Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Friedrich Sieburg  

Ein Evangelist des ,, dritten Reiches"

Die ,, nationale Revolution" in Deutschland  , der ,, nationale Aufbruch des deutschen   Volkes hat auf allen Gebieten sehr viel des Erbärmlichen im Menschen zur Schau gestellt. An­gefangen bei der Unfähigkeit und teilweisen Feigheit der Führung von Massenorganisationen bis zur geistigen Ver­lumpung von Leuten, die sich als Demokraten, Liberale, als Anhänger und Verkünder der Humanität, der Menschen­rechte betätigten und jetzt Künder ,,, Evangelisten" des, drit­ten Reiches" sind.

Einer vom Schlage der sich freiwillig Gleichgeschalteten, einer der Redakteure der ,, Frankfurter Zeitung  ", sprach am Montagabend im Münstersaal in Basel  . Studenten­schaft und Quodlibet   waren, so teilt die Arbeiter- Zeitung  " mit, die Einberufer der Veranstaltung, Friedrich Sie burg der Redner, Geistige Autarkie in Deutschland  " das Thema. Er nahm die ihm zuteil ge­wordene Bezeichnung, ein Evangelist des dritten Reiches" zu sein, für sich auf, um in einer reichlichen Stunde über das Geheimnis, den Mythos des deutschen   Volkes eine Vorlesung zu halten. Niemals sei es notwendiger gewesen, dieses Geheimnis zu erklären, aber auch niemals schwieriger. Die Welt verstehe Deutschland   nicht. Was wir Deutsche  suchen und wollen, ist mehr als der Mensch, es ist der ,, deutsche Mensch", wir wollen nur deutsch   sein. Seit einem Jahre wußte Sieburg  , daß in Deutschland   der Nationa lismus siegt. Es mußte nur einer das Wort auf Entzauberung finden. Es lag auf der Straße, es hing im Sternenraum. Hitler  fand das Wort. Das geheime Deutschland   wuchs heran. Die Jugend glaubt nur an Deutschland  . Alles, was es irgendwie an internationalen Beziehungen gibt, hat seinen Wert ver­loren. Die Gewalt hat beim Umbruch nicht gefehlt. Das ist zu bedauern, die Opfer sind zu beklagen. Doch es herrscht Ordnung, die nationale Revolu tion" vollzog sich nach einem Plan. Und Goethe sagte schon: ,, Lieber ein Unrecht ertragen, als eine Unord­nung."( Armer Goethe! Es fehlt bloß noch, daß Frick und Goethe gleichgesetzt werden, weil beide Polizeiminister in Thüringen   waren.).

Wir wollen den sittlichen Frieden. Alle menschlichen Normen, Vernunft, Gerechtigkeit, Menschlichkeit sind zer­rüttet. Es gibt in der Welt keinen sittlichen Boden mehr, deshalb wollen und müssen wir Deutscheihn suchen und schaffen.( In Konzentrationslagern, Ge fängnissen und Friedhöfen!)

Wir sind in Deutschland   für die Autarkie. Wirtschaft­lich aus Not, politisch aus Aufrichtigkeit und geistig aus Schicksal.  ( Brrr!) Wir wollen erst Nation werden, dann wenden wir uns wieder der Welt zu.

Bildung war das Schlagwort der Jahrhundertwende. Die geistige Autarkie ist wesenhaftes Deutschland  . Gewiß, das ,, dritte Reich" hat noch keinen Genius. Doch bei richtiger

Einstein

Dec Raub seines Vermögens

Salander schreibt in der ,, Basler National- Zeitung": Die Konfiskation des Vermögens von Professor Albert Einstein  zugunsten des preußischen Staates, die soeben im Reichs.

anzeiger" verkündet worden ist, ruft gegenüber dem Werbe­feldzug, mit dem gegenwärtig das ,, dritte Reich" seine harm. lose Menschenfreundlichkeit in aller Welt zu plakatieren be­strebt ist, eindrücklich in Erinnerung, daß es sich doch nach wie vor um eine Bewegung mit recht robusten Moralauf­fassungen handelt.

Man braucht sich nur einmal versuchsweise vorzustellen, wie eine derartige Beraubung eines Gelehrten von inter­nationalem Ansehen bloß wegen seiner mißliebigen politi­schen Meinung oder seiner Rasse etwa noch vor zehn Jahren gewirkt hätte, um sich klar zu werden, wie die Begriffe von Recht und Anstand ins Rutschen gekommen sind.

