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Fretheil

Nummer 14-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, 18. Januar 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Das deutsche Fragezeichen Seite 2

Europa hoccht auf

Seite 3

Juden und Katholiken

im Konzentrationslager

Seite 4

Göcing an die Emigranten

Seite 4

Flüchtlinge in den

Seite 7

bayrischen Alpen

Pius XI.   an die bedrohten Bischöfe

Erster Widerhall des deutschen   Kulturkampfes im Vatikan  

Das zwischen dem dritten Reich" und dem Papst abge: fchloffene Konkordat wird in Kürze ein halbes Jahr alt. Die hier festgelegten Bestimmungen haben der katholischen Kirche  weitgehende Rechte zur Erhaltung der katholischen   Organi sation gesichert. Heute weiß jeder, daß Hitlerdeutschland die Vereinbarungen nicht gehalten hat. Das katholische Vereins: wesen wird fortlaufend bedrängt und steht vor der Gefahr völliger Auflösung. Verzweifelte Aufrufe der Bischöfe mahnen die Gläubigen, ihren alten Verbänden tren zu bleiben. Aber der braune Terror ist stärker. Der Vernich tungsfeldzug gegen die katholische Preffe, die immer zahl: reicheren Pfarrerverhaftungen, die offiziellen Kundgebungen, die dem totalen Staat alle Verfügungsgewalt über die gläubigen Gemeinschaften sichern wollen sie haben eine Kulturkampfstimmung erzeugt, die in der ganzen katholischen   Welt mit wachsender Besorgnis beobachtet wird. Bis zur Stunde hat der Papst selber zu allen Verstößen gegen das Konkordat geschwiegen. Er hat die deutschen  Bischöfe in seinem Einvernehmen reden lassen und den öfter: reichischen Bischöfen in seinem von ihm ausdrücklich geneh: migten Weihnachtshirtenschreiben erlaubt, noch einmal eine scharfe Grenze gegenüber den Irrlehren des Nationals fozialismus zu ziehen. Heute wird jedoch ein Schreiben bekannt, das Puis XI, am 28. Dezember an den Kardinal

daß die der Kirche eingeräumten Rechte auch wirklich frei und ohne Abstrich ausgeübt werden tönnen. Man fann, wenn man will, aus dem päpstlichen Schreiben auch noch mehr herauslesen. Der Hins weis auf die bürgerliche Gesellschaft  " kann keinen anderen Sinn haben als den, daß der Papst die katholischen   Forde: rungen nach politischer und sozialer Gerechtig teit in der Gesellschaft verwirklicht sehen will Forderungen die die Herren des britten Reiches" ablehnen oder mißbrauchen.

Seine besondere aktuelle Bedeutung gewinnt der Brief des Papstes, wenn man ihn mit der jüngsten Rede des Herrn von Papen vergleicht. Dieser päpstliche Kammerherr, einer der Väter des dritten Reiches", bemüht sich unter dem Zwange feines schlechten Gewissens angestrengt um den Nachweis, daß Hitlerdeutschland die vollendeste Verwirt­lichung katholischer Forderungen darstellt, die es bisher gegeben habe. Der Papst ist gänzlich anderer Meinung. Für ihn ist in Deutschland   nichts verwirklicht". Er sieht Kirche und Glauben in Deutschland   gefährdet und bittet Gott um seinen Beistand.

Bertram von Breslau in deffen Eigenschaft als Reiter Weitere Pfarrerverhaftungen

der Fuldaer Bischofskonferenz gerichtet hat. In diesem Schreiben heißt es wörtlich:

" Da Wir also, geliebter Sohn, diese Huldigung Deiner Liebe und Hingabe mit wohlgesinntem Herzen aufnehmen, wünschen Wir gar sehr, daß der gütige Gott Deinen Bitten Erfüllung verleihe und in erwünschter Weise zur Vollen: dung bringe, was zum Heile der katholischen   Sache in Deutschland   dient, daß alle Rechte der Kirche und ihrer heiligen Hirten, die im neuen Konkordat von den Lenkern des Staates so glücklich anerkannt und gebilligt wurden, frei und ohne Abstrich zum Heile auch der bürgerlichen Gesellschaft ausgeübt werden können. Dies erflehen Wir von ganzem Herzen von der göttlichen Majestät."

riden:

Der Kurialstil der päpstlichen Diplomatie ist durchsichtig. genug, um die Auffassungen und die Sorgen des Heiligen Stuhls deutlich vernehmbar zu machen. Der Papst sagt, daß zwar die Rechte der Kirche im Konkordat von den Lenkern des Hitlerreiches glücklich anerkannt und gebilligt" worden feien. Der entscheidende Satz ist aber erst der folgende: Der Papst vereinigt die Bitten des Kardinals mit den seinen,

