Der Weg zurück
Freitag, den 12. Januar 1934
Pielsenbetting.mpH., zob shall
Aus dem Konzentrationslager in die Heimat
Ein Brief
Uns wird folgender Brief zum Abdruck zur Verfügung gestellt. Geschrieben hat ihn ein Mann, der nach monatelanger Haft im Konzentrationslager um die Weihnachtszeit entlassen wurde. Er hatte nichts getan aber die einfache Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie ist schon eine Tat, die die Rache des Faschismus herausfordert. Mühselig unterdrückt der Autor im Ueberschwang der Wiedersehensfreude alle Furchtbarkeiten dieser sechs Monate. Aber gerade darum ist dieser Brief ein menschliches Dokument. Ein Zeugnis für die menschlichen Unterschiede zwischen Quälern und Gequälten....
Liebe Grete!
Vielen herzlichen Dank für Deine lieben Zeilen, die uns heute am Neujahrsmorgen erfreuten. War das ein schöner Gruß!
Ihr könnt Euch wohl denken, daß ich von all dem, was ich erlitten, noch ganz krank bin. All die Dinge könnt Ihr Lieben ja nur ahnen. Ach, wir glaubten alle an Weihnachtsabend noch gar nicht, daß ich mit den Kindern und Else am Lichterbaum saß und die Freude an all dem, was Trude mit viel Liebe für sie zurechtgemacht hatte, erleben sollte. In mir und Else lebte der Schrecken der angstvollen Tage und all dessen, was mir widerfahren. Und doch, es war ein großes Glück zu nennen, daß ich wieder bei meinen Lieben sein konnte. Ich hätte ja lieber an dem Tage sterben mögen, als ich meine geliebten Heimatberge aus so traurigem Anlaß
wieder entdeckte. In den schlimmsten Stunden, die ich durchlebte, kam mir oft in der Verzweiflung der Gedanke, aller irdischen Qual ein Ende zu bereiten. Aber dann standen mir meine beiden lieben Kinder, Else und ihr Leben vor Augen, alle die lieben Menschen, an denen man hängt. Das alles zu Papier zu bringen, ist gar nicht möglich. Hoffentlich sehen wir uns einmal gesund wieder, dann können wir darüber sprechen.
Alles ist mir wie ein furchtbarer Traum. Mir zittern die Füße, als ich am Tage vor dem Weihnachtsabend spät abends wieder vor unserer Wohnung stand. Wer kann so ein unerwartetes Wiedersehen jemals empfinden? War ich ein Geist, war ich Wirklichkeit, was da als ein armes Häuflein Mensch in der Winterkälte bei seinen Lieben an die Tür klopfte? Mit kurzgeschorenen Haaren, so erkältet, daß ich kaum sprechen konnte, noch in den Sachen, wie ich fortging. so stand ich da wie ein Bettler mit freudig erregtem Herzen, überwältigt vom Gefühl des Geborgenseins, mit Tränen in den Augen vor Else. Mein erster Gang war in die Kammer zu den Kindern, die mich freudig küßten. Was hat man nicht schon alles durchlebt! Die Schrecknisse des Weltkrieges, die Gefahr des Todes, in der ich so oft gestanden und der ich so oft entronnen, sie verblassen vor dem, was hinter mir liegt. Weil ich körperlich so elend war, brachte mir gestern eine Nachbarin, deren Eltern in der Nähe eine Wirtschaft besitzen, ein Huhn zur Stärkung. Die Menschenliebe ist doch das größte Zeugnis guten menschlichen Geistes in der Welt...
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Europa staunt über den seltsamen Geisteszustand, dem das Volk der Lichter und Denker" verfallen konnte. Man kann nicht begreifen, wie es zu all dem Aberwitz: Bücherverbrennung, Schandpfahl, Rassenwahn, Christusaufnordung, wissenschaftlicher Charlatanerie auf allen Wissensgebieten kommen konnte. Man wundert sich, wie ein 60- Millionen- Volk so ohne Widerstand den hohlsten Phrasen gerissener politischer Freibeuter erliegen konnte. Wenige Jahre systematischer Verdummung haben genügt, um aus der Bevölkerung eines Landes, das sich einer Philosophie der reinen Vernunft und einer Stadt der Intelligenz" rühmen konnte, das zu machen, was zu ersehen ist aus einem( wortwörtlich wiedergegebenen) Bericht einer Berliner Zeitung , des Westens". Ein Zeitdokument der Dumm- und Abergläubigkeit, der im 20. Jahrhundert ein Volk verfallen ist, das durch tausend Mittel der Propaganda Tag um Tag völkischen Aberwitz- Dämo nen im Sowjetkeller und dergleichen eingetrichtert bekommt. Mehr als ein Zeitdokument: eine Psychologie des Hitlerwählers.