Ich fühle mich persönlich frei von Vorurteil zugunsten wie zuungunsten des Gelehrten. Zu seinen Gunsten spricht neben der Anregung, die er offenbar durch seine Relativi­tätstheorie der Wissenschaft in aller Welt gebracht hat, sein mutiges Eintreten für alle Fälle, wo er Unterdrückung der Freiheit oder Menschlichkeit zu sehen glaubte in einer Zeit, da solche Haltung in Deutschland   längst nur unbeliebt machte. Weniger erfreulich berührte dagegen sein öfters ungeschicktes Sichzurschaustellenlassen bei Kundgebungen gegen das jetzige Deutschland   seit seiner fluchtartigen Ab­reise. Wenn ich ein gewisses Gefühl kühler Fremdheit dem berühmten Manne gegenüber persönlich nicht unterdrücken kann, so ist mir bewußt, daß meine gänzliche Hilflosigkeit seiner wissenschaftlichen Hauptleistung gegenüber, die Ab­solutheit meines Unverständnisses für seine Relativitätslehre daran nicht unbeteiligt ist. Ich gebe aber zu, daß das mehr mit Mängeln meines Intellekts als seines Charakters zu tun hat.

Der Raub seines Vermögens, ein Akt reiner Ranküne, eine wirtschaftlich für Deutschlands   Ansehen weit schädlichere als fiskalisch ergiebige Konzession an die Racheinstinkte durch ihre eigene Geistesfeindschaft beschämter Menschen, ist eine so eindeutige Kundgebung einer kulturfremden Ge­

Mittwoch, den 29. November 1933

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Placierung des intellektuellen Lebens kann man den Weg für den Genius freimachen.( Welche Blasphemie!)

Und nun noch eine Kostprobe Sieburgschen Geschwafels: Die öffentlichen Meinungen sind immer idealistisch. Jedes Volk hat dafür seine besondere Norm. Der Krieg ist der Zusammenstoß der verschiedenen Normen. Deshalb sind die Völker alle ,, reinen Herzens" in den Krieg gegangen.( Wie S. ,, reinen Herzens" zu Josef Göbbels  .) Oel  , Kohle, Land­eroberung stehen bei einem Kriege erst in zweiter Linie. Das sagt Sieburg  , einer der Redakteure der einst hochange­sehenen ,, Frankfurter Zeitung  ", in deren Handesteil ab und zu auch heute noch das Gegenteil eines solchen Widersinns steht.

Das deutsche   Volk geht bis zur geistigen Selbstverstümme lung; wir haben den letzten Zipfel der Huma. nität fahren lassen.( Das kann man schon sagen.) Das Kommende ist noch nicht gesichert. Dann verlas Sie­ burg   einen Schluß, der wie Brechreiz wirkte. Falsches Pathos, Superlativ an Superlativ, las vom klirrenden Winter in Deutschland  , wünscht, daß bald Frühling werde, sagte dem welttrunkenen Deutschland Lebewohl usw. Gymnasianer haben für ihre Schmalz" professoren die Bezeichnung: ,, Wonnebrunser." Der Evangelist" des dritten Reiches" würde von Gymnasianern bestimmt diesen Titel erhalten.

Die Veranstalter hatten in ihrer Einladung gesagt: Wir legen übrigens besonderen Wert auf die Feststellung, daß den beiden Veranstaltern irgendeine propagandistische Absicht fern liegt. Was wir wollen, ist Information und Auseinander­setzung." Sieburg   wollte aber nicht, was die Veranstalter in ihrer Naivität wollten. Sieburg   wollte und mußte wollen die Propaganda für das dritte

Wie ist doch die Zeitung so interessant

1. Wie ist doch die Zeitung so interessant, So gleichgeschaltet im ganzen Land! Was haben wir heute nicht alles vernommen! Viel Nazis sind in den Reichstag gekommen, Die SA.   hat neue Hosen bekommen, Marxisten wurden in Schutzhaft genommen, Auf der Flucht sind welche umgekommen, Bald werden wir in's Reich heimkommen und in demselben dann verkommen. Wie interessant! Wie interessant! SIEG HEIL dem lieben Vaterland.

