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Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 133-1. Jahrgang

Saarbrücken , Samstag, 25. November 1933 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Saar

unter Völkerbundseegime

Seite 3

15b

Van der Lubbe aggressiv!

Seite 4

Sturz Saccauts

Seite 5

Dennoch Kreuzzug

Seite 5

Inseratenteil beachten!

Doppelspiel des Reichskanzlers

Neue Enthüllungen des..Petit Parisien"

deutschen Protest

Die französische Regierung miẞachtet den

- Erhöhtes Mißtrauen un

Der Petit Parisien" seßt seine Enthüllungen über die vergiftende Weltpropaganda der deutschen Reichsregie­rung fort. Herr Göbbels hat alles in Bausch und Bogen dementiert. Allerdings vor einigen Tagen schon. Jetzt schweigt er, und es ist sehr vielsagend, wenn dieser unermüd­liche Wahrheitszeuge für einige Tage sich des Redens und Schreibens enthält.

Die deutsche Presse aber schweigt leider nicht. Daß sie für Deutschland einzutreten hat, ist selbstverständlich. Das tun wir auch. Wie sie es aber macht, ist das Verhängnis. Es läge nahe, mit amtlichem Material, etwa mit den wirklichen Propagandagrundsäßen des Ministeriums gegen die angeb­lich verlogenen Enthüllungen zu kämpfen. Davon aber liest man kein Wort, sondern die deutsche Presse lügt und gibt gerade dadurch den Veröffentlichungen des" Petit Parisien" den Charakter voller Echtheit. Es ist für den Kenner der französischen Presseverhältnisse einfach lächerlich, den Petit Parisien" als ein schmuziges Hezblatt" abtun zu wollen, mit dem man sich nicht auseinandersetzen könne. Der Petit Parisien" ist nicht auf eine Stufe mit dem Angriff" des Herrn Göbbels zu setzen. Das Blatt ist nicht nur eine der größten, sondern auch eine der angesehensten Zeitungen Europas , Nie hat ihm jemand mit Grund Sensations hascherei vorwerfen können. Es macht nicht den Petit Parifien", sondern die deutsche Presse unmöglich, wenn sie fo tut, als sei gerade dieses Blatt irgendwelchen politischen Hochstaplern aufgesessen, die ihm gefälschte Dokumente an­gedreht hätten. Eine Zeitung wie der Petit Parisien" ver­öffentlicht nicht Schriftstücke von so weittragender Bedeu­tung, wenn es sich nicht der Echtheit seines Materials ver­fichert hat und sich auch über die politischen Wirkungen flar geworden ist. Es ist auch anzunehmen, daß es sich vor der Beröffentlichung mit gewissen Stellen der französischen Re­gierung in Verbindung gesetzt hat.

Ein politisches Ereignis von solchem Ausmaß wird von den dunklen Gehirnen, die in Deutschlands gleichgeschalteter Presse sitzen, im Stil einer Kaschemmenrauferei beurteilt. Wir nehmen uns das größte der von der deutschen Regie­

Herr mach uns frei!" fich in dem Gehirn des kleinsten Echtheit des Dokuments Jungen verwandelt zur glühenden Bitte: Allmächtiger Gott, segne dereinst unsere Waffen; sei so gerecht, wie du es immer warst; urteile jetzt, ob wir die Freiheit nun verdienen; Herr fegne unseren Kampf!"

Was mutet man dem Auslande zu, wenn man verlangt, es solle den Friedensworten eines Staatschefs glauben, der neben seinen Friedensreden die glühenden Haßbekenntnisse zur selben Zeit drucken und millionenfach verbreiten läßt. Die Welt außerhalb Deutschlands , die sich nun einmal nicht gleichschalten läßt, verlangt endlich Klarheit. Der Reichs­fanzler will eine Aussprache mit Frankreich . Wir nehmen an, daß diese diplomatische Diskussion auf irgendwelche Art in Gang gesetzt werden wird. Die Veröffentlichungen des Petit Parisien sind zwar eine für Deutschland sehr un­willkommene Einleitung dieser Aussprache, aber man würde sich irren, wenn man glauben sollte, Deutschland könne, auf die Klärung der hier aufgeworfenen Probleme verzichten.

