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Fretheil

Nummer 16-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 20. Januar 1934

Chefredakteur: M. Braun

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Aus dem Inhalt

Wilhelm II. als ,, Saboteur "

Seite 2

Nazi- Emigrant spricht

Seite 3

Reichstagsbrand

nicht gelöscht Seite 4

Entscheidungsjahr 1935

Seite 5

Lubbes Stecbestunde Seite 7

Hitlers Alte Garde droht

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Sonst werden wir bösartig"

Der Reichsgründungstag am 18. Januar ist ohne jede parteiamtliche nationalsozialistische Kundgebung vorüber­gegangen. Man will sich von diesem rein monarchistischen Gedenktag distanzieren. Der Reichskanzler wird erst am 30. Januar, dem Jahrestage seiner Berufung als Kanzler, das Wort nehmen und vermutlich programmatische Aus­führungen zur Reichsreform und zur neuen Reichsverfassung machen. Es soll in Zukunft awei nationale Festtage geben: den 1. Mai, als Tag der deutschen Arbeit, und den 1. Oktober als Erntedankfest und Tag der deutschen Bauern.

Seit einigen Tagen werden wie auf Kommando in der nationalsozialistischen Presse sehr radikale Töne gegen die Opponenten von rechts und links angeschlagen. So äußerte sich bei einer Kundgebung der nationalsozialistische Handels­und Gewerbeorganisationen laut Angriff" der stellver­tretende Gauleiter Staatsrat Görlizer u. a.:

" Wir' affen uns von den gleichgeschalteten Bürgern und Freimaurern nicht den Bestand unserer Ueberzeugung an taften. In der ständigen Kampfbereitschaft werden wir nicht müde werden. Jede Sabotage würde eine Behinderung der wirtschaftlichen und politischen Wiederaufrichtung Deutsch­ lands bedeuten. Die Revolution umfaßt alles, was uns passiven Widerstand leistet und nicht gutwillig, mitmacht. Wir lassen an unseren Mitgliedern und unserem Werk weder von der Internationale noch von den Monarchist en rühren."

Der Aufbau", das amtliche Organ der NS.- Hago, also der Mittelstandsorganisation, auf der Görlißer seine mißmutige Rede hielt, schildert die Stimmung der Unzufriedenheit in den gewerblichen Kreisen so:

Sie( die Mitglieder) sind enttäuscht zu sehen, daß unsere Organisation tein Sprungbrett für ihre eigennüßigen Abs fichten ist... Das natürlichste wäre, wenn sie sich schleu= nigft zum Teufel kehrten... Nicht nur, daß sie über alles und alles schimpfen, was in unserer Organisation geschieht, sie wagen es sogar, auf das Programm der NSDAP . zu pochen... Zu dieser Kategorie denn nicht nur bei uns, sondern überall mehr oder weniger versteckt wühlen Maulwürfe, gesellt sich die Kategorie der schlechten Beitragszahler, viel­fach sogar decken sich beide... Sie stellen über jeden Groschen, den sie für die Bewegung flüssig machen, ein ge= waltiges Lamento an. Sie besitzen die Geschmacklofig= feit, über den lumpigen Groschen, den fie monatlich für die GHG.- Selbsthilfe zahlen, noch Worte zu verlieren..." Das alles aber ist nichts gegen die Drohungen, die der stellvertretende Gauleiter Emil Stürß in der größten nationalsozialistischen Provinzzeitung, dem Dortmunder Generalanzeiger" ausstößt. Er arbeitet in einem besonders schwierig gelagerten Gebiete. Die Klassengegensätze sind groß wie immer, und das Unterdrückungsgesetz gegen die Arbeiter zur Ordnung der nationalen Arbeit" wird sie nicht mildern. Im rheinisch- westfälischen Industriegebiet steht der National­sozialismus zwischen den Schwerindustriellen, die Hitlers Freund Thyssen führt, und den Millionen Arbeitern und Angestellten, die auf Befehl Hitlers dem Kommando Thyssens unterstellt sind. Mit etlicher Verwunderung blicken die " alten" Kämpfer des Hakenkreuzes auf den schwerindu­striellen Nationalsozialismus", der nichts anderes ist als Hochkapitalistische Diktatur über die Massen des Arbeits­volks. Sie wollen nicht glauben, daß das brutale Wieder­erstehen des ungehinderten kapitalistischen Herrentum Hitlers Wille ist und tun so, als sei, was da geschieht, Sabo­tage an Hitlers edlem nationalsozialistischem Wollen. Das Rumoren in der betrogenen Arbeiterschaft muß schon recht start sein, wenn der stellvertretende Gauleiter Stürß den folgenden Aufsatz veröffentlicht:

