Fretheil

Nummer 139-1. Jahrgang

Jo

mu Jansi

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, den 2. Dezember 1933 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Reichsbischof

und Ruhckaplan Seite 2

Brief an das Reichsgericht

Seite 3

Furcht vor der Teuerung

Seite 4

Napoleon III.- Paul- Boncour  Seite 5

Frankreich  - England

Seite 5

Frankreichs Heer warnt

Die Rede des Kriegsministers Daladier  

Kein biokendes Schafsvolk"

Breitscheid   in der Sorbonne

Vor einigen Tagen hat der Vorsitzende der früheren sozial­demokratischen Reichstagsfraktion Dr. Breitscheid in der ,, Nouvelle Ecole de Pair" in der Sorbonne einen Vortrag über Hitler und Europa   gehalten. Der Saal war dicht be­setzt. Es waren etwa 800 Personen anwesend. Das will um so mehr bedeuten, als die Eintrittskarten 8 bis 15 Franken fosteten. Breitscheid   sprach mit der bei ihm gewohnten Rhe­torik und wußte auch inhaltlich sein Thema glänzend zu gestalten. Er hat auch nicht unterlassen, mit allem Nachdruck auf die Versäumnisse hinzuweisen, deren sich Frankreich   in den früheren Jahren gegenüber der deutschen   Demokratie schuldig gemaat hat. Er sagte u. a., daß die Verhältnisse jetzt wohl anders lägen, wenn das demokratische Deutschland  von Europa   dieselben Ermutigungen erfahren hätte, die jetzt auf einzelnen Gebieten Deutschland   zuteil werden. Der Bei­fall war sehr groß. Nach dem Vortrag wurde Breitscheid   von vielen umdrängt, die ihm dankten. Einige sagten ihm, sie freuten sich, Auslassungen gehört zu haben, die man leider in der französischen   Presse nicht finde. Den Vorsitz hatte Vandervelde. Als er in seinem Schlußwort vor der sehr überparteilich zusammengesetzten Versammlung den inter­nationalen Sozialismus und dessen Taten rühmte, machten einige Jünglinge der action francaise" etwas Lärm. Das hatte aber nichts zu bedeuten.

Herriot   und Tardicu

Paris, 1. Dezember.

Paris  , 1. Dez. Das Journal des Debats  " berichtet über eine Ansprache, die Kriegsminister Daladier   heute auf dem Heeresbankett des Verbandes der militärischen Presse" ge= halten hat. Danach habe Daladier   den festen Willen Frank­ reichs   betont, sich nicht vor Drohungen anderer Länder zu beugen. Man müsse mit der Legende aufräumen, daß Frank­ reich   etwa imperialistische Ziele verfolge. Aber man müsse auch mit jener anderen Legende aufräumen, daß Frankreich  im Falle unmittelbarer Gefahr etwa bereit wäre, in die Das Ringen um die Macht Anie zu finken. Die Franzosen seien nicht ein blötendes Schafsvolt", sondern bereit, ihre Grenzen zu verteidigen, fie hätten einen unverlegbaren Grenzwall aufgerichtet, sie wollten ihre Grenze mit Mannschaften, Munition und Ab­wehrmitteln längs ihrer ganzen Grenzen von Nordosten bis nach Nizza   halten. Das französische   Heer arbeite stillschwei­gend. Es bleibe den juristischen Auseinandersetzungen fern, aber seine Tätigkeit sei beharrlich und fruchtbar. Er, Dala dier, habe die Pflicht, das Werkzeug in tadellosem Zustande zu erhalten, das für die Erhaltung des Landes unerläßlich sei. Frankreich   wisse, was es foste, einen Einfall zu erdulden. Er, der Kriegsminister, setze alles ins Wert, damit eine solche Eventualität nicht eintrete und damit Frankreich   in der gegenwärtigen Stunde der Unruhe stark bleibe, auf daß es der Gerechtigkeit Achtung verschaffen könne, denn es tönne nicht die geringste Gerechtigkeit ohne die volle Macht geben.

Chautemps vor der Kammer

Paris  , 1. Dez. Das Kabinett wird morgen nachmittag über die am Samstag vor dem Parlament zu verlesende Regie­rungserklärung und die Finanzvorlage Beschluß fassen. Dem Matin" zufolge wird die sehr kurz gehaltene Regierungs­erklärung die Notwendigkeit betonen, schleunigst die Finanzen zu sanieren und die Beständigkeit der fran­ zösischen   Außenpolitk im Rahmen des Friedens und der Sicherheit" betonen.

