Fretheil
Nummer 149-1. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Donnerstag, 14. Dezember 1933 Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Pause im Gespräch
Seite 2
Dec Flüchtlingskommissar
enttäuscht
Seite 3
Die Steuern hoch! Seite 4
Vecurteilt zum Tode Seite 5
Der Kulturkampf Seite 8
( P. G.) In der letzten Woche haben sich die Spitzel der Geheimen Staatspolizei auf Belgien geworfen. Dabei konnte feſtgeſtellt werden, daß außergewöhnlich große Geldmittel von der Regierung des hungernden deutschen Bolkes für Ueberfälle auf Emigranten zur Verfügung gestellt werden. Es gelang den belgischen Sozial demokraten in zwei Fällen, die Verbrecher im Augenblick des Ueberfalls in Antwerpen zu fassen.
Ein sozialdemokratischer Journalist, der in einem kleinen Hotel, das für billiges Geld Emigranten Ausenthalt gewährt, einige Tage wohnte, wurde des Nachts im Hotelzimmer von dem Agenten Mag Siedhoff, geboren 10. 9. 1889 zu Barmen, nachdem der Bursche in frecher Weise Unterstützung als Flüchtling verlangt hatte, überfallen. Dem Journalisten wurden die Kleidungs stücke zerrissen und seine Papiere entwendet. Zufällig waren im Gastzimmer des Hotels einige belgische Sozialdemokraten anwesend, die auf die Hilferufe ihres deutschen Freundes für die Festnahme des Naziverbrechers durch die belgische Polizei sorgten. Auf der Polizeiwache wurde festgestellt, daß der Spigel außer barem deutschem Gelde im Betrage von 1200,-Reichsmark 50 Markscheinen ein Bankbuch der Rotterdamer Bank mit Ueberweisungen des deutschen Konfuls in Rotterdam in der Höhe von 4000,- Reichsmark bei sich trug. Jm deutschen Reisepaß hatte der Agent Visa für Frankreich und Belgien .
Der Polizei gab er an, nach Südfrankreich reisen zu wollen, aber auch in der Schweiz , in Basel und in Brüssel auf der Durchreise Geschäften nachgehen zu wollen. Vom deutschen Metallarbeiterverband und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands besaß Siedhoff gefälschte Mitgliedsbücher. Unserem Genossen mußte er die zerrissene Kleidung bezahlen und wurde dann über die französische Grenze abgeschoben.
Noch dreister war das Auftreten eines zweiten Agenten einige Tage später im Antwerpener Gewerk schaftshaus. Unter der Angabe, als deutscher Kom munist an der illegalen Arbeit, auch für die Sozialdemokratie tätig zu sein, suchte Hjalmar Kronenborg Anschluß bei belgischen Sozialisten und deutschen Flüchtlingen. Ein sozialistischer Emigrant erkannte in dem Mann einen berüchtigten Polizeispitel aus Hamburg , der in den letzten Jahren an der Wasserkante die margi stische Bevölkerung wiederholt zu Exzessen verleiten wollte. Als der Bursche sah, daß seine Rolle entdeckt war, griff er im vollbesetzten großen Restaurationssaal des Gewerkschaftshauses zum Browning und war im Begriff
auf die Genossen am Tisch zu schießen. In der Nachbar schaft sitzende Belgier entwaffneten ihn, wobei ihm eine gehörige Lektion erteilt wurde. Aus seinen Bapieren, die fotografisch verewigt wurden, ist ersichtlich, mit welcher Dreiftigkeit die Bürger Deutschlands ihre Banditen in friedliche Länder schicken. Er hatte folgende Polizeiausweise in der Tasche:
Bescheinigung
Herr Hjalmar Kronenborg reist im Auftrage der Staatspolizei in Hamburg . Die deutschen Behörden und Dienststellen werden gebeten, ihm bei der Aus- und Einreise feine Schwierigkeiten zu bereiten.
Stempel.
56, 20. Juli 1933 Nener Wall 88.
Tgb. Nr. Staatspolizei/ 38 St. P. 4a. Herr Hjalmar Aronenborg fährt mit Wissen der Staatspolizei in Hamburg nach Rotterdam . Er ist beauftragt, fommunistisches Schriftenmaterial, soweit für ihn erreichbar ist, nach hier mitzubringen. Stempel.
