Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten

Mittwoch, den 20. Dezember 1933

Jenny von Westphalen  

Eine Ehe wird geschändet and just mis sic

Frauengröße ist ein zwiespältiger Begriff. Die bedeutende Frau, deren Wirken in den Büchern der Geschichte verzeich­net steht, wird vor den Höheren Menschheitsrichtern oft in den Schatten gestellt von der Lebensgefährtin, die nichts anderes zu verschenken hatte als die Größe ihres Herzens und die Uebermacht ihrer Seele.

Zu ihnen gehört Jenny Marx  , die Frau von Karl Marx  . Dieses Mädchen aus altadelig- altpreußischem Hause, eine ge­bürtige von Westphalen, hat ihren Jugendgeliebten allen Wider­ständen zum Trots geheiratet. Sie war ihm 35 Jahre hindurch eine Lebensbegleiterin mit einer seelischen Treue, die zu Dithyramben über diese erste ,, marxistische" Ehe An­laẞ bieten könnte. Denn ihre Wege führten durch Revo­lution und Emigration, durch Entbehrung und Leid um den Mann und um die Kinder. Immer war Jenny in den uner­forschlichen Bereichen zwischen Mann und Weib glücklich, geborgen und zufrieden mit ihrem Mohr". Eine Liebe, die das Klagelied des Tages hallend übertönte.

Aber das weiß jeder, der etwas von Marxens Leben weiß. Nicht aber weiß jeder, daß dieses Exempel eines gewitter­festen Ehebundes jetzt unseren braunen Familienrettern zum Nachweis der Folgen einer Rassenschande dienen muß. ,, Wie eine deutsche   Frau endet": so lautet die Ueberschrift eines

Artikels im, Völkischen Beobachter"( Nr. 337/338) über die ,, Tragödie einer Mischehe", eben der Ehe von Karl Marx  und Jenny von Westphalen  

Kostproben:

,, Als der Knabe acht Jahre alt war, trat der Vater, ein Advokat, mit seiner Familie zum evangelischen Glauben über, da er dem Sohne sein bürgerliches Fortkommen er­leichtern wollte. Er hätte sich diesen Schritt ersparen kön­nen, denn der Junge schlug doch nicht die bürgerlich- kor­rekte Laufbahn ein, sondern bevorzugte, seinem Charakter entsprechend, das zersetzende Wirken des wurzellosen und heimatlosen Literaten...

... Ungesellig, anmaßend, großmannssüchtig, mit Gott and der Welt zerfallen und jeder regelmäßigen, systema­tischen Arbeit abgeneigt, versteht er es, die Zuneigung des ,, schönsten Mädchens von Trier  " zu gewinnen. Sie hat diese unglückselige Wahl und Sünde wider das Blut mit einem lebenslänglichen Martyrium büßen müssen...

... denn der junge Student stieß auf stärksten Wider­stand. Der Kampf war sehr heftig und hat lange gedauert. Die Drohung Jennys, sich das Leben zu nehmen, entschied ihr Schicksal. Die Eltern gaben nach.

Aber auch die schwere Verantwortung, die der junge Mann leichtsinnig übernommen hatte, änderte an seiner Lebens- und Arbeitsweise nichts. Er blieb der verbummelte Student, der sich zu keinem ernsthaften Lebensziel auf­raffen konnte. Mit Ach und Krach braute er seinen Doktor, aber sich redlich zu einem Beruf zu entschließen, dazu reichte es bei ihm nicht. Er liest wahllos alles durchein­ander, beschäftigt sich heute mit Philosophie, morgen mit etwas anderem und kommt auf diese Art zu nichts rech­tem..

... Nach drei bitteren Entbehrungsjahren werden sie ausgewiesen und reisen nach Brüssel  . Es geht ihnen mise­rabel. Sie haben bereits zwei Töchter und einen Sohn und hausen ,, in einer armseligen kleinen Wohnung, die nur

Hilfe!

Ein gehetztec Mensch cuft.

Die freisinnige Züricher Volkszeitung"( Nr. 288) schreibt: Es lebt da in unserer schönen freien Stadt ein Flüchtling aus Deutschland  .

Den Schreckenskammern der SS  ." entgangen, rettete dieser geschundene, gehetzte Mensch sich in unser Land. Er wollte hier ausruhen, seine wunde Seele und seinen ge­schlagenen Körper heilen, um vielleicht weiterzuwandern, wenn es kein Zurück" mehr gibt...

