbeitstäglich

314 776

To.

9 360 466 360 418 1 626 958 368 400

im Rheinland

September Oktober 1933 1932 To. To.

Oktober 1933 To.

10 577 136 406 813

20 525 359 404 821

2 413 917 92 843

2 666 009 102 539

10 728 786 412 453

2 559 390 98 438

Die Rohbraunfohlenförderung hielt sich im Of­tober auf der Höhe des Vormonats. Die Brifetterzeu gung weist einen Rückschlag um 9,5 Prozent auf.

Der Eisenerzbergbau im Siegerland sowie an Lahn , Dill und in Oberhessen zeigte eine kleine Belebung.

Der deutsche ,, Aufschwung"

Die nazische Deutsche Volkswirtschaft"( Nr. 15) polemi siert gegen die Emigrantenpresse", die an der deutschen Statistif zu zweifeln wagt. Das Blatt erwidert allen Zweif­lern: Es wäre in der Tat müßig, solche Anwürse wider­legen zu wollen, denn in die Ausarbeitung unserer amtlichen und nichtamtlichen Statistiken kann jeder auf Wunsch Ein­blick erhalten. Wir halten es aus diesem Grunde für ange­bracht, einmal auf sachliche, wenn auch offensichtlich hinter­hältige Einwände einzugehen. Das Arbeitseinfommen der Arbeiter, Angestellten und Beamten, das im Vergleich zum Verjahre während des zweiten Quartals feine Zunahme aut: cs, betrug im dritten Vierteljahr rund 6,8 Milliarden Mart und stellte sich damit um 4 Prozent höher als 1932. Der böswillige Beobachter mag hieraus schließen, daß bei einer so geringen Zunahme doch unmöglich Milionen Arbeits­loser ein neues Einkommen gefunden haben können. Wir aber wissen, daß Hunderttausende Arbeits­dienstwilliger hier nicht einbezogen sind, die zumeist ein lohnsteuerpflichtiges Einkom men nicht beziehen und daß andererseits in den mitt­leren und höheren Einkommensgruppen starke Gehalts­herabsetzungen vorgenommen worden sind. Das sind also Dinge, die in der Lohnsteuerstatistik die Arbeitseingliederung der vielen Erwerbslosen nicht erkennen lassen. Da die Steuergrenze bei 100 Mart liegt, so tritt naturgemäß die breite Masse kleiner Ein tommen hier taum in Erscheinung. Tatsächlich aber dürfte das Einkommen der Industriearbeiter z. 3. um 15-20 Prozent höher liegen als im Vorjahr."

Das ist ein Eingeständnis der tatsächlichen schlechten Wirt­schaftslage. Daran hindert der neue statistische Roman, den die deutsche Volkswirtschaft" diesem Bekenntnis folgen läßt, nichts. Allmählich werden die Nazi- Boltswirtschaftler fleinlauter und allmählich werden sie auch erkennen, daß die schönsten Zahlen nichts helfen, wenn sie falsch sind. Nur Sel

Roßbollen" reffen das Reh!

Der Bölkische Beobachter" vom 18. November 1933 bringt einen Brief, den dreizehn Jungen im Alter von neun bis elf Jahren an Hitler geschrieben hatten. Sturz erzählt: Drei­zehn Jungen sammeln Asphaltrosen" und verkaufen sie an ihre Eltern Verwandte und Bekannte. Für einen Eimer voll erzielten sie 10 Pfennige. Sie erarbeiteten zusammen 25 Reichsmart und schrieben einen Schreibebrief an den lieben Steichskanzler und übergaben ihm das Geld für die Winter­hilfe Nun haben wir auch etwas für das dritte Reich" getan." Dieser Brief ist so recht etwas für das Propaganda­Ministerium! Rampf gegen Hunger und Kälte!( Neueste Errungenschaft, diefen Geißeln mit Roßäpfel zu Leibe zu rücken.). Vorbildliche Opferbereitschaft von dreizehn Heil­ bronner Hitlerjungen!" daß sind die Schlagzeilen, die den Brief im Völkischen Beobachter begleiten. Aber was man noch aus diesem Brief erfährt: Der Stab Oberster Führer: 9 Jahre alt, Stellvertretender Führer: 9 Jahre alt, Ober­gruppen- Führer: 9 Jahre alt, Gruppenführer Gruppe 1: 10 Jahre alt usw. Zu erwähnen wäre noch: Ehrenmitglied Erbonanz: 9( neun) Jahre alt!

