Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten

Dienstag, den 5. Dezember 1933

Vom Strahlenbündel zum Hakenkreuz

Der Schwindelsegen des kleinen Mannes

In Gallspach   ist das Geschäft aus. Dem Wundermann, der mit dem elektrischen Strahlenbündel in einer Minute alle Krankheiten auslöschte, die den Bemühungen der gelehrten Aerzte getrotzt hatten, ist samt seiner Patentmedizin das Handwerk gelegt worden War der Schwindel zu grob, zu durchsichtig, offenbar? Hat der gesunde Menschen­verstand" in seinen Grundfesten, ein sturmwindhaftes Ge­lächter angestimmt, das den Charlatan wegfegte?

Keine Spur von Gelächter. Keine Spur von Sturmwind. Die Gilde der staatlich konzessionierten Heilbehandler sah ihre Felle wegschwimmen und den goldenen Strom, der auf Grund der Konzession und von Rechts wegen ihre Mühlen zu treiben hat, in ein Bett geleitet, das nicht das ihrige ist. Darum mußte der Wundermann vernichtet werden. Man hätte mit dem Schwindel sich abgefunden, auch in ihm jene Dosis Ge­nialität entdeckt, die die Zünftigen immer fort finden, wo das Volk sie zu sehen wünscht.

Die Kirmeß einer Dorfgemeinde wars in Gallspach  . 100 oder 300 Menschen höchstens, über denen in jeder Séance des Meisters elektrische Funken sich entluden. 100 000 oder 500 000 segnet in Deutschland   des Meisters Hakenkreuz zu gleicher Zeit und die Menge der in den Segen sich Tei­lenden tut der Wirkung keinen Abbruch. Wie die 300 in Gallspach   nach empfangener Bestrahlung ihrer Krücken ent­raten konnten, fühlen die 500 000 in Deutschland   nach der Segnung des Meisters sich aller Gebrechen frei und ledig.

Ist der Schwindel im Weltmaßstab, wie er in verflossenen Jahrtausenden ein oder das andere Mal die Welt durchraste, in Bann schlug, in Wahnsinn fiebernd machte?

Es ist der Schwindel des ,, kleinen Mannes", der Inhalt sei­ner kindhaften Tages- und Nachtträume, die Fibelfilosofie, die Schuster und Schneider angesichts des gestirnten Firma­mens ankommt.

Der Traum von der Erlösung von allen körperlichen und seelischen Leiden durch das Lebenselixier, von aller sozialen Beschwertheit durch die Patentmedizin des Wundermannes.

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Was strengt Ihr Euch an. Ihr Machthaber in Berlin  , um Euren Gläubigen eine passable Analyse Eurer Arzneien zu geben, was sinnt Ihr über dialektische Feinheiten, über filoso­ fisch  - sozialökonomische Explikationen? Sagt Euren Gläubigen offen und brutal ins Gesicht, daß Eure Tränke gebraut sind aus den getrockneten Exkrementen vergangener Jahrtau­sende, vermischt mit allen Abwässern aus den Jauchegruben der alten und der neuen Welt und seit überzeugt, die Wirkung Eurer Arzneien wird sich noch verhundertfachen. Schwindel? Schon finden sich in aller Welt, auch der außer­deutschen, die Zünftigen, die auf Euren hakenkreuz­geschmückten Haufen nächtlicherweile die Flämmchen der Genialität haben irrlichtern sehen. Schon wird man Zeuge der geistigen Auseinandersetzung" mit dem System, dessen ,, ge­niale Organisation" Ethos und Wirkungskraft aus sich selber zeugt. Die Emanationen des hundertprozentigen Irrsinns, der urzeitlichen Brutalität, des typischen Schwindels werden sublimiert und ins Untypische erhoben.

Die Herrschaft, die Dolch und Peitsche, Handgranate und alles sonstiges Rüstzeug der rasenden Bestie über Leibern und Seelen aufrichtete, wurde zu göttlicher Macht, vor der

sich in den Staub zu werfen letzte Sehnsucht der Mensch­

heit ist.

So wird aus der eindimensionalen Viecherei eine geistige Strömung, aus dem Gestammel eindeutig banaler Allerwelts­sprüche das System von Zeit und Zukunft.

Die Erlösung der Welt und Menschheit von allen ihren Uebeln, von Heiligen und Narren oft versucht, soll in Deutschland   durch die Mittel des abgründigen Hasses und des Totschlags, durch infamen Rechtsbruch und durch Erniedri­gung und Herabwürdigung der menschlichen Kreatur in die Wege geleitet werden. Tortur und Scheiterhaufen: wir ken­nen die Requisiten noch aus der Zeit, da man seiner sittlichen Sendung sich bewußt war und sich ihrer nach Kräften befliẞ.