Halle, 16. Jan. Am Samstag wurde der Pfarrer Gen= sischen in Halle- Trotha durch die Geheime Staatspolizei  in Schuzhaft genommen. Der Verhaftung liegen schwere Be­leidigungen des Gauleiters und preußischen Staatsrats Jordan sowie Auswiegelung gegen führende Männer des Staates und der NSDAP  ." zugrunde. Am Montag wurde ein richterlicher Haftbefehl gegen Pfarrer Gensischen erlassen und dieser in das Untersuchungsgefängnis des Amtsgerichts überführt. Von anderer Seite wird dazu noch mitgeteilt, daß Gensischen auch Sabotage des Winterhilfswerks vorgeworfen wird sowie Verbreitung unwahrer Gerüchte" über führende Persönlichkeiten der NSDAP  . des Gaues Halle- Merseburg, die zur Erbitterung einer Anzahl Parteigenossen geführt

haben...

Würzburg  , 15. Jan. Pfarrer Stöger aus Waldbüttel­ brunn   bei Würzburg  , der im vergangenen Sommer schon einmal in Schußhaft genommen worden war, weil er die von der Hitlerjugend gehißte Hakenkreuzfahne heruntergeholt hatte, ist erneut in Schußhaft genommen worden; desgleichen Pfarrer Roßmann aus Saal a. d. Saale unter der Be­schuldigung der Verbreitung von Greuelnachrichten. in

Hochverräter" Ludwig Renn  

Ein aufrechter Mann

Das Reichsgericht verurteilt ihn zu zwei Jahren sechs Monaten Gefängnis

Zu den bedeutendsten deutschen   Schriftstellern der Kriegs­generation gehört Ludwig Renn  . Sein Buch Krieg", noch vor Remarques Im Westen nichts Neues" erschienen, war in der schlichten Darstellung des eigenen Erlebnisses ein geschichtliche und menschliches Dokument von Größe und Dauer. Ludwig Renn  , Abkömmling einer alten sächsischen Adelsfamilie, im Kriege aftiver Offizier und Bataillons­kommandeur, wird bereits 1992 Kommunist. Später gehörte er zum Aufbruchkreis, der von zehn Offizieren im März 1931 anläßlich des Uebertritts des Ulmer Reichswehrleutnants Scheringer aus der NEDAP. in die KPD.   gegründet wurde. Ludwig Renn   wurde schon im November 1932 ver­haftet. Zuletzt war er im Konzentrationslager Sonnenburg  . Run stand er wegen angeblicher Vorbereitung zum Hoch­verrat vor dem 5. Straffenat des Reichsgerichts..

Die Verhandlung hind

Ausführlich kam zu Beginn der Verhandlung das Leben des jest 45jährigen zur Darstellung. Ludwig Renn  " heißt richtig Arnold Friedrich Vieth von Golßenau. Sein Vater ist Gymnasiallehrer in Dresden  . Er trat als Fahnen junker in das Sächsische Leibgrenadierregimnet Nr. 100 ein, wurde Leutnant und Regiments adjutant. Er machte den Krieg mit, wurde zweimal verwundet und 1915 zum Ober­

leutnant befördert. Nach dem Kriege wurde er Führer einer sozialdemokratischen Gruppe in Dresden  , trat darauf der Schutzpolizei   bei, aus der er 1922 wieder ausschied, und zwar weil er schon in dieser Zeit nicht mehr ganz mit dem da= maligen Staatssystem einverstanden gewesen sei.

Er studierte dann Jura und versuchte sich auch als Raf­mann, fand aber in diesem Beruf keine Befriedigung, so daß ihm nunmehr allein seine Hauptmannspension als Existenzgrundlage dienen mußte. Sie war ausreichend, um Golßenau zunächst einmal Reisen zu ermöglichen. Seine Reisen erklärte er als notwendig, weil er damals noch nicht im marristischen Sinne feine Möglichkeit eines neuen Aufstieges der bürgerlichen Welt gesehen habe. Es sei ihm auch nicht gelungen, aus dieser geistigen Situation, die man etma ala Kulturnihilismus bezeichnen könne, einen Ausweg zu finden...

