Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten

Mittwoch, den 6. Dezember 1933

Musik und Propaganda

Der ausgezeichnete Musikschriftsteller und frühere Intendant, für den es im Hitler- Reich keine Wirkungsmöglichkeit gibt, veröffentlicht in der ,, Neuen Zürcher Zeitung " einen Aufsatz, dem wir folgende Partien entnehmen:

Man hat oft versucht, die Kunst durch mehr oder minder sanften Druck, durch Lockung, durch freigebigste Pflege auch da zu kommandieren, wo man ihr die für den schöpfe­rischen Geist unerläßlichen ideellen Antriebe nicht zu geben vermochte. Der letzte deutsche Kaiser war ein leidenschaft­licher Freund der Künste, bildender und darstellender, wie er sie sah. Das Ergebnis aber gelangte nicht über die Sieges­ Allee , Lauffs Hohenzollerndramen, Leoncavallos ,, Roland von Berlin" und den Ausstattungszauber der mythologisch­wissenschaftlichen Ballett- Pantomime ,, Sardanapal" mit assy­rischer Musik von Josef Schlar hinaus. Damals sagte man: ,, Die Kunst soll." Wie aber, wenn man gar sagt: ,, Die Kunst muẞ"?

Was soll sie müssen? Werben? Wofür? Für Politik oder politisch begründete Weltanschauung? Die Marseillaise war ein politischer Propagandagesang, der aufrüttelndste, den die neue Zeit kennt. Ein bisher fremder Auftraggeber war ge­kommen, die Masse. In ihr lebte ein Aufschwungswille, der zu neuen Menschheitsideen emportrieb, nicht diktiert und geführt, sondern aus sich heraus erst unter schweren Käm­pfen Führer gestaltend. So war die Marseillaise nicht eigent­lich Partei-, sondern Freiheitsgesang, die seither letzte große und wahrhaft erfassende Werbemusik, eines der stärksten musikalischen Flammenzeichen aller Zeiten. Keiner der später politischen Gesänge: Internationale, Bandiera rossa, Giovinezza kommt ihr an elementarem Schwunge gleich, und das Horst- Wessel- Lied kann als Massenhymne in volkskunst­lerischem Sinne nur psychologisch gewertet werden. Die musikalische Sturmfahne fehlt all diesen neuern Massen­bewegungen. Es zeigt sich also auch hier, daß die Musik umso schwächer wird, je mehr sie bewußt auf Propaganda­zwecke gerichtet ist.

Sind aber schon diese Wurzeln so schwach wie soll es da um die kunstvoll gestaltete Musik stehen, die aus den Kräften des Volksmäßigen ihre Nahrung ziehen muß? Ist es überhaupt möglich, der Kunst, namentlich der Musik, jeden beliebigen machtpolitischen Stempel aufzuzwingen? Kann man Musik für rein politische Zwecke propagandistisch ausnützen oder auch nur durch propagandistische Mittel aktivieren?

Man kann nicht. Alle dahin gerichteten Bestrebungen, mögen sie auch subjektiv ehrlich und ernsthaft reforma­

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Von Paul Bekker

torisch gerichtet sein, beruhen auf Verkennung des wirk­lichen Zusammenhanges politischer und künstlerischer Schaffenstriebe. Sicher bestehen zwischen diesen Gebieten Bindungen geheimer und tiefer Art. Aus ihnen erst erklärt sich das dienende, gelegentlich bis zur scheinbar servilen Selbstverleugnung gehende Verhältnis der Kunst zur Macht. Aber dieser Eindruck beruht auf einer Täuschung, sofern er eine unmittelbare Abhängigkeit der Kunst annimmt. Jene Bindungen sind zu begreifen nur aus einer der äußeren Ein flußnahme unzugänglichen irrationalen Beziehung. Für sich genommen, sind Politik und Kunst zwei völlig verschieden gelagerte Ebenen, die erst durch eine dritte Sphäre Verbin­dung miteinander erhalten. Aus dieser Verbindung allein wird die Propagandawirkung der Kunst möglich.

Damit hängt es zusammen, daß in einer Zeit, die ver­schiedenartigst organisierte politische Systeme hervorbringt, wie etwa die Gegenwart Faschismus und Bolschewismus, die aus beiden scheinbar resultierenden künstlerischen Bestre­Sie bungen in grundlegenden Punkten übereinstimmen. kommen nicht hier aus dem Bolschewismus und dort aus dem Faschismus als politische Gesinnung. Sie kommen aus dem beiden gemeinsamen Generalnenner als der Kraft, die das gesamte Leben dieser Zeit innerlich aufrührt und hier dieses, dort jenes politische System hervorbringen. Diese über­gordnete. ursprunggebende Zentralkraft erst erzeugt in der Kunst jene Bewegungen, die jede Partei irrtümlich als künstlerischen Ausdruck ihrer politischen Physiognomie in Anspruch nehmen mag sofern sie nicht erkennen kann, daß das Gegenteil ebenso möglich wäre.