Aber wir erinnern uns auch. daß, obzwar der Ruch der ver­brannten Menschenleiber ein gut Teil der Welt erfüllte, die Erlöser doch in etlicher Zeit die göttliche Kraft verließ und die Erlösung Stückwerk blieb, indem sie nur für die relativ Wenigen stattfand, die durch die Flamme in die Selig­keit eingingen.

Gegen das Abrakadabra des Wundermannes der Deutschen  sind die Gesetze der Logik und die nüchternen Worte des Die fetten gesunden Menschenverstandes hoffnungslos. Schwaden sacharingesüßter Populärfilosofie haften zäh und träge in der gähnenden Leere der Hirnwindungen wie Kar gummi am Gaumendach.

Ausgelöscht vom seichten Schwats der Militärrentnerfilo sofie ist alle Erinnerung an klassenkämpferische Menschen­würde. Sie forderte harte geistige Zucht und persönliche Verantwortlichkeit, sie lud zentnerschwere Säcke von Pflich­ten auf müde Schultern und zeigte nicht im Hintergrunde den gleißenden Jahrmarktshimmel der Seligen, sondern den kahlen Acker, dem eine befreite Menschheit Spatenstich

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um Spatenstich ein karges Dasein abzuringen hat.

Hier aber ist ein berauschender Wundertrank, der die von dem jahrzehntelangen Elend nicht aufgefressenen schäbigen Reste der Hirnmasse umnebelt und ihnen eine beglückende Fata Morgana vorgaukelt.

Wie konnte die deutsche   Menschheit, diese friedlichen, ruhigen, nüchternen, aller Ekstase abholden Massen in diesen Paroxysmus von Haß, Terror und Gemeinheit geraten?

Wer dieses Volk kennt und wer mit offenen Sinnen diese schaurige Transformation miterlebt, mitgefühlt, miterlitten hat, weiß sicher und gewiß, daß hier nur scheinbar eine Trans­formation stattgefunden hat. 100 000 oder eine Million Menschen sind es von allen 60 Millionen Deutschen  , deren innere Schmutzigkeit diese Bewegung von je Lebenselement war. Sie sind es, die den 59 Millionen ihren Willen zur Ge­meinheit aufzwingen mit Mitteln, die nie in diesem Volke heimisch waren. Es ist leicht, anständige Gesinnung, die nicht

Die deutschen Universitäten W

Wir treiben jetzt nach neuer Methode

in Deutschland   Gelehrsamkeit; nach geopolitischer Mode

sind wir an den Grenzen bereit. Die Chemiker züchten Bazillen zu Zwecken, die Banse gelehrt und Pastoren dichten im Stillen die Feldpredigt, längst schon entbehrt.

Zum Luftschutzappell schrein Sirenen schrill, wer nicht gehorcht, sitzt schnell in Haft. Wer Wissenschaft schreiben will, ** hört im Kolleg Wehrwissenschaft.

Man putzt jetzt die Wehrgedanken blitblank in der Filosofie,

gehn zu Grund auch Fabriken und Banker so heroisch war Deutschland   noch nie. Man studiert das Gesetz der Vererbung; und der Wenden   nordische Zucht, wird aus der Semiten- Verderbung, Pot Odin  , zu retten gesucht.

Zum Luftschutzappell schrein Sirenen schrill, wer nicht gehorcht, sitzt schnell in Haft.

Wer Wissenschaft betreiben will, hört im Kolleg Wehrwissenschaft.

Die braven Historiker lehren

jetzt alles in ,, rassischer Schau", man kann Charaktere entbehren, die Esel sind alle ja grau.

Was die Bansen an Wissenschaft haben,

in Retorten stinkt es als Gas.

Ueber Deutschland fliegen die Raben, denn sie wittern das künftige Aas.

Zum Luftschutzappell schrein Sirenen schrill, wer nicht gehorcht. sitzt schnell in Hatt. Wer Wissenschaft betreiben will. hört im Kolleg Wehrwissenschaft. lisions

Wenzel Sladek.

mit Widerstandskraft und persönlichen Mut gepaart ist, Blauweiß" im Esplanade

niederzuhalten, einzuschüchtern, ja, in ihr Gegenteil zu ver­kehren.

Aber man kann sie nicht ausrotten, üler kurz oder lang wird sie sich wieder an die Oberfläche ringen und schauerlich Gericht halten. Die klare Erkenntnis der begangenen Frevel­taten ist eingeschläfert, aber es wird ein Erwachen geben, das elementarhaft und ruckartig den mit Unrat bis zur Decke angehäuften Stall ausmistet.