„ Geisterwelt wird gegen einen Untermieter mobilisiert. Der Spandauer Laternenanzünder M., so schreibt die ,, Berlin W.- Zeitung", hätte allen Grund gehabt, mit seinem Schicksal zufrieden zu sein, wenn ihm sein Untermieter nicht das Leben sauer gemacht hätte. Dieser Mieter war von einer geradezu rührenden Anhänglichkeit. Er wollte um keinen Preis aus der Wohnung ziehen; weder Prozesse noch gütliches Zureden vermochten ihn aus den liebgewordenen Räumen herauszubringen. Nachdem alle irdischen Mittel versagt hatten, ging dem Laternenanzünder ein neues Licht auf und er beschloß, die Geisterwelt gegen den starrköpfigen Untermieter zu mobilisieren.
Seit langem hatte er von den glänzenden Beziehungen einer Spandauer Dame, Frau von J., zu dem Geisterreich gehört. Also wurde Frau von J. zu Hilfe gerufen. Nachdem sie einen gründlichen Lokalaugenschein vorgenommen hatte, befahl Frau von J., Salz und Mehl auf den Boden zu streuen und gut durcheinander zu rüh. ren. Und siehe da! Das Mittel wirkte. Ob die Geister wirklich zu nächtlicher Stunde dem Untermieter den Schlaf von den Lidern scheuchten oder ob ihm die breiige Pfütze auf dem Fußboden nicht behagte, bleibe dahingestellt. Jedenfalls verschwand er nach drei Tagen aus der Wohnung und
damit war auch Frau v. J.'s Ruf als Zauberin bei dem Ehepaar felsenfest begründet.
,, Drei Tropfen Menschenblut: macht 9 Mark." Herr M. war
Zahlen, bitte!
Herr Direktor Ix kauft ein Automobil, lackiert in modernsten Nuancen,
die Bezahlung hat Zeit, sechs Monate Ziel, man verkauft heut bei schlechtesten Chancen. So wie der Direktor fährt mancher herum, Denn die Gläubiger halten noch stille; dem Direktor gehören: Motorengebrumm, Benzin und die Autobrille.
Wer die Dinge kennt, bleibt stumm und denkt, da die Autofahrer noch prahlen:
Man bekommt nichts umsonst und bekommt nichts geschenkt und man muß für alles bezahlen!
Ein kleiner Kommis mit kargem Gehalt muß sich einen Mantel besorgen, denn der heurige Winter wird bitter kalt und die Schneider sind brav und borgen. Ein neuer Mantel macht fesch den Herrn und hat alles zum Bessern gewendet, doch die schönsten Stoffe sind schlecht und gern. zerrissen, wenn man uns pfändet.
Wer die Schneider kennt, bleibt stumm und denkt. statt im neuen Mantel zu prahlen: Man bekommt nichts umsonst und bekommt nichts geschenkt und man muß für alles bezahlen!
Herr Diktator Ix erwirbt einen Staat samt Menschen fett und mager,
samt Gefängnis, Henker und Bürokrat, samt Rundfunk und Aufenthaltslager.
Zwar: die Rechnung ist noch nicht aufgestellt. doch hört man, daß sie schon addieren. denn so ein Staat kostet riesiges Geld
und der Käufer muß etwas riskieren.
Vielleicht, daß einer, der heute noch lenkt, von denen, die soviel befohlen: mit einem Mal weiß, man bekommt nichts geschenkt und man muß für alles bezahlen!
Wenzel Sladek.
daher eines Tages nicht wenig bestürzt, als Frau von J. ihm Friedrich Sieburg ins Stammbuch
unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilte, daß seine Gattin es mit der ehelichen Treue nicht genau nehme. Dieselbe Eröffnung machte die Magierin der Ehefrau, und damit beide nicht auf den Gedanken kämen, durch eine gegen. seitige Aussprache den Schwindel zu verderben, wurde derjenige, der das Geheimnis verraten sollte, mit Tod und Ver. dammnis bedroht. Inzwischen ging Frau von J. energisch daran, die angeblich aus den Fugen geratene eheliche Har
monie wieder zusammenzuleimen.
Zuerst bekam der Ehemann die Weisung, seiner Frau eine Zrise Alaun unter das Kopfkissen zu legen. Um es besonders gut zu machen, legte M. seiner Gattin gleich eine ganze Tüte unter das Kissen. Aber nun wurde Frau M. erst recht wütend, weil sie dachte, ihr Mann wolle ihr einen Schabernack spielen. Bei Frau M. mußte ein anderes Mittel herhalten. Um dem Casanova von Laternenanzünder seine Untreue abzugewöhnen, wurden drei Tropfen Men. schenblut benötigt. Frau von J. beschaffte es von einer freundlichen Nachbarin und präsentierte es nebst der Rechnung:„ Drei Tropfen Menschenblut macht zusammen 9 Mark." Und Frau M. bezahlte anstandslos...
