and b
Nummer 1401. Jahrgang
Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Christengott
Dec Flüchtlings Kommissar
Seite 8
Deutschland ist von nun an auch staatsrechtlich nur noch ein Reich der nationalsozialistischen Bonzokratie. Der Wille, die Totalität bes Staates mit der Totalität der nationalsozialistischen Partei zu vereinen, hat feinen reichsgefeßlichen Ausdrud gefunden. Die NSDAP . ift durch ein Reichsgefeß, dessen Wortlaut wir an anderer Stelle veröffentlichen, zu einer Körperschaft öffent= lichen Rechts geworden. Damit find für immer, solange dieses Parteiregime Deutschland beherrscht, alle politischen Gruppenbildungen gesetzlich geächtet. Die NSDAP . steht in viel höherem öffentlichen Recht als ehedem die Landeskirchen oder ähnliche Körperschaften öffentlichen Rechts. Die mußten fich alle noch den Wettbewerb und die Kritik freier Vereini gungen gefallen lassen. Hier hört das auf. Die NSDAP . ift auf politischem Gebiete nicht nur die einzige Körperschaft öffentlichen Rechts, fie ist die einzige geduldete Körperschaft über: haupt.
Für die Mitglieder der Partei und der SA. hat das nene Geleg ein doppestes Gesicht. Auf der einen Seite erhebt es fie zu bevorrechteten Staatsbürgern gegenüber den Nur: deutschen, die sich nicht rechtzeitig durch Parteiabzeichen und Braunhemd die Gunst der regierenden Parteibürokratie ge= fichert haben, auf der anderen Seite unterstellt es sie einer Gerichtsbarkeit, deren Urteile reine Wintürakte sind, die auf Befehl der Bonzokratie gefällt werden. Nach dem Wortlaut des Geleges braucht sich diese neue Parteirechtsprechung feineswegs nur auf strafbare Handlungen zu beziehen. Bei der willkürlichen Auslegung, die im Reiche lediglich im Parteiinteresse geübt wird, ist durchaus damit zu rechnen, daß auch zivilrechtliche Entscheidungen mit der neuen Recht: sprechung vermengt werden.
Das Gesetz hat einen doppelten Zweck: es soll den Schrecken und die Angst des deutschen Volkes vor der gewalttätigen Parteidiktatur erhöhen und gleichzeitig jeden Verfuch eigenen Denkens und eigenen Handelns in der NSDAP. durch die Furcht vor einer barbarischen Gerichtsbarkeit über mißliebige und ungehorsame Mitglieder erhöhen. Jeder Pg. und jeder SA. : oder SS. - Mann muß nun noch mehr als bisher die Denunziation des Nebenmannes fürchten, der ihn vor ein Parteigericht bringen kann, dessen Urteile nicht unter irgendwelchen Rechtsgarantien, sondern nur noch nach reinen Parteiinteressen gefällt werden. Jedes dieser Urteile fann den als schuldig Befundenen so in die öffentliche Acht bringen, daß er und seine Familie wirtschaftlich und physisch dem Untergang geweiht sind.
Es ist nach allen bisherigen Erfahrungen nicht anzn= nehmen, daß das Gesetz irgendwie und irgendwo nennens wert angewendet wird, wenn sich SA.- und SS. - Leute Ausfchreitungen gegen Marristen, Juden und sonstige Deutsche minderen Rechts zuschulden kommen lassen. Da die„ Ausrottung" diefer Schichten nach den oft wiederholten Erklä rungen der Banditenführer, auch der in hohen Reichs- und
紧
Parteibürokratie und grüßt mit erhobener Hand
die regierenden Parteibonzen. Es ist das wohl verdiente Schicksal eines Menschen ohne politischen Charakter, der vielleicht nicht einmal fühlt, wie jammervoll er sich und seinesgleichen vor einer Parteibonzokratie, deren Korruption tausendfach zu erweisen ist, entwürdigen.
Die alten bürgerlichen Rechtsbegriffe werden mehr und mehr zerstört. Ob diejenigen das nicht merken, die das braune Heer finanzierten und begünstigten, um den bürger
lichen Staat und die bürgerliche Wirtschaft gegen den Marris:
mus und den Bolschewismus zu schüßen? Soviel ist gewiß, daß der alte bürgerliche Staat nicht wiederkehren wird. Ein parteiischer Söldnerstaat ist an seine Stelle gerückt. Noch ist er Schutz und Schirm der kapitalistischen Wirtschaft, aber deren Krise ist ungelöst und wahrscheinlich unlösbar gerade in den Bezirken, die breite Säulen jeder bürgerlichen Gesellschaftsordnung sind: dem Bauerntum und dem Mittel stand. Nicht zuletzt eine Ahnung dieser riesenhaften Ge: fahren dürfte auch für das neneste Totalitätsgesetz maßgebend gewesen sein.