Die Finanzvorlage scheint der Regierung noch einiges Kopfzerbrechen zu bereiten. Echo de Paris" behauptet, Sonderabgaben, zu denen die Beamtengehälter mit rund 300 Millionen Franken herangezogen werden sollen, für die Abdeckung des Fehlbetrages bereitgestellt seien und daß die restlochen 1,2 Milliarden durch eine allgemeine Verkaufs­steuer in Form einer Erhöhung der Verkaufsstempel­gebühren aufgebracht werden sollen.

daß bisher 4,8 Milliarden Franken durch Einsparungen und

Eine französische Ente

Im Zusammenhang mit dem starken Interesse, das die Saarfrage jetzt in der französischen   Presse findet, bringt Oeuvre" eine Notiz, nach der Otto Braun   im Elsaß und im Saargebiet Versammlungen abhalte, in denen er für den Anschluß der Saar   an Frankreich   Stimmung mache. Natürlich handelt es sich hier nicht um den früheren preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun  , sondern um den Führer der Sozialdemokratie an der Saar  , Max Braun   aus Saarbrücken  . Selbstverständlich ist Max Braun   nirgendwo für den Anschluß der Saar   an Frank­ reich   eingetreten. Er spricht lediglich gegen die Unter­werfung des Saargebietes unter die Rechtlosigkeit und die Barbarei Hitler- Deutschlands.

A. Sch. Die Regierungskrise, aus der das Kabinett Chautemps   hervorgegangen ist, hat eine persönliche und eine politische Seite. Diese Krise hat Herriot   zum be­stimmenden Politiker emporgetragen, sie hat gleichzeitig durch die Verschärfung infolge der häufigen Regierungs stürze eine Jllustration dazu geliefert, was die vielbe­sprochene Krise des französischen   Parlamentarismus eigentlich ist.

Seit dem 26. November ist Eduard Herriot   wiederum zum Gebieter über die Regierung geworden, diesmal ohne Regierungschef zu sein. Ihm ist sowohl die Ministerpräsi dentenschaft als auch der Posten des Außenministers an­geboten worden. Er hat aus gesundheitlichen Gründen beides abgelehnt, aber auf seine Empfehlung ist Chautemps zum Ministerpräsidenten geworden und einen Posten hat er doch übernommen: als Vertreter Frank reichs im Völkerbund mit der gleichzeitigen Beauftragung, Frankreich   auf den internationalen Konferenzen zu re­präsentieren. Somit ist die überragende Stellung Herriots in der Radikalen Partei deutlich zum Ausdruck ge­kommen: Chautemps   und Paul- Boncour   sind kaum viel mehr als seine Plazhalter, und er selbst ist gewissermaßen zum inoffiziellen Außenminister geworden. Das Angebot des Außenministeriums an Herriot   war eine politische Tat fache von außerordentlicher Bedeutung: es zeigte, daß Paul- Boncour   nicht mehr fest im Sattel ſigt und nur so lange im Amt bleiben darf, bis es Herriot   für zeitgemäß und zweckmäßig erscheinen wird, die Führung der Außen politik zu übernehmen. Denn außenpolitisch ist Herriot  noch mehr als innenpolitisch ein Programm. Er hat eine feste und kämpferische Orientierung. Seine außen politische Parole hieß bisher: mit London  , Washington   und Moskau  , aber ohne Rom  und gegen Berlin  . 1933 ist Herriot Frankreichs Sonderbevollmächtigter in den Vereinigten Staaten   und in der Sowjetunion   gewesen, er ist der Vorkämpfer der französisch- amerikanischen Verständigung und der Organi fator des französisch- russischen Bündnisses. Er war gegen den Biererpakt, weil er die französisch- italienische Entente ablehnt. Hier ist er in den Gegensatz zu Daladier   und feinen Kreis geraten und mußte im Juli 1933 vorläufig weichen. Jetzt wird er wiederum zum maßgebenden Außenpolitiker des Landes, und es wird sich zeigen, ob er nunmehr eine Revanche nehmen wird und seinen eigenen außenpolitischen Kurs durchgesetzt. Jedenfalls sind mit seinem Aufstieg die Chancen Mussolinis, sich als Ver mittler zwischen Paris   und Berlin   aufzuspielen, bedeutend geringer geworden. Politisch und psychologisch ist Herriot  jener führende Politiker der Radikalen Partei, der am wenigsten bereit ist, die Verständigung mit Hitler zu

Kirchenkampf in voller Schärfe!

Berlin  , 30. November.

