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Frethel
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Nummer 143-1. Jahrgang Saarbrücken , Donnerstag, den 7. Dezember 1933 Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
So wurden sechs geköpft Seite 2
Justiz und Recht
Seite 3
Verbrecheccecht
Seite 4
Kölnische Zeitung"
beschlagnahmt
Seite 5
C
iw odd
Seite 7
Ultimatum an den Völkerbund
G
Mussolini fordert sofortige radikale Reform
Stoß gegen Geni
London, 6. Dez. Renter meldet aus Rom : Der Fas schistische Große Rat beschloß in einer Sigung, an der Musso lini und alle Mitglieder teilnahmen, in den frühen Morgen ftunden, daß Italiens Mitgliedschaft beim Völkerbund abhängig sein solle von einer radikalen Reform dieser Einrichtung, die in der kürzestmöglichen Zeit in seiner Verfassung seinen Zielen durchgeführt werden solle.
Mit Bezug auf die Kriegsschuldenzahlung an Amerita beschloß der Große Rat, eine Summe von einer Million Dollar zu zahlen als Beweis des guten Willens in Erwartung einer endgültigen Reglung.
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London , 6. Dez. Neuter berichtet aus Rom zu dem bereits gemeldeten Beschluß des Faschistischen Großen Rates: Bezüglich der Reform des Völkerbundes muß nach italienischer Ansicht eine Revision in drei Gesichtspunkten erfolgen: 1. Die Beschränkung des Rechts der kleines Yen Mächte, ihre Stimme über Problem abzugeben, die fie nur teilweise berühren.
2. Die Bereinfachung des Völkerbundsver fahrens. Man ist in Rom der Ansicht, daß angenblicklich die endlose Hinausziehung der Erörterungen und die Bermehrung der Ausschüsse einen Fortschritt so gut wie una möglich machten.
3. Die Befreiung des Völkerbundes vom Rahmen werk des Versailler Vertrages und anderer Nachkriegsverträge.
Dagegen ist in Italien stets erbittert gekämpft worden, und man ist der Ansicht, daß dies den Völkerbund zu einer Einrichtung für die Wahrung der Gewinne der Siegerstaaten unter der Herrschaft Groß britanniens und Frankreich 8 macht. Die Folge war, daß die europäischen Nationen in zwei Gruppen geteilt wurden, die„ Befißenden" und die„ Besiglosen". Man vertritt in Rom den Standpunkt, daß der Völkerbund durch eine radikale Revision zu einer wirklich universalen Körperschaft gemacht werden müsse. Jetzt, da der Faschistische Große Rat feine Drohung gegen Genf gerichtet hat, erwartet man nicht, so schließt die Reuter- Meldung, daß irgendeine weitere Aktion in der nahen Zukunft folgen wird.
Ende und Anfang
Noch am Dienstag mittag hat der russische Bolts: kommissar für die Außenpolitk Litwinow vor der Welt: preffe in Rom erklärt, er habe noch keine endgültige Ents icheidung über seinen Reiseweg nach Mostan getroffen. Es sei ungewiß, ob er über Berlin fahre. Am Dienstag abend jedoch ist der russische Staatsmann nach Berlin abgereift. Als er nach Rom tam, hatte er die Absicht, die Berliner Res gierung demonstrativ zu schneiden und über Wien nach Moskau zu fahren. Wenn er nun seine Reiseroute geändert hat, so ist das ein Erfolg der starken Bemühungen Musso
Der faschistische Große Rat hat soeben beschlossen, daß Italiens weitere Mitgliedschaft beim Bölterbund abhängig sein soll von einer radikalen Reform dieser Einrichtung. Während die nordamerikanische Reserve gegenüber dem Völkerbund dem Willen entspringt, Zurückhaltung gegenüber den europäischen Sorgen und Spannungen zu üben, find sowohl die Faschisten wie die Bolschewisten grundfäßliche Gegner jeder Völkerbundsideologic, auch wenn sie sich der nach dem Weltkriege üblich gewordenen pazifistischen Ausdrucksweise bedienen. Gerade der Bolschewismus hat in seinem gesamten Schrifttum den bürgerlichen Pazifismus mit der ganzen Schärfe marristischer Dialektik zerfetzt, und diese Grundanschauungen der bolschewistischen Lehre gehen tiefer als die taktischen Bemühungen, im außenpolitischen Spiel der Mächte die Interessen Rußlands so ausgezeichnet zu vertreten, wie es Litwinow zum Stannen der Welt versteht.
Man spricht davon, daß die Besprechungen in Rom einen neuen Abschnitt der Abrüstungsver= handlungen einleiten sollen. Der Gedanke, daß eine bolschewistisch- faschistische Entente, ein Einvernehmen der Gewaltpolitiker schlechthin der französischen und der britischen Demokratie den ewigen Frieden bringen werde, ist zu absurd, um Ernst genommen zu werden. Daß jede der Großmächte, auch Italien und Rußland so gut wie Deutschland , fich bez mühen, den Ausbruch eines Krieges zu ungelegener Zeit hintanzuhalten, darf man ihnen glauben. Mehr nicht.