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Solche Zeiten prägen Kaiserhymen zu republikanischen oder nationalistischen Gesängen um, weltliche Lieder zu Reformations- Chorälen. Sie übernehmen das alte Melodie­gefäß und gießen ihm mit dem neuen Text einen solchen Schwung der Bekenntniskraft ein, daß niemand mehr an die einstige Herkunft denkt. Solche Zeiten erfinden aber auch Schlagworte wie, Bolschewismus" der Kunst ohne zu

sehen, daß der Faschismus die gleichen Erscheinungen hervor. bringt und daß der einstige Futurismus beider Kinder und noch anderer Geschwister Vater ist.

Nur die Kunst ist als solche überhaupt möglich, die in andern Bezirken beheimatet ist als dem der Dienstbarkeit, gleichviel ob gegenüber Königen, Päpsten, Bankiers oder politischen Parteien, nämlich in dem einzigen Bezirk des innerlich freien schöpferischen Willens. Ist er in Wahrheit ein solcher, dann mag er sich nach- und unterordnen, weil er es aus eigenem Entschluß tut, denn dann ist ja eben dieser Eintschluß die tiefste Bekundung schöpferischer Freiheit.

nazigeografie billed.ml

Die Schule im dritten Reich" muß, um allen nationalen Bedürfnissen zu entsprechen, zur nationalen Bedürfnisanstalt werden. Einer der wichtigsten Gegenstände neben dem Hauptgegenstand Wehrkunde ist die Geografie, durch welche die Jugend auf die kommenden territorialen Aus­einandersetzungen vorbereitet werden soll. Deshalb wird allen Schülern eine kurze Charakteristik der europäischen Länder eingepaukt. Ungefähr so:

Frankreich : Siegreich zu schlagendes Erbfeindesland. Be­wohnt von den Affen Europas , einem minderrassigen wel­schen Volksgemisch. Hauptstadt Paris , ein von Dirnen, Apachen, verkommenen Künstlern und anderen Kulturbol­schewiken bevölkerter Steinhaufen, aus dem der Eiffelturm provozierend aufragt, um friedliche deutsche Luftbesuche in tendenziöser Weise zu avisieren. In der Nähe der Haupt­stadt liegt Versailles , der Sitz der Schmach. Das Volk ist größtenteils demokratisch und pazifistisch verseucht und spricht aus Haß gegen Hitler nur Französisch. Es hält noch immer an den Traditionen der von einer Handvoll marxi­stisch- jüdischer Jakobiner( Jakob!) inszenierten Französi­ schen Revolution fest. Unter anderm beschäftigen sich die Franzmänner mit der Herstellung von Champagner, nur um

Bonn am Rhein ,

du schönes Städtchen

Schweizer Professor entlassen.

Wie wir Schweizer Zeitungen entnehmen, ist dem Basler Fritz Lieb , a. o. Prof. an der Universität Bonn , vom Preußi­schen Kultusministerium von einem Tag auf den andern die Lehrbefugnis entzogen worden. Das eine muß und kann hier mit Sicherheit festgestellt werden: Der Grund der Entlassung liegt keinesfalls darin, daß Lieb als Forscher und Lehrer etwa seine Pflichten nicht erfüllt hätte. Im Gegenteil, seine wissen­schaftliche Arbeit hat sich in den letzten Jahren immer mehr ausgebreitet und vertieft. Fritz Lieb ist geboren 1892 als Sohn eines Baselgebieter Pfarrers. Er studierte Orientalia und Geschichte und im Anschluß daran Theologie und habilitierte sich nach Abschluß der Studien in Basel für systematische Theologie. Im Sommer 1930 übersiedelte er nach Bonn . Er erhielt an der dortigen Universität die Venia legendi für ..Oestliches Christentum in Vergangenheit und Gegenwart". Im gleichen Jahre wurde er von der Basler Fakultät zum D. theol. und 1931 in Bonn vom preußischen Staate zum außerordentlichen Professor ernannt. Seine zahlreichen Ar­beiten betreffen, abgesehen von einem größeren Werke über den Philosophen Franz von Baader ausschließlich das ihm zugewiesene Stoffgebiet der russischen Religionsphilosophie und Theologie. Einen besonderen Namen hat er sich gemacht durch die Herausgabe der Zeitschrift ,, Orient und Okzident". Diese Zeitschrift hatte von Anfang an ein besonders hohes Niveau. Sie ist eine Fundgrube für alles Wissenswerte aus dem russischen Geistesleben der Vergangenheit und der Gegenwart, und sie ist auch wir sind darüber informiert von den Vertretern des neuen Regimes in Deutschland zern als Rüstkammer benützt worden. Lieb hat in dieser Zeitschrift aus seiner intimen Kenntnis des Kommunismus heraus gegen den alles Geistige und Geistliche vergewaltigen­

dem deutschen Rheinwein bei den Gelagen der national­sozialistischen Führer Konkurrenz zu machen. Wenn Deutschland leben will, so muß es Frankreich aufs Haupt schlagen und das Gebiet stückweise an nationalsozialistische Staatsführer aufteilen.( Näheres in Hitlers ,, Mein Kampf ".)

