Brief an das Reichsgericht

Falsche Aussagen der Belastungszeugen

Rechtsanwalt Dr. Detscheff, der Verteidiger der bulgaris schen Angeklagten, der verhaftet und aus Deutschland aus gewiesen wurde, übergibt dem Verteidigungskomitee für den Reichstagsbrandprozeß folgenden Brief zur Ver­öffentlichung:

" An den Herrn Vorsitzenden des 4. Straffenats des Reichsgerichts

Leipzig .

Sehr geehrter Herr Präsident! Die Zeugen Polizeikommissar Seifig, Hinze, Polizeispiel, Haman , erklärter Nationalsozialist, Soedermann, gleichfalls Nationalsozialist, und andere haben van der Lubbe Er­flärungen und Geständnisse in den Mund gelegt, die er nie­mals gemacht hat. Sie haben außerdem ausgesagt, van der Lubbe habe Reden gehalten und dies alles in deutscher Sprache. Sie behaupten nämlich, van der Lubbe spreche voll­kommen deutsch .

Auf Grund dieser Geständnisse und Erklärungen bringt die Anklageschrift van der Lubbes Tätigkeit mit jener der vier anderen Angeflagten Dimitroff , Torgler , Popoff und Taneff in Verbindung. Auf Grund dieser falschen Aussagen werden Sie morgen die Angeklagten verurteilen.

Alle diese Zeugen lügen in zynischer Weise. Nie hat van der Lubbe solche Geständnisse gemacht oder derlei Er­flärungen abgegeben oder Reden gehalten. Van der Lubbe

Die Vorbereitung

DEM DEHEW VOLEF

PLAN DES

REICHSTAGES

spricht nämlich nicht nur nicht deutsch, er versteht sogar nicht einmal deutsch.

Im Laufe der Verhandlung hat van der Lubbe nur zwei­mal gesprochen, und zwar in holländischer Sprache. Auf Dimitroffs Fragen, ob er die Anflageschrift gelesen habe", ferner, ob er die Anklage verstanden habe", erwiderte van der Lubbe, daß er fast gar nichts verstanden habe.

Ich und meine Kollegen, die ausländischen Anwälte, die von den Angeklagten als Verteidiger gewählt worden waren, hatten Dr. Teichert ersucht, einen Antrag auf Ladung der Frau Kroone als Zeugin zu stellen. Frau Kroone, beeidigte Dolmetscherin, hatte im Anfang als Dolmetscher van der Lubbes fungiert. Sie war von dem Untersuchungsrichter ver­abschiedet worden, weil sie sich geweigert hatte, ein Proto koll zu unterschreiben. in dem Aussagen van der Lubbes ents stellt wiedergegeben worden waren. Frau Kroone soll darüber aussagen, inwieweit van der Lubbe deutsch spricht, bzw. deutsch versteht.- Herr Teichert hat den von uns erbetenen Antrag nicht gestellt.

Herr Präsident, Sie haben als Zeugen Dußende von Poli­zeibeamten, Spigeln, Dieben und Verbrechern geladen.

haftet. Thesen, der wegen feiner Verweigerung der Aussage Tag und Nacht in Retten liegt, ist, ebenso wie Rathey wieder­holt unmenschlich gefoltert worden. Die Torturen erreichten einen solchen Grad, daß beide Gefangene schließlich, um weiteren Folterungen zu entgehen, sich in der Essenspause die Pulsader öffneten. Nach den letzten Meldungen liegen sie im Lazarett.

Die Gefangenen werden mit Gummifnüppeln, Stahlruten, Peitschen, Ketten, langen Lederriemen und Ochsenziemern geschlagen. Als Leiter der Torturen fungieren Leute der Ge­heimen Staatspolizei. Das Verhör"-Zimmer des Haut­burger Stadthauses ist mit Lenin - Bildern, Sowjetfahnen u. dergl. ausgestattet; bei der Vernehmung spielt ein Grammo­fon revolutionäre Märsche und Rezitationen.

Der fommunistische Funktionär Saeffow wurde so zu­gerichtet, daß er, weil er hinkte, kaum noch den täglichen Spaziergang auf dem Gefängnishof mitmachen konnte; gegenwärtig schwebt er in Lebensgefahr.

Die Hamburger SA. erzählt, daß ein Monstre- Prozeß gegen 156 Funktionäre der KPD . Wasserkante in Kürze auf­gezogen werden soll.

Erschossen

Wegen eines kleinen Disziplinarvergehens wurde der kommunistische Funktionär Hartung im Konzentrationslager Fuhlsbüttel von der SS. - Wache erschossen. Gleichen Tages wurden zwei weitere Arbeiter in diesem Lager erschossen, deren Namen noch nicht bekannt sind.