Soffen mir. daß den dreizehn Hitlerjungen neben dem an fich 186 hem Rokbollen" sammeln und ihrem munteren Soldaten piel auch noch Zeit bleibt sich für einen gewiß nicht leichten Rampf im Leben um das tägliche Brot vorzube­reiten. R. 3.

Die Warenhausfrage

Dem Deutschen Volkswirt"( Nr. 6) machen die deutschen Warenhäuser große Sorgen. Er muß feststellen, daß sich die Warenhausumfäße seit des Olafs Machtübernahme ständig verringern; denn, sagt das Blatt des Inflations- Schacht: Es besteht aber fein Zweifel, daß die bis vor kurzem mit großer Intensität betriebene Propaganda gegen die Waren­häuser auch heute noch in den breiten Massen fortwirft; ganz abgesehen davon, daß von untergeordneten Instanzen diese Propaganda auch heute noch betrieben wird." Dieser Fest stellung folgt nun die Konsequenz: Das Ziel, die Waren­hausfrage ohne Verlust volkswirtschaftlicher Werte allmäh­lich zu liquidieren, kann nur dann erreicht werden, wenn ein verlustfreies Arbeiten der bestehenden Einrichtungen er möglicht wird. Das hat aber bei dem relativ hohen Anteil der fixen Kosten des Warenhausbetriebes zur Voraus­setzung, daß ein gewisser Mindestumfaß nicht unterschritten wird." Goldene Worte wirtschaftlicher Weisheit! Fragt sich nur, wozu hat man die Agitation gegen die Warenhäuser eigentlich begonnen?

..Den Juden geschicht nichts!" Der jüdische Hauswirt

Man schreibt uns:

Immer wieder wird in den offiziellen Erklärungen der Hitlerregierung und ihrer Vertreter die Lüge verbreitet, daß die Juden in Deutschland nur von den amtlichen Stellen und zumeist aus den geistigen Berufen verdrängt sind, sonst aber unbehelligt bleiben. Ein charakteristisches Beispiel für solches ruhiges Leben hat sich jüngst in einer kleinen westfälischen Stadt abgespielt. Dort lebt ein jüdischer Kaufmann, der gleichzeitig Eigentümer des Hauses ist, in dem das Geschäft mit Textilwaren sich befand, das er viele Jahre dort führte. Ala Nachwirkung des Judenboykotts getraute fich seine frühere Kundschaft nicht mehr zu ihm, so daß er gezwungen war, das Geschäft um ein Butterbrot" zu verkaufen. Es blieb ihm zum Leben die Einnahme aus der Miete für das fleine Geschäft und eine Wohnung im Hause. Der Mieter dieser Wohnung, ein stadtbekannter Nichtstuer und Sauf bold, war schon mehr als drei Monate die Miete schuldig ge­blieben, gehörte aber selbstverständlich zu den hervorragenden SA.- Männern der Stadt. Als er tros vielfacher Mahnung teinen Pfennig Miete zahlte, reichte der jüdische Hauswirt, weil er die Miete dringend zum Leben brauchte und keine Gr sparnisse besaß, eine Räumungsklage beim Gericht ein. Die Antwort bestand in einer Strafanzeige an die Staatsanwalt­schaft, die von der Kreisstelle der NSDAP . verfaßt wurde

Armistice- day

wüchsige Tochter des Nazimannes zu verführen. Am Tage darauf drang eine Nazifturmkolonne bei dem alten Hauss wirt ein, padte ihn und zwang ihn, ein Schild umzuhängen mit der Inschrift: Ich kump habe versucht, ein Chriſten mädchen zu vergewaltigen." Mit diesem Plakat wurde der alte Mann durch die kleine Stadt geführt und hierbei noch mit Gummifnütteln geschlagen und mit Füßen getreten. Ein anderer jüdischer Kaufmann, an dessen Haus der schmachvolle Zug vorbeiging, weil er bei dem Zug eine verächtliche Mine gemacht habe." Der Hauswirt hat nach diesem Erlebnis seine Klage zurückgenommen, er weiß nicht, wovon er leben soll.