2. Wie ist doch die Zeitung so interessant, geführt von Göbbels   am Gleichschaltungsband. Was ist uns nicht alles berichtet worden! Eine Spaniole ist Staatsrat geworden, Hitler   trägt nur einen einzigen Orden, d Das Land ist befreit von roten Horden, Vieles ist doch schon besser geworden, altus si Für's Eintopfgericht ist gesammelt worden. Wie interessant! Wie interessant! scroo as SIEG HEIL dem lieben Vaterland,

3. Wie ist doch die Zeitung so interessant, in diesem braunen Vaterland.

A nis

das

Sie führt uns herrlichen Zeiten entgegen. Schon wurden Autostraßen vergeben, Ohne Autos können die Nazis nicht leben, Der Notring" mußt sich ja auch eins nehmen, n Bald wird sich Deutschland   neu erheben, Doch lebt es nur vom Opfer- Erheben, Das Volk verdirbt die Bonzen leben. Wie interessant! Wie interessant! SIEG HEIL dem lieben Vaterland. Beinahe von:

Reich", wollte nicht und durfte nicht woJen: eine Aus. Eine Abbitte

einandersetzung. Er ist, das bestreitet er ja schon gar nicht mehr: Beauftragter des Göbbelsschen Propagandamini­steriums. Seine Stellung als Korrespondent der Frankfurter Zeitung  " in Paris   war aus sachlichen und persönlichen Gründen unhaltbar geworden. Er geht jetzt nach Warschau  . In wessen Auftrag? Unnötige Frage! In wessen Solde? Wir bekommen keine Antwort. Wir wissen es auch so. Wenn die Absicht der deutschen   Regierung gelingt, in Polen  ein antisemitisches Feuer anzufachen, um der polnischen Re­gierung Schwierigkeiten zu machen, weil sich die polnische Regierung ihrer jüdischen Staatsangehörigen in Deutschland  mit Nachdruck annimmt, werden wir an Friedrich Sieburg  

denken.

Vom Gott in Frankreich  " über Die rote Arktis", über Es werde Deutschland   zum ,, Evangelisten" des dritten Reiches". Welch ein Weg geistiger Verlotterung und Verlumpung! Es kommt der Tag der Morgenröte!

Ein solcher Akt der Konfiskation bedeutet eine Zer­störung der Eigentumsidee und hat mehr zerstörerische Wir­kung als ein kommunistisches Manifest...

Der Sudeltopf

In der vom Rektor der Universität Frankfurt   herausgege. benen Zeitschrift., Volk im Werden" befindet sich folgendes Geschimpfe auf Einstein  : Es war einst verwunderlich zu sehen, wie die jüdische Weltpresse die Einsteinsche Relati­vitätstheorie, von der doch niemand etwas verstand, zu einem gewaltigen und umstürzenden Weltanschauungs­prinzip hochgelobt hat. bis im ganzen Abendland zumal die philosophischen und anderen Professoren an den Schwindel glaubten... Das Gift hat gewirkt: der Wille zur Auf­lösung und Zersetzung, aus dem die Relativitätstheorie ge boren war, wurde auf die Wirklichkeit übertragen und in alle Weltanschauung verflöẞt, bis nichts anderes mehr übrig blieb als die in der Glorie eines Weltprinzips erstrahlende Rechenformel des Herrn Einstein. Jüdischer Zerstörunshaß als Weltprinzip..."

Det kalte Pogrom

Studienreferendare

werden nach einem Rust- Erlaß vom 30. September- 1933 nur dann zum Vorbereitungsdienst zugelassen, wenn sie a) arischer Abstammung sind, b) wenn sie den Nachweis für eine ,, besondere Tätigkeit oder Opferwilligkeit für die natio­nale Bewegung( Nachweis der Gauleiter), ferner erfolgreiche Tätigkeit bei der SA., SS.  , beim Stahlhelm, bei Jugend­bünden, besonders Hitlerjugend  , beim Geländesport, beim freiwilligen Arbeitsdienst" usw. erbringen. Von vornherein sind alle Kandidaten darauf aufmerksam zu machen ,,, d a B sie aus dem höheren Schuldienst entlassen werden, wenn sie mit einer Person nicht. arischer Abstammung die Ehe eingehen". Das Verhältnis in der Auswahl zwischen männlichen und weib­lichen Studienreferendaren wird auf 4: 1 festgesetzt",

sinnung, daß über dem Unrecht, das hier geschieht, jene pri- Ein Komma zuviel!

vaten Vorbehalte verstummen.

Es ist offenbar Einstein vom Schicksal beschieden, nach jeder Richtung der Erkenntnis der Relativität zum Durch­bruch zu verhelfen, und so dient denn sein Vermögen schließ­lich zum Beweis der Relativität des Eigentumsbegriffs und Rechtsempfindens im ,, dritten Reich".

Die Eingriffe eines Staates in privates Eigentum rächen sich aber immer am schwersten, und zerstören das Vertrauen in viel weiterem Umfange. als der einzelne Fall umfaßt. Die Beschlagnahme des feindl Pentums im Kriege hat zu der Zerstörung s en in der Nachkriegszeit mehr b sion allgemein

anerkannt ist.

Die Germania  " bringt ein Gedicht, das für die Winter­hilfe werben soil. Das talentlose Machwerk schließt mit den Zeilen:

Jugend ruft alle!