Staatspolizei
Unterschrift unleserlich.
Herr K. ist für die St.. tätig. Es wird gebeten, Amts: handlungen gegen ihn zu unterlassen.
Dieser Ausweiß wird Herrn K. behändigt, um ihn in der Wohnung zu verwahren.
Stempel.
Unterschrift unleserlich.
Goldene Worte des deutschen Reichskanzlers zu den diplomatischen Gesprächen
Entweder die Welt wird regiert nach den Vorstellungen unferer modernen Demokratie, dann fällt das Schwergewicht jeder Entscheidung zugunsten der zahlenmäßig stärkeren Raffen aus, oder die Welt wird beherrscht nach den Gesetzen der natürlichen Kraftordnung, dann stegen die Völker des brutaleren Willens und mithin eben wieder nicht die Nationen der Selbst= beschränkung. Daß aber diese Welt dereinst noch schwersten Kämpfen um das Dasein der Menschheit auss gesetzt sein wird, kann niemand bezweifeln. Am Ende siegt ewig nur die Sucht der Selbsterhaltung. Unter ihr schmilzt die sogenannte Humanität, einer Mischung von Dummheit, Feigheit und ein gebildetem Besserwissen, wie Schnee in der Märzensonne. Im ewigen Kampf ist die Menschheit groß geworden im ewigen Frieden geht sie zugrunde. Aus„ Mein Kampf ".
Englischer Bricf
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Dr. O. G. 2ondon, 9. Dezember. Der erhobene Zeigefinger und die Ideenlosigkeit Während in der Welt sich entscheidende Neugruppierungen vollziehen, herrscht in England äußerlich tiefster Friede. Es geschieht scheinbar gar nichts in der Politik. Der kleine ach wie kleine Sturm der Nachwahlen ist vorüber. Weder in der Innen- noch in der Außenpolitik ereignet sich anscheinend etwas Entscheidendes. Die Zeitungen sind so langweilig, wie sie seit langem nicht waren. In der Außenpolitik begnügt man sich mit milden Ratschlägen und freundlichen Zureden. Man treibt eine Politik des erhobenen Zeigefingers. Der gütige Herr Lehrer mahnt. Er mahnt seinen lieben französischen Freund, sich doch mit Herrn Hitler an einen Tisch zu setzen, er spricht ja so mild und friedlich, warum soll man es nicht einmal mit ihm versuchen. Man mahnt den lieben Hitler, doch seine wilden Männer endgültig zu zähmen; wenn er brav und ehrlich ist, dann gibt es auch ein Geschenk, dann kann ein bißchen revidiert werden( was, darüber zerbricht man sich vorläufig noch nicht den Kopf). Man mahnt den lieben Mussolini , nicht allzu stürmisch gegen den Völkerbund vorzugehen; daß der Völkerbund revisionsbedürftig sei, ist ja ganz richtig, aber man müsse doch behutsam anfangen... Und dann redet Lord Londonderry, Englands Luftminister, Macdonalds bester Freund, im Oberhaus; 66 wir müssen zur Luft aufrüsten, England müsse soviel neue Flugzeuggeschwader bauen, daß es von der fünften oder sechsten Stelle auf die erste rücke und mindestens so stark sei wie die stärkste Luftmacht. Zur gleichen Zeit spricht Baldwin im Unterhaus über das gleiche Thema, im Ton sanfter, er droht nur mit Luftaufrüstung, wenn die anderen sich nicht bald über eine Abrüstung einig werden. Hinter dem erhobenen Zeigefinger steckt doch also etwas mehr als bloße Liebenswürdigkeit.
Alle deutschen Konsulate und Gesandtschaften sind gegenwärtig nichts weiter als Spionagebüros. Auch Kronenborg, der in Hamburg jahrelang den wildesten Kommunisten spielte, hatte in seinen Papieren als Ziel seiner Reise Frankreich vermerkt. Allen Emigranten ist größte Vorsicht anzuraten, wenn ein ihnen un bekannter mit großen Erzählungen über die geleistete illegale Arbeit sie bekannt macht.