Ais er aus dem Ausland zurückgekommen sei, hätte er seine Ansichten wesentlich geändert, denn es sei ihm klar ge­worden, daß der Deutsche   doch etwas Wertvolles in sich targe. In die nächsten Jahre, in denen er auch sein im Striege be­gonnenes Buch vollendete und veröffentlichte, fällt seine Bekanntschaft mit dem Marxismus  .

und seine eigentliche politische Wandlung, die ihn nach kunst­geschichtlichen Studien in Wien   Anfang 1928 zur Kommu=

Doppelhinrichtung

Zwei Arbeiter mit Handbeil geköpft

Dessau  ( Anhalt), 17. Jan. Am Mittwochmorgen 7.30 Uhr wurden im Hof des Dessauer   Gerichtsgefängnisses der Böttcher Karl Hans und der Korbmacher Wilhelm Bieser, die durch Urteil des Dessauer Schwurgerichts vom 18. Juli 1933 wegen Ermordung des SA.- Mannes Cieslid in Sec­lingen( Anhalt  ) zum Tode verurteilt worden waren, mit Handbeil durch den Scharfrichter Engelhardt hingerichtet. Diese Hinrichtung ist die erste in Anhalt seit 1886.

Sozialistische Revolution

Ahnungen der Naziführer

D. F. Der Reichsreklamechef Dr. Göbbels   hat am Sonntag im Lustgarten eine mißvergnügte Rede gehalten. Es muß viele, sehr viele geben, die trotz aller Propaganda mit den Erfolgen der nationalsozialistischen Revolution nicht zufrieden sind. Diese Nörgler und Miesmacher hören zwar die nationalen Phrasen, aber sie vermissen das, was sie sich unter Sozialismus vorgestellt haben. ,, Ueberall im Lande", so gibt der Herr Reichsminister zu, ist diese Stimmung der Kritik verbreitet. Er läßt alle Fanfaren der nationalsozialistischen Demagogie schmettern, um die Lebensgeister anzufachen. Dr. Göbbels  , Ministers kollege des hochkapitalistischen Reichswirtschaftsministers Schmitt und des Großgrundbesizers von Neurath, schwingt die rote Massenfahne des Umsturzes, so daß man bei flüchtigem Hinsehen das schwarze Hakenkreuz gar nicht mehr erkennt:

Es war eine sozialistische Revolution, es war die Revolution einer Arbeiterbewegung, und die, die die Revolution gemacht haben, sollen auch heute ihr Träger sein.

hören die Arbeiter und wissen, daß sich im Gesellschafts Die Revolution ist also vorüber! Es war...", so aufbau für die Millionen nichts geändert hat. Nur find die republikanischen und sozialistischen Bonzen" durch die zehnfach größere und mit viel höheren Gehältern aus­gestattete Zahl von nationalsozialistischen Funktionären ersetzt worden. Herr Dr. Göbbels   sucht solche konzen trationslagerreifen Gedanken hinwegzuzaubern:

Wir tragen unseren Ehrentitel einer sozia listischen und einer Arbeiterpartei zu recht, denn wir sind es gewesen, die die Arbeit von den Fesseln des internationalen Kapitalismus befreit haben. Wir wissen, daß es in Deutschland   noch Millionen Menschen gibt, die dem schwersten sozialen Elend preisgegeben sind. Aber wir wissen auch, daß die Not nicht durch Phrasen beseitigt werden kann, sondern nur durch eine soziale Ordnung, in der jeder in den Genuß seiner Arbeit und seines Fleißes kommt.

Nicht durch Phrasen, sondern nur durch eine soziale Ordnung." Wie richtig ist das. Man suche aber in sämt lichen Reden der Göbbels   und Hitler und Len und Kum= panen einen einzigen Gedanken oder gar einen Vorschlag für die neue, den Volksmassen gerecht werdende Gesell­schaft, und man wird keinen finden. Wir erleben mit dem Staunen des redlichen Mannes über die Erfolge von Hochstaplern, wie nun fast schon ein Jahr einem europäischen  Kulturvolk mit allen Mitteln der Suggestion eingeredet wird, es hätten sich gewaltige Veränderungen zum Bessern im Gesellschaftskörper und im Wirtschaftsleben dieses Volkes vollzogen. Und doch steht vor jedem Urteils fähigen die Tatsache: daß sich die Sklaverei der Masse Mensch im Produktionsprozeß, das Zittern um die un­sichere Existenz, die Sorge um Krankheit und Alter nur noch erhöht haben und die Schußlosigkeit des einzelnen arbeitenden Menschen gegenüber der kapitalistischen   und staatlichen Willkür seit einem halben Jahrhundert nicht mehr so groß war als jetzt.

Das liberalistische Zeitalter" wird zwar jeden Tag Kortfehang Kebe 2. Seite tot gesagt, aber dem Unternehmertum wird eine so über