Unkundig der hier bestehenden Verordnungen, meldete er sich nicht ,, binnen vierundzwanzig Stunden" als, Flücht­ling" an. Er wollte nicht ,, als Mensch zweiter Klasse der Schweiz   zur Last fallen", in der er sonst in ersten Häusern gewohnt und Geld gelassen hatte. Er wollte über seine

Erlebnisse drüben" schweigen und warten, ob nicht doch wieder die Möglichkeit käme, in das Land zurückzukehren, für das er Kriegswunden empfangen, immer wieder Blut und Leben eingesetzt hatte.

Wenn ein vom Schicksal hin und her Geschmetterter schließlich sein müdes Haupt an der glücklich erreichten Küste bettet, wenn er vor Erschöpfung und Leid zu­sammensinkt, denkt er da wohl vor diesem ersten leid­erlösenden Schlaf an etwaig mögliche ,, Vorschriften" des rettenden Landstriches?

Hat er nach einigem Ruhen nicht als Mensch von Dank­barkeit für das rettende Land das Bestreben, sich so still als möglich im Lande zu verhalten, so wenig als möglich lästig zu werden, so gut als möglich dem Lande Belastung zu ersparen?

Wenn er dann aber eines Tages entdeckt wird, dieser ge­strandete Mensch, wenn ihm die Rückkehr in die Heimat plötzlich verbaut wird, wie er im Begriffe ist, die Heimat aufzusuchen? Wenn ihm obendrein andere Länder zur Weiterreise unüberwindliche Hemmnisse entgegen­türmen

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Wehe ihm!

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dürftig möbliert ist". Die einstige Ballkönigin von Trier  , Jenny von Westfalen, muß die Hausarbeiten erledigen und bei ihrem Mann noch Sekretärin spielen.

... ,, Meine Frau", schreibt er ,,, sagt mir jeden Tag, sie wünsche, sie läge mit den Kindern im Grab". Er sieht ihre ,, nächtelangen Tränenbäche", aber er rafft sich zu nichts Stetigem auf. Rasendes Arbeitstempo und lähmende Faul­heit lösen einander ab. Hochherzige Freunde helfen immer wieder aus, aber das Geld rinnt im Marxschen Haushalt wie durch ein Sieb. Er kann nicht rechnen und einteilen. Marx   könnte immerhin etwas Geld verdienen durch Tagesschriftstellerei, aber das ist ihm zu lästig, er läßt seinen Freund Engels für ihn schreiben, der ihn außerdem als wohlhabender Fabrikant und Ausbeuter" immerzu unterstützen muß. Verbittert und vergällt, daß er nicht reich ist, haẞt Marx alle anderen Menschen, denen es besser geht, oder die irgendwelche bedeutsame Leistungen

erzielen"

chter", Sein Autor ist ein Man

Also der ,, Völkische Beobachter". Sein Autor ist ein Mann namens E. Unger- Winkelried. Die Macht dieses Pseudonyms kennzeichnet den Schreiber. Einer, der Material zu schmutzi­

ger Erniedrigung eines Ehebundes zusammensucht, will sich vor sich selbst rechtfertigen und kriecht in die Gestalt jenes Schweizerhelden, der die Speere seiner Feinde auf seine Brust vereinigte.

Wir tragen auf der Schulter Last von Lebenden und Toten. Wir tragen in den Herzen Haß von Lebenden und Toten. Wir schleppen

und wir schleppen schwer. Wir geben nicht die Bürde her. wir tragen ohne Murren. let Es liegt in uns wie schweres Blei und das Gewicht

läßt uns nicht frei,

es drückt den Tag, die Nacht.

Es drückt

bis zu dem heißen Tag,

der diesen Klumpen schmelzen mag. Aus Blei da gießt man Kugeln. Der Haß,

der macht die Augen scharf.

Es singt das Blei, das fliegen darf. Der Haß macht harte Hände.

Auf Wort und Wort

da hört er nicht.