An Euch. Euch, Euch. Ihr 40 Millionen deutsche   Arbeiter, war es, den klaren, eindeutigen, hunderttausenmal erwogenen Weg ohne Besinnen, ohne Zögern und ohne Klingelzeichen anzutreten, an dessen Ende der Popanz Adolf Hitler   nur eine Laternenverzierung sein konnte. no

Kein Wunder wird uns der ehernen Notwendigkeit ent­heben, diesen Weg zu gehen. Heute oder morgen. Und eine Stunde der Entschlossenheit wird uns zeigen, daß das. was viele für Eisenbeton und Guẞstahl halten, Papiermaché und Filmkulisse ist. Peter Ber.

Fabel

Zu Aesops   Zeiten sprachen die Tiere, Die Bildung der Menschen ward so die ihre; Da viel ihnen aber mit einmal ein, Die Stammesart sollte das Höchste sein. Ich will wieder brummen." sprach der Bär, Zu heulen war des Wolfs   Begehr, ..Mich lüstets zu blöken," sagte das Schaf, Nur einer, der bellt, schien dem Hunde brav. Da wurden allmählich sie wieder Tiere, Und ihre Bildung der Bestien ihre.

Zu Marburg   an der Lahn  

Franz Grillparzer  , 1849.

Ein tapfecer Professor Und Studenten, die ihn anjohlten

Kampfliedern durch die Stadt. Nachher sprach noch der nationalsozialistische Standartenführer und versicherte, daß er die Forderung der Studenten mit allen Mitteln unter­stützen werde.

Während in der ganzen Zeit des politischen Umbruchs kei­nerlei öffentliche Auseinandersetzung zwischen Professoren­und Studentenschaft der Harburger   Universität vorgekommen war, veranstalteten, so berichtet die ,, Kölnische Zeitung  ", die Studenten eine große Kundgebung, die sich gegen den Ge­heimen Justizrat Professor Dr. Manigk richtete. Sie war Repetitorium über Bürgerliches Recht getan hatte. Er gab geschichtliche Hinweise auf die internationale Auwirkung kul­tureller Ideen und Einrichtungen, sprach u. a. vom Ueber­gang des römischen fiduziären Rechts über das deutsche  Rechtsleben und sagte in diesem Zusammenhang, daß ja auch die politische Idee, die Deutschland   jetzt beherrscht, im römi­schen Boden ihre Wurzel habe. Die Aeußerung wurde in der Hörerschaft sogleich mit Mißfallen und Unruhe aufgenom­men, und diese Gefühle fanden dann heute zu Beginn der Vorlesung Manigks ungestümen Ausdruck. Die meist in SA.­und SS  .- Tracht erschienenen Studenten brachten durch ihrer Führer die Angelegenheit zur Sprache, zeigten sich von der Erwiderung des Professors unbefriedigt und verließen den Saal, um sich auf dem Marktplatz anzusammeln. Dort hielt der studentische Sturmführer eine Rede, worin dem Pro­fessor vorgeworfen wurde, daß er den Nationalsozialismus als eine Importware und als eine fremde Pflanze auf deut­schem Boden geschmäht habe. Wir, die deutsche   Jugend". so schloß der Redner ,,, verbitten es uns, von solchen Füh­rern erzogen zu werden und wir verlangen, daß Professor Nachdem ein Manigk von seinem Lehrstul verschwindet." zweiter Student in ähnlichem Sinn gesprochen hatte, mar­schierte ein tausend Mann starker Zuz mit Sprechchören und

veranlaßt durch Aeußerungen, die der Professor in einem Martin Rade   entlassen

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Marburg  , 1. Dezember.

Der seit Jahren emeritierte Professor der Theologie an der hiesigen Universität, Martin Rade  , weitern Kreisen be­kannt als Herausgeber der ,, Christlichen Welt", ist jetzt auf Grund des Paragrafen 4 des Beamtengesetzes( ,, Beamte, die nicht die Gewähr bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, usw.") aus dem Staatsdienst ent­lassen worden; ebenso Professor Goete, der über semi­tische Philologie las.

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Martin Rade   gehörte zum Freundeskreise Friedrich Neu­manns. Seine Christliche Welt" war seit langen Jahren eine Zeitschrift, die von echtem religiösen Erleben ge­tragen, den sozialen Ereignissen unserer Zeit weit auf­geschlossen war. Diese Verfügung gegen Martin Rade   ist nicht nur gegen den greisen Theologen und Gelahrten, der schon in der Vorkriegszeit echte demokratische Gesinung be­kundete, gerichtet. Sie ist zugleich eine Kampfansage gegen die opponierenden Professoren der Marburger   Universität, deren ,, Gutachten" wider die radikalen ,, Deutschen Christen  " von den Anschauungen Rades nicht unbeeinflußt geblieben ist.