In Wahrheit behandeln Japan , Deutschland , Italien und Rußland den Völkerbund schon wie einen Toten. Bestenfalls rechnen sie mit Reformen der Genfer Institution, die deren Umfang beschränkt und die geringen Völkerbundsrechte noch mehr einengt.
Es wäre gefährlich, die Augen vor Tatsachen zu vers schließen. Die Zeit der allgemeinen inter nationalen Konferenzen ist vorüber, auch wenn da und dort noch eine stattfinden sollte. Längst ist wieder die frühere Geheimdiplomatie am Wert. Der Versuch, die Weltvölker in einer Weltorganisation einiger= maßen vertrauensvoll zusammenzuschließen, ist einstweilen gescheitert. Wie an die Stelle der Völkerbundsberatungen geheime Sonderverhandlungen getreten sind, so find auch die Mächte gruppierungen wieder auferstanden. Hinter der kaum noch zu übersehenden Zahl von Nichtangriffspakten und ähnlichen schönen Abkommen zeichnen sich die schweren Schatten von militärischen Bündnissen ab, die immer Vorläufer von Kriegen gewefen find.
Wenn Litwinow nach Moskau zurückgekehrt sein wird, fann er dort von großen diplomatischen Erfolgen seines Landes berichten, und die Bolschewisten dürfen sich einer weiteren Atempause für ihre wirtschaftlichen und militä= rischen Rüstungen freuen. Schwerlich aber wird Litwinow seinen Mitarbeitern das Märchen erzählen, er habe die kapitalistische Welt voll Vertrauen auf einen langen Frieden angetroffen, und niemand im Kreml würde ihm das schöne Märlein glauben.
Es sind gewiß in Europa noch gewaltige Kräfte am Wert, die den Frieden sichern wollen, aber die entscheidende Macht haben sie nicht.
land herbeizuführen.
Die Aussichten dafür find freilich gering. Litwinow hat vor seiner Abreise von Rom verkündet, daß sein Aufenthalt in Berlin teinen amtlichen Charakter trage, selbst wenn er einen Vertreter der Reichsregierung treffen sollte. Die deutsche Reichsregierung macht in einer halbamtlichen Berlantbarung den Russen ebenso wie den Japanern und den Bereinigten Staaten ein Kompliment, weil sie dem Völker: bund nicht angehören, fügt aber hinzu, weitere Verträge mit Rußland feien von deutscher Seite nicht notwendig, da die Beziehungen auf Grund früherer Abkommen„ normal" seien. Bekanntlich so" normal", daß der Ministerpräsident Brenßens vor dem Reichsgericht das bolschewiftische Nußland als vere brecherisch ganz allgemein beschimpfte aub auf die boliches wiftische Betätigung in feinem Reiche Todesstrafe setzt. Sowohl die Berliner wie Moskauer fehen offenbar zur Beit keine Möglichkeit, den Wünschen Mussolinis auf freunds lichere Beziehungen zu entsprechen.
In einem find Nom, Berlin und Moskan allerdings be ftimmt einig: in dem Unglauben an die Wire fung des Bölkerbunbes und an die Möglich leit einer Abrüstung.
Halbamtlich wird aus Berlin zur Völkerbundspolitik Italiens geschrieben:
Die neue Gemeinschaft muß auf einer objektiven und neutralen Grundlage aufgebaut werden, wie sie z. B. im Kellogg Patt angedeutet ist.
Eine großzügigere politische Linie würde auch wie man in Italien seit langem richtig erkannt hat ein einfacheres und schnelleres Verfahren ermöglichen. Der Wortlaut der Ausführungen Mussolinis über diese Reform liegt noch nicht vor; doch läßt sich schon aus den Beschlüssen des Großen Rates entnehmen, daß es sich für Italien im wesentlichen um eine Erweiterung des Biermächtepattes ins Universelle handelt. Go wird nicht ausbleiben. daß die gleichen Widerstände bei denjenigen Staaten hervor treten, die man die beati possidentes nennt und die bereits durch den Biermächtepakt ihre Intereffen gefährdet saben. Aber auch diese Sänder werden fich allmählich damit abfinden müssen, daß der Bölkerbund mit seiner auf die Wünsche der Siegerstaaten zugeschnittenen Berfassung Wünsche der Siegerhaatex augefchnittenen Berfassung und Zielsesung nur eine Uebergangserfcheinung sein fonnte und schon jest praktisch der Versein fonnte und schon jest praktisch der Ber gangenheit angehört
Dieser Tage fand man in der Presse des„ dritten Reiches" eine Notiz, daß erneut bei zahlreichen Bolitikern ,, kommunistisches Vermögen" beschlagnahmt worden sei. Dabei wurden auch der Führer der früheren sozialdemokratischen Reichstagsfraktion Rudolf Breitscheid und seine Frau Toni genannt. Woraus bestand das„ Vermögen" dieser beiden? Aus einer bescheidenen Wohnungseinrichtung und einer Bibliothek. Kurz, an Breitscheid wurde ein Diebstahl vors genommen, den man mit einer Enteignung nach den Methoden des Kommunismus gleichsetzen könnte. Wir tun es nicht, um Sowjet- Rußland mit diesem Vergleich nicht zu kränken. Immerhin beweist dieser Zugriff, daß Rudolf Breitscheid von den braunen Machthabern tief gehaßt wird. Sie ehren ihn darüber hinaus andauernd durch die Behauptung, er treibe im Ausland Landesverrat und Hetze zum Kriege gegen Deutschland .