Die Dämonen im Sowjetkeller. Ein anderes Mal mußte Frau M 69,85 Mk. dafür bezahlen, daß die Zauberin sich in den Keller der Sowjetbotschaft wagte, wo sie finstere Gestalten mit drohend gezückten Dolchen hypnotisierte. Angeblich hatte der brave Laternenanzünder einen Vertrag mit Rußland , von dem er unbedingt befreit werden mußte... Als die Zauberin bei einer anderen Gelegenheit entdeckte, daß 40 Flaschen Wein, die Frau M. besaß, vergiftet seien, nahm sie die Flaschen aus purer Fürsorglichkeit an sich.
Um 300 Mark wurde das Ehepaar auf diese Weise erleichtert, bis M. eines Tages seinen Glauben an die Geisterwelt verlor und die Zauberin derartig vermöbelte, daß er zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt wurde."
Die Dämonen im Sowjetkeller, drei Tropfen Menschenblut, die adelige Zauberschwindlerin, das an den Hokuspokus glaubende Ehepaar die Edelrasse der Hitlerwähler.
Baden- Badener Hände
Croupiers Schule für richtige Bewegungen
Auch die ,, Frankfurter Zeitung "( 9. Jan.) nimmt jetzt in einem begeisterten Artikel zum Baden- Badener Spielbankbetrieb Stellung. Sie schreibt u. a.:
,, Aber die Hände, sie sprechen auch wenn sie nicht zittern, auch wenn sie noch so geübt scheinen. An ihren Händen sollst du sie erkennen, die Spieler. Die Hände freilich, die am meisten imponieren, sind die der Crou. piers Unnachahmlich geschickt, geschwind und graziös arbeitet solch eine Hand des Croupiers. Ob sie die Spiel marken zählt oder zuwirft, ob sie mit dem merkwürdigen riesigen Holzmesser die verspielten Karten vom Tisch rasiert und in den Bauch des Tisches versenkt, immer ist diese Handlung gleich erstaunlich. Nur der von Gewinn und Verlust Unberührte kann offenbar so gleichmäßig elegant und sicher hantieren. Wie schwer das zu erlernen ist, kann man in der Croupier Schule von Baden Baden beobachten, in der tagtäglich eine Anzahl einheimischer junger Leute herangebildet werden, um dereinst die gegenwärtig amtierenden Croupiers zu ersetzen Monatelang wird nur das Werfen der Spielmarken geübt. Man kann ein trefflicher Schütze sein, ob man beim Werfen dieser Marken genau dahin trifft, wo der Spieler sitzt, direkt vor seinem Plats, das ist noch lange nicht gesagt. Der Croupier hat aus dem Handgelenk zu werfen und zu treffen, nicht etwa aus dem Ellbogengelenk, was leichter wäre. Deshalb wird dem Lehrling eine Spielmarke unter den Arm geklemmt, die auch bei wiederholtem Werfen sicht sa Boden fallen darf. Das ist die Gewähr für dis
richtige Handbewegung, das erste, was der Kandidat zu
Friedrich Sie burg, der Göbbelssche Rattenfänger an der Seine, hat soeben in einer neuen Schalmei in den„ Leipziger Neuesten Nachrichten" entdeckt, daß es in Paris oder vielmehr überhaupt in Frankreich ,, keine wahre Jugend" mehr gibt. Leipzig , das„ Klein- Paris" Goethes, hat eben offenbar die Stadt Rabelais ' überflügelt und bildet jetzt durch die Gulaschkanone seine Leute". Da kann eben die Jugenderziehung eines Landes, das die Toleranz und die Humanität statt der Verachtung des Strohtodes" lehrt ,,, nicht mit".
Ganz ähnlich wie die ,, ticksche" Leipzigerin schreibt aber auch die obergärige Kölnerin. Die Kölnische Zeitung ", das einstige Hauptblatt der Leute, die die Kultur am Rhein besangen, stellt fest, daß der französische Bürger ,,, sei er Bauer, Angestellter, Handwerker, Beamter, Geistesarbeiter oder Rentner, jedem Abenteuer( aventure) versagt".
Es ist völkerpsychologisch sehr interessant, was die ,, Nouvelles Littéraires", die bedeutendste Zeitschrift des französischen Geisteslebens, auf diese doppelte Anzapfung maßvoll erwidern.