Papen   hat Geburtstag

Wer die Volksreden der deutschen Regierungshäuptlinge hört oder liest, muß annehmen. diese treusorgenden Väter der Armen seien im Privatleben anspruchslos und bescheiden wie die alten Spartaner am Eintopfsonntag. Und der ,, Ber liner Herold", bestätigt das denn auch:

,, Am Sonntag hatte der Vizekanzler von Papen seinen 56. Geburtstag Er ging also am Sonnabend mit den Seinen zu Max Hansen ins ,, Bezaubernde Fräulein", wo er herzlich lachte und hinterher ging man auf einen Ball. Der Vizekanzler, der ein begeisterter Sportsmann ist. er schien mit den Seinen knapp vor Mitternacht auf dem großen Ball des Tennisklub Blauweiß" im Esplanade. Da die Zeitungen schon am Tage vorher die Tatsache seines Geburtstags ausgeplaudert hatten, sprach sich seine An­wesenheit schnell herum, Punkt zwölf Uhr schmetterte die Kapelle einen Tusch, aus allen Sälen des Esplanade brach aus tausend Kehlen ein donnerndes Hoch aus. Als erster gratulierte von Papens Kollege aus dem Kabinett, der Reichswirtschaftsminister Dr. Schmitt... Ehrenpräsident des Klubs ,, Blauweiß" ist Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg. Eine vornehme Geselligkeit herrschte an diesem Abend.. Unter den Anwesenden sah man auch den Polizeigeneral Daluege  , der Chef der Geheimen Staats­polizei Dr. Diehls, in der Stahlhelmuniform Prinz Eitel Friedrich  , in der SS  .- Uniform seinen Neffen, den Prinzen Wilhelm von Braunschweig  ."

Im Esplanade" zu Berlin   pflegt man gewöhnlich Wasser­suppe zu essen. Trotzdem soll es nicht nur Herr von Papen, sondern auch dem Polizeigeneral Daluege und dem Chef der Geheimen Staatspolizer Dr. Diehls ausgezeichnet ge schmeckt haben. Warum auch nicht? Was sollte ihnen den Appetit verderben? Blut sehen sie alle Tage. Stark im Ertragen aller Opfer" so will Hitler   den deutschen Mann. Und so ertragen sie denn ihre Opfer mit größtem Gleichmut.

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Einer, der sie kennt

Wilhelm Stapel   auf dem Index

Herr Wilhelm Stapel  , einer der eifrigsten Propheten dev ,, dritten Reichs", wettert im ,, Deutschen Volkstum" über Kriechertum und Angstmeierei":

,, Die seelische Reaktion des Spießers auf die Gewalt überindividueller Mächte, die über ihn dahinbrausen, pflegt zu sein: Aengstlichkeit  , Sich- ducken und Pfötchen­geben. Damit kommt er überall durch die Welt und durch jede Revolution.

Eiligst suchte der Spießer auf dem Parteibüro ein Loch, durch das er in die Partei hineinschlüpfen könnte... Durch Aeußerlichkeiten schmust er sich an die heran die Macht haben um innerlich zu bleiben, was er war, ist und... sein wird. Aufmerksam späht er nach dem Munde derer, die sein Schicksal(!) sind. Keinen Gedanken wagt er mehr von sich zu geben, ohne sie durch irgend ein Zitat von Hitler  , Göring  , Göbbels   usw. zu sichern... Ganz besonders devot erfolgt das Zitat dann, wenn der Spießer es als Deckung für seine eigene andere Meinung benutzt, die er nicht klar auszusprechen wagt.

Speüübel wird einem von diesem Neubyzantinismus des ewigen Spießers."

Ganz unsere Meinung! Aber dieser Neubyzantismus, dieses Kriechertum, diese Angstmeierei sind die unvermeidlichen Folgen eines Systems, das die Freiheit gemordet, den Geist in Fesseln geschlagen, die aufrechten Männer und Frauen in die Gefängnisse und Konzentrationslager gesperrt oder ins Exil gejagt hat! Wer das mit gefördert hat, darf sich über die Folgen nicht beklagen. plas

Auch Stapel selber nicht. Er sollte jüngst in Hamburg   vor Studenten sprechen. Sofort wurde sein Vortrag verboten.