Italien : Prachtvolles Land, in dem der Faschismus unter Zitronen blüht. Große Teile des Volkes liegen vor Musso­ lini , dem genialen Nachahmer Hitlers , am Po. Rom ist in der kleinsten Hütte. Die Bevölkerung der kernitalienischen Provinz Südtirol spricht aus Sympathie für das dritte Reich" fast nur Deutsch . Das gleichgeschaltete Land kann allen national Erhobenen als geistige Sommerfrische wärmstens empfohlen werden.

Rußland: Zukünftiges Kolonisationsgebiet Deutschlands . Derzeit infolge bedeutender Industrieaufträge seitens der Sowjetregierung nur vorsichtig anzugreifen.

Oesterreich: Slawisch- semitischer Landfetzen im Süden Bay­ erns . Brauchbares Experimentierfeld für Höllenmaschinen, Hakenkreuzfeuer und Papierböller. Die Bevölkerung ist wegen ihrer Gemütlichkeit und echt österreichischen Schlam­perei berüchtigt. Es muß getrachtet werden, Oesterreich unter das Sprengpatronat Deutschlands zu bringen. Karo.

den Bolschewismus einen Kampf geführt, der seinesgleichen

sucht.

Es dürfte keine Frage sein, daß auch die Entlassung dieses Theologen auf Umtriebe von seiten der Glaubensbewegung Deutscher Christen zurückzuführen ist. Man fragt sich, ob unsere Behörden. so fragt die Neue Züricher Zeitung", sol­chen Entlassungen von Schweizern mit verschränkten Armen zusehen werden.

Antreten: Stammcolle!

Meldepflicht für Schriftsteller

Der Reichsverband Deutscher Schriftsteller e. V., Berlin W 50, Nürnberger Straße 8, teilt mit: In Durchführung des Kulturkammergesetzes haben sich alle deutschen Schrift­steller zur Eingliederung in die Reichsschrifttumskammer beim Reichsverband Deutscher Schriftsteller e. V., Reichs­leitung Berlin W 50, Nürnberger Straße 8, anzumelden.

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Ballade von der deutschen Eiche glob A so!

Von Georg Wilman

Im Teutoburger Wald steht eine Eiche. Sie steht da schon seit recht geraumer Zeit. Sie überlebte viele Deutsche Reiche .

Sie sah so manche deutsche Heldenleiche Und wuchs und wurde dick und groß und breit. Sie sah die Schlacht. die gegen Varus tobte, Als Herrmann der Cherusker Führer war. Und Karl der Große sich die Eiche lobte, Als er das Christentum, das sturmerprobte, Mit Schwert und Feuer trug zur Sachsenschar. Sie sah viel Kriege und sah wenig Frieden Und blähte sich in echtem deutschen Stolz. Sie sah das Los, das stets dem Volk beschieden Und war mit allem, was sie sah, zufrieden, Denn sie war immerhin aus deutschem Holz. Sie zitterte und bebte vierzehn Jahre, Als Deutschland schmachvoll tief am Boden lag. Sie trauerte an mancher Heldenbahre Und wußte doch: es kommt einmal der wahre, Der erste echte deutsche Frühlingstag.

Es kam der Tag. Im Frühling dreiunddreißig, Da brachten braune Helden einen an Und hängten ihn. Es knisterte im Reisig. Die Eulen schrieen. Und der Wind war eisig. Und sieben Tage hing der tote Mann. Die Eiche wußte: das war ein Verräter, Das war ein Jude oder Kommunist. Sie dachte an die deutschen Heldenväter. Sie billigte die Tat der braunen Täter, Weil das die neue deutsche Sitte ist.

Und dann verlor die Eiche ihre Blätter Im dritten Reich". Jetzt steht sie kahl und matt, Verdorrt und sterbend. Denn die braunen Retter, Sie waren nichts als Schwindler. Mit Geschmetter Und Reden macht man nicht mal Eichen satt!

Ob sie noch einmal nützlich wird, die Eiche? Ich glaube doch, ich hab' daran gedacht, Daß man, ist's aus erst mit dem dritten Reiche", Für manche schöne ,, dritte Reiches"-Leiche Aus Eichenholz die besten Galgen macht!