Biel schlimmer aber, als diese einzelnen Vergewaltigungen und Rechtsbrüche, so schwer fie die Betroffenen auch schädigen, ist die allgemeine Ausscheidung der freiheitlichen Menschen und aller Juden aus dem Wirtschaftsleben in Deutschland . Natürlich geht dieser Prozeß langsam vor sich. Aber die Ten denz aller Maßnahmen der Nazis läuft offenbar darauf hin aus, ihnen allen das Leben unmöglich zu machen. So ers klären sich auch die Prophezeiungen einzelner Naziführer, daß in einigen Jahren tein Marrist und fein Jude mehr in Deutschland leben würde. Aus Rücksicht auf das allgemeine Wirtschaftsleben werden diese Tatsachen zwar offiziell abs geleugnet. Sie laffen sich aber überall leicht verfolgen. Bor furzem ist in einer weltbekannten Fabrik der Elektrizitä: 8- industrie in Berlin durch ein Versehen der NSBO.- Leitung dieses Getriebe deutlicher als üblich geworden. Durch eine Unvorsichtigkeit hat dieser Zellenleiter ein vertrauliches Rundschreiben an die Einzelzellen verloren, in welchem erklärt wurde, nach welchen Grundsätzen verfahren wird. Es war zuerst überlegt worden, ob nur die leitenden, nicht arischen Angestellten aus diesem Grunde entlassen werden oder ob allgemein die Prinzipien des Beamtenabbaus angewandt werden sollten. Die NSBO. habe sich für den lesten Weg entschieden, weil hierdurch eine große Zahl jüdischer Angestellten entlassen und durch verlässige Elemente ersetzt werden könne. Im Intereffe der ordnungsgemäßen Weiterarbeit des Werkes habe man fich aber entschlossen, einige jüdische Angestellte in lettenden Stellen zu belassen. Sie werden also nicht abgebaut, die fleinen Angestellten, die Proletarier fliegen auf die Straße. Das ist die Raffenpolitik einer Arbeiterpartei"! Nach den gleichen Grundsäßen wird aber überall auch gegen alle Ar­beiter und Angestellten gewütet, die verdächtig find, freiheits lich zu denken, die zur SPD . gehörten oder sich als Pazifisten bekannt haben.

Aber: den Juden geschieht nichts in Deutschland."

Nazi gegen Nazlbonzen

Ein dunkler Gerichtsbericht aus Bonn geheimnis

Last­

Der nationalsozialistische Westdeutsche Beobachter"( Nr. 297) berichtet:

Am Samstag trat das Schnellgericht zusammen, um gegen den Oberpostsekretär Franz Fuchs zu verhandeln, der bes schuldigt wurde, durch mehrere selbständige fortgesette Hand­lungen den Bonner Oberbürgermeister Ridert und den Beigeordneten Graemer öffentlich beleidigt zu haben.

Beantragt waren 1 Jahr und 1 Monat Gefäng nis. Der Angeklagte wird wegen fortgesetter verleumde rischer Beleidigung und übler Nachrede zu einer Gefängnis strafe von vier Monaten und drei Wochen und außerdem an Stelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von 20 Tagen zu 120 Mark Geldstrafe verurteilt.

Das Gericht hielt die Beleidigungen für schwerwie gend, da sie dazu angetan waren, das Ansehen der be­leidigten Personen, insbesondere des Oberbürgermeisters, ungerechtfertigt herabzusetzen. Da der Angeklagte die Be leidigungen nur einem Dritten gegenüber getan hatte, erkannte das Gericht gegenüber der Anklage auf öffentliche Beleidigung auf Freispruch. Bei der Strafzu messung seien dem Angeklagten mildernde Umstände versagt worden, weil ihm. der schon länger in der Partei in leitender Stellung stehe, die Grundfäße des Nationalsozialismus bekannt sein muß ten. Die Ansprüche, die man an ihn stelle bez. eines forref ten Verhaltens, sind, da er Führer war, weit höher als bei einem andern Parteimitglied. Aus diesem Grunde mußte auf eine hohe Strafe erkannt werden. Der Oberstaatsanwalt wird gegen das Urteil wegen des Strafmaßes Berufung einlegen.

Im Laufe der Verhandlung stellte sich heraus, dan der städtische Beamte Wachsmund sein Dienstge heimnis verlegt hat. Gegen ihn wird das Dienststrafver fahren eröffnet werden.

Item: Die Verhandlungen", die sorgiam verschwiegen wurden. sind zwar nicht zutreffend, aber der städtische Be amte, der den Verleumder" informierte, hat dennoch das Dienstgeheimnis" gebrochen. Außerdem hat das Gericht dem Verurteilten seine Führerstellung in der NSDAP. straf verschärfend angerechnet. Das ist begreiflich: der Mann mußte den Loden kennen und brauchte sich also nicht a wundern.