Darin lag ja immer die Stärke der nationalsozialistischen Bewegung, daß die, die sich ihr zuschworen hatten, allezeit bereit waren, als verlorener Haufe sich zusammen: bauen zu lassen für die Idee, die ihnen mehr galt als das Leben. Und diese sind es, mag sie das Vertrauen des Führers eingelegt haben, gleich, wohin, mag sie die Not: wendigkeit der gegenwärtigen Neugestaltung Deutschlands räumlich voneinander getrunt haben, die geistig und inner: lich zusammenstehen müssen, fefter denn je zuvor,

um zu verhindern, daß, während dort oben unser Führer sich müht, um die Voraussetzungen für ein national: fozialistisches Deutschland zu schaffen, falsche Propheten

,, Merkt es Euch, Ihr Gleichgeschalteten"

im Volfe einen Nationalsozialismus " zu verbreiten

versuchen, der verdammt nach Dingen ähnelt, die mancher Dimitroff

längst abgetan glaubte.

Merkt Euch das, Ihr Herren Gleichgeschalteten!

Wir sind nicht kleinlich. Wir vertragen viel und sind außerdem gehorsam dem Befehl unseres Führers, der uns aufgab, Euch in Frieden zu lassen.

Tut, was Ihr wollt, wenn der Führer noch keine Zeit fand, ein Gesetz zu erlassen, das Euch Euer Tun untersagt. Wir können so lange warten.

Aber etwas können wir nicht. Wir können Euch nicht über den einzigen und wahren" Nationalsozialismus wie Ihr ihn auffaßt reden hören. Dann tocht es in uns, dann wird unsere Disziplin auf eine gar zu harte Probe gestellt.

-

In Enern liberal- kapitalistisch- marristisch- wirtschafts: parteilichen Geheimküchen habt Ihr Euch Euern Adolf Hitler , Euern Nationalsozialismus zurechtgebraut. Für den Hausgebrauch? Unseretwegen.- 10

Aber bleibt dem deutschen Volke, bleibt vor allem uns damit vom Leibe. Sonst werden wir bösartig! Denn wir sind nicht naiv genug, um zu glauben, daß hinter diesem Eurem Tun pure Unwissenheit steckt. Wir kennen Euch. Früher habt Ihr uns von außen her be= fämpft. Das ist nun vorbet.

Jetzt habt Ihr Euch gleichgeschaltet und versucht den Nationalsozialismus umzubiegen, das daraus zu machen, was Ihr früher anders nanntet.

Tut was Ihr wollt! Aber redet nicht vom National: fozialismus. Dazu besteht nebenbeibemerkt auch gar keine Notwendigkeit. Denn wir sind der Meinung, daß das immer noch am besten die können, die es jahrelang als Wegbereiter des Nationalsozialismus getan haben. An der Spitze der Führer selbst.

Wenn von der Weltanschauung die Rede ist, für die unsere Besten ihr Leben ließen, dann habt Ihr zu schweigen, denn davon versteht Ihr nichts.

bleibt in..Schutzhaft"

Wie das Welthilfskomitee für die Opfer des Hitlers Faschismus erfährt, hat die Mutter Dimitroffs im Laufe des Donnerstag im Reichsinnenministerium vorgesprochen. Sie tam in Begleitung ihrer Tochter und der Frau Taneffs und wurde vom Ministerialrat Dr. Erbe empfangen. Die Mutter Dimitroffs fragte, warum ihr Sohn noch immer nicht enthaftet sei, obwohl ihn das höchste Gericht Deutsch­ lands freigesprochen habe. Dr. Erbe gab hierauf folgende Erklärung: Ihr Sohn ist in Schußhaft genom= men. Wir haben Tausende in Schußhaft, ohne daß ein Gerichtsurteil gegen sie vorliegt. Auf Grund der Reden, die Ihr Sohn im Ge= richt gehalten hat, sind wir berechtigt, ihn in Schuhhaft zu behalten. Erinnern Sie sich. was er allein gegen den Ministerpräsidenten Göring gesagt hat."

Diese Erklärung eines hohen Beamten im Reichsinnens ministerium beweist eindeutig, daß die Hitler - Regierung ent= schlossen ist, die freigesprochenen Bulgaren nach wie vor in Haft zu behalten und daß dies auf Veranlassung Görings geschieht, der seine Drohungen gegen Dimitroff wahrmachen will. Um die Protestbewegung im Ausland abzuschwächen, läßt die Hitler - Regierung von Zeit zu Zeit die Nachricht in die Presse lancieren, die freigesprochenen Bulgaren würden. über die polnische Grenze in die Sowjet- Union gebracht. In Wirklichkeit ist die Gefahr größer denn je. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß die Bulgaren nach Berlin in den Machtbereich Görings überführt werden, und was sie dort zu erwarten haben, kann man nach den Drohungen Görings im Gerichtssaal leicht ermessen.