Nach den von van der Lubbe am 28. November ab: 3000 Terrorfälle- 800 Morde

gegebenen Erklärungen wiederholen wir öffentlich die For­derung auf Ladung von Frau Kroone, deren Adresse der Untersuchung befannt ist. Sie wird einmal mehr beweisen, daß die eingangs erwähnten Zeugen, wie alle anderen Be lastungszeugen falsche Aussagen erstattet haben."

Die Verhandlung

Mordprozeß und Torturen

Folterungen unter Grammofonklängen

Hamburg . Aus verbürgter Quelle erfahren wir er­schütternde Einzelheiten über Folterungen politischer Ge­fangener in Hamburg . Die Grausamkeit der Nazis in Famburg find dadurch verschärft, daß der Rückgang des deutschen Außenhandel eine fatastrophale Krise der Hafen­stadt und mit ihr Zersetzungserscheinungen besonders

Eine Zelle, ein Hof, eine Mauer*

Von Ernst Toller ( Schluß.)

Leise öffnet sich die Türklappe, ein junger Wärter in Mili­täruniform steckt seinen Kopf in die Zelle:

-

- Genosse...

Ich laufe zur Tür, ich bin nicht allein.

Ich war Rotgardist, als die Weißen einzogen, haben wir unsere roten Binden abgerissen. Du bist in der Zelle von Levine.

Die Klapptüre schlägt zu. Diese Zelle hat Eugen Levine bewohnt, bevor er zur Mauer ging, drüben im Frauen­gefängnis lag in einer Zelle schreiend seine Frau, fie preßte die Hände an ihre Ohren, um nicht die Schüsse zu hören, die ihn töteten.

Lärm tost im Bau, zack, schlagen die Riegel zurüd, zad, das Kosttürchen fliegt auf, der Hausel bringt mir das Mit­tagessen, ein Stück stinkenden amerikanischen Speck und Sauerkohl.

Wer liegt rechts neben mir? frage ich.

Ein Raubmörder, der auf seine Hinrichtung wartet. Und links?

Ein Lebenslänglicher.

Wo find die anderen politischen Gefangenen? Drüben im andern Zellenbau.

In der Nacht weckt mich das Knattern von Maschinen­gewehren. Was bedeutet das? Neue Kämpfe? Werden wir befreit? Das Knallen verstummt, beginnt von neuem, einzelne Schüsse rollen in die Nacht, Salven sprißen gegen die Backsteinmauern. Am Morgen erzählt mir der Wächter, es werde immer nachts geschossen, die Soldaten täten au ihrem Vergnügen, er habe sich daran gewöhnt, ich solle mich nur nicht am Fenster zeigen, gleich knallten die Gewehre. Die Erschießung Levines hat die Menschen erregt, man fürchtet, daß mich das gleiche Los treffen wird, in allen Ländern regen sich die Kräfte der Solidarität.

Am zweiten Tag werde ich zum Spaziergang in den Hof geführt, allein gehe ich im Quadrat des fleinen gepflasterten Hofs, zwei Wächter bewachen mich, an den Fensterflügeln des Gefängnisses hängen Soldaten, fie schimpfen und johlen. Die Schatten der toten Kameraden begegnen mir, ich sehe die Mauer, an der sechsunddreißig Menschen erschossen wurden, von zahllosen Kugeleinschlägen ist sie durchlöchert, vertrocknete Fleischteile, Gehirnfeßen, Saare fleben daran, die Erde davor narben eingetrocknete Blutlachen. Ich zähle an der Mauer die Einschläge, der Wärter erzählt, warum fie so tief fiben, die betrunkenen württembergischen Soldaten zielten nach Bauch und Knien, Du darfscht nit gleich ver­recke, Du spartakischte Hund, a Bauchschüßle muschte hawe", sagten sie.

Ich stehe vor der Mauer und friere.

Hier wurde der Knabe erschossen, der einem Rotgardisten Munition aebracht hatte.

Hier starb die Frau. die, um ihren Liebsten zu retten, seine Handgranate auf ihrer Brust verbarg.

* Aus dem Buch Eine Jugend in Deutschland ", das im Verlag Querido, Amsterdam , erscheint.

schwerer Art innerhalb der Nazi- Anhängerschaft hervor­gerufen hat.

Mitte November wurde durch das K. z. b. V.( Kommando zur besonderen Verwendung) unter anderen der frühere kommunistische Landtagsabgeordnete Mathis Thesen und der kommunistische Funktionär Karl Rathey ver­

Hier war Devine mit dem Ruf Es lebe die Weltrevolu­tion!" zusammengebrochen.