In drei großen Kundgebungen in Berlin  , die von protes stantischen Pfarrern und Gemeindemitgliedern sehr stark bes sucht waren, fam eine überzeugte und deutliche Ablehnung der deutsch  - chriftlichen Kirchenpolitik zum Ausdrud. Die Redner, bedeutende protestantische Pastoren, bezeichneten als die Aufgabe der evangelischen Kirche das unverfälschte Wort Gottes zu verkündigen. In diesem Bekenntnis dürfe man sich durch keine Zwangsmaßnahmen hindern lassen. Wenn man es in der Deffentlichkeit nicht mehr tun könne, werde man in der Stille weiterarbeiten. Die Anwesenden wurden zur Bildung solcher Gruppen aufgefordert. In einer eins hellig angenommenen Entschließung wird den beschämenden Angriffen auf die Grundlagen des Glaubens harter Kampf angesagt. Die Lehre, daß Christus nur noch als heldischer Kämpfer zu werten sei, müsse im Namen Jesus   verworfen werden. Zum Abschluß sprach die ganze Gemeinde das apostolische Glaubensbekenntnis und reichte sich zum Zeichen ihrer Gemeinschaft die Hände. ( Siehe auch Seite 2!)

fördern. Herriots neuer Aufstieg ist kein günstiges Vor. zeichen für die Verhandlungen zwischen Paris   und Berlin  .

Die

Der Zufall hat es gewollt, daß gleichzeitig mit Herriots aktivem Auftreten auch sein alter Gegenspieler Tardieu von dem freiwilligen Urlaub von der aktiven Politik zu rückkehrt, in den er, nach seiner Niederlage bei den Mai. wahlen 1932, gegangen ist. Tardieu nimmt einen konzen trierten Rampf gegen das System" auf, als Führer der Rechtsopposition will er zum Trommler der angreifenden Rechten werden. Aber man mißverstehe die französischen  Verhältnisse nicht: Tardieu ist kein Hugenberg. In vier Wochen sind in Frankreich   zwei Kabinette gefallen. Das gibt der Rechten den Anlaß, von der Krise des Systems" zu sprechen. Das klingt beinahe deutsch  , hat aber einen das heißt den Bürgerblock nach dem Muster Poincares. anderen Sinn. Tardieu verlangt die nationale Union  ", Das ist nichts anderes als eine breite bürgerliche Koalition im Rahmen des Systems", und wie die parlamentarischen kalen. Denn diese unverwüstliche Partei ist und bleibt Verhältnisse heute liegen, mit dem Uebergewicht der Radis  die Achse der französischen   Politik. Sie bestellt ein Kabinett nach dem anderen, mit derselben Besetzung und mit dem auswechselbaren Ministerpräsidenten. heutigen Kabinettswechsel gehören eben zum System des französischen   Parlamentarismus. Nie waren sie häufiger als in den Jahren 1910-14 auch unter einem radikalen Regime wie jetzt, und jene Vorkriegsjahre waren die Blütezeit der bürgerlichen Demokratie in Frankreich  . Die Kabinettswechsel der letzten Wochen bedeuten nichts anderes, als daß verschiedene Gefeßentwürfe geprüft und verworfen werden, was nach dem französischen   parlamen tarischen Brauch automatisch Kabinettsstürze nach sich zieht. Was die Lage schwieriger macht, ist der Umstand, daß es die finanzpolitischen Lösungen waren, über die die Regierungen stolperten. Im Hintergrunde der Regierungskrise stand die Finanzkrise, und diese erzeugt allzu leicht panische Stimmungen. Hier liegt die wirkliche Gefahrenzone. Die Krise des parlamentarischen Systems beginnt erst dann, wenn der Kampf gegen die Regierung sich zum Kampf gegen die Einrichtungen steigert. Anfäße dafür sind bereits vorhanden, aber bisweilen geht dieser Kampf nicht von den parlamentarischen Führern der Rechten aus, sondern von den journalistischen Heißspornen der Reaktion. Tardieu ist in dieser Beziehung noch zient lich leisetretend, der eigentliche Inspirator dieser Kam pagne ist der junge Innenpolitiker vom Echo de Paris", de Kerillis, der in seinem Blatt jeden Tag Auflösung der Kammer und Verfassungsrevision verlangt. Diese Barolen können nur dann gefährlich werden, wenn sich eine Massen. stimmung des bürgerlichen Besizes für sie einsetzt. Tardieu ist zu vorsichtig, um eine reaktionäre Demagogie zu treiben, und das Echo de Paris" ist alles andere als der französische Bölkische Beobachter". Es ist das Blatt der Militärkreise und des reaktionären Klerikalismus, ein Blatt der konservativen Exklusivität und nicht der plebejischen Demagogie. Zwar ist die unruhige Stimmung der letzten Woche dazu geführt, daß sich am vergangenen Sonntag bei den Nachwahlen in Paris   und in der Provinz ein gewisser Ruck nach rechts erwiesen hat, aber die Radikale Partei ist sehr hellhörig, sie beherrscht nicht nur die parlamentarische Routine, sondern hat auch größere Schlagkraft als die bürgerliche Rechte. Es wird Tardieu kaum gelingen, Herriot   von der Macht zurückzudrängen.