Ein besonders dreistes Stück hat sich jüngst das von den Nationalsozialisten kurzerhand konfiszierte große Blatt des Industriegebietes, der„ Dortmunder Generalanzeiger" geleistet. Er behauptete, daß Breitscheid in seiner Rede an der Pariser Sorbonne sich unter anderem auch gegen künftige deutsch - französische Verständigung gewandt und Europa beschuldigt habe, die Verantwortung für das Vordringen des Nationalsozialismus zu tragen. Seine Rede fei ausgeklungen mit der Aufforderung, alles daran zu sehen, damit„ Deutschland abgerüstet werde".
Diese Wiedergabe ist eine einzige dreiste Entstellung. Eine 3uschrift aus Paris , deren Verfasser unter den Zuhörern Breitscheids saß, widerlegt die verlogenen Behauptungen des nationalsozialistischen Blattes. Was hat Breitscheid wörtlich gesagt?
Breitscheid begann mit einer Darstellung der Bers fehlungen, die sich die Alliierten der deutschen Demokratie gegenüber haben zuschulden kommen lassen. Er schilderte dann die Widersprüche zwischen den nationalsozialistischen Reden und Geften von ehedem und hente. Er hat dann auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die durch Sonders verhandlungen erwachsen fönnten. Es wäre richtiger ges wesen, wenn die Abrüstungskonferenz nach dem Austritt Deutschlands weiter getagt und eine Konvention angenoms men hätte, durch die Hitler vor eine klare Vers antwortung gestellt worden wäre. Statt dessen ermutigten ihn eine Reihe von Regierungen dadurch, daß sie ihn immer wieder freundlich zu einer Berständigung einluden. So habe er einen diplomatischen Erfolg erzielt, der unter Umständen auch nicht ohne ungünstige Rücks wirkungen auf die innere Politik von vielen Staaten bleiben könne. Wörtlich fuhr Breitscheid fort:„ Nur die äußere Politit darf mich heute hier beschäftigen. Aber selbst auf diesem Gebiet muß ich mir eine gewisse Zurücks haltung auferlegen. Ich bin nicht befugt, den Regierungen Ratschläge für ihr zuständiges Berhalten zu erteilen. Ich kann nur Wünsche äußern, die ich als Europäer sowohl wie als Deutscher, der sein Vaterland und sein Land wieder frei sehen möchte, im Herzen trage. Der erste und wichtigste Wunsch ist der, daß diejenigen Nationen, die noch ein Gefühl für Demokratie und Freiheit, für die Rechte des Bürgers und des Menschen besigen, zusammens stehen mögen zur Abwehr ihnen gemeinsam drohender Ges fahren. Ich weise es weit van mir, etwa 3* einem bewaffneten Kampf gegen das Deutschland Adolf Hitlers aufzurufen. Ich würde einen Krieg für ein Verbrechen, die Besetzung deutschen Gebietes für ein europäisches Unglück halten. Ich wünsche auch nicht, daß der Gedanke der Aufrüftung lebendig wird. Man soll im Gegenteil an dem Prinzip der internationalen Abrüftung festhalten, um alles zu tun, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Erst wenn dies erzielt ist, wird man Deutschland die entscheidende Frage vorlegen und ihm die Verantwortung zuschieben tönnen. Das alles aber muß geschehen in Einigkeit und in Entschlossenheit und indem man mit aller Dentlichkeit zu verstehen gibt, daß die Welt bei aller Ablehnung einer politisch- militärischen Intervention in der moralischen Verurteilung dea deutschen Systems übereinstimmt."
Wir drucken diese Zuschrift nicht nur ab, um den Be weis der Verlogenheit eines Raziblattes zu führen. Breitscheid hat an der Pariser Sorbonne nicht als Parteimann gesprochen. Seine Ausführungen wird jeder Friedensfreund und jeder Deutsche unterschreiben müssen, der um Deutschlands willen Hitler bekämpft. Breitscheid