Eine fleine Tür trennt uns von dem Hof des Frauen­gefängnisses, in dem Gustav Landauer erschlagen wurde. Ueber den Hof geht ein junger Mensch mit verbundenem pausbäckigen Kindergesicht, Eisners Mörder, Graf Arco", sagt der Aufseher.

Dieser lächelnde Knabe ist Eisners Mörder, der Tat dieses Kindes folgten die Schüsse auf Auer, die Wirren, die Räte­republik, die Niederlage, das Wüten der Weißen.

Ich kann nachts nicht schlafen, ich höre eine Stimme jammern:

Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig! Gegen Morgen wird es still.

Während ich spazieren gehe, überqueren zwei Frauen den Hof, eine junge Faru, gestützt auf eine alte, die alte ist stumm, ihre Lippen pressen sich, die junge schreit unaufhörlich.

Mein Mann, mein Mann, ich will meinen Mann haben! Die Wärter führen die Frauen zu einem kleinen Schuppen im Winkel des Hofs, Sargfiften aus grobem Holz liegen dort, auf Vorrat, ich betrachte sie jeden Tag. Die junge Frau stürzt sich über einen Sarg und bricht zusammen: Meinen Mann will ich haben, jammert sie, gebt mir meinen Mann, plößlich schnellt sie auf. Einen solch häßlichen Sarg habt Ihr ihm gegeben!"

Eines Tages ruft mich der Aufseher in ein Bürozimmer zur Vernehmung. Im Korridor des Erdgeschosses erblicke ich sechs Leute in Mannschaftsuniform, Studenten und Offiziere, man sieht es Gesichtern und Gesten an.

Da ist er, ruft einer.

Nach der Vernehmung führt mich der Aufseher wieder nach oben, die sechs Soldaten, die immer noch im Korridor stehen, fclgen uns schimpfend auf den Fersen.

Du roter Pump, Du roter Hund, Du Spartakistenaas, warte nur, die Kugel ist schon für Dich gerichtet, jetzt hat Teine Stunde geschlagen!

Der Aufseher schließt die Eisentür auf, die zum Zellen­gang führt, ich gehe hinein, die sechs bleiben vor der Tür stchen.

Nach einer Stunde öffnet der junge Wärter das Kost­türchen.

Herr Toller, lassen Sie sich nicht auf den Spazierhof führen, ich stand vor der Tür des Vernehmungszimmers und hörte, was die sechs Soldaten mit Ihnen vorhaben, sie fagten, jetzt sei eine gute Gelegenheit, Sie um die Ecke zu bringen. Als einer fragte, wie denn, schlug ein anderer vor, menn er auf den Spazierhof geführt wird, gehen wir mit, einer tritt ihm auf die Fersen, daß er aufspringt, das wäre dann Fluchtversuch.

Der Gangausseher ruft Spazierhof", ich folge ihm.

Vor dem Eisengitter des Bellenganges lauern wirklich die sechs. Wir gehen die Treppe hinunter, die sechs folgen schweigend. Sekunden habe ich Angst, oft hatte ich von solchen Erschießungen auf der Flucht" gelesen, dann fühle ich nichts mehr, ich sehe. Ich sehe, daß an einigen Stellen der Wand Mörtelteile fich abgelöst haben ich sehe, daß der Kragen des Aufsehers speckig ich, ich sehe, daß neben dem linken Ohr des Aufsehers ein großer roter eitriger Bustel schwärt.

Wir stehen vor dem Gisengitter des Zellengangs im Erd­geschoß durch das eine Seitentür in den Spazierhof führt. Der alte Aufseher Müller, der wie der junge den Plan der

Aus den Mitteilungen des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Greuel wird bekannt, daß sich unter seinem Material über 3000 beglaubigte Terrorfälle be­finden und über 800 von der deutschen Press us gegebene Morde in Hitler Deutschland.

H

Hitlergruß oder hungern! Deutsches Recht und deutsche ,, Volks­gemeinschaft"

In einem großen industriellen Werk in Köln- Deutz ist es üblich, daß die Belegschaft den deutschen Gruß" anwendet. Nur ein etwa 24jähriger Angeftelter antwortete stets auf den deutschen Gruß" mit den jeweiligen Tageszeiten. Er wurde deswegen zur Rede gestellt. Der Angestellte bemerkte, daß ihm das widerstrebe, er tue das nur, wenn er dazu gezwungen werde. Hierauf erfolgte seine fristlose Entlassung. Der Entlassene erhob nun am Arbeitsgericht Klage auf Zah­Iung einer Kündigungsentschädigung. Hier vertrat er auch seinen obigen Standpunkt. Er sei der Ansicht, daß er nicht zum deutschen Gruß" gezwungen werden könne. Die frist­lose Entlassung sei daher ungerechtfertigt. Der Vertreter der beklagten Firma wandte ein daß ein Zwang durchaus nicht ausgeübt werde, aber er sei der Ansicht, daß man der Firma nicht zumuten könne, einen Angestellten weiter zu beschäftigen, der sich bewußt außerhalb der bestehenden Arbeitsgemeinschaft stelle. Wer sich bewußt außerhalb der Volksgemeinschaft stelle, könne nicht verlangen von ihr ernährt zuwerden. Denn nicht der Arbeitgeber als solcher vergebe die Arbeit, sondern letzten Endes das ganze Volk. Der Vorsitzende schloß sich diesen Ausführungen an und empfahl dem Kläger im eigenen Interesse, die Klage zurückzuziehen, da er, wenn die Klage abgewiesen werde, auch noch die Gerichtskosten zu zahlen habe. Der Kläger folgte dem Rate.

