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Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten

new bowel wat nie pachnik

Samstag, den 23. Dezember 1933

Die neue Etikette

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Bücher

Das neue Buch von Silone

Wir leben in einer Zeit, in der der Nationalismus wahre Orgien feiert. In Deutschland , Oesterreich, Ungarn wird dik­tatorisch regiert, in Spanien ist jetzt gerade wieder das Regime auf die rechte Seite gewechselt, in den Vereinigten Staaten befiehlt Herr Roosevelt der Wirtschaft, merkwürdige Experimente zu machen, es brodelt in der ganzen Welt. Und es ist nicht uninteressant, daß zwei Faktoren die Welt derart in Unordnung gebracht haben, zwei Länder, die denkbar ver­schieden von einander sind: Rußland und Italien , die Idee des radikalen Internationalismus und die des extremen Natio­nalismus.

Wie ähnlich sich sämtliche Faschismen in ihren Methoden sind, wie gleich in innerer Entstehung und Entwicklung, das zeigt die Geschichte des ersten Faschismus, die Ignazio Silone in seinem Buch ,, Der Faschismus" eindringlich in allen ihren Teilen klarlegt. Es ist ein Verdienst des Europa - Verlags in Zürich , dieses erste, einwandfreie Buch über die faschistische Bewegung und ihre Geburt in Italien herausgebracht zu haben. is

Zugegeben, daß Silone eine etwas lange Einleitung macht. Aber gerade diese Einleitung ist es, die das Verständnis da­für, daß überhaupt so etwas wie Faschismus entstehen konnte, erst richtig ermöglicht. Des Weiteren zerschlägt diese Einführung alle die zahlreichen Legenden über die Person des italienischen ,, Führers", Duce genannt: Benito Mussolini . Der aufmerksame Leser sieht, daß in Italien genau so ein kleiner, geltungsbedürftiger Bürger des unteren Mittelstandes mit genau denselben demagogischen, unqualifizierbaren Methoden ein Volk dem extremen Kapitalismus der Hoch­finanz zugeführt hat, wie das jetzt in Deutschland von einem Manne noch kleineren Kalibers geschieht. Man sieht die Vor­gänger der Freikorps Roßbach, Ehrhardt usw. in den Räuber­banden der Arditi, man sieht wie jetzt in Deutschland die Studenten in ihrer überheblichen Unreife, ja sogar die Differenzen innerhalb des Landes zwischen Norden und Süden treten auch hier schon in Erscheinung, von der Farce des Marsches auf Rom , den brutalen Greueln und der Kor­ruption, die überall herrschen muß, wo der Nationalismus seine herrschsüchtige Fratze offen aufsetzt, soll gar nicht erst gesprochen werden.

Was aber das Vorwort, das etwa ein Drittel des 280 Seiten starken Buches einnimmt, dem Leser noch verrät, das ist das

Moment, das überhaupt erst den Faschismus ermöglicht hat: Die allzu große Schwäche der sozialistischen Parteien. Der Arbeiter, jetzt noch genau so wenig gleichgeschaltet wie etwa sein Bruder in Deutschland , vollbringt heute wie damals manches Heldenstück im Kampfe gegen das faschistische System, aber die Leitung weiß nicht, was sie mit den wunder­baren Kräften, die ihr zur Verfügung stehen, anfangen soll. Es ist nicht zuletzt die Schuld der Sozialisten selbst, daß der Faschismus entstand.

Nichts kann den, der die Zeit mit wachen Augen verfolgt, darin erschüttern. daß der Weg des Faschismus vorgezeichnet ist. Nichts kann ihn, ob er Ignazio Silone oder sonstwie heißt, davon abbringen, daß es sich bei dem Faschismus um die letzten Zuckungen eines rasend gewordenen, und daher zum Untergang verurteilten Hochkapitalismus handelt.

Der verlorene Sohn"

Roman eines geistigen Rebellen

W. H. C

Es ist nicht nur der Kampf der Freidenker gegen die Ein­richtungen der katholischen Kirche , der in dem Lebensroman ..Der verlorene Sohn" von Gustav Regler ( Querido- Verlag, Amsterdam ) behandelt wird, sondern der Gegensatz der

Der Faschismus

Denkungsart verschiedener Menschen, die sich in allen geisti­gen Fähigkeiten bis zur höchsten Reife aufgebildet haben. Leon, der Held dieses Buches, ist zuerst ein schwärmerisch­religiöser, fast mystisch veranlagter Knabe, der seit seiner Jugend unablässig darauf gestoßen wird, daß sich der Kult des Katholizismus vom wahren Glauben entfernt. Er wird im Kloster erzogen und lernt schon dort seinen Gegenspieler, Anatole, einen späteren fanatischen Priester, kennen, der ihn zunächst aus kirchenpolitischen Gründen verrät und ihm ein unglückliches Schicksal bereitet, den er aber doch als geistig ebenbürtig anerkennt.g