Daß der Petit Parifien" seine Veröffentlichungen trob dem diplomatischen Protest der deutschen Reichsregierung bei der Regierung der französischen Republik fortsett, er­höht die große politische Bedeutung der Aktion diefer füh= renden französischen Zeitung. Man muß annehmen, daß der Protest der deutschen Reichsregierung in Paris nicht ernst genommen worden ist und die französische Regierung nichts unternommen hat, um weitere Enthüllungen aufzuhalten. Wenn ein Blatt wie der Petit Parisien" trotz dem amtlichen deutschen Schritt, trop immer wiederholter Friedensbeteue= rung Hitlers sich entschließt, seine Kampagne fortzusetzen, so heißt das eben: Wir glauben euch kein Wort.

Der Petit Parisien" schreibt u. a.:

Zur Stunde weiß die Reichsregierung, die bereits von gewissen weit entfernten Gesandtschaften über ein bedauer: liches Verschwinden von Schriftstücken unterrichtet ist, unter welchen Umständen diese vertraulichen Dokumente in die Hände eines Redakteurs des Petit Parifien" ges langt find."

1917

Die Enthüllungen des Petit Parifien" haben im Aus­wärtigen Ausschuß der Kammer große Erregung hervor­gerufen. Auf den Antrag des Abg. Have beschloß die Kom­mission, den Außenminister Paul- Boncour um nähere An­gaben über das Dokument zu bitten.

Aufforderung!

Die Saarbrücker Zeitung "( Nr. 312) deutet an:

Uns liegen Anzeichen dafür vor, daß sogar einige ehemalige beutiche Chefredakteur e", die mit Schimpf und Schande aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgestoßen worden sind und sogenannte flüchtige Beamte" des Weimarer System 3 ihre schmie rigen Hände in diesem Intrigenspiel haben.

Wir fordern das Blatt, auf, sich nicht mit so üblen Andeu tungen zu begnügen. Heraus mit den Namen!

Was Petit Parisien" weiß

rung bezahlten und beeinflußten Blätter an der Saar bere Aus seinen neuesten Enthüllungen

aus und lefen da: Das schmutzige Hezblatt, erstunkene Lügen, journalistische Dreckschleuder, Dreckblatt, journa listische Stanaille, belastete Verbrecher, politisches Giftgas, borniert, politische Sudelei, Schmutzfeder eines erkauften Chefredakteurs oder eines ausgewanderten Halunken, Haderlumpen, Giftmischerei, gewissenloser Schreiberling und internationaler Schandpfahl."

"

Man ruft das französische Volk dagegen auf, daß eine wüste Stimmungsmache zu Haß und Krieg sich entwickle. Den Enthüllungen des Petit Parifien" werden die fried lichen Worte des deutschen Reichskanzlers gegenübergestellt. Man sollte das bleiben lassen. Gerade über Propaganda hat diefer selbe Herr Reichskanzler in seinem noch immer ver­breiteten Buche Mein Kampf " Worte geprägt, die jedes, aber auch jedes Mittel der Propaganda hei­ligen, wenn sie gegen den Friedensvertag von Versailles ge= richtet ist. Man liest da auf Seite 714-715 der neuesten zwei­bändigen Ausgabe:

" Wie konnte dieses Instrument einer maßlosen Ers pressung und schmachvollsten Erniedrigung in den Händen einer wollenden Regierung zum Mittel werden, die nationalen Leidenschaften bis zur Siede: hige aufzupeitschen! Wie konnte bei einer genialen propagandistischen Verwertung dieser sadistischen Grausamkeiten die Gleichs gültigkeit eines Boltes zur Empörung und die Empörung zur hellsten Wut gesteigert werden!

Wie konnte man jeden einzelnen dieser Punkte dem Ge: hirn und der Empfindung dieses Voltes so lange ein= brennen, bis endlich in sechzig Millionen Stöpfen, bei Männern und Weibern , die gemeinsam empfundene Scham und der gemeinsame zu jenem einzigen feurigen Flammenmeer geworden wäre, and deffen Gluten dann stahlhart ein Wille emporsteigt und ein Schrei fich herauspreßt: Wir wollen wieder Waffen!

Jawohl, dazu fann ein solcher Friedensvertrag dienen. Dann muß allerdings von der Fibel des Kindes ans gefangen bis zur letzten Zeitung, jedes Theater und jedes Kino, jede Plakatsäule und jede freie Bretterwand in den Dienst dieser einzigen großen Mission gestellt werden, bis daß das Angstgebet unserer heutigen Vereinspatrioten

Einleitung

Das große Pariser Blatt versieht seine neuen Enthüllungen mit folgenden einleitenden Worten:

Die von uns veröffentlichten Dokumente über die Richt­linien der deutschen Propaganda im Auslande haben einen gewissen Widerhall gefunden.