Er schaut euch nur in das Gesicht. Dort steht es angeschrieben,

wer leben und wer sterben soll. Der Tag ist heiß,

das Maß ist voll,

da wird man nicht viel reden. 200

Dementsprechend auch seine Argumentation. Der ver- In der Bühnenlaube

bummelte Student" Karl Marx   hat mit 22 Jahren sein Dok­torexamen vor einer sehr gestrengen Prüfungskommission an der Bonner   Universität mit hohen Ehren bestanden. Der verbummelte Student war mit 22 Jahren Chefredakteur der ,, Rheinischen Zeitung  " in Köln  . Der verbummelte Student hat Schrift auf Schrift, Buch auf Buch verfaßt, ein von leidenschaftlichem Gerechtigkeitsverlangen religiös besesse­ner Mann. Dieser verbummelte Student hat Versuche großer deutscher Zeitungen bürgerlichen Geprägs, ihn zum Mit­arbeiter zu gewinnen, abgelehnt, weil er lieber hungern, als seiner Gesinnung untreu werden wollte. Die Lehre dieses verbummelten Studenten war vom Ethos durchglüht: durch den Klassenkampf des mißbrauchten Proletariats den Klas­senkampf überhaupt zu überwinden. So nebenbei, auf Grund wahllos zusammengelesenen Zeugs, entdeckt der verbummelte Student die Bewegungsgesetze der kapitalistischen   Gesell­schaft und entfesselte, weil er nie etwas ordentliches gelernt hatte, die beherrschende Arbeiterbewegung der Welt.

Nicht wahr, Herr Winkelried  , so ein Mann konnte natür­lich nicht richtig Geld verdienen. So ein wurzelloser und hei­matloser Literat konnte seiner daligen Frau natürlich nicht das feudale Leben bieten, das ihr zukam: das Leben mit vie­lem Gesinde, einer Equipage und Reitpferden. Statt zur Putz­macherin zu gehen, mußte sie die Arbeitssklavin ihres Mannes spielen und ihm rassenschänderische Kinder zeugen.

Kurz, der Marxismus  , ein Exkrement der Galle und des Aergers über die Börse der andern, bietet zugleich das Bei­spiel der Tragödie einer Mischehe. Die Nutzanwendung: denke und arbeite nur, was dich honorig macht, dir einen angesehenen Posten und ein festes Einkommen verschafft. Gehe der Liebesehe aus dem Wege, deutscher Jüngling! Bleibe beim Blute und zeuge redlich, nach den Bestimmun­gen des Reichsrassewarts! Siehe die gerechte Strafe für die Sünde wider Wotan im Leben von Marx   und Jenny, die sich 35 Jahre hindurch liebten und den grünen Zweig

Deutsch   im deutschen Haus

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Kurt Doberer.

Theaterkanzlei,

,, Die deutsche Bühne  ", das amtliche Organ des Deutschen Bühnen- Vereins, teilt das ihr vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda   zugestellte Verzeichnis entbehrlicher Fremdwörter im Theaterbetrieb mit. Es heißt darin: Arrangierprobe= Stellprobe, Büro= Kanzlei, Büro­chef Kanzleivorstand, Theaterbüro Chordirigent Chormeister, Chorist Chorsänger, Debut Antrittsrolle, erstes Auftreten, Foyer Wandelsaal, Wandelhalle, Erfrischungshalle oder Erfrischungsraum, Gage = Gehalt, Galavorstellung= Festvorstellung, Garderobe= Kleiderablage, Ankleideraum, Garderobegeld = Kleidergeld, Ablagegeld, Garderobier Gewandmeister, Ankleider, Gar derobiere Gewandmeisterin, Ankleiderin, Generalprobe= Schlußprobe, Inspizient Schlußprobe, Inspizient Spielwart, Kontrakt= Vertrag, Loge Laube, Logenschließer Schließer, Marionetten­theater Puppenbühne, Portier Pförtner, Hauswart, Pre­miere Uraufführung, Erstaufführung, Programm Zettel, Proszeniumsloge Bühnenlaube, Regie Spielleitung, Ren­dant Rechnungsführer, Repertoire Spielplan, Rollenver­zeichnis, Repetition Wiederholung, Saison Spielzeit, Stehparterre Saalstehplatz, Vestibul Vorhalle, Ein­gangshalle, Kassenflur, Kassenhalle,

-

in

Diese Verdeutschungen gehen uns nicht weit genug. Wir schlagen vor: Theater= nationalsozialistische Werbebühne, Drama arische Ueberzeugungstat. it

Das Landestheater Gotha hat eine bemerkenswerte Ein­richtung getroffen. Nach der großen Pause werden Fünf Minuten Politik" eingeschoben, in denen in Frage und Ant­wort zu volkswichtigen politischen Problemen Stellung ge­nommen wird.

des trauten Heims niemals erreichen konnten! Schlösser hat den Schlüssel

Andreas Howald.