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Und wenn man hier oder da einmal im Zweifel ist, was Freispruch: 20 Minuten Gefängnishof

in der einen oder anderen Sache getan werden soll?- Kommt Ihr Euch gar nicht lächerlich vor, wenn Ihr da meckert: Dies oder das ist Adolf Hitlers Wille? Woher wißt Ihr das denn? s Men 2

Fragt uns nur. Wir wollen Euch schon zweckdienlich beraten. Zu des deutschen Volkes und somit auch zu Eurem Heil.

Aber macht nicht fortgesetzt den Versuch,

die Autorität des Führers und des von uns eroberten Staates für Dinge einzuspannen, von denen Ihr be= hauptet, sie seien Nationalsozialismus .

Sonst könnte Euch eines Tages einmal klar gemacht werden, was Nationalsozialismus ist, in der uns Alten eigenen Art.

Die alte Garde lebt noch!

Jederzeit bereit, des Führers verlorener Hause zu sein, duldet sie nicht, daß man an dem dreht und deutelt, wofür

( Inpreß.) Der Korrespondent der Jswestija" melder: Die Auskunft, die das Innenministerium den auslän­und Taneffs erteilt, lautet wie bisher:" Die drei bul­dischen Journalisten über das Schicksal Dimitroffs, Popoffs garischen Kommunisten bleiben in Haft." Auch ihr Gefäng­nisaufenthalt ist unverändert: sie sind in Einzelhaft, von einander isoliert und dürfen täglich nur 20 Minuten auf dem Gefängnishof spazieren gehen."

Die Furcht regiert!

Aus dem Reiche wird uns geschrieben:

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Wer regiert in Deutschland ? Nicht Hitler , nicht die Nazis, sondern die Furcht. Denn sie beherrscht noch die heute Herrschenden. Ihre Wirkung auf den einzelnen Menschen und auf die Gesamtheit ist verheerend. Ein

zu sterben sie bereit ist! tan ganzes Volk wird auf die Dauer durch sie moralisch

Dieser Aufsatz ist reine Demagogie. Ein Mann in solcher Stellung muß wissen, daß die nationalsozialistische Bewegung stets von kapitalistischen Mächten finanziert und gekauft war. Sie ist immer ein Stoßtrupp gegen jede Art wirklichen Sozialismus, gegen jede selbständige Arbeiterbewegung ge­wesen. Als im Januar 1932 zu Düsseldorf Adolf Hitler vor den maßgebenden Wirtschaftsführern des Westens sprach und Frizz Thyssen rief Heil Herr Hitler!", war der kapitalistische Kurs Hitlers auch öffentlich zugegeben. Im Herbst 1932 hat Hitler dann seine Partei noch einmal an die Großindustrie und die Finanz nerfaust, um die Bewegung finanziell zu janieren. Das war die Krise, die zum Zerfall mit Gregor Straßer und seiner Gruppe führte. Seitdem regieren die Thyssens aller Sorten die Wirtschaft und Hitler hat nur die Aufgabe, den Marrismus zu zertrümmern" und das Boll­werk gegen den Bolschewismus" zu bilden. Daß er an diesem wahnwißigen Streben scheitern muß, ist jetzt schon gewiß. Streiten fann man nur über die Zeit, die der Marrismus zur Zersetzung, zur Unterhöhlung, zur Ver­nichtung des gewaltigen- faschistischen Machtapparates braucht. nichtung des gewaltigen faschistischen Machtapparates braucht.

Fortsetzung stehe 2. Seite

zerrüttet.

Bei den Unterdrückten erzeugt sie Geducktheit, Heuchelei. Es gibt hunderterlei Formen dafür:

Von dem Mann, der aus Furcht vor Entlassung den Hitlergruß macht, bis zu dem Dichter, der aus Furcht vor Tantiemenschwund dem Regime lobhudelt.

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Der Beamte, der aus Furcht vor dem Vorgesetzten, oder noch häufiger vor dem Untergebenen, der auf seinen Posten lauert es nicht wagt, für die gerech­teste Sache einzutreten.

Die Eltern, die aus Furcht vor den eigenen Kindern, welche man in der Schule ausfragt, in deren Beisein jedes Wort auf die Waage legen.

Der Mann, der aus Angst um den eigenen Ruf nicht mehr bei dem jüdischen Freund kauft.

Die scheuen Blicke, die sich während einer Unter­haltung vergewissern, ob auch niemand in der Nähe ist. Systematisch wird diese Heuchelei gezüchtet: von 4 Ge­fangenen, die vor ihrer Entlassung aus der Schutzhaft stehen, antworten drei, befragt ob sie nun positiv zum neuen Staat stehen, mit Ja, einer mit Nein, Die drei