Wir könnten die Uebersetzung fortführen, aber wir fürchten, daß Länge( sie enthalten noch 30 Seiten in deut­ scher Schreibmaschinenschrift, eng geschrieben) und tech­nische Einzelheiten die Leser langweilen würden. Wir be­

beb

welcher Spur es folgen muß, um die Umstände zu erforschen, welche diese vertraulichen Denkschriften in die Hände eines Redakteurs des, Petit Parisien" spielten.

Das neue Dokument ist das erdrückendste, das veröffent­licht worden ist.

Indem wir es bekanntmachen, wollen wir nicht durch Sensationen die öffentliche Meinung erregen. Wir haben diese Veröffentlichung nicht leichten Herzens unternommen, denn wir waren immer Anhänger des guten Einvernehmens zwischen den Völkern.

halten uns eine spätere vollständige Veröffentlichung, die Alibi" der Reichsregierung

den deutschen Urtext enthalten würde, in Broschürenform vor. Für heute dürfte es genügen, um auf gewisse Anfragen zu antworten, mitzuteilen, daß die letzte Seite des Doku­ments das Datum von September 1933 enthält.

Heute unterbreiten wir dem Publikum ein noch neueres Stück, das sich auf den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund bezieht. Wieder handelt es sich um eine Denk­schrift, die das Zentralbüro in Berlin an die deutschen Agenten im Auslande richtet.

Wir verzichten darauf, es zu analysieren, denn seine Lektüre ist fesselnd. Wir beschränken uns darauf, einige der darin enthaltenen Anweisungen hervorzuheben:

a) Deutschland versucht eine versteckte Propaganda, um die wirklichen Gründe seiner Abkehr von Genf zu verhüllen. b) Deutschland erwartet den endgültigen Miẞerfolg der Abrüstungskonferenz, um vor der Welt zu versichern, daß es sich nicht mehr an die militärischen Klauseln des Ver­sailler Vertrags gebunden betrachtet.

c) Deutschland widersetzt sich jeglicher Rüstungskontrolle, solange Frankreich sein Gegner bleibt.

d) Die Deutschen besitzen gewisse Kriegsmittel, die, wenn man ihnen Glauben schenkt, ihnen erlauben würden, in gewissem Maße die Bedingungen von Versailles zu umgehen und sich bis zu einem gewissen Grade den Nachforschungen der Auskunftsstellen zu entziehen.

Es ist möglich, daß wir telegrafisch bis heute abend das gewöhnliche Dementi aus Berlin erhalten. Zu dieser Stunde weiß das Reich, welches durch gewisse ferne Gesandtschaften von einer bedauerlichen Flucht unterrichtet sein wird,

Da wir diese Beweisstücke besaßen, mußten wir sie be­kanntgeben. Vielleicht offenbaren sie nichts Neues. Sie be­stätigen nur, was viele Menschen in Europa leise denken oder mehr oder weniger laut aussprechen.

Vor einigen Wochen schrieb uns ein zuverlässiger Freund aus Berlin :

,, Eine große diplomatische Aktivität des Nationalsozialis. mus und immer dringendere Liebeserklärungen gegenüber Frankreich sind vorauszusehen. Es handelt sich für die Re­gierung darum, sich ein Alibi zu beschaffen und Frankreich für alle Ereignisse verantwortlich zu machen, weil es die ,, biedere Hand"( loyal), die ihm Hitler reichte, zurück­gestoßen hat."

Das gerade haben die Veröffentlichungen des Petit Parisien" bewiesen. Frankreich ist, wie Paul- Boncour vor einigen Tagen in der Kammer erklärte, immer bereit, zuzu­hören, aber er hat nicht gesagt, daß es an alles glaube.

Man spricht von Unterredungen; sie sind das Handwerk der Diplomaten, manchmal sogar, um nichts zu sagen. Aber wenn man sich ernsthaft unterhalten will, so muß man seine Karten zeigen. Es ist zu einfach, wenn einer der Partner erklärt: ,, Was wir durch 100 000 Stimmen des Radio, der Presse, in Reden, in Broschüren gesagt haben, um zur Macht zu gelangen, wir sagen es nicht mehr; es war nur ein Spiel." Man muß es dann zugeben und vor aller Welt feierlich be­kennen und Garantien geben. Hat man sie durch den Austritt aus dem Vökerbund gegeben? Das Dokument, das wir veröffentlichen, antwortet deutlich darauf.

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