Daß diese Schwierigkeiten durch drakonische Geseze nicht gelöst werden können, ist für uns gewiß, und alle Lehren der Geschichte geben uns darin recht. In jener kommenden fritischen Stunde, die andere, zur revolutionären Umgestals tung der Wirtschaft entschlossene Kräfte an die Macht bringen wird, kann es nun die Problematik der Machtergreifung, die einst den deutschen Sozialismus zerfeßte, nicht mehr geben. Der totale faschistische Staat kann nur durch einen totalen sozialistischen Machtwillen gestürzt werden, und diesen Tag werden wir erleben.
Staatsämtern befindlichen, ein verdienstliches Werk it, llegale Sozialdemokratic
werden die Parteigerichte gegen solche Taten sehr milde sein. Schwerste Strafen werden aber allen denen drohen, die sich nicht in blindestem kadaverge= borsam der Bonzenhierarchie unterwerfen. Diese„ Menterer" werden in einer Weise bes traft werden, für die wohl die alte preußische Militärgerichtsbarkeit das Vorbild ist.
Im Zuge dieser Parteigesetzgebung ist auch der parteis diktatorische Charakter des Reichskabinetts noch flarer herausgearbeitet und stabilisiert worden. Der Stellvertreter und langjährige Freund des Führers Rudolf Seß und der General der braunen Miliz und Organisator des Re vauchekriegs Ernst Röhm find zu Reichsministern ernannt worden. Was neben den nationalsozialistischen Oberbonzen noch im Reichskabinett geduldet wird, sind außer dem unmöglichen Seldte, der im Glanze seines Ministertitels den Untergang des Stahlhelms" gern übersicht, einige Fach minister, die man nicht gut entbehren kann. Bleibt noch der Bizetanzler Fränzchen von Papen. Dieser traurige Geld ift ausgezogen, um die„ Parteibürokratie" au vernichten. Jede seiner Kanzlerreden enthielt diese Forderung, und die Bauern und Bürger, vor denen er zu sprechen pflegte, jubelten dem Männchen zu, das sie für einen Staatsmann hielten, während er nur ein strebender Ehrgeizling ift. Einer, der Minister sein und bleiben will um jeden Preis. Nun ist er Dekorations- Vizekanzler in einem Stabinett reinter
Die tapfere Jugend
Dresden , 2. Dezember. Die politische Polizei meldet: Man ist einer außerordentlich umfangreichen Neuorganisation der SPD. auf die Spur gekommen. Die jenseits der Reichsgrenze ſizenden Führer der SPD . haben mit den hier zurückgebliebenen früheren fleinen Funktio nären die Verbindung wieder aufgenommen und haben in Anlehnung an die früher sozialdemokratische Parteiorgani sation zunächst eine ganz systematische Verbreitung des in Karlsbad gedruckten Neuen Vorwärts in die Wege
au leiten vermocht.
Zur Tarnung wurde aus Geldmitteln von jenseits der Grenze hier in Dresden eine Tabakgroßhandlung eingerichtet, in der die neue illegale Dresdner SPD - Leitung untergebracht war. Die in der Tschechoslowakei gedruckten Zeitungen und sonstigen Schriften wurden, in Paketen verpackt, bei Nacht in für die Fahrt in das Reichsgebiet auf den Grenzbahnhöfen bereitstehenden Eisenbahnwagen und auch auf Dampfschiffen auf tschechischem Gebiet auf die raffi nierteste Weise so versteckt, daß die Pakete der Aufmerksam feit der deutschen Grenz- und Eisenbahnbeamten zunächst entgehen fonnten. Eines dieser Pakete, das ein Sturier hatte liegen lassen müssen, wurde dank der Aufmerksamkeit des Bahnpersonals entdeckt.
Die Ursachen des fleinen Unfalls" find uns bekannt. Die Arbeit wird fortgesetzt.
Mögen die Völker...