,, Für Herrn Sieburg", schreibt das Blatt ,,, ist das Abenteuer( das des deutschen Volkes) kollektiv, national, rassisch. Für uns bleibt ein Abenteuer immer etwas Persönliches, eine Sache, die man führt, die man leitet, etwas, an dem man aktiv teilnimmt. Dieser Persönlichkeits- Standpunkt, welchen die Deutschen gerechtfertigter Weise bei dem französischen Bourgeois feststellen, ist gerade der Hebel seiner Wirksam keit und das Charakteristikum seines Wagemuts( aventure). Ein Abenteuer, das ist für Herrn Sieburg ein Volk, das seine Bestimmung sucht. Für uns ist das immer ein Mensch, Menschen, auch wenn das Abenteuer durch ganz Frankreich eilt. Der Typ des französischen Abenteuers( Charles Péguy hat ihn gut getroffen) ist die Gestalt der Jungfrau von Orlé real und geheimnisvoll in einem."
ans
-
Man könnte hinzufügen, daß einst auch das deutsche Volk in einem Schiller,( dem Dichter der Jungfrau von Orléans" und des Marquis Posa) so seine Ideale gesehen hat. Aber das war wohl vor der Zeit, in der das Rasseninstitut Schwabenburg mit einer Rede auf 20 000 Jahre Kultur" erritten wurden.
Friedrich Sieburg ins Stammbuch geschrieben( oder heißt das jetzt: ,, Herdbuch "?)-
erlernen hat. Dann kommt das Rechnen, das Werfen der Marxismus des kleinen Moritz
Kugel, das Drehen der Scheibe, das Geben der Karten usw. Ein schwerer und schwer erlernbarer Beruf. Aber wenn er ausgelernt hat, ist der Croupier die Seele des Geschäfts."
Hier erfahren wir etwas von Händen aus dem„, dritten Reich", was uns gefällt. Hände ohne Revolver und Peitsche elegante Wurfwerkzeuge mit geöltem Gelenk, damit die Spielmarke ihr Ziel nicht verfehlt.
Die Zöglinge der Baden- Badener Croupier- Schule werden selbstverständlich uniformiert: auf dem braunen Kragen rote und schwarze Spiegel, auf der Kappe der Spruch: ,, Faites votre jeu, messieurs". Die Schule wird in die deutsche Arbeitsfront unter dem Spezialprotektorat von Dr. Ley eingegliedert und gehört in der ständischen Gliederung zur Abteilung„ Nährstand".
Im alten deutschen Volksbuch vom Herzog Ernst wird das orientalische Märchen vom Magnetberg erzählt, der die eisernen Teile der Schiffe unwiderstehlich anzieht, daß sie zerschellen. Schiffstrümmer, verwesende Leichname und gebleichte Knochen umkreisen den Berg des Schreckens. Ein goldner Magnetberg goldner Magnetberg- das ist die Weltpolitik des Kapita lismus , die militärisches Ruhmbedürfnis und abenteuerliche Romantik in Blut, Grauen und Gelächter taucht.
Die Ausmerze" durch Sterilisierung
Die Ausmerze: das ist ein neues Wort, das Egon Freiherr von Eichstedt, Professor der Anthropologie an der Universität Breslau geprägt hat, um damit in einem hymnischen Geschwäts( ,, Reich und Länder" 12) das Ziel des Sterilisationsgesetzes zu kennzeichnen. Das Wort ist gut und verdient, aufbewahrt zu werden. Die Erfinder der vererbbaren Krankheiten sind, wie könnte das anders sein, die Marxisten. Egon sagt das so:„ Unsere Bemühungen um die Ausmerze der Minderwertigen, unsere Förderung der gesunden Erbmasse des Volkes werden nie einen vollen Erfolg haben können, wenn nicht auch die erwähnten bereits ausgelesenen Erbstämme eine positive Förderung erfahren. Noch liegt der lähmende Druck marxistischer Ideologie über uns, jener Zeit, die vernichten wollte und die überdurchschnittlich leistenden Erbstämme ausmerzen wollte, damit die Senkung, ein Aus. gleich aller Intelligenz- und Kulturunterschiede möglich wäre. Denn eines ist sicher: lassen wir die Vernichtung, die Selbstvernichtung des Kulturführertums im Volke weitergehen, so werden wir trotz allem anderen als Nation unter Nationen erledigt sein."
Was sich der kleine Egon, der natürlich meint, zum Kulturführertum zu gehören, unter Marxismus vorstellt! Auch seiner wird man nicht vergessen dürfen, wenn man die Bilanz dessen ziehen wird, was im Reich Nummer drei Wissenschaft
Kart Kisnes
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