Jugend ruft jeden!

Schlage den Nagel hinein!

Jugend will helfen!

Jugend will schützen!

Schlag Bun, auf, schlag nun! Es gilt!

Die Mittelständler aus dem Hitler  - Lager haben anschei­nend bisher die legte Zeile immer falsch gelesen, nämlich ohne das erste Komma: Schlag nun auf!

Hoffmann von Fallersleben  

brub 16

In dem in der Tschechoslowakei   erscheinenden Grasliges Volksblatt" lesen wir diese Notiz:

Die Schüsse von Marienbad  "

Wir haben in unserer Ausgabe vom 2. September 1933, Nr. 101, einen Leitartikel unter obiger Ueberschrift und ferner einen weiteren Artikel unter der Ueberschrift ,, Der Fall Lessing   und seine Folgen" in derselben Nummer unseres Blattes veröffentlicht, in welcher wir über die Ermordung des Herrn Prof. Dr. Lessing berichtet haben. In diesem Zu sammenhange haben wir eine ganze Reihe schmähender und beleidigender Behauptungen über Herrn Prof. Dr. Lessing aufgestellt, insbesondere auch, daß Herr Prof. Dr. Lessing, der eigentlich Lazarus   heißt, den Reichspräsidenten Hinden burg mit dem Massenmörder Haarmann verglichen habe.

Wir erklären hiermit, daß sämtliche in unseren Artikeln enthaltenen, auf Herrn Prof. Dr. Lessing bezüglichen be leidigenden Behauptungen auf unrichtigen Informationen be ruht haben, daß wir nicht die Absicht hatten, das Andenken des ermordeten Herrn Prof. Dr. Lessing durch diese wahrs heitswidrigen Behauptungen zu schmähen. disser

Wir bedauern es auf das Tiefste, daß die verleumderischen, das Andenken des Ermordeten verlegenden Behauptungen in die Spalten unseres Blattes Eingang gefunden haben und bitten für diese pietätlosen Beschimpfungen des Andenkens des Ermordeten um Entschuldigung.

Aus diesem Grunde haben wir uns im Vergleichswege zum ' Abdrucke dieser Erklärung in unserem Blatte, sowie in den Zeitungen Prager Tagblatt" und Sozialdemokrat" ver pflichtet und haben uns ferner verpflichtet, eine Geldstrafe von 200 Ke zu wohltätigen Zwecken zu erlegen und die Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung der Klägerin, Frau Ada Lessing  , an Herrn Dr. Egon Schwelb, Advokaten in Prag   II, Národni tr. 24, zu bezahlen.

Die Schriftleitung des Graslitzer Volksblatt".

Zeit- Notizen

Justitiale of t Der frühere Direktor der Berliner Nationalgalerie, Justi, der unter Wilhelm kaiserlich, nach 1918,, sozialistisch" er schien und jedes Regime brav und treu bedient hat, ist von den Nazis nicht etwa entlassen, sondern als Kustos in ein Provinzmuseum gesteckt worden. Mit dem Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, Prof. Käsbach, ist fahren worden.

Die neue Aera

ist ebenso ver

Die nationalsozialistische ,, Braunschweiger Tages- Zeitung" teilt mit: ,, Das Ueberangebot von Akademikern in den tech­nischen Berufen hat den Preußischen Minister für Wissen schaft, Kunst und Volksbildung, Rust, veranlaßt, ein Merk blatt für diejenigen Schüler der höheren Lehranstalten her auszugeben, die ein technisch- wissenschaftliches Fach stu dieren wollen. Dieses Merkblatt enthält bedeutsame Ausführungen. Es hebt nochmals die Absicht der national­sozialistischen Bildungspolitik eindeutig heraus, der Bildungsinflation ein Ende zu bereiten." Die ,, bedeutsame Bildungspolitik" der Nazis besteht darin, daß ,, dringend davor gewarnt werden muß, zu studieren". Hindenburg an von Einem

Ein Brieftelegramm Hindenburgs an den Nobelmann von Einem hat, wie der Verlag der Erinnerungen eines Sol­daten" mitteilt, folgende Unterschrift: ,, Ihr vielbeschäftigter Hindenburg  , der Ihr Buch mit Dank geradezu verschlungen bat."

Luftschutz

Der Verlag Ullstein gibt eine Zeitschrift ,, Sirene" heraus, womit natürlich kein singend- verführerisches Mäd chen, sondern eine Dampfsirene gemeint ist. Das Blatt er. scheint 14tägig und ist dem sogenannten Luftschutz ge­widmet. Es wird die Mitteilungen des Reichsluftschuts bundes enthalten.