Der Zensor der dramatischen Kunst

Er hat sich ja binnen 24 Stunden nicht als Flüchtling rium für Propaganda und Volksaufklärung, Dr. Schlösser, gemeldet!!

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Nun ist er aber doch Flüchtling die Zeitungen der so veränderten Heimat, ihre Beschimpfungen, ihre Drohungen beweisen es ihm ja!!

Schrecklich stehen vor seiner Seele die Folterkam- mern seines Landes.

Schreckend stehen hinter ihm die Polizeikräfte des neuen Landes, an dessen Altäre er als Schutzflehender sich gerettet hatte!

Das Gesetz des Landes aber schreibt vor, den Schutzsuchen­den, den Gefolterten, den Schutzlosen den Folterknechten seines Heimatlandes a uszu liefern!!!

Der Buchstabe des Gesetzes" könnte sonst nicht

erfüllt werden!- Keiner fragt danach, daß er ja erst jetzt ,, Flüchtling" und ..anmeldepflichtig" wurde, nachdem er die Drohungen der Heimat vernahm.

Keiner schützt, rettet, hilft!

Keiner?

Ein Mensch schreit um Hilfe!! Und über unsere Stadt senken sich weihnachtliche Schnee­flocken, und glitzernde Weihnachtsbäume prangen schon in den Schaufenstern!

Bald wird der Sang erschallen, von Glockenklang be­gleitet: ,, Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!"

Wird dann der zerschmetterte Bruder Mitmensch noch leben? Werden wir froh werden können über seinem Leid? ber sein Max Hardenberg.

,, Weh jenen, die den Ewigblinden Des Lichtes Himmelfackel leih'n"! Weh denen, die das Maul verbinden Den Menschen, die nach Wahrheit schrein!

Karl Henckell  .

Ein Rundbrief des preußischen Staatskommissars Hinkel weist darauf hin, daß der Reichsdramaturg im Reichsministe. die amtlich zuständige Stelle für die Prüfung der Uebedenk. lichkeit eines Bühnenwerkes ist. Auch die Frage des pari­tätischen Bühnennachweises und seiner Zukunft fanden dort durch Beschlüsse der Theaterkammer usw. ihre amtliche Reglung. Der berufsständische Aufbau werde durch die zu­ständigen Kulturkammern betrieben. Die amtliche Mitteilung schließt mit der Aufforderung, im Spielplan mehr und mehr die bereits vor Monaten auch vom preußischen Ministerpräsi­denten Göring   ausgegebene Parole: Spendet Kraft, indem ihr Freude spendet!" zu verwirklichen.

Novellenband von Brentano

Im Verlag Oprecht und Helbling, Zürich  , erschien soeben ein Band ,, Berliner Novellen" von Bernard Brentano  . In drei Kurzgeschichten versucht Brentano   das Berlin   der Gegen­wart zu uns sprechen zu lassen, das Leben dieser Millionen­stadt, in der wie überall die Menschen hoffen, verzweifeln, ihr Leben fristen und ein bischen Glück zu erjagen suchen. Der Alltag ist es, den Brentano aus seinen Novellen schildert, der Alltag des Elends und des Kampfes um das bischen Leben.

Am besten gelungen scheint mir die erste Novelle zu sein, ,, Rudi", die das Werden und frühe Sterben eines kleinen frühreifen Proletarierjungen erzählt. Wie da die in dem Jungen herausbrechende Sehnsucht nach ein wenig Liebe und Wärme, das altkluge Verstehen aller menschlichen Triebe, Leidenschaften und auch allen Elends gestaltet wird, das zeigt, daß Brentano   das Berliner   Proletariat der Elends­viertel in seinem Wesen erfaßt hat. Die dem Buch beigefüg­ten Holzschnitte von Clément Moreau  ( Paris  ), ergänzen mit eindringlicher Sprache das Buch. Proletariergeschick spricht aus ihnen, Arbeiterleben- und-kämpfe, aber auch das Stumpfwerden in der zermürbenden Mühle der Ausbeutung und was noch schlimmer ist das seelische Versinken durch die Arbeitslosigkeit.

Das Ganze, ein Buch, das, ohne daß es deutlich gesagt wird, in seiner Gestaltung und Richtung für die Arbeiter­schaft im Kampfe gegen Kapitalismus   und Hitlertum steht.

to, sid