Sir John Simon, Staatssekretär für Aeußeres Seiner Majestät, hat dem Haus der Gemeinen Erklärungen abgegeben, die man nicht mit Stillschweigen übergehen darf. Die englische Regierung verzweifelt nicht an Genf , nein, keineswegs! Sie bleibt treulich dazu entschlossen, die Abrüstungskonferenz bis zur allerglücklichsten Lösung zu führen Aber sie ist der Meinung, daß es, bevor die Unterhaltungen in Genf wieder aufgenommen werden, notwendig ist, die großen Schwierigkeiten zu mildern, die die Großmächte trennen. Und wie könnte, ich bitte sehr, diese Arbeit vorhergehender Verständigung ohne Deutsch land versucht werden? Sir John Simon ist daher der Meinung, daß man mit Deutschland „ reden" müsse, bevor die vertagte Konferenz neuerdings zusammentritt. Unterhandlungen zu zweit, zu dritt, zu viert? Kleiner Bakt oder großer Pakt? Sir John Simon überläßt uns freundlich der Verlegenheit der Wahl.
Niemand kann bezweifeln, daß sich darin bei der eng lischen Regierung eine recht deutliche Meinungsänderung bemerkbar macht. Ich will im Augenblick nicht ihre Urs sachen untersuchen, aber klar ihr Folgen darstellen. Sir John Simon erklärt im besten Glauben der Welt, daß eine Neuaufnahme des Kontakts mit Deutschland not. mendig ist, wenn die Abrüstungskonferenz gelingen foll.. Das war seit langem die Auffassung Mussolinis; es scheint, daß sie nun die Auffaffung der englischen Regierung geworden ist. Ich meinerseits erkläre im Gegenteil, daß, wenn man den Abschluß einer Konvention der Zus ſtimmung, der Anwesenheit, der Unterschrift Deutschlands unterordnet, man die Abrüstungskonferenz endgültig zu Grabe trägt.
Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge bleibt ein ein ziger Weg gangbar: derjenige, den Großbritannien , Amerika , Frankreich im September und im Oktober offenkundig vereinbart zu haben schienen. Die Arbeiten der Konferenz fortzusetzen, ohne die Sache preiszugeben, ohne auf den Abfall Deutschlands Rücksicht zu nehmen; trotz seiner Abwesenheit die Grundlinien des Abrüstungssystems festzulegen; ihm die fertige und vollendete Vereinbarung vorzulegen; es von der Welt, vor der Welt. öffentlichkeit, zu zwingen, die furchtbare Verantwortung der Ablehnung zu übernehmen; das war in Wirklichkeit und das ist vielleicht heute noch der einzige Weg, seine Zustimmung zu erzwingen.
Man konnte auf diese Weise und man kann es viel. leicht noch? die Abrüstung und die Kontrolle er zwingen. Wenn man aber heute Hitler Deutschland gewinnen, es anlocken, seine freiwillige Rückkehr mit einer ausreichenden Prämie" bezahlen will, wird man zwangs läufig, ob man nun will oder nicht, bei der Wiederaufrüstung Deutschlands enden. Wenn Hitler- Deutschland in welchem Maß auch immer aufrüstet, wie wird man dann von den anderen Völkern, ja von England selbst erlangen können, daß sie ihre Heeresbestände sofort herabsetzen, daß sie ihr Rüstungsmaterial sofort beschränken? Biel. leicht wird man Generalstabsvereinigungen erzielen, die dieser oder jener Macht eine gewiffe Ueberlegenheitsdifferenz" sichern. Aber die Abrüstungskonferenz, heute schon schwer krank, wäre damit endgültig tot. Die italienische und englische Medizin hätten sie umgebracht. Jst noch Zeit, auf den richtigen Weg zurückzukehren? Werden die Männer, die an der Spitze der Großmächte stehen, sich noch von dem Neg sophistischer Theorien be. freien können, in das man sie einwickelt? Werden sie verstehen, daß am Ende der„ direkten Unterhandlungen" das Wettrüsten steht? Werden sie verstehen, daß der Zu. sammenbruch der Konferenz sehr bald den Themen außer ordentliche Kraft geben würde, die Herr Mandel dieser Tage darlegte und die zu den gefahrvollsten Aktionen führen können?( Mandel, Abgeordneter der französischen Kammer, verlangte das sofortige Einschreiten gegen Deutschland auf Grund des Artikels 213 des Versailler Vertrages, der den Völkerbundsrat ermächtigt, durch Mehrheitsbeschluß Untersuchungen in Deutschland , also auch über den Stand der deutschen Rüstungen, anzus ordnen. Anm. der Red.) Mögen wenigstens die Völker es verstehen, mögen sie alles unternehmen, um die legten Chancen ihres Seils au mahuen