Schilderungen des Klosterlebens, mit seinen oft grausamen Strafen. wechseln später mit solchen des Lebens in den Kolo­nien. Dort wird Leon, der Kämpfer um die Freiheit der Reli­gion, auch zum politischen Rebellen, indem er in eine Neger­hinrichtung einzugreifen versucht. Seinem Gegner dankt er dafür Cayenne. Er kommt nach Verbüßung der Haft nach Avignon , seine Heimat, zurück und benützt den Tod eines Priesters in einem Bordell zur Agitation. Ein Höhepunkt des Buches ist die Szene, wo er selbst als der vermeintliche Tote beim Stiergefecht aus dem Sarge aufsteht und das Volk

Man schlägt an die Gläser und ruft: ,, Siegheil!"

Der Oberbürgermeister der Stadt Köln , der Nazi- Doktor Riesen, schickt der ,, Kölnischen Zeitung " stirnrunzelnd diese Berichtigung:

,, In der Ausgabe Nr. 677 Ihres Blattes vom 16. d. M. ist ein Artikel Staatssekretär Suvich in Köln " erschienen, in dem in bezug auf den Empfang im Rathaus ausgeführt wird:..Das Stadtoberhaupt trank auf der Wohl der beiden Staatsmänner Mussolini und Hitler ." Diese Darstellung steht in krassem Widerspruch zu den Tatsachen. Ich bitte davon Vormerkung zu nehmen, daß es bei Nationalsozialisten nicht Brauch ist, auf das Wohl unsers Volkskanzlers Adolf Hitler zu trinken. Ich habe am Schluß meiner Rede, der ständigen Uebung folgend, ein Siegheil!" auf die Staatsmänner der beiden Nationen ausgebracht. Da die Darstellung in Ihrem Blatt zu Mißdeutungen Anlaß geben wird, ersuche ich auf Grund Paragraf 11 des Pressegesetzes um Veröffentlichung einer entsprechenden Berichtigung."

Was sofort geschah. Versteht sich, daß die geängstigte ,, Kölnische Zeitung " einen Kommentar nicht wagte; nicht einmal die Feststellung eines Druckfehlers. Was ihr passiert, wenn sie bei festlichen Empfängen im Rathaus noch einmal nicht genau hinhört und ein Siegheil" mit einem Trink­spruch verwechselt, kann man sich unschwer vorstellen. Schon jetzt sind ihrem Verlag die städtischen Drucksachen to gut wie vollständig entzogen worden.

aufzurütteln versucht. Aber gerade in diesem Moment befällt Was ist Größe?

ihn eine Art Verzückung, die von religiöser gar nicht weit ist. Man bietet dem vermeintlichen wundertätigen Mönch alle Möglichkeiten der Kirche, doch erst recht will Leon gegen sie kämpfen. Die Freidenker Südfrankreichs sind uneinig, auch dort gibt es für ihn nur Schwierigkeiten, aber er erlebt den Triumph, in den Augen seines Feindes Anatole die Be­kehrung und das Einverständnis zu lesen, als er in einer Ver­sammlung spricht. Leon fällt durch Mord, aber er stirbt im glücklichen Gefühl, seine Lebensaufgabe vollbracht zu haben. Der Roman, der in gewissem Sinne an ,, Lourdes " von Zola anknüpft und übrigens auch eine Schilderung von Lourdes enthält. ist nicht nur durch die aufregend spannende Hand­lung, sondern auch durch prachtvolle Landschafts- und Städteschilderungen bemerkenswert. Ein gutes Buch, das den Leser nachdenklich stimmt.

Frank Harris und Röhm

Schmutz und Schund im ,, dritten Reich" Aus Berlin wird amtlich gemeldet:

,, Auf einer neuen umfangreichen Liste der deutschen Zentralstelle zur Bekämpfung unsittlicher Bücher sind, wie die Börsenzeitung " berichtet, auch Mein Leben" von Frank Harris und Junge Frau von 1914" von Arnold Zweig ver: ichnet. In der gleichen Bekanntmachung wird dagegen mitgeteilt, daß die Beschlagnahme der ,, Pittigrilli­Bücher aufgehoben worden ist."