Zwel Minuten, die an das Weltgewissen appeller en

Faft die meisten Staaten Europas, die im Kriege mit- und gegeneinander zu fechten hatten, haben am Jahrestage feiner Beendigung, zur Erinnerung an das Ende dieses fürchter lichen Völkerringens, zwei Minuten des Schweigens, des Stillstandes jedes Tuns, zu feiern.

Diese großen zwei Minuten hatte ich Gelegenheit in Eng­land zu erleben. Ich machte mich an jenem 11. November um 10 Uhr auf den Weg, um rechtzeitig an einem der verkehrs­reichsten Plätze Londons einzutreffen, Dort angekommen, sah das ganze Bild wie gewohnt aus. Die roten, einstödigen Autobusse dominierten in 3ahl und Höhe. Lieferungswagen, Taris und andere Vehikel fuhren mit der gewohnten Disziplin vorbei.

Dies alles bis 11 Uhr, als man von weitem einen kleinen, hier nicht allzugut hörbaren Knall eines Kanonenschusses, hörte. Die war das Zeichen für die zwei Minuten voll ständiger Inaktivität, die für mich ein wunderbares Erlebnis wurden.

Alles stand still, lautlos, nur das heimliche Rauschen des Blätterwaldes aus dem naben Hndeparf war noch zu hören. Die Autoführer drosselten ihre Motoren und stiegen bar­haupt aus ihren Wagen, die Autobusse leerten sich. der Schußmann, hier Bobbn" genannt, hatte auf einmal nichts zu tun. Wo ein jeder sich im Augenblick befand, wurde still­geftanden. Nur ein Hund, der diese ungewohnte und für ihn unerklärliche Stille unheimlich fand, begann zu bellen. Es war ein wunderbares Gefühl, so viele Leute, die einen Mugenblick vorher nur Laufen. Saiten und-fchäfte im Kopf hatten, plöslich das aleiche tun an fehen ob fie auch alle ar den Grund diefes Tuns, an den Krieg dachten, weiß ich nicht. Auch die Natur kommt dabei zu ihrem Recht. Seit dem Kriege hat auch sie zwei Minuten Zeit, sich hörbar, noch mehr

fühlbar zu gestalten. Das Rascheln der Blätter kann diefen Moment über den Stadtlärm Meister werden. Mas hört fie eigentlich nur während dieser zwei Minuten, sonst nichts, als das Geräusch von Motoren, Bohrhämmern, Signalen und was sonst noch menschliche Tätigkeit mit fich bringt.

Ich hoffe, daß die unzähligen Toten dieses Sich- an- fie­Grinnern" bewußt werden können, daß sie diefe große Ehrung voll und ganz in sich aufnehmen können für die Lebenden, daß ibre furze Zeitipanne sich ihnen als Symbol des Friedens tief in ihre Herzen eingraben möge.

Endlich der zweite Schuß, den man diesmal bedeutend beffer vernimmt. Er reißt einen gewissermaßen in die rauhe Wirklichkeit zurück und nimmt die angenehme Spannung, die man während der Zeit der großen Rube auf fich lasten fühlte. Die Natur beginnt aleichiam iich wieder zurückzuziehen, der Rummel des Großstadtbetriebes nimmt wieder von der Menschheit in Form von Nerven und anderem mehr seinen Tribut.

Dann wird während des ganzen Tages überall im Bri­ tischen Reiche durch den Verkauf von Poppies"( Papier­rosetten) für die Kriegsinvaliden gesammelt; gewöhnlich be­tragen die Einnahmen diefes Spezialfonds an die 800 000 Pfund Sterling. Die Blumen foften einzeln, ie nach der Größe, 3 d., 6 d. und 1 sh. Man fann jedoch auch mehr Spenden und es soll Leute geben, die für eine so einfache Blume im Intereffe der Sammlung 5, 10, 100 und auch gar 1000 Pit. Bezahlen. Jedermann fühlt fich nerpflichtet, rach eitem nen zu gehen da der König mit dem guten Beis spiel voranaing und als erster feine trationellen 100 ft. dafür gab. Ist das nicht Bolkssolidarität, wie sie sonst selten in Erscheinung tritt? Friv Daetwyler.