Vollschlank und vermögend

,, Mein Führer wünscht"

Die nationalsozialistischen Führer im Reich haben, so lesen wir in der Wiener Zeitung "( amtliches Organ der österreichischen Regierung), die verschiedensten Wünsche, die sie in Form von strikten Aufträgen und Drohungen durchgeführt wissen wollen. So wünschen sie, daß die Unterführer sich nicht in die Staatsgeschäfte und in die wirtschaftlichen Betriebe einmengen, daß sie nicht als Richter und Polizeifunktionäre auftreten sollen. Stabschef Röhm befahl jüngst den Sonderbevollmächtigten und Son derbeauftragten des obersten SA. - Führers, im Namen ihrer Zuständigkeit der Vereinsmeierei ein Ende zu machen, weil noch immer viel zu viel Vereine beständen und die Bildung neuer ein großer Unfug sei. Weiter bezeichnete Röhm das Absammeln durch uniformierte SA.- Leute sogar als eine Landplage. Er verbot jede Sammeltätigkeit, jede Werbung von Zeitungen und Zeitschriften, Büchern und industriellen Erzeugnissen im Dienstanzuge. Auf das hinauf entwickelte sich natürlich eine Inflation von Verboten, die anschwillt wie seinerzeit im November die Markentwertung. Welch ab sonderliche Blüten die nationalsozialistische Propaganda treibt, geht aus nachstehendem Inserat hervor, das jüngst in den Breslauer Neuesten Nachrichten" erschien:

,, Mein Führer wünscht, daß ich heirate. Drum suche ich ein evangelisches, rein arisches Mädchen, blond, voll­schlank, vermögend...."

Demnach berufen sich sogar Mitgiftjäger auf den Führer. Das ist die andere Seite der Gesinnungs- und der Rassen­pflege.

Die stack behaarte, fettleibige Buhlerin

Blonde Arier heiraten sie nicht!

In einem Programm zur Verbesserung der Rasse durch die Ehe, das vom, rassenwissenschaftlichen" Wochenblatt ,, Das Wissen der Nation" veröffentlicht wird, heißt es: ,, Die Rasse und das Weib dürfen sich nicht selbst überlassen bleiben, sondern die gut rassige Arierin muß vom arisch- heldischen Mann behütet werden... Wir fordern, daß der blonde, blauäugige Mann kein Weib brünetter( mittelländischer) Artung mit langem Rumpf, kurzen Beinen, schwarzen Haaren, Hakennase, vollen Lippen, großem Mund, Hänge brüsten, Hängebauch, übermäßig starker Behaarung und Neigung zur Fettbildung heiratet. Wir fordern, daß der arisch- heldische, blonde, blauäugige Mann keine schwarze Negroide heiratet mit dem bekannten Negerkopf, mit Ellipsenbrüsten, starken Brustwarzen und hagerem Körper. Die Mittelländerin ist der Typus der Buhlerin, die Negerin und Mongolin der Typus des weiblichen Lasttieres. Dagegen heiratet der arische, heldische Mensch nur seinesgleichen...

Im übrigen: zeuge Kinder

Diese Meldepflicht betrifft alle Arten schriftstellerisch Schaf nazi- Frau, entsage! fender mit Ausnahme der für die Reichspressekammer zu­ständigen Schriftleiter und Journalisten. Es haben sich zu melden alle Buchautoren, alle belletristischen Mitarbeiter bei Zeitungen und Zeitschriften, wissenschaftliche und Fach­schriftsteller, Filmschriftsteller, Uebersetzer, Lyriker, Text­dichter, Bühnenschriftsteller, Funkschriftsteller und Kritiker aller Art. Die Meldung hat bis zum 15. Dezember dieses Jahres zu erfolgen.

Der Präsident der Reichsschrifttumskammer hat die Mit­glieder des Präsidialrates Dr. Heinz Wismann zum Vize­präsidenten und Dr. Gunther Haupt zum Geschäftsführer der Reichsschrifttumskammer bestellt.

Im nationalsozialistischen ,, Führer" weist Julianita Wölber Schrader der Frau die Rolle zu, die sie im ,, dritten Reich" zu spielen hat. U. a. schreibt sie: Das oberste Gesetz, nach dem die Frau eines aktiven Nationalsozialisten ihr Zusam menleben mit dem Manne auszurichten hat, ist: Geduld... Frauen", ruft Julianita, laßt Geduld, Entsagung und Ver. ständnis die Gesetze sein, denen gemäß Ihr Euer Verhalten dem Kämpfer der Bewegung gegenüber ausrichtet!"

Du sollst, um die Wahrheit sagen zu können, das Exil vorziehen. Niegsche.