Langsam formt sich also das Bild der neuen faschistischen Sittlichkeit. Die Selbstbiografie des englischen Aestheten Frank Harris wird offenbar verboten, weil die Homosexuali­tät dieses wehleidigen und zimperlichen Aristokraten nicht an die derbe und verniggerte Homosexualität des Herrn Röhm heranreicht; die Selbstbiografie des Herrn Röhm bleibt konkurrenzlos, die Autarkie gilt auch für sexuelle Angelegen­heiten. Das schöne, im tiefsten Sinne keusche Kunstwerk ..Junge Frau von 1914" wird offenbar verboten, weil Arnold Zweig ein Jude ist und schon durch seine Existens die deutsche Sittlichkeit gröblich verletzt; die Bücher des Herrn Pittigrilli hingegen gefährden diese Sittlichkeit keineswegs. Diese Bücher strotzen zwar von schleimigen Schweinereien, von kitschigen Obszönitäten und kleinbürgerlichen Wunsch­träumen, aber Pittigrilli hat eine unschätzbare Eigenschaft: er ist ein Bekenner des italienischen Faschismus.

Reichstag im Eintopf

Die 661

( Sitzung der neuen deutschen ,, Volksvertretung". 661 Mäuler und kein Gedanke sitzen in Reih und Glied und Braunhemd. Auf einer nationalen Erhebung thront der Dritte Reichstagspräsident. Ein Hornsignal ertönt.)

Der Reichstagspräsident: Höchster Führer! Hohes Haus! Ich eröffne die heutige Sitzung der in freier Wahl ernannten Herolde der deutschen Gaue. Heil Hitler! Die Versammelten erheben sich zu minutenlangen stürmi­schen Heil- Hitler!-Rufen. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß wir mit der marxistisch- demokratischen Parlamentarität ein für allemal gebrochen haben. Hier gilt nicht das Diskutier­schutzgesetz, hier gilt der Wille des Führers.( Erneute Heil­Rufe links, rechts und im Zentrum.) Auf der deutschen Tagesordnung steht die Reform der fluchwürdigen Weimarer Verfassung. Der Herr Reichskanzler hat das Wort.( Die Ab­geordneten der Rechten, der Linken, des Zentrums und der Notsitze springen wie elektrisiert auf und verharren mit er­hobener Seele und ebensolchem Arm drei Minuten in frene­tischem Begeisterungstaumel. Dann kommen sie langsam zu sich.)

Der Reichskanzler: Stillgestanden! Meine Abge­ordneten! Vierzehn Jahre hat das System von Weimar über uns geherrscht. Nun ist es Schluß damit; ich schlage Ihnen eine Verfassung vor, die nach kurzer Aussprache in bewährter SA.- Manneszucht anzunehmen ist. Rührt euch!( Beifall wie vorhin.)

Der Reichstagspräsident: Sie haben den An­tragbefehl vernommen; wir schreiten nunmehr zur Debatte. Das Wort hat der Abgeordnete Fememaier, dann Posten­jägerle Maulhalter des Reichstages( M. d. R.).

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Fememaier( Nat.- Soz.): Wie die kommende Ver­fassung auch immer aussehen mag, sie wird eine Großtat

deutschen Geistes sein. Dies ist meine Meinung.( Erregte Zu­

rufe links, rechts und im Zentrum: Auch die unsere!)

Postenjägerle( Nat.- Soz.): Im Gegensatz zu meinem

Vorredner bin ich der nationalen Anschauung, daß die neue Verfassung ein wahres Meisterstück deutscher Gesinnung darstellen wird.( Bravorufe.)

Der Reichstagspräsident: Das Wort hat der Abgeordnete Killer.

Killer( Nat.- Soz.): Ich spreche der Reichsregierung mein Vertrauen aus, melde gehorsamst. Die neue Verfassung wird uns beweisen, daß es noch einen deutschen Gott im Himmel und einen Führer auf Erden gibt.( Beifall und Zwischenrufe: Umgekehrt!)

Der Reichstagspräsident: Zur Geschäftsordnung hat sich noch der Abgeordnete Schwärmer gemeldet.

Schwärmer( Nat.- Soz.): Es ist mir ein Herzensbedürf­nis, meine Gefühle zur Geschäftsordnung in dem Ruf zu­sammenzufassen: Heil Hitler!( Alle Anwesenden erheben sich und den rechten Arm.)

Das Inseratengeschäft!

Ein ganzseitiges Selbstinserat bringt die Berliner Ausgabe des ,, Völkischen Beobachters" mit der Ueberschrift: Was ist Größe? In wahrhaft klassischer Bescheidenheit beant­wortet das Naziblatt diese Frage mit Ich!". Nämlich in dreizölligen Lettern schreit das Inserat:

Was ist Größe?