Hindenburg als„ Landesverräter"
Der Reichskanzler wirft ihm Schmach und Schande vor
Der deutsche Reichstag hat sich zu einer Zehnminutenfizung versammelt. Die Abgeordneten wählten durch zu ruf ein Präsidium, zu dem neben Göring und dem bayerischen Nazi- Minister Esser auch der Bank und Börsen fürst von Stauß gehört, schrien drei mal„ Sieg Heil", liquidierten 600 Mark Diäten, reisten nach dieser Kraftanstrengung in die einstweilen unbegrenzten Weihnachtsferien, an die sich vielleicht die Ofter und Pfingstferien gleich anschließen und haben einstweilen keine anderen parlamentarischen Sorgen, als das pünktliche Eintreffen der monatlichen Aufwands entschädigung abzuwarten.
Die„ Saarbrücker Zeitung " leistet sich über den Gottesdienst in der Hedwigskirche folgende Greuelmeldung, die um so bedenklicher ist, als sie zugleich mit einer Verächt lichmachung der Kirche verbunden ist:
In Zivil bemerkte man den Bizetanzler v. Papen . Gläubig kniet die Menge meder und bittet den Herrgott um Kraft und Segen für die neuen Männer, die ge= waltsame Aufgaben zu lösen haben.
Es ist offenbare Gotteslästerung, den Gegen des Höchsten für Gewalttaten gegen die eigenen Volks genossen anzurufen. Die SA besorgt das übrigens, ohne
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den lieben Gott zu bemühen. Schließlich sind die„ gewaltfamen" Lösungen auch gar nicht die Aufgabe dieses Reichstages. Er hat nur die Brutalttät des„ gewalt samen" Regimes durch einige neu zu druckende Reichsgesezblätter zu decken.
Der Reichskanzler war am Tage der Parlaments: eröffnung in Wilhelmshaven , um eine Rede an die Besatzung des heimkehrenden Kreuzers„ Köln " zu halten. satzung des heimkehrenden Kreuzers Köln " zu halten. Wir finden das durchaus stilgerecht. Im neuen Deutsch land ist das Parlament der Zivilisten, auch wenn sie als SA. und SS. kostümiert sind, ganz bedeutungslos. Die Waffe regiert die Stunde. Nur durch Gewalt und Rechtsbruch ist Hitler Reichskanzler. Nur durch die Mordwaffe kann er sich halten, und die Gewalt steht auch hinter seinen außenpolitischen Zielen.
Der Reichswehrminister von Blomberg gelobte dem Kanzler Treue. Dem Kanzler und Führer! Nicht seiner Kanzler Treue. Dem Kanzler und Führer! Nicht seiner Partei! Die Distanz zu den Miligen bleibt unverkennbar. Es geht um die entscheidende Macht von Heer und Marine im Staate, nicht um die SA. und SS. , die man als Inftru ment benutzen, aber nicht herrschen lassen möchte.
( Fortsetzung Seite 2.)
Was will England eigentlich? Treibt es, wie manche glauben, ein geheimnisvolles Doppelspiel? Spielt es eine Macht gegen die andere aus, um dadurch selbst zum Schiedsrichter zu werden? Nun, es scheint fast, als ob nicht solche schwarzen Gedanken die englische Politik leiten, als ob die englische Politik überhaupt nicht so klar und zielbewußt ist, wie Englands Bewunderer meist glauben, sondern als ob hinter der ganzen Geheimnis tuerei nur Jdeenlosigkeit steckt. Es ist überhaupt ein Irrtum zu glauben, die Engländer trieben immer eine gerissene Politik auf lange Sicht. Die Engländer find vielmehr Meister im Jmprovisieren, ihre Stärke liegt in dem gefunden politischen Instinkt, der sie zur rechten Zeit das Richtige tun läßt. In der Zwischenzeit aber plätschert die Politik im seichten Gewässer der Jdeenlosig keit dahin.
England und Hitler- Deutschland
Zur Zeit herrscht eine gewisse Interesselosigkeit gegen über Vorgängen in Deutschland , man hat genug gehört,