Rundfunkhörer verhaftet

In Erlangen wurden sechs Arbeiter verhaftet, weil sie Moskauer Rundfunkübertragungen gehört hatten.

sechs kennen mußte, hatte nicht gewagt, mich zu warnen, er mußte mich auf den Spazierhof führen, die Vorschrift ver­langt es, am Eisentor aber handelt er nicht nach der Vor­schrift, er sperrt das Tor auf, gibt mir einen Stoß, folgt schnell, dann schließt er das Tor von innen zu, so rettet er mir das Leben.

Ich melde mich beim Gefängnisdirektor und berichtete den Vorfall, eine Woche später läßt er mich rufen, meine An­gaben hätten die Aufseher bestätigt, aber man habe nicht feststellen können, welche Truppe an jenem Tag in Stadel­ heim Dienst getan, alle Nachforschungen nach den sechs Sol­daten seien vergeblich.

Ich erfranke, eine Operation wird notwendig. In der chirurgischen Klinik liege ich in der Krankenstube der Ges fangenen, das Fenster ist mit engen Stäben vergittert, selbst der Fiebernde ist fluchtverdächtig. Vor der Tür stehen zwei Soldaten mit Revolvern und Handgranaten, im Neben­zimmer wachen Kriminalbeamte.

In der ersten schlaflosen Nacht nach der Operation flingele ich, ich möchte einen Schluck Wasser trinken, Durst quält mich, ich kann mich nicht rühren.

Eine junge Nonne öffnet behutsam die Tür, am Ein­gang neben dem Weihwassergefäß bleibt sie stehen, taucht ihre Finger hinein und bekreuzigt sich.

Wasser bitte, sage ich.

Sie eilt hinaus, nach einer Weile kehrt sie zurück, etn Glas Wasser in Händen. Ihre Hände zittern, ihr Gesicht ist bleich, ängstlich stolpern die Füße ein paar Schritte, ängst­lich verharrt fie, flackernden Schreck in den Augen.

Darf ich Sie bekreuzigen? flüstert sie.

Ich sehe fie fragend an.

Alle Schwestern sagen, Sie sind der Teufel. Ich lache, das Lachen fut mir weh, sie wird rot, hastig stellt sie das Glas hin.

Erlauben Sie es, fagt sie bittend, sie schlägt das Kreuz." über mein Bett, fie gibt mir zu trinken und läuft davon. In der nächsten Nacht sieht sie wieder nach mir, ohne daß ich geflingelt habe, und nun kommt sie jede Nacht, sie hat feine Angst mehr, fie fest fich zu mir ans Bett, zutraulich spricht sie von ihrem Heimatdorf in Oberbayern , von ihrem Bruder, der einen Bauernhof befißt, wie ärmlich er lebt, wie er fich plagt und so schwer durchbringt, dabei muk er noch für die alte Mutter fornen, die Sub gibt wenig Milch, und die Städter drücken den Preis, ein Pferd hätte er auch, ein Schimmel. früher hätte sie ihn aefüttert, wenn sie über den Hof zum Stall aina. hat er gemi- hert, nein, jest fährt sie nicht mehr nach Haus. fie sei Jesu Braut und habe Abschied genommen von der Welt.

Einmal fragt sie mich: Glauben Sie an Gott ?" Ehe ich noch antworten kann, inricht sie schon, ihre Stimme verrät, daß fie fich vor meiner Antwort fürchtet:

Viele Menschen fagen, fie glauben nicht an Gott, und doch wohnt Gott in ihren Herzen.

In der Nacht benor ich entlassen werde, beugt sie sich über mein Bett und fükt mich.

Am Moraen, draußen martet schon der Gefangenenwagen, fommt schüchtern eine Novize, heimlich gibt sie mir ein Päckchen:

Schwester Ottmara schickt es Ihnen, ein kleines Kreuz, es ist sehr heilig, es ist ein Reliquienkreuz, es soll sie schüßen, immer, Ihr ganzes Leben."