Wir sagen:

Der

Völkische Beobachter",

die größte Zeitung Deutschlands ! Groß an Gesinnung! Groß an Charakter! Groß an Treue!

Nun, über die Düfte solchen Eigenlobs gibt es eine kernige deutsche Redensart. Aber die wirkliche Größe, die der ,, Beobachter" meint, kommt erst ganz am Schluß des Inserats zum Vorschein:

Der Anzeigenteil der Berliner Ausgabe hat sich seit Januar 1933 um das Fünfzehnfache vermehrt.

Sehn Sie, das ist die wahre Größe! Allerdings könnte ein Skeptiker noch hinzusetzen: Kunststück bei den Werbe­methoden!

Das Geländesport- Staatsexamen

Neue Habilitations- Ordnung in Preußen

Nach Rusts Verfügung kann nur der Dozent werden ,,, wer sich der deutschen Volksgemeinschaft innerlich verbunden fühlt und diese Verbundenheit auch durch die Tat bekennt. Voraussetzung der Genehmigung des Fakultätsbeschlusses auf Habilitation ist daher der Nachweis des Dienstes von meh­reren Monaten in einem Geländesport- oder Arbeitslager. Der Habilitant soll sich nicht nur in seinem Fachgebiet hin­reichend bewähren, sondern darüber hinaus auch mit den anderen Fakultäten in Fühlung sein. Die Habilitanten aller Fakultäten werden deshalb einen mehrmonatigen Kursus in der demnächst zu gründenden Dozentenakademie zu durch­laufen haben, in der sie in strenger Lebensgemeinschaft sich auch charakterlich bewähren werden müssen. Der Kultus­minister empfiehlt, daß jeder Habilitant vor einer Habili­tation alle Examina ablegt, die zur Uebernahme eines an­deren Berufes erforderlich sind, also etwa in der philo­sophischen Fakultät nicht nur den Doktorgrad erwirbt, son­dern auch das Staatsexamen ablegt, damit denjenigen, die den Anforderungen des Hochschullehrerberufes später doch nicht in genügendem Umfange gewachsen sein würden, der Uebergang in eine Beamtenlaufbahn oder einen praktischen Beruf erleichtert wird. An die Geländesport- und Arbeits­lager und die Dozentenakademie schließt sich in Zukunft die Prüfung der wissenschaftlichen und Lehrbefähigung in der üblichen Weise an."

Dem Straßensänger-

die Straße nicht mehr frei

Der alten Barden Herrlichkeit...

In Bremen hat der Kampfbund für deutsche Kultur die Straßensänger organisiert und gleichgeschaltet. Das Reper­toire und die künstlerischen Qualitäten der Straßensänger werden durch Sachverständige genau geprüft. Die Straßen­sänger sind verpflichtet, das deutsche Volkslied zu pflegen; ,.minderwertige Schlager dürfen nicht mehr ins Volk ein­dringen. Die Tätigkeit der Straßensänger ist vergnügungs­steuerpflichtig und von einer Konzession abhängig, die nur insgesamt 30 Ortsansässigen erteilt werden soll.

Eine entsprechende Reglung erstrebt der Kampfbund für ganz Deutschland . Er will offenbar einen Reichsbund der germanischen Barden ins Leben rufen.

Der Reichstagspräsident: Sie haben durch Er. Gute Aussichten für brünette Frauen

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heben des Armes die einstimmige Annahme der Regierungs­vorlage bekundet. Die Sitzung war ein Beweis dafür, daß man auch die schwerste Materie in kürzester Zeit zum Wohle des ganzen Volkes bewältigen kann, wenn Adolf Hitler unser Führer ist. Die nächste Tagung findet vielleicht in einem Jahre statt. Die Diäten sind für die Abgeordneten A bis L an der Kasse I und für die Abgeordneten M bis Z an der Kasse II zu beheben. Hiermit sind Sie entlassen. Heil Hitler! Horst- Wessel- Lied, Deutschlandlied. Begeisterungstaumel zu den Kassen.)

Karo.

,, Braun

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die Siegesfarben unsers Führers."

In der gleichgeschalteten Modezeitschrift Die schöne Frau", werden deutsche Frauen, die dunkle Haare haben, mit Hitlers Siegesfarbe getröstet. Das Blatt schreibt: ,, Die deutsche Frau mit dunklem Haar braucht nicht zu verzwei­feln.. sie sollte sich nicht uniform in künstliche Blon­dinen verwandeln. Die braune Farbe ist ohnehin die Sieges­farbe unseres Führers, also wollen wir auch der Brünetten die gleiche Ehre angedeihen lassen wie den Blondinen,"